Smolensk
(Ssmolensk), russ. Gouvernement, zwischen den Gouvernements Pskow, Twer, Moskau, Kaluga, Orel, Tschernigow, Mohilew und Witebsk gelegen, mit einem Areal von 56,041 qkm (1017,17 QM.). Der höchste Teil des Landes ist der Nordosten, wo in den reichbewaldeten Alaunischen Bergen das Quellgebiet von vier Flußsystemen (Wolga, Moßkwa, Dnjepr und Düna) ist. Zu den bedeutendsten Flüssen gehören: die Ugra mit der Worjä, auf welchen die Waren nach Moskau transportiert werden;
die Düna mit Kasplia und Mesha, Obscha, Lutschessa, auf denen der Handel nach Riga geht;
der Dnjepr, der mit seinen Nebenflüssen Wop, Wjasma, Sosh, Desna und Beresina einen großen Teil des Gouvernements durchfließt, aber in ökonomischer Beziehung minder bedeutend ist als die vorigen;
der Gshat, auf dem die Waren nach Rshew gehen.
Seit der Eröffnung der Eisenbahnen nach Orel, Riga und Moskau mußte die Schiffahrt ihre frühere Bedeutung einbüßen. Im NW. finden sich zahlreiche erratische Blöcke. Die Menge der Seen und Sümpfe bewirkt Feuchtigkeit und Rauhheit des Klimas (mittlere Jahrestemperatur +4,8° C.). Trotz der starken Ausrottung der Wälder besitzen die südlichen Teile des Gouvernements noch viel Wald, der besonders aus hohen Tannen, Fichten, Birken, Eschen und Erlen besteht. S. zählt (1885) 1,278,117 Einw. (22 pro QKilometer), die teils Groß-, teils Weißrussen sind. Die Zahl der Eheschließungen war 1885: 10,624, der Gebornen 70,291, der Gestorbenen 61,917. Das Areal besteht aus 39 Proz. Wald, 29,1 Ackerland, 21,2 Wiesen und 10,7 Proz. Unland. Infolge der Boden- und klimatischen Verhältnisse kann der Ackerbau nur in guten Jahren dem Bedürfnis
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der Bewohner genügen; sonst leiden die Saaten häufig durch anhaltenden Regen und darauf folgende Hitze, wodurch der Thonboden zu hart wird. Man baut vorzugsweise Roggen und Hafer, weniger Gerste und Buchweizen, ferner Flachs und Hanf. Die Ernte war 1885: 3 Mill. hl Roggen, 1,2 Mill. hl Hafer, 1,4 Mill. hl Kartoffeln, andres Getreide in kleinern Mengen. Der Mangel an Wiesen ist der Rindviehzucht hinderlich; Pferde und Rinder sind klein und schwach. 1885 zählte man 361,201 Stück Rindvieh, 365,162 Pferde, 393,812 Schafe, 172,197 Schweine.
Die industrielle Produktion ist unbedeutend und bezifferte sich 1885 dem Wert nach auf ca. 6 Mill. Rubel, hauptsächlich Baumwollspinnerei und -Weberei, außerdem Bereitung von Leder, Öl und Talg, Branntweinbrennen und Bierbrauen. Die Gegenstände des Handels, die zur Ausfuhr kommen (meist nach Riga), sind: Leinsaat, Flachs, Holz, Holzgeräte, Hafer, Talg, Leder und Öl;
die Einfuhr von Mehl geschieht aus Orel und Kursk, die von Manufakturgegenständen aus Moskau. Lehranstalten waren 1885: 529 mit 26,770 Schülern in Thätigkeit, darunter 17 Mittelschulen und 3 Fachschulen (ein geistliches, ein Lehrerseminar und eine Handwerkerschule). S. zerfällt in zwölf Kreise: Bjelyi, Dorogobush, Duchowschtschina, Gschatsk, Jachnow, Jelna, Krassnyj, Poretschje, Rosslawl, S., Sytschew, Wjasma. Durch dieses Land führte einst der große Weg der Waräger nach Byzanz, und das Volk der Kriwitscher, der hier ansässige slawische Stamm, stand mit entfernten Völkern in Handelsbeziehungen, was auch die vielen hier aufgefundenen arabischen Münzen des 8., 9. und 10. Jahrh. beweisen.
Seit der Teilung des Fürstentums Kiew unter Jaroslaw I. hatte S. bis 1395 seine eignen Fürsten, sodann kam es an den litauischen Fürsten Witowt. Während der jahrhundertelang dauernden Feindschaft zwischen Moskau und Litauen verblieben Land und Städte meistens im Besitz der Litauer, bis sie im 17. Jahrh. bleibend an Rußland kamen. 1719 wurde das Smolenskische Gebiet als Provinz zu Livland geschlagen; seit 1796 besteht es als selbständiges Gouvernement.
Die gleichnamige Hauptstadt liegt an beiden Ufern des Dnjepr, im Kreuzungspunkt der Eisenbahnen Orel-Witebsk und von Moskau nach Brest-Litowsk (und zwar die Altstadt mit der von Boris Godunow herrührenden Festungsmauer und den Türmen auf der linken Seite des Stroms), hat 25 Kirchen, darunter die Kathedrale zu Mariä Himmelfahrt (aus dem 12. Jahrh.), ein Gymnasium und Mädchengymnasium, Fabrikthätigkeit, etwas Handel und (1885) 34,348 Einw. S. ist eine der ältesten Städte Rußlands, war Hauptort der Kriwitscher (s. d.), wurde 882 von dem Großfürsten Oleg besetzt, kam 1404 an Litauen, 1515 wieder an Rußland, bis die Polen 1611 die Stadt wieder an sich rissen; 1654 wurde sie unter dem Zaren Alexei Michailowitsch endgültig von den Russen erobert.
Sie war eine gewaltige Festung und hatte zur Zeit ihrer Blüte über 100,000 Einw. In neuerer Zeit ist die Stadt historisch merkwürdig geworden durch die große Schlacht in der Napoleon I. die Russen unter Barclay de Tolly und Bagration schlug und sich dadurch den Weg nach Moskau bahnte. Zwei Denkmäler, eine Pyramide von Gußeisen zur Erinnerung an diese Schlacht und ein Monument des hier erschossenen Obersten v. Engelhardt, sind in der Stadt errichtet. Bei dem Rückzug der Franzosen nach dem Brand Moskaus schlug hier Kutusow im November 1812 die französische Nachhut unter Ney.