Titel
Solon
,
athenischer Gesetzgeber, ein Sohn des Exekestides, nach der Überlieferung aus dem Geschlecht des sagenhaften alten Königshauses der Kodriden, in Wirklichkeit vielleicht aus dem der Medontiden. Geboren bald nach Mitte des 7. Jahrh. v. Chr., widmete er sich zunächst dem Handel und benutzte die in Geschäften unternommenen Reisen nach Ägypten [* 3] und Cypern [* 4] zugleich zu seiner geistigen Ausbildung. Politisch zeichnete sich S. zuerst durch die Anregung zur Wiedereroberung der an Megara verlorenen Insel Salamis aus.
Durch eine in Bruchstücken noch erhaltene Elegie feuerte er seine Mitbürger dazu an; angeblich trug er die Verse selbst in erheucheltem Wahnsinn auf dem Markt vor, da die Regierung bei Todesstrafe die Aufforderung zum Krieg um Salamis verboten hatte. Wenig später wirkte er entscheidend bei dem sog. ersten Heiligen Krieg zum Schutz des delphischen Heiligtums gegen Krissa mit. Dann berief ihn das Vertrauen der Bürgerschaft zum Archon für 594–593 mit der unumschränkten Vollmacht, durch geeignete Maßregeln der allgemeinen wirtschaftlichen Not und den polit. Kämpfen im Innern zu steuern. In umfassendster Weise führte S. seine Aufgabe glänzend durch:
1) durch eine Wirtschaftsreform, die Seisachthie, 2) eine Verfassungsreform, 3) eine Gesetzgebung, 4) eine Münz-, Maß- und Gewichtsreform. Mit der Seisachthie, der Aufhebung der Schulden aller überschuldeten, in Schuldhaft befindlichen oder als Sklaven verkauften Bürger, war eine Milderung der harten Schuldgesetze und eine Hebung [* 5] des Kleinbauernstandes verbunden. Die Verfassungsreform gründete sich auf das schon vor S. übliche timokratische Princip, das die polit.
Rechte nach den Leistungen der Bürger an den Staat regelte, und behielt die alten Steuerklassen der Pentakosiomedimnen («Fünfhundertscheffler»),
Hippeis («Ritter»),
Zeugiten («Gespannbauern»),
Theten («Kleinbauern, Tagelöhner, Handwerker») bei. Diese sind, wie man jetzt weiß, nicht erst durch S. geschaffen worden. Für die erste Klasse wurden weiter 500 Medimnen Mindestertrag, für die zweite 300, für die dritte 200 gefordert, doch scheint S. neben dem Ertrag der Halmfrucht ergänzend den der Baumfrucht (Öl, Wein) in Metreten zugelassen zu haben; Attika befand sich damals eben im Übergang vom Getreide- zum Gartenland. Inwieweit das bewegliche Kapital (Industrie, Handel) bei der Klassenabschätzung herangezogen wurde, bleibt unsicher.
Ein Fortschritt in der Demokratisierung der Verfassung geschah dadurch, daß zur Teilnahme an der Volksversammlung nicht nur die Bürger, die eine Waffenrüstung stellen konnten, wie unter Drakon, sondern alle Bürger zugelassen wurden, außerdem ein Volksgerichtshof, die Heliäa (s. d.), geschaffen wurde. Der gleich den Steuerklassen früher auf S. zurückgeführte Ausschuß der Volksversammlung, die Bule, bestand schon seit Drakon und wurde nur von S. beibehalten. Als Gegengewicht blieb die sich aus den obersten Klassen rekrutierende Beamtenschaft fast durchaus aristokratisch. Der aus den abgehenden Oberbeamten gebildete Rat vom Areopag behielt den Blutbann und die Aufsicht über den ganzen Staatsorganismus.
Die Solon
ischen Gesetze ersetzten durch ein den Zeitverhältnissen mehr angepaßtes
Recht das alte, von
Drakon aufgezeichnete
Landrecht; nur die alten Blutgesetze für
Mord,
Totschlag u. s. w. nahm S. unverändert auf. Die Gesetze
wurden auf hölzerne, in einen
Stamm eingesetzte
Tafeln (áxones) aufgezeichnet und danach citiert. Als diese unbrauchbar wurden,
ließ man die Gesetze auf vierseitige Steinpfeiler (kýrbeis) eingraben. Die
Reform in Münze,
Maß und
Gewicht brachte den Athenern zuerst eine eigene Münzprägung (bisher hatte man sich des äginetischen
Courants bedient und
sich auch in
Maß und Gewicht an
Ägina angeschlossen) und zugleich den Übergang zu dem kleinern (Verhältnis zum äginetischen
wie 100:73) sog. euböischen
Münzfuß. Damit wurden die
Steuersätze gemildert, vor allem der Anschluß
an das große chalkidisch-korinth.
¶
mehr
Handelsgebiet erreicht. Mit vollem Recht gilt S. den Athenern des 5. Jahrh. schon als der Gesetzgeber schlechthin. Wie lange
Zeit S. für die Reform gebraucht und was er danach begonnen, ist nicht klar; anscheinend ist er ruhig in Athen
[* 7] geblieben,
daneben sind neue Reisen nach Kleinasien und Cypern nicht ausgeschlossen. Sein Zusammentreffen mit König
Krösus von Lydien ist eine Fabel. Jedenfalls mußte S. es noch erleben, daß trotz seiner Warnungen sich 561–560 Pisistratus
(s. d.) der Alleinherrschaft bemächtigte, um freilich mit der Solon
ischen Verfassung weiter zu regieren. Bald danach starb
S. Seine große, fein empfindende, liebenswürdige Persönlichkeit offenbart sich noch in den erhaltenen
Fragmenten seiner Gedichte (gesammelt in Bergks «Poetae lyrici graeci», Bd. 2, 4. Aufl.,
Lpz. 1882). Biographien S.s sind erhalten von Plutarch und Diogenes Laertius. –
Vgl. Niese, Histor. Untersuchungen (Bonn [* 8] 1882 fg.);
Keil, Die Solon
ische Verfassung in Aristoteles’ Verfassungsgeschichte Athens (Berl. 1892).