Spitzen
,
Fachausdruck für das Hervorbrechen der Wurzelscheide bei der keimenden Gerste. [* 2]
Spitz - Spitzen
Spitzen
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Spitzen,
Fachausdruck für das Hervorbrechen der Wurzelscheide bei der keimenden Gerste. [* 2]
Spitzen,
durchbrochene, flächenartig ausgedehnte und gemusterte Besatzstoffe aus textilen Fäden, seltener aus
Gold-
und
Silbergespinsten, die aus einer, dem beabsichtigten
Muster entsprechenden
Vereinigung verschiedenartiger
Fadengebilde (s. d.)
von wechselnder
Anordnung und Gestaltung hervorgegangen sind. Die Benennung
«Spitze» sowie das franz. «dentelle»,
das engl. «point» und das
ital. «punto» kommen von der Zackenform
der ältern, ausschließlich als Randbesatz von Gewändern (Kanten) gebrauchten S. her. Die bessern
Arten werden aus
Seide
[* 3] (s.
Blonden) oder aus feinem Leinengarn verfertigt; außerdem giebt es baumwollene (engl.
Maschinenspitzen) und wollene (Mohairspitzen
).
Die Herstellung der
Arbeit kann durch Nähen (s. d.), Klöppeln (s. d.),
Häkeln (s. d.),
Stricken (s. d.), Knüpfen u. s. w. erfolgen.
Spitzen
* 5
Seite 65.183. Nach der Konstruktion des die Musterfiguren tragenden und verbindenden
Fadengebildes unterscheidet man jetzt Guipürespitzen
und Réseauspitzen.
Bei Guipürespitzen erfolgt die
Verbindung der den größten
Teil der
Fläche erfüllenden
[* 1]
Figuren durch
Stäbchen oder
Stege, die ursprünglich nur durch Umwickeln starker Fäden hergestellt, später auch geflochten
wurden. Zuweilen erhalten dieselben durch Knötchen oder Sternchen (Picots) künstlerische Ausbildung. Die Mustergebilde
der Réseauspitzen
sind von einem Netzwerk
[* 4] aus engen
Maschen (Zellen) von regelmäßiger Gestalt und
Anordnung
¶
umschlossen, Réseau oder Spitzengrund genannt. Durch den Wechsel in Gestalt und Größe dieser Zellen entstehen zahlreiche Grundarten, die mit der angewendeten Herstellungsmethode die Grundlage für die Einteilung der S. in technologischer Hinsicht bieten, während man dieselben im Handelsverkehr nach den mutmaßlichen oder nachweislichen Fabrikationsorten oder Fabrikationsgebieten zu bezeichnen pflegt.
Die ältesten S. sind Nadelarbeit und ohne Zweifel aus den Stickereien hervorgegangen. Sie besitzen wie diese als Unterlage einen dichten Stoff, der durch zweckentsprechendes Ausziehen einzelner Webfäden, sowie durch geeignete Gruppierung und Verbindung der zurückgebliebenen Fäden derart durchbrochen ist, daß die beabsichtigten, meist geometr. Muster entstehen. Infolge der rechtwinkligen Kreuzung von Einschlag- und Kettenfäden in dem als Grundlage dienenden Gewebe [* 6] sind die Durchbrechungen nur von geringem Wechsel der Form.
Die Vereinigung der bündelweise zusammengelegten Fäden geschieht durch dichtes Umwinden mit einem Nähfaden, wodurch dem entstehenden Stäbchen eine beträchtliche Steifheit und Widerstandsfähigkeit erteilt und ein klares Netzwerk mit rechteckigen Zellen geschaffen wird. Das Ausziehen der Fäden geschieht derart, daß innerhalb der Zellen Fadenkreuze, oder an den Kreuzungspunkten der Stäbchen durch Umwinden derselben Rosetten entstehen. Größere Flächenmuster erhält man durch Zurücklassen quadratischer oder sternförmiger Stoffteile oder durch Ausfüllen der Zellen mit dicht an- und übereinander gelegten Stichen.
Diese Arbeiten heißen mit Rücksicht auf die Art ihrer Erzeugung Ausziehspitzen (ital. punto tirato). Zu größerer Vollkommenheit und Feinheit gelangt die Mustergebung in der ausgeschnittenen Arbeit (punto tagliato), bei der die durch Ausschneiden von Fäden erzeugten Durchbrechungen der Stofffläche mit Gitterwerk aus eingezogenen und kordonnierten Fäden und mit Languetten wirkungsvoll ausgefüllt sind. Mit Rücksicht auf die sich rechtwinklig kreuzenden Fäden der Gewebeteile kommen nur geometr. Muster zur Ausführung, die aber durch schräg eingezogene Fäden und durch die freie Bildung der Languetten mannigfachen Wechsel in der Zeichnung gestatten. Diese im Aussehen den Charakter der S., in der Herstellungsweise den der Stickerei tragenden Arbeiten vermitteln gleichsam den Übergang zwischen beiden Kunstzweigen. Hier sind auch die in neuester Zeit auf der Plattstichstickmaschine zur Anfertigung gelangenden Ätzspitzen (s. d.) zu nennen.
Bei den eigentlichen genähten S. (Nadelspitzen
) fehlt das die einzelnen Fadengebilde stützende Grundgewebe; dieselben halten
sich gegenseitig und müssen deshalb ganz bestimmte Formen besitzen. Die ältesten Arbeiten dieser Art sind
die Netzspitze (ital. reticella) mit vorwiegend geometr. Mustern und die zu der Art der Guipürespitzen (s. Guipüre) gehörende
schwere und prunkvolle Venetianer Spitze (ital. punto di Veneziaia), deren mannigfach gestaltetes Blatt- und Rankenwerk mit
seinen durch Unterlegen plastisch hervorgehobenen Umrissen ihnen unter allen Erzeugnissen des weiblichen Kunstfleißes den
höchsten ästhetischen und technischen Wert verleiht.
Paris
* 7
Paris.Die [* 5] Figuren des Musters sind hier durch Stäbchen oder Stege verbunden, die aus mehrfachen in Festonstich umnähten Fadenlagen bestehen und öfters mit Schleifen oder Knötchen (Picots) besetzt sind. Aus dieser Nadelarbeit hervorgegangen ist die nicht minder schöne und reiche, dabei leichtere und zierlichere Guipürespitze, Point de France oderPoint de Paris [* 7] genannt, die aus schmalen, mannigfach gewundenen Bändern bestehende Genueser Litzenspitze, die mit Zellengrund versehene Alençon-, Argentan-, Brüsseler Spitze u. s. w. Zur weitern Ausbildung des Musters oder der Grundzellen dienen zahlreiche, meist höchst kunstvoll geschlungene Sticharten (Spitzenstiche).
Die neuern Nadelarbeiten dieser Art haben alle mehr oder weniger die Ausführung der alten Muster zum Vorbild, die sie jedoch in Bezug auf die Güte der Arbeit nur selten erreichen. Die Herstellung der Nähspitzen erfolgt mit Hilfe eines Musterblattes (Patrone), auf dem die Umrisse der [* 5] Figuren durch Nadelstiche angedeutet sind. Mittels sehr feiner Fäden wird das Musterblatt auf zwei übereinander liegenden Zeugstücken festgenäht, sodann, der punktierten Zeichnung folgend, ein starker Doppelfaden aufgelegt und mittels eines dünnen Fadens angeheftet. Je nach der zu erzielenden Schattierung der Musterflächen werden sie mehr oder minder dicht mit dem betreffenden Spitzenstich angefüllt, die Umrisse durch entsprechende Stichlagen hervorgehoben, die Grundfäden der die [* 5] Figuren verbindenden Stege ausgespannt und umnäht, bei Réseauspitzen die freien Räume mit dem nicht sehr dichten, aber gleichmäßigen Grund ausgefüllt. Nach beendeter Arbeit bewirkt man die Trennung der S. vom Musterblatt durch Voneinanderziehen der beiden Zeugstücke und Zerreißen der dieselben verbindenden Heftfäden.
Weit mannigfaltiger als bei den genähten sind die Formen der Grundzellen bei den geklöppelten S. (s. Klöppeln), deren Muster sich als breite Gewebeflächen, in denen meist Einschlag- und Kettenfäden sich rechtwinklig kreuzen, oder die letztern von einer gleichen Anzahl im Zickzack laufender Einschlagfäden in schräger Richtung gekreuzt werden, von dem mehr oder weniger durchsichtigen Grund abheben. Die zur Herstellung des Grundes benutzten Fäden laufen sämtlich die S. entlang und werden an den betreffenden Stellen direkt zur Bildung des Musters verwendet, so daß dieses mit dem Grund ein untrennbares Ganzes bildet.
Während die Konstruktion der geklöppelten Guipürespitze im allgemeinen mit derjenigen der genähten übereinstimmt, weicht dieselbe in der Ausbildung der Details wesentlich von jener ab. An die Stelle der umwickelten Fäden treten als Stege Gezwirne oder Geflechte, die häufig durch schleifenförmige Picots verziert sind. Nach der Art der punto tagliato gemusterte Klöppelspitzen, bei denen die einzelnen Fadenstränge durch Gezwirne oder schmale Geflechte ersetzt sind, werden Clunyspitze genannt.
Spitzengrund - Spitzer
* 9
Seite 65.184.Die neuern Guipürearbeiten, namentlich die sächs. und böhm. Wollguipürespitzen, zeigen meist ein vollständig ausgebildetes Grundnetz mit mannigfachen Zellenformen. Die bei den geklöppelten Réseauspitzen am häufigsten vorkommenden Grundbindungen sind der Torchon-, Valenciennes-, Kettelgrund, der Mechelner oder Malinesgrund, ferner der Tüllgrund, wie er sich bei den alten S. von Brügge, Chantilly, Lille, [* 8] in neuerer Zeit bei den Malinesspitzen des sächs. und böhm. Erzgebirges, bei Blonden u.s.w. findet. Bei den applizierten S. trägt ein geklöppelter oder auf der Bobbinnetmaschine gefertigter Tüllgrund durch Handarbeit hergestellte und durch Aufnähen befestigte Musterfiguren. Gehäkelte S., z. B. die sog. irische Guipürespitze (auch einfach irische Spitze ¶
genannt), sind vielfach aus einzelnen gehäkelten [* 9] Figuren, die teils aneinander geschlungen, teils durch kurze, mit Picots verzierte Luftmaschenstäbchen verbunden sind.
Die Maschinenspitzen, denen gegenüber die Handspitzen öfters, obwohl unrichtig, als echte S. bezeichnet werden, sind entweder auf der Klöppelmaschine (s. d.), oder auf der Wirkmaschine [* 10] (s. d.), oder auf dem Bobbinnetstuhl (s. Bobbinnet) hergestellt und zeigen demgemäß eine verschiedene Beschaffenheit. Auf der Klöppelmaschine werden fast nur einfache Grundbindungen mit quadratischen Zellen für gröbere Leinen- und Wollspitzen erzeugt, da für zusammengesetztere Bindungen oder bei vielfachem Zusammendrehen der Fäden die dem Wechsel von Zwirnen und Flechten [* 11] bewirkende Vorrichtung zu umständlich würde.
Die auf der Wirkmaschine hergestellten S., die teils die Torchon-, teils die Guipürespitze nachahmen und deren Musterung naturgemäß eine beschränkte ist, sind auf den ersten Blick durch die eigentümliche, der Häkelarbeit ähnliche Bindungsweise zu unterscheiden. Die größte Bedeutung haben gegenwärtig die auf dem Bobbinnetstuhl verfertigten Tüllspitzen, die in ihren bessern Sorten den Handspitzen sehr ähnlich sind, obwohl sie bezüglich der Bindungsweise von ihnen abweichen. Zu den für Tüllspitzen üblichen Bindungsweisen gehören der den Grund (Fond) der Nähspitzen imitierende Nadelgrund, der Torchongrund, der Malinesgrund, der die breiten, parallel zur Spitzenkante liegenden Zellenstege der geklöppelten Malinesspitze, allerdings in weniger haltbarer Weise, darstellt, endlich der Gardinengrund, der für gröbere Spitzensorten sowie für die gewöhnlichen Gardinen («engl. Tüllgardinen») zur Anwendung kommt. Die Tafeln: Spitzen I und II geben Beispiele von Hand- und Maschinenspitzen.
Italien
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Italien.Geschichtliches. Die ersten Arbeiten, die im eigentlichen Sinne als S. bezeichnet werden können, tauchten am Ausgang des Mittelalters in Italien [* 12] und bald nachher in den Niederlanden auf. Um die Mitte des 16. Jahrh. wurde die Kunst des Spitzennähens und noch später die des Spitzenklöppelns nach Frankreich verpflanzt; allein erst die großartigen Unternehmungen Colberts ermöglichten den Triumph der franz. Spitzenindustrie über ihre ital. und niederländ. Vorbilder. In Chantilly wurden schon zu Anfang des 17. Jahrh. durch Catherine de Rohan, Herzogin von Longueville, Spitzenschulen gegründet, aus denen vorzügliche Blonden, insbesondere die schwarzen Trauerspitzen (Chantillyspitzen), hervorgingen; außerdem wurden Valenciennes, Alencon, Argentan, Puy durch die eigenartige Technik und die künstlerische Ausstattung ihrer Erzeugnisse berühmt.
Wien
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Wien.Ihre höchste Blüte [* 13] erreichte diese Industrie im Laufe des 18. Jahrh. Deutschland [* 14] besaß schon früh in Nürnberg, [* 15] Augsburg, [* 16] Leipzig, [* 17] Hamburg, [* 18] Elberfeld [* 19] größere Spitzenmanufakturen, doch gewann erst die durch Barbara Uttmann (s. d.) im sächs. Erzgebirge eingeführte Spitzenklöppelei wirkliche Bedeutung. In neuerer Zeit werden hier wie im böhm. Erzgebirge vortreffliche Arbeiten in geklöppelter und in genähter Spitze hergestellt. Durch den Fortschritt der Maschinentechnik ist der Handarbeit seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts eine bedeutende Konkurrenz erwachsen. In neuester Zeit ist es August Matitsch, dem einstigen Direktor und Mitbesitzer der großen L. Damböckschen Bobbinnet- und Spitzenfabrik in Wien, [* 20] gelungen, nach dem Princip der Heathcoatschen Bobbinnetmaschine eine Klöppelmaschine zu konstruieren, die auf verhältnismäßig einfache Weise die Herstellung «echter» Klöppelspitzen ermöglicht. Den Hauptanteil an der Fabrikation der Maschinenspitzen nimmt England (Nottingham), [* 21] nächst ihm Frankreich (Calais, [* 22] St. Pierre-les-Calais, Lyon, [* 23] Lille, Douai, St. Quentin, Caudry), ferner Österreich [* 24] und besonders in der Anfertigung von Tüllgardinen das Königreich Sachsen [* 25] (Vogtland). Eifrige Pflege haben neuerlich auch die gehäkelten S. gefunden, deren einfacher Bau große Mannigfaltigkeit in der Verzierung gestattet.
Statistik. In Deutschland betrug (1896) die Einfuhr 14,1, die Ausfuhr 25 Mill. M., darunter baumwollene S. und Stickerei 13,9 und 8,4, Leinenzwirnspitzen 0,4 und 0,3, Seidenspitzen 0,2 und 0,7, Wollenspitzen und Tülle 1,1 Mill. M. Gleichfalls ansehnlich ist die Ausfuhr aus England, Frankreich und Österreich.
Litteratur. Seguin, La Dentelle.
Histoire, description, fabrication, bibliographie (Par. 1874);
Bury-Palliser, Histoire de la Dentelle (ebd. 1869);
Ilg, Geschichte und Terminologie der alten S. (Wien 1870);
Sibmacher, Stick- und Musterbuch (nach der Ausgabe von 1597, ebd. 1877; nach der 4. Ausgabe von 1604 hg. von Georgens, ebd. 1874);
Hoffmann, Spitzenmusterbuch (nach der Ausgabe von 1607, ebd. 1876);
Originalstickmuster der Renaissance (2. Aufl., ebd. 1880);
Spitzenalbum (hg. vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, ebd. 1876);
Tina Frauberger, Handbuch der Spitzenkunde (Lpz. 1394);
ferner gab Cocheris eine Reihe seltener Spitzenmusterbücher des 16. Jahrh. aus der Bibliothèque Mazarin (Patrons de broderio et de lingerie du 16e siècle, Par. 1972), Eitelberger 50 Blatt [* 26] der schönsten Muster aus deutschen und ital. Musterbüchern des 16. Jahrh. (Wien 1874) heraus.
Vgl. ferner: Hugo Fischer, Zur Technologie der Handspitzen (im «Civilingenieur», Bd. 24, 1878);
ders., Technolog. Studien im sächs. Erzgebirge (Lpz. 1878);
ders., Die Spitzenmaschine von Eugen Malhère in Paris (in Dinglers «Polytechnischem Journal», Bd. 240, 1881);
Spitzenmaschine von August Matitsch in Wien (ebd., Bd. 304, 1897).
(S. auch die Litteratur bei Bobbinnet und Ornament.)