Slawische
Mythologie.
Die Überlieferung über das Götterwesen der heidn.
Slawen ist im ganzen sehr dürftig und unklar.
Der im 6. Jahrh. lebende Prokopius sagt von den hinterkarpatischen
Slawen: «Sie verehren einen Gott, den Schöpfer des
Blitzes
und den allgemeinen Herrn aller Dinge; sie schlachten ihm Ochsen und bringen Opfer jeglicher Art. Sie
kennen kein Verhängnis (Fatum), noch teilen sie demselben irgend eine Gewalt über die Geschicke der
Menschen zu. Sie thun
bei drohendem
Tode, sei es während der
Krankheit oder
vor der
Schlacht, dem
Gotte ein Gelübde, das sie, der
Gefahr entronnen, treu erfüllen, indem sie glauben, durch dasselbe erlöst worden zu sein. Sie verehren aber auch
Flüsse,
[* 2] Nymphen und andere zahlreiche Gottheiten, welchen allen sie Opfer bringen und daran
Weissagungen knüpfen.» Der im 12. Jahrh.
lebende
Helmold sagt dagegen von den polabischen
Slawen:
«Außer den vielgestaltigen Gottheiten, denen sie
Felder und
Wälder,
Trauer und Freuden zuteilen, glauben sie an einen Gott, der im Himmel
[* 3] über andere gebietet und der, während
er als der allmächtige nur die himmlischen Dinge besorgt, alle andern
Geschäfte den ihm untergebenen
Göttern zuweist, die
aus seinem
Blut entsprossen, jeder um so ansehnlicher ist, je näher er dem Gott der
Götter steht.»
Außer
diesen beiden, durch klassische und christl.
Anschauungen beeinflußten Angaben sind meist nur Götternamen, und zwar fast
ausschließlich für die
Slawen in
Rußland, auf
Rügen und in
Pommern
[* 4] überliefert; für
alle Südslawen, für
Böhmen
[* 5] und
Polen
fehlen sogar bloße
Namen vollständig.
Namen russ. Götter sind Perun (Donner, vielleicht nur der Thor der Normannen), Wolos, Dažbog, Stribog;
rügensche Gottheiten waren Svętovit (s. Swantevit) u. a., pommersche Triglov u. a.;
bei Russen und Polaben in Radegast wird Svarožic genannt;
für Göttinnen, obwohl solche z. B. von den Lutizen verehrt wurden, fehlen sogar jegliche Namen.
Von diesen höhern Gottheiten ist frühzeitig jede Spur verloren gegangen; dagegen sind niedere Götter, die Dämonen in Wald und Feld, Wasser und Luft, Haus und Hof, [* 6] noch heute bekannt, obwohl die meisten in ihren heutigen Namen und Eigenschaften fremden Einfluß (deutschen bei den Westslawen, neugriechischen bei Süd- und Ostslawen) verraten. Hierher gehören bei Südslawen die Vilen, bei Ostslawen die Rusalken (Nymphen);
Rojenizen und Sojenizen (Geburts- und Schicksalsgeister);
die Domowyje und Lieschije (Haus- und Waldgeister, unter verschiedenen Namen bei verschiedenen Stämmen), Pschipoldnizen (Mittagsfrauen), die Nixen, Vampyre, Nachtmaren, Währwölfe, Pestgeister, Hagelgeister, Kobolde (Schrättchen und Rotkäppchen);
Baba Jaga u. a. Von den Slawen zwischen Elbe und Oder wird ein Dualismus zwischen Licht [* 7] und Finsternis (Bělbog und Černobog) oder Göttern des Lichts und der Finsternis überliefert, der indes auf christl. Einfluß zu beruhen scheint.
Die seit dem vorigen Jahrhundert bis heute immer wieder erscheinenden sog.
slaw. Mythologien
sind nur als Materialsammlungen und auch so nur mit Vorsicht zu brauchen, alle
die Systemisierungen in den Werken von Hanusch (s. d.),
Afanasjew (s. d.), Krek u. a. sind wertlos.
Der erste, welcher richtigere
Bahnen einschlug, war R. Berwinski
(Studien über Volkslitteratur, polnisch, 2 Bde.,
Posen
[* 8] 1859);
kritische Methode wurde dann wieder angewandt von Jagić und
Brückner (im
«Archiv für slaw.
Philologie», Bd. 4, 5, 14).
Eine erschöpfende kritische
Darstellung des Gegenstandes fehlt.