Titel
Solothurn.
[* 2]
1) In der histor. Rangordnung der 10., dem Flächeninhalt nach der 15., der Einwohnerzahl nach der 14. Kanton [* 3] der schweiz. Eidgenossenschaft, im NW. des Landes, grenzt im N. an Elsaß, im NO. an Basel-Land, im O. an Aargau, im S. und W. an Bern, [* 4] besteht aus dem Hauptstück und drei Exklaven und hat 791,4 qkm.
Oberflächengestaltung. Von Südwesten nach Nordosten wird das Land von fünf Hauptketten des Juras durchzogen, deren südlichste die höchsten Punkte des Kantons, den Weißenstein mit der Hasenmatt (1447 m) und Röthifluh (1399 m) ausweist. Der Süden mit dem breiten Rücken des Bucheggbergs (649 m) und der fruchtbaren Ebene des Buchsgaues gehört der Hochebene an. Die nördl. Juragegenden gehören zum Gebiete der Birs, die südlichen sowie die Hochebene zu demjenigen der Aare, die unweit der Hauptstadt die Große Emmen und bei Ölten die Dünnern aufnimmt. Das Klima ist je nach der freiern oder abgeschlossenem Lage der Ortschaften sehr verschieden.
Bevölkerung. [* 5] Der Kanton hatte 1880 eine Wohnbevölkerung von 80362, 1888: 85621 (41903 männl., 43718 weibl.) E., d. i. 108 E. auf 1 qkm und eine Zunahme 1880–88 von 6,5 Proz., darunter 63706 Katholiken, 21655 Evangelische, 145 Israeliten und 115 andere und ohne Bekenntnis;
ferner 10917 bewohnte Gebäude mit 17842 Haushaltungen. Im Kanton geboren sind 67033, in der übrigen Eidgenossenschaft 16605, im Auslande 1983;
Bürger ihrer Wohngemeinde sind 47656, einer andern Gemeinde des Kantons 14959, eines andern Kantons 20438, Ausländer 2568. Der Muttersprache nach sind 84207 Deutsche, [* 6] 1213 Franzosen, 144 Italiener, 3 Romanen und 54 andere.
Die Zahl der Geburten (einschließlich der Totgeburten) betrug 1894: 3002, der Eheschließungen 690, der Sterbefälle 1921. Von je 1000 erwerbenden Personen widmen sich dem Gewerbe 465, der Landwirtschaft 367, dem Verkehr 70, dem Handel 56, der Wissenschaft und Verwaltung 36. Der Kanton hat 132 polit. Gemeinden und zerfällt in die fünf Bezirke:
Ein- | Evan- | Katho- | Is- | An- | ||||||
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Bezirke | wohner | gelische | liken | raeli- | dere | |||||
ten | ||||||||||
Balsthal (Thal und Gau) | 12513 | 1190 | 11320 | – | 3 | |||||
Bucheggberg-Kriegstetten | 17501 | 9776 | 7706 | 1 | 18 | |||||
Dorneck-Thierstein | 12709 | 525 | 12179 | 2 | 3 | |||||
Olten-Gösgen | 22076 | 3849 | 18147 | 50 | 30 | |||||
Solothurn-Lebern | 20822 | 6315 | 14354 | 92 | 61 |
Landwirtschaft, Bergbau. [* 7] Von der Fläche sind 717,8 qkm, d. i. 91,6 Proz., produktives Land: 244,8 qkm Waldungen und 472,3 Acker-, Garten-, Wiesen- und Weideland. Von dem unproduktiven Lande sind 2,4 qkm Städte, Dörfer und Gebäude, 8 Schienen- und Straßenwege, 7,6 Flüsse [* 8] und Bäche 47,6 Felsen und Schutthalden. Der Boden ist sehr fruchtbar und liefert besonders Getreide; [* 9] die Wiesenkultur ist bedeutend. Der Weinbau ist gering, wichtig dagegen der Obstbau, der Obst und Kirschwasser zur Ausfuhr bringt.
In den höhern Juragegenden wird, wie in den
Alpen,
[* 10] die Viehzucht
[* 11] selbständig als Alpwirtschaft betrieben. Nach der Viehzählung
von 1896 zählt der Kanton 3200
Pferde,
[* 12] 36162
Stück Rindvieh, 15365 Schweine,
[* 13] 2098 Schafe,
[* 14] 11602 Ziegen, 8640 Bienenkörbe.
1894–95 wurden in den fünf Fischzuchtanstalten 205000
Eier
[* 15] von
Fluß- und
Bachforellen ein- und 181900 Fischchen ausgesetzt.
Der
Bergbau liefert im Jura vorzüglichen Kalkstein (Solothurner
Marmor) und
Gips,
[* 16] ferner Mühlsteine,
[* 17] Mergel, und in der Hochebene
Sandsteine. Von Mineralwassern sind zu erwähnen die salinisch-muriatischen Schwefelquellen von Lostorf
und das seit der Römerzeit bekannte Attisholzbad (Schwefel- und salzsaure
Salze).
Die Industrie ernährt 42 Proz. der Bevölkerung, die wichtigsten Industriezweige sind die Schuhwarenfabrikation, Uhrmacherei, Maschinenfabrikation, Roheisenproduktion, Woll- und Baumwollspinnerei, Papier-, Cellulose- und Kammfabrikation sowie die Schlosserei. Dem Handel dienen die Bahnlinien Biel-S.-Olten, Lyß-S.-Herzogenbuchsee, S.-Burgdorf und Basel-Delémont-Biel. Die wichtigsten Jurapässe des Kantons sind der Obere und Untere Hauenstein (s. d.), der Paßwang (s. d.) und die Weißensteinstraße.
Verfassung und Verwaltung. Die Verfassung vom (revidiert und ist demokratisch. Der Kantonsrat, je ein Mitglied auf 800 E., ist gesetzgebende, der aus fünf Mitgliedern bestehende Regierungsrat, dessen Präsident den Titel Landammann führt, vollziehende Behörde. Für Gesetze und Ausgaben über 100000 Frs. ist das Referendum (s. d.) obligatorisch; überdies steht dem Volke auf Begehren von 2000 stimmfähigen Bürgern die Initiative zu Gesetzen und Verfassungsrevision zu. Seit besteht in S. Proportionalvertretung für den Kantonsrat und größere Gemeinderäte.
Jede polit. Gemeinde besitzt einen Friedensrichter, jeder Bezirk ein Amtsgericht. Über Kriminalfälle urteilt das Schwurgericht. Oberste Instanz in allen appellabeln Rechtsfällen ist das Obergericht. Die Staatseinnahmen betrugen 1895: 1,952, die Ausgaben 2,025 Mill. Frs., die Staatsschulden 9,971, das Vermögen 0,873 Mill. Frs. In kirchlicher Beziehung gehört der Kanton, der noch 7 Klöster zählt, zum Bistum Basel. [* 18] Die prot. Gemeinden schließen sich an die bernische Landeskirche, die Altkatholiken an die schweiz. Nationaldiöcese an.
Unterrichtswesen. Für den Unterricht sorgen 266 Primärschulen mit (1894) 14079 Schulkindern, ¶
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13 Sekundärschulen mit 679 Schülern und Schülerinnen, 1 Mittelschule mit Anschluß an das akademische Studium (Gymnasium, Gewerbeschule, Handelsschule u. s. w., in S.), 4 gewerbliche und industrielle Schulen, 8 gewerbliche Fortbildungsschulen. Bei den Rekrutenprüfungen 1895 hatten von 100 Rekruten 20 die beste Note in mehr als zwei Fächern, 12 die schlechteste Note in mehr als einem Fach. In militär. Hinsicht gehört S. zum Stammbezirk der 5. Division (2. Armeekorps). Das Wappen ist ein von rot und weiß quer geteilter Schild. [* 20] - 2) S., frz. Soleure (lat. Solodurum), Hauptstadt des Kantons, an der Aare, über die hier drei Brücken [* 21] führen, in 435 m Höhe am Südfuß des Juras, an den Linien Basel-Biel und Herzogenbuchsee-Lyß der Schweiz. [* 22]
Centralbahn und S.-Langnau (43 km) der Emmenthalbahn, in fruchtbarer Gegend, Sitz eines Bischofs, hat (1888) 8460 E., darunter 2583 Evangelische und 88 Israeliten, (1896) 9420 E., Post, Telegraph, [* 23] Fernsprecheinrichtung, Elektricitätswerk, breite Straßen, alte Wälle und Türme, 11 Kirchen, darunter die St. Ursuskathedrale, seit 1828 Domkirche des Bistums Basel, 1762-73 an der Stelle einer 1050 gegründeten eingestürzten Kirche erbaut, mit großer Kuppel und zwei Halbkuppeln und einem Kirchenschatz (Metall- und Textilarbeiten aus dem 14. bis 18. Jahrh. in der St. Ursuskirche), 4 Klöster, einen Zeitglockenturm, angeblich 400 v. Chr. gebaut, ein frühburgund.
Bau aus dem 5. oder 6. Jahrh. n. Chr., ein Rathaus, eine bischöfl. Residenz, Zeughaus mit den Waffen [* 24] der Kantonsmiliz und einer Sammlung alter Waffen und Rüstungen, Gemeindehaus mit Stadtbibliothek (40000 Bände, 200 Inkunabeln) sowie Münz- und Medaillensammlung, städtische Gemäldesammlung mit einem Hauptwerk (Madonna mit dem Kinde) von Hans Holbein [* 25] dem Jüngern (1522), eine Kantonsschule mit Bibliothek, eine Sammlung röm. und mittelalterlicher Altertümer, Naturalienkabinett mit wichtigen Juraversteinerungen, ein Theater [* 26] und eine Kantonalbank; ferner Uhrmacherei, berühmte Steinbrüche, lebhaften Verkehr und Produktenhandel.
S.ist nach einer lat. Inschrift am Glockenturm nebst Trier [* 27] die älteste Stadt nördlich von den Alpen. In der reizenden, mit Villen und Landhäusern besetzten Umgegend sind die bekanntesten Punkte das Dorf Zuchwyl (642 E.), in dessen Kirchhof das Herz Kosciuszkos (gest. 1817 zu S.) beigesetzt war (jetzt in der Kapelle der Villa Morosini bei Vegia), die St. Verenaschlucht mit der Einsiedelei St. Verena, der Aussichtspunkt Wengistein, die Irrenanstalt Rosegg, das Bad [* 28] Attisholz und der Aussichtspunkt und Kurort Weißenstein.
[* 2] ^[Abb.]
Geschichte. Zur Römerzeit gehörte das Gebiet nördlich von der Aare mit Solodurum zu Raurachien, das südliche zu Helvetien. Im 5. Jahrh. ward das Land von Alamannen besiedelt, im 6. kam es unter fränk. Herrschaft, 888 an Burgund und mit diesem 1032 an das Deutsche Reich, später unter die Herrschaft der Herzöge von Zähringen, durch deren Erlöschen 1218 die Stadt S. Reichsfreiheit erlangte. Seit 1295 mit Bern verbündet, nahm S. an dessen Kämpfen gegen den österr.-burgund.
Adel teil, erweiterte im 14. und 15. Jahrh. sein Gebiet durch Erwerbung mehrerer Herrschaften der Grafen von Kyburg, Thierstein u. a. und trat 1481 nach den Burgunderkriegen gleichzeitig mit Freiburg [* 29] der Eidgenossenschaft bei. Im Schwabenkriege nahm es teil an der entscheidenden Schlacht von Dorneck (1499). Die Reformation, die 1532 ohne die Dazwischenkunft des Schultheißen Wengi zu einem Bürgerkriege geführt hätte, wurde 1533 auf Antrieb der kath. Orte bis auf die Gemeinden des Bucheggbergs unterdrückt.
Während des 16. und 17. Jahrh. machte in S. die ursprünglich mehr demokratische Form des Gemeinwesens der aristokratischen Platz, die im 18. zur Oligarchie ausartete. Damals wurde die Stadt Sitz der franz. Gesandtschaft in der Schweiz. Dem Patriciat ward 1798, als die Franzosen die Stadt ohne Widerstand besetzten und den Kanton der helvet. Einheitsrepublik einverleibten, ein Ende gemacht. Durch die Mediationsakte von 1803, welche wieder den Staatenbund an die Stelle des Einheitsstaates setzte, erlangte S. mit Zürich, [* 30] Bern, Luzern, [* 31] Freiburg und Basel den Rang eines Vororts. 1814 wurde hier, ebenso wie an andern Orten, durch einen Handstreich der aristokratischen Partei (8./9. Jan.) die frühere Staatsform, wenn auch in gemilderter Form, wieder eingeführt und erhielt sich bis 1830, wo unter dem Eindruck der Pariser Julirevolution die Volksversammlung von Balsthal (22. Dez.) die aristokratische Regierung stürzte und polit. Gleichberechtigung des Landes mit der Hauptstadt errang; die letzten Vorrechte der Stadt wurden indessen thatsächlich erst 1841 vollständig aufgehoben. Seither hat sich der Kanton ruhig in demokratischer Richtung weiter entwickelt, besonders unter der Verwaltung des radikalen Landammanns Vigier; durch die vom Volke angenommene neue Verfassung mit Referendum und Initiative wurde der Übergang von der repräsentativen zur reinen Demokratie vollzogen. Wie S. im Sonderbundskriege (1847) in der Reihe der bundestreuen Kantone stand, so stand es auch bei den Abstimmungen von 1872 und 1874 über Revision der Bundesverfassung mit großer Mehrheit in der Reihe der Annehmenden.
In dem Kampf zwischen dem Staate und der röm.-kath. Kirche, der 1873 mit der Absetzung und Ausweisung des Bischofs Lachat aus S. durch die Diöcesankonferenz begonnen und 1885 durch Wiederanschluß der beteiligten Kantone an das Bistum Basel beigelegt wurde, stand S. auf Seite dieser Kantone. (S. Schweiz.) Im April 1887 entstand ein Sturm gegen die radikale Regierung infolge von Verlusten der Kantonalbank und Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung. Die Regierung wurde abberufen, eine Totalrevision durchgesetzt und 23. Okt. eine neue demokratische Verfassung angenommen. Eine neue Revision der Verfassung (umfassend: Verfassungsinitiative, Proportionalwahlsystem, Finanzreform) ist mit 8342 gegen 2777 Stimmen angenommen worden. -
Vgl. Strohmeier, Der Kanton S. (St. Gallen 1836);
F. von Arx, Die Regeneration im Kanton S. von 1830 (Soloth. 1880);