Souveränität
(spr. ßu-; frz. souveraineté, vom mittellat. superanitas), die andern übergeordnete, absolut, d. h. auch nach außen, oder nur relativ, d. h. nur im Innern höchste polit. Gebieltsgewalt. Nach der Staatslehre des Mittelalters gab es zwei höchste Gewalten, Papst und Kaiser, denen von Gott die zwei Schwerter, [* 3] das geistliche und das weltliche, verliehen seien, um die Christenheit zu beschirmen und zu beberrschen, und die sich gegenseitig helfen und unterstützen sollten.
Die Oberhäupter der europ.
Staaten außerhalb des
Deutschen
Reichs erkannten jedoch die Obergewalt des
röm. deutschen
Kaisers nicht an und sahen sich als von der kaiserl. Gewalt eximiert an. Seit der
Reformation war die Zweischwertertheorie
überwunden, und es kam die
Auffassung zur Geltung, daß S. sowohl im Verhältnis zu andern
Staaten als
im Verhältnis zu den
Unterthanen ein
Attribut jedes
Staates sei. Besonders einflußreich war hiefür
Bodin (s. d., 1530-96),
der den
Begriff der S. zum Mittelpunkt des
Staatsrechts machte. (Vgl. Hancke,
Bodin. Eine
Studie über den
Begriff der S., Bresl.
1894; Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft, Freiburg
[* 4] 1896, §.48: Landmann, Souveränit
ätsbegriff bei den
franz. Theoretikern bis
Rousseau, Lpz. 1896; Dock,
[* 5] Der Souveränit
ätsbegriff seit
Bodin bis auf
Friedrich d. Gr., Straßb.
1896.) In allen polit. Gemeinwesen muß man zu einer Potenz aufsteigen können, über welcher es keine höhere mehr giebt.
Da diese Gewalt die
Staatsgewalt ist, so erscheint die S. als eine Eigenschaft der
Staatsgewalt und wird
infolgedessen geradezu mit ihr identifiziert. Die Staatsgebilde, die dabei einer andern Gewalt untergeordnet, also nur relativ
souverän sind, so z. B. die Vasallenstaaten der
Türkei,
[* 6] nennt man auch beschränkt oder
halb souverän.
Eine angesehene, aber nicht die herrschende Lehre [* 7] in Deutschland [* 8] geht dahin, daß die S. eine absolute, also unteilbare und unbeschränkte Gewalt sein müsse, und (besonders Laband) erklärt dann, S. sei dem Staat nicht wesentlich, es gäbe auch nichtsouveräne Staaten. Die an der Anschauung festhalten, daß E. nur dem Staat zustehe, leugnen dann entweder die Möglichkeit von zusammengesetzten Staaten (Seydel in München) [* 9] oder erklären die sog. zusammengesetzten Staaten für Einheitsstaaten, die sog. Gliedstaaten in denselben also für Provinzen (Zorn). Nach Seydel ist das Deutsche Reich [* 10] kein Staat, sondern nur eine Gesellschaft völlig unabhängiger Staaten, nach Zorn ist nur das Reich Staat, Preußen, [* 11] Bayern [* 12] u. s. w. der Sache nach Staatsprovinzen.
Nicht nur dem
Staat selbst, sondern auch dem
Träger
[* 13] der
Staatsgewalt wird S. beigelegt; hier bedeutet souverän
das höchste Staatsorgan (s.
Souverän). In der Litteratur des Naturrechts seit dem 17. Jahrh. stehen hier zwei
Ansichten schroff
einander gegenüber. Die einen schreiben dem
Volk die S. als ein unveräußerliches und unverlierbares
Recht zu, die andern
geben von der Fürstensouveränität
¶
mehr
aus. Beide Theorien sind der Erkenntnis gewichen, daß es von der histor. Entwicklung und der konkreten Verfassungsform eines
bestimmten Staates abhängt, wem die souveräne Gewalt in demselben zusteht; in den Republiken regelmäßig der Gesamtheit
des Volks, in den Monarchien regelmäßig (anders in Belgien,
[* 15] wo die Verfassung besagt: «tous les pouvoirs
émanent de la nation») dem Fürsten. Demgemäß bezeichnet man auch die Oberhäupter der monarchischen Staaten als Souveräne,
die ihnen zustehenden Ehrenrechte als Souveränit
ätsrechte, und man nennt sogar ihre Familien souveräne oder regierende
Häuser. -
Vgl. G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (4. Aufl., Lpz. 1895), §§. 1, 6,12-14.