Titel
Spanien.
[* 2] Über die in S. vorgenommene Volkszählung sind vorläufig die ersten amtlichen Daten veröffentlicht worden. Hiernach betrug die Gesamtbevölkerung des europäischen S. samt den Balearen und Kanarischen Inseln sowie den nordafrikanischen Besitzungen 17,550,246 gegen 16,634,345 zu Ende des Jahres 1877 und 15,673,536 im J. 1860. Die stärkstbevölkerte Provinz ist Barcelona [* 3] mit 899,264 Einw. (1877: 836,887). Dieser folgen zunächst die Provinzen Madrid [* 4] mit 684,630 (1877: 594,194) und Coruña mit 613,792 (1877: 596,436) Einw. Unter den Städten stehen an Bevölkerungszahl obenan: Madrid mit 472,228 (1877: 397,690), Barcelona mit 272,481 (1877: 249,106), Valencia [* 5] mit 170,763 (1877: 143,856), Sevilla [* 6] mit 143,182 (1877: 133,938) und Malaga [* 7] mit 134,016 (1877: 115,882) Einw.
Der Weinbau Spaniens lieferte im J. 1888 bei einer Anbaufläche von 1,8 Mill. Hektar (1887: 1,2 Mill.) einen Ertrag von 35,8 Mill. hl (1887: 17,8). Während das Jahr 1887 ein besonders schlechtes Weinjahr bildete, war das darauffolgende Jahr ein sehr günstiges. Der Durchschnittsertrag der letzten fünf Jahre ist bei einer Anbaufläche von 1,6 Mill. Hektar jährlich 28 Mill. hl. Im J. 1889 blieb die Weinernte mit 20 Mill. hl wieder hinter dem Durchschnitt zurück. Die spanische Weinproduktion hat sich im Laufe der letzten zehn Jahre infolge der Verheerung ¶
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der Weinberge in Frankreich durch die Reblaus [* 9] und der dadurch dort hervorgerufenen starken Nachfrage nach fremden Weinen sehr gesteigert. (Über die Ausfuhr s. unten.) Eine königliche Verordnung vom verfügt im Interesse des spanischen Weinexports die Einrichtung önotechnischer Stationen in Paris, [* 10] Bordeaux, [* 11] Cette, Hamburg [* 12] und London [* 13] zur Unterstützung und Förderung des spanischen Weinhandels. Diese Stationen sollen die Reinheit und Echtheit des Weins, welcher nur aus S. kommen darf, verbürgen.
Der auswärtige Handel Spaniens hatte im J. 1888 einen Gesamtwert von 1479,2 Mill. Pesetas; dieses Ergebnis ist gegen die Jahre 1887,1886 und 1883 zurückgeblieben, hat aber die Jahre 1885 u. 1884 übertroffen. Von der bezeichneten Summe entfallen auf die Einfuhr 716,1 Mill., auf die Ausfuhr 763,1 Mill. Pesetas. Ein Vergleich mit den vorhergehenden Jahren ergibt folgende Werte (in Millionen Pesetas):
Jahr | Einfuhr | Ausfuhr |
---|---|---|
1883 | 893.4 | 719.5 |
1884 | 779.6 | 619.2 |
1885 | 764.8 | 698.6 |
1886 | 855.2 | 727.3 |
1887 | 811.2 | 722.2 |
1888 | 716.1 | 763.1 |
Hiernach hat in den vorhergegangenen fünf Jahren der Wert der Einfuhr den der Ausfuhr durchschnittlich um etwa 100 Mill. überstiegen, während umgekehrt im J. 1888 der Wert der Ausfuhr die Einfuhr um 47 Mill. übertrifft, eine Erscheinung, die sich in den letzten 40 Jahren nur noch fünfmal gezeigt hat und zwar 1853,1854,1855, 1873 und 1881. Der Hauptanteil an dem Rückgang der Einfuhr fällt auf Getreide, [* 14] Spiritus, [* 15] Stockfisch, Seidengewebe, Holz, [* 16] Farben und rohe Baumwolle. [* 17]
Hierunter erscheint Spiritus allein mit einer Mindereinfuhr von 33 Mill. Liter im Werte von 25 Mill. Pesetas. Der Grund dieser Erscheinung liegt in dem Gesetz vom welches den Spiritus mit einer Konsumsteuer von 75 Centimos auf den hundertteiligen Grad reinen Alkohols in jedem Hektoliter, d. h. mit 72 Pesetas pro Hektoliter, nebst dem Eingangszoll von 21 Pesetas pro Hektoliter, belastete und die Spriteinfuhr so unmöglich machte. Seither ist durch Gesetz vom die Konsumsteuer von dem Betrag von 75 Centimos pro Grad, resp. von 72 Pesetas pro Hektoliter auf den fixen Betrag von 25 Pesetas ohne Rücksicht auf den Gradgehalt herabgesetzt und hierdurch die Einfuhr fremden Sprites nach S. wieder ermöglicht worden.
Einen erheblichen Rückgang zeigt ferner die Einfuhr in Getreide (19 Mill. Pesetas weniger). Dagegen ergibt sich eine Steigerung der Einfuhr gegen das Vorjahr hauptsächlich bei Weizenmehl (um 3 Mill. Pesetas), Steinkohle (5½ Mill.), Vieh (1 Mill.), Maschinen und Maschinenbestandteilen (1½ Mill.), Schiefer, Erdharz und Petroleum (5½ Mill.), Industrieölen (2 Mill.), Kaffee (2½ Mill.) und bei einzelnen Kategorien von Geweben (2½ Mill. Pesetas). Der verringerten Einfuhr entspricht eine bedeutende Mindereinnahme an Zöllen.
Der Ertrag derselben wird im J. 1888 mit 79,8 Mill. Pesetas angegeben, d. h. mit 10½ Mill. weniger als im Durchschnitt der vorhergegangenen fünf Jahre. Die wichtigsten Einfuhrländer waren: Frankreich (211,8 Mill. Pesetas), England (121,8 Mill.), Nordamerika [* 18] (76,1 Mill.) und Deutschland [* 19] (57,8 Mill.). Von der Mehrausfuhr entfällt der größte Teil auf den Export von gewöhnlichem Wein. Die durchschnittliche Ausfuhr der Jahre 1883-87 (7,05 Mill. hl im Werte von 251 Mill. Pesetas) wird im J. 1888 infolge des zwischen Frankreich und Italien [* 20] bestandenen Zollkriegs durch eine Ausfuhr von 8,7 Mill. hl im Werte von 261,7 Mill. Pesetas erheblich übertroffen.
Rechnet man noch die edlen Weinsorten hinzu, so ergibt sich, daß der Wert der ausgeführten Weine ungefähr ⅖ des ganzen Exports ausmacht. An der Zunahme der Ausfuhr sind weiter die meisten wichtigern Waren beteiligt, unter ihnen hauptsächlich Orangen, Kork, [* 21] Baumwollgewebe und Vieh. Anderseits ergibt sich bei einzelnen Artikeln ein Ausfall in der Ausfuhr, so bei Blei [* 22] und bei gewissen Südfrüchten, die beide mit 5 Mill. weniger verzeichnet werden, Eisen, [* 23] Stahl, Mineralien [* 24] u. a. Die Schifffahrtsbewegung in den spanischen Häfen umfaßte im J. 1888: 35,985 Schiffe [* 25] mit 22,333,688 Registertonnen u. 10,005,118 Ladungstonnen (1887: 37,176 Schiffe mit 22,281,549 Register- u. 10,095,751 Ladungstonnen).
Von dem Gesamtverkehr des Jahres 1888 kamen auf den Einlauf: 18,754 Schiffe von 11,443,457 Registertonnen mit einer Ladung von 2,983,039 T., auf den Auslauf 17,231 Schiffe von 10,890,231 Registertonnen mit einer Ladung von 7,022,079 T. An dem durch die Schiffahrt bewegten Warenverkehr hatten den Hauptanteil die britische, spanische und französische Flagge, und zwar die britische in der Einfuhr mit 1,623,580, in der Ausfuhr mit 4,417,953 Ladungstonnen, die spanische mit 661,972 T. in der Einfuhr und 970,185 T. in der Ausfuhr, die französische mit 151,977 T. in der Einfuhr und 720,618 T. in der Ausfuhr. Auf die deutsche Flagge kam eine Einfuhr von 57,981 und eine Ausfuhr von 231,388 Ladungstonnen.
Die Bestrebungen zur Förderung des spanischen Exporthandels haben 1888 zur Ausrüstung einer spanischen schwimmenden Ausstellung geführt, welche auf dem Dampfer Conde de Vilana mehrere südamerikanische Hafenplätze anlief, aber mit einem Mißerfolg endete. Als ein gelungenes Unternehmen muß dagegen die Weltausstellung zu Barcelona im J. 1888 bezeichnet werden. Zu den im J. 1892 zu führenden Verhandlungen über die Erneuerung der Handelsverträge werden gegenwärtig die Vorbereitungen getroffen.
Auch in S. macht sich die Partei der extremen Schutzzöllner geltend. Speziell die katalonischen Industriekreise nehmen eine äußerst vertragsfeindliche Haltung ein und verlangen die Kündigung sämtlicher Handelsverträge sowie eine den Bedürfnissen der nationalen Industrie Rechnung tragende Revision des allgemeinen Zolltarifs. Im Juli 1890 ist in Katalonien, und zwar zunächst in Manresa, ein Arbeiteraufstand ausgebrochen, welcher sich über die ganze Provinz ausgedehnt und auch entfernt liegende Distrikte in Andalusien und Valencia in Mitleidenschaft gezogen hat.
Die Veranlassung des Streiks bildeten in Manresa und den Gebirgsbezirken des katalonischen Industriegebiets die verhältnismäßig sehr niedrigen Arbeitslöhne bei übermäßiger Arbeitszeit. Den streikenden Fabrikarbeitern im Gebirge schlossen sich aus Solidarität die günstiger gestellten Arbeiter der Fabriken in der katalonischen Ebene an. Doch endete die groß angelegte Bewegung bald wegen der ungenügenden Mittel der Arbeiter mit der vollständigen Unterwerfung derselben.
Die Eisenbahnverbindungen Spaniens mit Frankreich, welche gegenwärtig auf die zwei Schienenwege am Viscayischen Busen und Mittelländischen Meere (über Irun und Port-Bou) beschränkt sind und dem Verkehr beider Länder nicht genügen, sollen durch eine dritte Bahn von Lerida in S. über Balaguer und Tremp nach St.-Girons in Frankreich zum Anschluß an die Linie nach Toulouse [* 26] ergänzt werden. Die neue Linie, welche in acht Jahren fertig gestellt ¶
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sein soll, macht einen 6,56 km langen Tunnel [* 28] erforderlich. Das spanische Eisenbahnnetz hat im J. 1888 einen Zuwachs um 177 km erfahren und hatte Ende 1888 eine Ausdehnung [* 29] von 9669 km.
Die Verhältnisse der Staatsfinanzen von S. haben sich in letzter Zeit nicht günstig gestaltet. Der Voranschlag für 1890/91 beziffert die Einnahmen auf 805,551,337 Pesetas, die Ausgaben auf 810,663,413 Pesetas, woraus sich ein Defizit von mehr als 5 Mill. Pesetas ergibt. Die Staatsschuld betrug 1889: 6257 Mill. Pesetas, während die aus dem Defizit früherer Jahre herrührende schwebende Schuld auf 266 Mill. Pesetas gestiegen ist. Die Bank von S. hat 650 Mill. in Staatsschuldverschreibungen und in Vorschüssen an den Staat angelegt und muß an eine Veräußerung ihres umfassenden Besitzes an spanischen Staatspapieren denken oder ihre Barmittel zur Bestreitung von Zahlungen verwenden, da die Grenze der Notenausgabe von 750 Mill. Pesetas nahezu erreicht worden ist. Der Metallbestand der Bank betrug im Juli 1890 nur etwas über 200 Mill. Pesetas, davon etwa die Hälfte in Gold. [* 30] Ein Versuch, das Notenausgaberecht der Bank um ein Drittel, bis zu 1000 Mill. Pesetas, zu erhöhen, ist fehlgeschlagen.
[Geschichte.]
Unter mancherlei Schwierigkeiten, welche ihm die ehrgeizigen und wankelmütigen Parteipolitiker bereiteten, behauptete sich der Ministerpräsident Sagasta im Besitz der Herrschaft, durch den Takt und die Klugheit der Königin-Regentin wirksam unterstützt. Obwohl S. durch die Erhebung der großmächtlichen Gesandtschaften zu Botschaften 1888 formell als europäische Großmacht anerkannt worden war, beobachtete Sagasta in der auswärtigen Politik eine kluge Zurückhaltung, um jeden Konflikt mit den andern Mächten, namentlich mit Frankreich wegen Marokkos, zu vermeiden. Im Innern geriet die von Sagasta versprochene Reformgesetzgebung infolge der Unzuverlässigkeit der Kammermehrheit wiederholt ins Stocken. 1888 wurden die Zivilehe, 1889 das bürgerliche Gesetzbuch und die Militärreform Cassolas, letztere allerdings in sehr geschwächter Gestalt, angenommen.
Schon aber erreichten 1889 in den Cortes die Eifersüchteleien und Streitigkeiten der Politiker einen so hohen Grad von Leidenschaftlichkeit, daß bei den politischen Debatten im Mai und Juli Sturmszenen sich ereigneten, wie sie selbst in der spanischen Volksvertretung selten sind. Sagasta liebte es, seine Ministerien aus »neuen Leuten« zusammenzusetzen; nur der Minister des Äußern, Vega de Armijo, ein langjähriger Gefährte Sagastas, gehörte zu den ältern Politikern.
Dadurch zog sich Sagasta aber den Haß der Männer zu, die, wie Gamazo, Moret, Romero Robledo, Martos, Cassola und Lopez Dominguez, durchaus eine einflußreiche Rolle spielen wollten, und deren Ränke erschütterten Sagastas Regierung immer wieder, obwohl seine Partei in den Cortes über 236 Mitglieder zählte, also über eine große Mehrheit verfügte. Wiederholte Ministerwechsel waren die Folge hiervon. Im Dezember 1889 forderten der Marineminister Rodriguez Arias und der Minister der Finanzen Venancio Gonzalez ihre Entlassung, während mehrere jener Politiker immer stürmischer auf eine Vertretung im Kabinett drangen. Um Sagasta vor dem Zusammentritt der Cortes die Neubildung eines Kabinetts zu erleichtern, reichten 2. Jan. sämtliche Minister dem Ministerpräsidenten ihre Entlassung ein.
Aber erst nach langen Verhandlungen, bei denen eine Versöhnung Sagastas mit seinen Nebenbuhlern nur sehr unvollkommen erreicht wurde, gelang die Bildung eines neuen Ministeriums, in welchem Sagasta wieder den Vorsitz führte, Vega de Armijo und zwei andere Minister ihre Portefeuilles behielten und fünf Demokraten, darunter der Kriegsminister Bermudez Reina, ein Freund Cassolas und Lopez Dominguez', Aufnahme sanden. Damit war die Annahme der Vorlage über die Einführung des allgemeinen Stimmrechts entschieden; nahm die Kammer mit 143 gegen 31 Stimmen den 1. Artikel derselben an, und 26. Juni wurde die Vorlage Gesetz.
Sagasta hatte durch seine Reformen den republikanischen Agitatoren ihre wirksamsten Mittel entrissen und damit sich um die Krone und S. sehr verdient gemacht. Aber die liberale Partei hatte sich während der fast fünfjährigen Herrschaft Sagastas mehr und mehr aufgelöst, der beim letzten Ministerwechsel nicht berücksichtigte rechte Flügel verbündete sich mit den Konservativen, und die Anträge dieser vereinigten Opposition wurden in den Cortes von der Mehrheit nur lau bekämpft.
Daher reichte Sagasta Anfang Juli seine Entlassung ein. Die Regentin nahm sie an und beauftragte auf den Rat Sagastas Canovas del Castillo, das Haupt der Konservativen, mit der Bildung eines neuen Ministeriums, das 5. Juli zu stande kam. Canovas vermied jede schroffe Parteifärbung und nahm mehrere ehemalige Liberale, wie den Marineminister Beranger, den Kolonialminister Fabié und den Herzog von Tetuan, in das Kabinett auf, das Sagasta zu unterstützen versprach. Dagegen erklärte das neue Ministerium, die liberalen Reformen achten und ausbauen und durch eine Amnestie auch die Republikaner versöhnen zu wollen.
Schon die Wahlen für die Hälfte der Provinzialräte, welche nach dem neuen Wahlgesetz vom 26. Juni stattfanden, zeigten, daß auch unter dem neuen Gesetz die Regierung die Wahlen beherrschte; dieselben fielen überwiegend zu ihren gunsten aus. Dasselbe fand statt bei den Neuwahlen für die Cortes Dieselben ergaben eine Mehrheit von 291 Konservativen gegenüber 154 Mitgliedern der aus allen möglichen Schattierungen zusammengesetzten Opposition. Auch im Senat gebot die Regierung über eine große Mehrheit. Die neuen Cortes wurden 2. März von der Königin mit dem üblichen Pomp eröffnet. Die Thronrede bestätigte die von Canovas bei Übernahme des Ministeriums gegebenen Versprechungen des Ausbaues der beschlossenen Reformen und einer Amnestie für die politischen Flüchtlinge; außerdem wurde besonders die Notwendigkeit, den Fehlbetrag aus dem Staatshaushalt zu beseitigen, betont. - Zur Litteratur: Danvila y Collado, El poder civil en España (Mad. 1885 ff., Bd. 1-6);
Torres Campos, Staatsrecht des Königreichs S. (Freib. i. Br. 1889).