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sich sehr verändert, und man kann nicht sagen: zu ihrem Vorteil. Dagegen zeigt sie mehr
Anpassung an die in der übrigen
Welt herrschende Geschmacksrichtung, weist mehr kosmopolitische
Züge auf als die der Zeit ihrer
Wiedergeburt, als die der Jahre
1875-80. Das Bestreben, welches sich damals in erster
Linie und mit voller
Kraft
[* 3] geltend machte, war völlige
Lossagung vom französischen Einfluß, Begründung einer echt nationalen Litteratur.
Die besten Werke jener Zeit des Aufschwungs
wurzelten im
Idealismus, ohne jedoch darum eines gewissen gesunden
Realismus zu entbehren. Es herrschte in den meisten derselben
eine ausgeprägt liberale, demokratische Geistesrichtung und Weltanschauung.
Die neueste Litteratur
weist dagegen mit voller Deutlichkeit den gestaltenden Einfluß des modernen
Realismus
und
Naturalismus
Frankreichs auf, so sehr die bessern Schriftsteller sich auch bemühen, ihren Werken den nationalen
Stempel
aufzudrücken. Die vorherrschende
Richtung ist entschieden pessimistisch. Der
Phantasie, der
Dichtung ist nur ein sehr enger
Spielraum gewährt; in der
Technik vermißt man meist jedes höhere künstlerische
Streben und künstlerische
Fähigkeiten.
Möglichst genaue photographisch getreue Wiedergabe der Szenen und Ereignisse des realen Lebens, Anwendung der stärksten naturalistischen Würzen und Reizmittel sollen diesen Werken Wert verleihen, ihren Erfolg sichern. Wo Phantasie und Dichtung sich breit machen, da gehen sie ins Maßlose und stoßen den modernen Leser ab. Novelle und Roman sollen nicht nurdazu dienen, die unsre heutige Zeit bewegenden sozialen Fragen und Probleme in pikanter Weise zu behandeln, sondern auch persönliche und Parteiinteressen zu fördern.
Mehrere litterarische
Schulen und Strömungen stehen sich feindlich gegenüber und suchen einander durch ihre Erzeugnisse
und die ihnen dienenden
Kritiker gegenseitig zu schädigen. Es fehlt der heutigen
Belletristik an höhern
Idealen, an festen ästhetischen Grundlagen, an sicherm Halt.
Mehr als je macht sich überdies der
Provinzialismus geltend.
So wenig vorteilhaft eine vollständige
Zentralisation des spanischen
litterarischen
Schaffens sein würde, so wenig dienlich
ist aber auch die zum Teil durch politische
Interessen geförderte
Ausbildung von Provinziallitteraturen
,
die die Schilderung der engern
Heimat zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht haben, den
Gesichtskreis ihrer
Leser beengen, statt
ihn zu erweitern.
Manche der besten Schriftsteller der 70er Jahre haben sich bereits zur Ruhe gesetzt; andre sind in ihrer Leistungsfähigkeit bedeutend zurückgegangen, den jüngern Elementen aber, die das litterarische Leben beherrschen, fehlt es einerseits an den nötigen Fähigkeiten, um wirklich Bedeutendes zu leisten, oder sie suchen durch mehr oder minder gesunden Witz, durch Übertreibungen und andre auf den Erfolg abzielende äußerliche Hilfsmittel zu ersetzen, was ihnen an Kenntnis der litterarischen Kunstgesetze, an Wissen, Bildung und Ausdauer abgeht.
Der Hauptträger der idealistischen
Richtung in der
Belletristik,
Juan
Valera, hat in den letzten
Jahren keinen neuen
Roman mehr
geschaffen. Die Neuauflage seiner bessern Werke aus früherer Zeit,
Arbeiten überwiegend wissenschaftlichen
Charakters,
Essays
für
Zeitschriften beschäftigen ihn heute ganz ausschließlich, dabei wird manches Werk, das seinen
Namen
trägt, wie die Fortsetzung des großen Geschichtswerks über
Spanien
[* 4] von
Lafuente, nicht von ihm, sondern von seinen Hilfsarbeitern
geschaffen. Zu erwähnen sind von ihm besonders die in den letzten
Jahren
in
Zeitungen erschienenen, 1891 in Buchform herausgegebenen
»Cartas americanas«,in denen hauptsächlich die litterarischen Zustände des gesamten spanischen
Amerika
[* 5] einer
genauen Behandlung unterzogen sind.
Zorrilla, dem 21. und die höchste Ehre der Dichterkrönung in Granada [* 6] zu teil geworden, ist kaum mehr schaffensfähig; Campoamor, der Dichter der Doloras, schreibt wohl dann und wann noch einige Vierzeiler und andre kleine Gedichte, meist sogen. Humoradas, die von den Journalen und Zeitungen rasch der ganzen litterarischen Welt mitgeteilt werden, aber selbst ihnen merkt man schon die Altersschwäche ihres Verfassers an. Eine größere, im vorigen Herbst erschienene Dichtung »El drama universal« hat nur wenig Beachtung gefunden.
Gaspar Nuñez de Arce zehrt an seinem frühern Ruhm und besorgt Neuausgaben seiner »Gritos del combate«. Das politische Leben nimmt ihn stark in Anspruch und gewährt ihm zugleich die notwendigsten Existenzmittel. Castelar findet es nachgerade vorteilhafter, seine Zeit für Abfassung politischer Berichte und Essays für südamerikanische Zeitungen, die Revuen Amerikas, Englands, Frankreichs zu schaffen, als Bücher zu schreiben, denn die Honorare, die ihm für seine lediglich durch poetischen Stil und ermüdende Phrasen ausgezeichneten journalistischen Leistungen gezahlt werden, sind ungeheuer.
Dann und wann läßt er durch die Presse [* 7] verbreiten, daß er mehrere große Geschichtswerke vorbereitet. Die Wissenschaft verliert nichts, wenn sie ungeschrieben bleiben; werden sie geschaffen, so werden sie wie seine übrigen sogen. Geschichtswerke nur stilistischen, dichterischen, allenfalls politischen Wert haben, insofern sie seine persönlichen Anschauungen spiegeln. Pedro Alarcon, der gestorben ist, hatte in den letzten Jahren nichts mehr schaffen können.
Binnen kürzester Zeit wird nur noch ein
Band
[* 8] hinterlassener, bisher unbekannter
Arbeiten von ihm erwartet. Der Begründer und
Förderer der neukatalonischen Litteratur
,
Viktor
Balaguer, ist zwar auf wissenschaftlichem Gebiet unermüdlich
thätig, im übrigen
beschränkt er sich darauf, wie viele jüngere Dichter und Schriftsteller, die es eigentlich noch gar
nicht nötig hätten, eine Gesamtausgabe seiner Werke zu veranstalten.
Neue belletristische
Schöpfungen seiner
Muse sind in
den letzten
Jahren nicht erschienen.
Seine große Geschichte
Kataloniens, seine Geschichte der
Troubadoure sind seine bei weitem bedeutendsten
Leistungen. Das von ihm in
Villanueva y Geltrú gegründete und nach ihm benannte Provinzialmuseum und die dazu gehörige
Bibliothek bilden den Sammelpunkt aller wtalonistischen Bestrebungen, der Geschichte und der Litteratur
Kataloniens.
Balaguer
ist immer noch die
Seele der litterarischen
Bewegung in dem alten
Königreich
Katalonien.
Antonio
Trueba ist in
Bilbao
[* 9] gestorben. In ihm hat
Spanien einen seiner hervorragendsten Schriftsteller verloren.
Das Jahr 1889 war für die
spanische Litteratur überhaupt ein sehr ernstes, es hat manche der leistungsfähigsten
Arbeiter
abgerufen. Am starb
Antonio Arnao, der eine ganze
Reihe von verdienstlichen Werken geschaffen
hatte und sich namentlich an den Bestrebungen für Schaffung einer national-spanischen
Oper beteiligt hat, für die er viele
anziehende Textbücher schrieb. »La hija de Jefté«, »La
Gitanilla«, »Pelayo«,
»Guzman el Bueno« seien unter diesen besonders hervorgehoben. Von seinen
Lustspielen ist »La Visionaria«
das geschätzteste. Im April 1889 starb
Cavanilles y
Federici, der
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Sohn des bekannten Geschichtschreibers Cavanilles, dessen Werk er fortzusetzen beabsichtigte. Am starb Galindo y de Vera, Mitglied der Akademie, Cortesdeputierter und bedeutender Rechtsgelehrter; er schrieb eine große Zahl juristischer und geschichtlicher Werke, die von dauerndem Wert sind. Am starb Jimenez Delgado, ein lyrischer und Komödiendichter, dessen Werke allgemeinen Beifall fanden. Am 17. Juli schied Salvador [* 11] Lastra aus dem Leben; er hat eine große Zahl von kleinen Lustspielen und Operettentexten geschrieben, die sich dauernd auf dem Repertoire halten, wie »Vivitos y coleando«, »En la tierra come en el cielo«, »El fantasma de los aires«. In Montalban Herranz verlor die juristische Wissenschaft einen ihrer bedeutendsten Vertreter und Schriftsteller.
Die Katalonen verloren in Francisco Pelayo Briz einen der energischsten Vorkämpfer für dis Wiederbelebung der
katalonischen Litteratur.
Er war 1869 bereits zum Maestro en gay saber, 1875 zum Präsidenten der Blumenspiele in Barcelona
[* 12] erwählt
worden; er übersetzte unter anderm auch Goethes »Faust«. Am 24. Okt. d. J. starb in Valencia
[* 13] ein dortiger Vertreter des Katalonismus,
Vicente Wenceslao Querol, der durch seine »Rimas« allgemein bekannt geworden ist.
In dem kurz nach seiner Rückkehr aus Rom,
[* 14] wo er mehrere Jahre Botschafter Spaniens gewesen war,
verstorbenen Marques de Molins, Don Mariano Roca de Togores, hat Spanien einen seiner bedeutendsten Staatsmänner, die Litteratur
einen ihrer eifrigsten Förderer verloren. In allen Zweigen derselben zeichnete er sich vorteilhaft aus; er war Mitglied aller
Akademien Madrids. Francisco Rodriguez Zapata, langjähriger Lehrer der Dichtkunst und selbst bedeutender Dichter, starb 14. Aug. Die
Musikgeschichte Spaniens verlor in Baltasar Saldoni y Remendo, dem Verfasser des »Diccionario
biográfico de músicos españoles«, einen ihrer wenigen gründlichen Bearbeiter.
An: 19. Dez. starb Francisco Sanchez de Castro, Professor der Madrider Universität und allgemein geichätzter dramatischer Schriftsteller und Litterarhistoriker;
Tarrazo y Mateos, ein Granadiner Novellist, starb 16. Nov. Einen schweren Verlust
erlitt die spanische
Wissenschaft durch den am erfolgten Tod Manuel Canñtes, der sich um die Erforschung der spanischen
Litteratur
geschichte sehr verdient gemacht hat. Er bekleidete hohe Staatsämter, war Mitglied aller gelehrten Gesellschaften
Spaniens und wurde als erste Autorität für alle auf die Geschichte der mittelalterlichen Litteratur
bezüglichen
Fragen betrachtet.
Unter denen, die heute eine bedeutende Rolle in der Belletristik spielen, muß zuerst Perez Galdos, genannt werden. Obgleich er der Versuchung nicht hat widerstehen können, die in Spanien an alle Männer herantritt, die sich auf irgend einem Gebiete der Geisteskultur auszeichnen, nämlich am politischen Leben aktiven Anteil zu nehmen und in die Cortes einzutreten, so hat er doch darum nicht nur nicht aufgehört, litterarisch thätig zu sein, sondern er hat seinen Fleiß womöglich noch gesteigert.
Selbst die häufigen Reisen nach den baskischen Provinzen, wo er sich ein Schloß bauen läßt, beeinträchtigen nicht seine litterarische Thätigkeit. Im Jahr 1889 erschienen von ihm die Novellen »La incógnita« und »El suplicio de Torquemada«. 1890 erschien ein Band kleinerer Schriften, 1891 dann der große dreibändige Roman »Angel Guerra«, der sehr ungleiche Beurteilung erfahren hat, und gleichzeitig der die sozialen Tagesfragen behandelnde Roman »La desheredada«. Im allgemeinen können sich alle seine neuern Arbeiten, so viel Schönes sie auch enthalten mögen, doch nicht mit den frühern messen.
Ermüdende Weitschweifigkeit ist einer der Hauptvorwürfe, welche Perez Galdos gemacht werden. Die neuern Werke dieses fruchtbaren Romanschriftstellers bekunden überdies eine wesentliche Veränderung der, Weltanschauung desselben. Er hat sich dem Einfluß des Realismus und Naturalismus nicht entziehen können. Wollte er seinen litterarischen Ruf bewahren, seine Stellung behaupten, so mußte er der von Frankreich her eingedrungenen Geschmacksrichtung Rechnung tragen, die in Spanien festen Boden gefaßt und mehrere der bedeutendsten Schriftsteller vollständig für sich gewonnen hat.
»Die Enterbte« , (»La desheredada«)
behandelte nicht nur einen den Tagesfragen entlehnten Stoff, sondern wurde auch in naturalistischem Stil
abgefaßt. Neuerdings gedenkt der Dichter verschiedene seiner Novellen für die Bühne zu bearbeiten, und seine Anhänger sind
der Überzeugung, daß damit eine neue Ära für das, spanische
Theater
[* 15] beginnen wird. Das wird man, abwarten müssen; was
indessen bis jetzt über den ersten derartigen Versuch berichtet wird, den er vorbereitet, über das Drama
»Realidad« gibt noch keinen Anlaß zu derartigen überschwenglichen Vermutungen.
Die hauptsächlichsten Konkurrenten, welche Perez Galdos den Rang des ersten Novellisten streitig machen, sind José M. Pereda,
ein früherer Karlist, und Emilia Pardo Bazan, die beide durchaus auf dem Boden des Realismus stehen, doni
denen die letztere aber unbedingt als die Hauptvertreterin des weitestgehenden Naturalismus betrachtet werden muß. Beide
weichen jedoch in ihren religiösen Ansichten bedeutend von den französischen Realisten und Naturalisten ab, sie stehen beide
auf dem katholisch - kirchlichen Standpunkt, und dieser Umstand söhnt selbst die strengsten Verurteiler
der französischen Naturalisten und ihrer spanischen
Jünger und Nachahmer mit den Werken der beiden Genannten aus.
Pereda hatte 1888 »Bocetos al temple«, »Sotileza« und 1889 »La Puchera« veröffentlicht; 1890 und 1891 folgten die Romane »Al primer vuelo« und »Nubes de estío«. Der Verfasser geht auch in diesen neuern Werken nicht über den engen Rahmen seiner Heimat, der Provinz Santander, hinaus, was der weitern Verbreitung der Werke Peredas, namentlich im Ausland, sogar in Spanien selbst nicht dienlich ist. Überdies wird der Genuß der an sich meisterhaften Schilderungen durch Weitschweifigkeit recht beeinträchtigt.
Emilia Pardo de Bazan ist von dem Ehrgeiz beseelt, dis spanische
Staël zu sein, das litterarische Leben ihrer
Zeit womöglich zu beherrschen. Sie geht im Naturalismus bis an die äußersten Grenzen,
[* 16] die die französischen Kollegen erreicht
haben; unterstützt von einem starken Gefolge von Verehrern, Nachfolgern und Kritikern sucht sie die Gesellschaft Spaniens ihrer
Geschmacksrichtung zu gewinnen; sie hat ihr eignes Journal gegründet, »Nuevo teatro critico«, in dem sie
jede litterarische Neuigkeit von irgend welcher Bedeutung ihrer scharfen Kritik unterwirft, in dem sie alle litterarischen
und sozialen Streit- und Zeitfragen behandelt, mit Unerschrockenheit alle ihre zahlreichen Gegner bekämpft und zu neuen
Kämpfen herausfordert. Überall tritt sie für die modernen Forderungen des weiblichen Geschlechts ein,
will diesem die Akademien und gelehrten Gesellschaften
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schlossen wissen. Sie fehlt nirgends, wo sich Gelegenheit bietet, eine öffentliche Rolle zu spielen;
sie arbeitet an allen Zeitschriften und Zeitungen ersten Ranges mit, kurz, sie ist von einer erstaunlichen Energie, Arbeitsamkeit und Kampflust;
die Masse dessen, was sie schafft, ist kaum zu übersehen. 1888 bis 1889 erschienen von ihr an Buchwerken: »Un viaje de novios«, »De mi tierra«;
»Pascual Lopez«;
»Insolacion«;
1889-90: »Al pié de la torre Eifel«;
»Morriña«;
»Una cristiana«;
das Reisewerk »Por Francia y por Alemania«;
1891: »Pasos de Ulloa« und in Zeitschriften die mit »la cuestion palpitante« betitelten Aufsätze, in denen sie die litterarischen Zeitfragen einer genauen Untersuchung unterzog.
Diese von ungewöhnlicher Geistesschärfe, Mut, Radikalismus und Rücksichtslosigkeit zeugenden Artikel sind seitdem in einem Buch zusammengefaßt worden, das sich in den Händen aller befindet, die überhaupt ein litterarisches Interesse haben oder zu heucheln für notwendig halten. Soeben ist endlich ein neuer Roman erschienen: »la piedra angular«, der, wie jede einzige Auslassung und Veröffentlichung der Verfasserin, sicher eine große Polemik hervorrufen wird.
Man bezeichnet diesen Roman als einen anthropologisch-philosophischen und wirft der Verfasserin vor, daß sie in verschiedenen
Schilderungen das Maß des Zulässigen etwas zu weit überschritten habe. Von der großen Zahl von anderen Romanschriftstellern
und Schriftstellerinnen, die den spanischen
Markt mit ihren Erzeugnissen überschüttet haben und fortfahren,
dies zu thun, können wir im folgenden die hervorragendsten und ihre bedeutendsten Leistungen erwähnen.
Von Armando Palacio Valdés erschien 1889 »La hermana San Sulpicio«; 1891 »La Espuma«, ein die sozialen Verhältnisse der höchsten Gesellschaftsklassen scharf geißelnder Roman, und soeben ist von ihm ein neues, »La Fé« (»Der Glaube«) betiteltes Werk erschienen, das großen Beifall findet. Ein vortrefflicher Schilderer Andalusiens ist Salvador Rueda, der 1889 »El gusano de luz«, 1890 den Roman »La reja«, 1891 den »Himno á la carne«, »El secreto«, »Poema nacional«, »Tanda de valses« und vor kurzem die Novelle »Barrabas« herausgegeben hat.
Die Klerikalen, die Heuchler und Frömmler werden auf das schärfste gegeißelt in den Novellen und Romanen von José Zahonero und Octavio Hyacinto Picón. Von ersterm sind besonders zu erwähnen: »La divisa verde«, »La vengadora«, »Bullanga« und »Inocencio con Inocencia«, von letzterm die Romane: »La honrada«, »Dulce y sabrosa«, die vortreffliche Schilderungen des modernen sozialen Lebens enthalten. Besonders gepflegt wird in neuester Zeit das humoristische Genre, und es sind im Lauf der letzten Jahre eine große Anzahl von Werken entstanden, die wirklich viele sehr gute satirische Schilderungen des modernen Lebens enthalten, namentlich der gesellschaftlichen Zustände, welche in den höhern Schichten der Bevölkerung [* 18] herrschen. Es sind dies teils größere Novellen oder Romane, teils Sammlungen kleinerer Novelletten, Erzählungen, einzelner Schilderungen und Szenen, die mehr oder minder lose miteinander verknüpft sind.
Hervorheben wollen wir nur einige der besten derartigen Schriften: Isidoro Fernandez Florez, der unter dem Namen Fernanflor schreibt,
hat mehrere sehr hübsche Novelletten herausgegeben. Von Mariano de Cavia, der unter dem Namen Sobaquillo bekannt ist, sind
besonders zu erwähnen: »Azotes y galeras«; »De pitón á pitón«; »Salpicon«; von Eduardo de
Palacio: »Cuadros vivos á pluma
y al pelo« mit Illustrationen von Angel Pons. Der unerbittliche Gegner der spanischen
Akademie der Sprache
[* 19] und ihrer »Unsterblichen« sowie ihrer Werke, die er mit seinem Spott und seiner scharfen, feinen Satire beständig verfolgt,
Miguel de Escalada, bekannt unter dem Namen Antonio de Valbuena, hat zunächst in einer großen Reihe geistvoller Aufsätze das
Wörterbuch der Akademie zerpflückt und die zahllosen Irrtümer und Ungereimtheiten desselben dem Spotte
der spanischen
Welt preisgegeben.
Jetzt hat er in »Ripios vulgares« und in »Capullos de novela« eine Anzahl kleine Erzählungen und Novelletten zusammengestellt, die sich in der Hauptsache auch gegen die sogen. Gebildeten und gegen die Gelehrten richten. José Estremera hat in »Fábulas y cuentos«, Luis Taboada in »Madrid [* 20] en broma« und »La Vida cursí«, Vital Äza in »Todo en broma«, Emilio Bobadilla unter dem Namen Fray Candil in »Capirotazos, sátiras y críticas« die Auswüchse des modernen sozialen Lebens der höhern Stände gegeißelt.
Besondere Erwähnung verdient endlich Leopoldo Alas, der unter dem Namen Clarin seit vielen Jahren die litterarische Kritik beherrscht, sich aber nachgerade durch seine oftmals in der That ungegründeten Rücksichtslosigkeiten so viele Feinde gemacht hat, daß infolge der daraus entstandenen Polemik die ganze litterarische Welt in zwei feindliche Lager [* 21] gespalten ist. Clarin hat sich seit einigen Jahren selbst in novellistischen Arbeiten versucht und damit bewiesen, dan sein eignes Können keineswegs sehr bedeutend ist.
Die Novelle »Su único hijo«, hat wenig Beifall gefunden. Der Streit ist dadurch natürlich noch belebt worden. Von andern belletristischen Werken der letzten Jahre seien noch erwähnt einige Arbeiten von Carlos Frontaura, Ortega Munilla, Alejandro Sawa, Ortega y Rubio (»Pequeños bocetos«),
die Novelletten von José de Siles, der Roman »Los huérfanos« von Ubaldo Romero Quiñones, die Novelle »Amor y amoríos« von Corrales y Sanchez. Zu Anfang des Jahres 1891 wurde Spanien aber durch das Erscheinen eines Romans, dem wir besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen, in eine bisher dort noch nicht vorgekommene Aufregung versetzt. Seit mehreren Jahren schon waren von dem Jesuitenpater und Professor der Jesuitenuniversität in Bilbao, José Coloma, Erzählungen und Novelletten erschienen, die zwar in den streng kirchlichen und orthodoxen Kreisen gelesen wurden, aber im übrigen keine besondere Aufmerksamkeit erregten. Im Frühjahr 1891 erschien nun von demselben Verfasser ein zweibändiger Roman »Pequeñeces« (»Kleinigkeiten«),
der eine geradezu vernichtende Kritik der Zustände übte, welche bis in die Hofkreise hinauf in der Madrider vornehmen Gesellschaft bestanden. Die geschilderten Vorgänge waren zwar in die Regierungszeit des Königs Amadeo verlegt, aber jeder, der nur einigermaßen mit den Madrider Verhältnissen vertraut war und in den höchsten Gesellschaftskreisen verkehrte, konnte für jede der gezeichneten Gestalten das lebende Vorbild nennen, und dieser Umstand sowie die rücksichtslose Enthüllung der Schattenseiten des modernen Gesellschaftslebens, der in diesen Schichten herrschenden Moral und Weltanschauung sicherten dem Buche einen ungeheuern Erfolg. In wenigen Wochen wurden 12,000 Exemplare abgesetzt, und die Summe derselben soll inzwischen auf über 40,000 gestiegen sein. Coloma sagte nicht mehr, als was die vorerwähnten schärfsten Satiriker und Naturalisten wie Emilia ¶