Sonnenkultus
(Sonnenanbetung), die Verehrung der Sonne [* 2] als einer Licht [* 3] und Wärme [* 4] spendenden Gottheit, von deren Wohlwollen alles Leben auf der Erde abhängt. Bei niedrig stehenden Völkern äußert sich der S. hauptsächlich nur in den Zeremonien, die bei Sonnenfinsternissen zur Verscheuchung des Ungeheuers angewendet werden, welches nach Ansicht derselben die Sonne zu verschlingen droht, gewöhnlichen Gestalt eines Wolfs oder Dämons gedacht, den man ebenso wie den Mondwolf mit Lärm, Geschrei und Bogenschüssen zu verscheuchen sucht. Auf höherer Stufe, die in der kulturgeschichtlichen Entwickelung in der Regel mit der Kupfer- oder Bronzezeit zusammenfällt, fand der mit Opfern und Zeremonien verknüpfte Kultus gewöhnlich in ¶
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Anlehnung an ein Sonnenepos statt, in welchem das Lichtprinzip (Surya der Inder, Ormuzd der Perser, Izdubar oder Nimrod der Assyrer, Osiris [* 6] der Ägypter, Herakles [* 7] der Phöniker und ältern Griechen, Dionysos [* 8] der spätern Griechen, Balder der Germanen etc.) im Kampf mit den Mächten der Finsternis (Ahriman, Typhon, Loki etc.) gedacht wurde, bald in Form einer Siegesreise durch die zwölf Himmelszeichen (die zwölf Thaten des Herakles), bald eines Einzelkampfes dargestellt, bei welchem der Sonnengott zeitweise (im Winter) unterliegt, in Fesseln geschlagen, gebunden und geschwächt, auch wohl verstümmelt wird, weil seine Strahlen alsdann keine Kraft [* 9] haben, aber allmählich wieder erstarkt und über seine Gegner siegt.
Als die Hauptfeste dieses Kultus wurden die Zeit der wieder erstarkenden Sonne, das alte Julfest, und das der Sonnenstärke (Mittsommerfest) der germanischen Stämme begangen. Einige Völker feierten auch Klagefeste zur Zeit der verwundeten Sonne oder des absterbenden Naturlebens, die Adonis-, Osiris- und Thammuzfeste der assyrischen, ägyptischen und semitischen Völker, die Dionysien und Bacchusfeste der Griechen und Römer, [* 10] die sich in Frühlings- und Herbstfeier schieden.
Bei manchen Völkern, wie z. B. den Persern, Altmexikanern und Peruanern, fand eine Verschmelzung des Sonnen- und Feuerdienstes (s. d.) statt, und die Sonnenopfer mußten an den Hauptfesten mit neuem oder Notfeuer (s. d.) entzündet werden. In spätern Zeiten wurde der Sonnengott dann auch wohl als Mittler- und Versöhnungsgott gefeiert, namentlich im indischen Agni, im persischen Mithra und griechisch-italischen Dionysos. Vielfach scheint dem ausgebildeten S. ein Mondkultus mit nächtlichen Mysterien und weiblicher Priesterschaft vorausgegangen zu sein, namentlich bei solchen Völkern, wo das Mutterrecht (s. d.) galt und Frauen an der Spitze der Gemeinwesen standen (Amazonenstaaten). Ein solcher Kultus findet sich noch heute unter ähnlichen Verhältnissen bei wilden Völkern Afrikas und Amerikas, und da Ähnliches in der alten Welt stattgefunden, so erklärt sich, weshalb die Sonnengottheiten zugleich als Schützer des Vaterrechts und Unterdrücker der Amazonen galten, namentlich Apollon, [* 11] Herakles, Perseus [* 12] und andre Sonnenkämpfer.
Vgl. Dupuis, L'origine de tous les cultes (Par. 1795, 3 Bde.; neue Ausg. 1835-37).