Slawophīlen,
russ. Slavjanofily («Slawenfreunde»),
Name der Anhänger einer national- und socialpolit. Partei in Rußland, welche die russ. Form des Panslawismus (s. d.) darstellt. Hervorgegangen ist die Partei aus einer litterar. Schule, die sich, angeregt von der deutschen Romantik, um 1835 in Moskau [* 2] bildete. Ihre ersten Vertreter waren die Brüder Iwan und Peter Kirjejewskij und Chomjakow; ihnen schlossen sich Dimitrij Walujew, Konstantin und Iwan Aksakow, Jurij Samarin, A. Hilferding, W. Lamanskij, Orest Miller u. a. an. Ihr Hauptorgan war die Monatsschrift «Russkaja Besěda» («Russische [* 3] Unterhaltung»),
die 1856-59 in Moskau erschien; später die Journale Iwan Aksakows, wie «Deń», «Moskva», zuletzt «Ruś».
Die Lehre [* 4] der S. ist ein stark chauvinistisch angehauchter Patriotismus, beeinflußt durch die Geschichtsauffassung Hegels, daß jeder Nation gewisse nationale Principien innewohnen, deren Entwicklung den histor. Beruf der Nation bilde. Solche Principien sahen sie beim russ. Volke in der griech.-orthodoxen Kirche, als der ursprünglichen und wahren Form des Christentums, die durch die Missionsthätigkeit Cyrills und Methods zur slaw. Kirche geworden sei, und in der russ. Gemeinde (obščina); in beiden seien die Grundlagen einer höhern Civilisation enthalten, welche an die Stelle der durch den Individualismus, durch falsche Religiosität und Atheïsmus untergrabenen westeuropäischen zu treten habe. In der russ. Geschichte sahen die S. die Reform Peters d. Gr. und die ganze Petersburger Periode für eine Verirrung an, und verlangten eine Rückkehr zu den Principien der moskauischen Epoche.
Solche Lehren [* 5] wurden anfangs in der russ. Gesellschaft und in der Litteratur heftig bekämpft, besonders von Bjelinskij, Dobroljubow, in neuerer Zeit von Pypin (s. d.); dafür erhielten die Gegner von den S. den Namen Westler (russ. Zapadniki, d. i. Anhänger des Westens, Westeuropas), der nun auch zu einer Art Parteinamen für die Freunde humaner Bildung und Kulturentwicklung im Anschluß an die westeuropäische wurde. Organe der letztern waren Katkows «Russkij Věstnik» (in den ersten Jahrgängen),
der «Sovremennik», «Věstnik Evropy» u. a.
Im J. 1858 wurde von den S. das Slawische Wohlthätigkeitskomitee, später Slawische Wohlthätigkeitsgesellschaft genannt, in Moskau gegründet, der ähnliche Gesellschaften in Petersburg, [* 6] Kiew, [* 7] Odessa [* 8] folgten. Sie spielten eine nicht unwichtige Rolle im serb.-türk. Kriege 1876-77, für den sie die Geldsammlungen und die Werbungen von Freiwilligen in Rußland leiteten. Die Moskauer Gesellschaft wurde 1878 infolge einer heftigen Rede ihres Präsidenten Iwan Aksakow gegen den Berliner Vertrag [* 9] aufgelöst. 1888 wählte die Petersburger Gesellschaft den General Ignatjew zum Präsidenten und benutzte die 900jährige Jubelfeier der Einführung des Christentums in Rußland, die 27. Juli in Kiew begangen wurde, zu einer panslawistischen Demonstration. Doch blieb die Beteiligung der außerruss. Slawen an der Feier hinter den russ. Hoffnungen weit zurück.
Vgl. Pypin, Die litterar.
Meinungen der zwanziger bis fünfziger Jahre des 19. Jahrh. in Rußland (russisch, Petersb. 1871; zum Teil deutsch in der «Russischen Revue», Jahrg. 1873).