Skrofeln
(Scrophulae, eigentlich »Schweinchen«),
ursprünglich Drüsenanschwellungen des Halses, die durch starke Verdickung des Halses den Übergang zum Kopf verwischen und undeutlicher machen, so daß eine entfernte Ähnlichkeit [* 2] mit dem Aussehen eines Schweinehalses entsteht. Die Drüsenschwellungen beruhen auf chronisch entzündlicher Zellenwucherung, bilden aber niemals das Grundleiden, sondern sind die Folge irgend welcher Hautausschläge (Rachen-, Kehlkopfs-, Luftröhren-, Lungenkatarrhe), welche auch bei sonst gesunden Personen vorkommen, aber nur bei gewissen schlecht entwickelten, blutarmen, jungen Individuen derartige schwere Drüsenentzündungen verursachen.
Diese krankhafte Anlage, die Neigung zu heftigen chronischen Lymphdrüsenschwellungen bei verhältnismäßig geringfügigen Ursachen, nennt man nun Skrofelkrankheit (Skrofulose); Kinder, welche mit dieser Disposition behaftet sind, bezeichnet man als skrofulös. Da Kinder von solcher schwachen, reizbaren skrofulösen Konstitution nicht selten später an Tuberkulose erkranken, so sind Skrofulose und Tuberkulose oft miteinander identifiziert worden; die Skrofulose ist indes eine bloße Krankheitsanlage, die durch zweckmäßige Behandlung beseitigt werden kann, die Tuberkulose hingegen ein ausgebildeter Krankheitsprozeß.
Auf welcher anatomisch erkennbaren Mangelhaftigkeit die skrofulöse Anlage beruht, ist noch unbekannt; häufig beobachtet man Kleinheit des Herzens, dünne, enge Blutgefäße, Blutmangel. Die S. sind vielleicht ebenso häufig ein angebornes als ein erst nach der Geburt erworbenes Leiden. [* 3] Die angeborne Skrofulose finden wir namentlich bei Kindern skrofulöser, tuberkulöser und syphilitischer Eltern. Indes kommen S. noch oft genug bei Kindern vor, bei deren Eltern keins der angeführten Momente zutrifft.
Die erworbene Skrofulose entwickelt sich besonders in den ersten Lebensjahren bei unzweckmäßiger Ernährung, bei künstlich aufgefütterten Kindern, bei Mangel an zweckmäßiger Körperbewegung und bei Entbehrung der frischen Luft. Die skrofulöse Kachexie verrät sich in vielen Fällen durch den eigentümlichen skrofulösen Habitus. Derselbe ist charakterisiert durch Blutmangel, womit sich bei abnorm trägem Stoffwechsel eine Anhäufung von schlaffem Fettgewebe an gewissen Körperteilen verbindet; in andern Fällen dagegen, in welchen Haut, [* 4] Muskeln [* 5] und Unterhautfettgewebe eine mangelhafte Entwickelung zeigen, ist der Stoffwechsel wahrscheinlich abnorm beschleunigt.
Hiernach unterscheidet man eine torpide und erethische Form. Der Habitus bei torpider Skrofulose ist charakterisiert durch den ungewöhnlich großen Kopf, die groben Gesichtszüge, die aufgeschwollene Nase [* 6] und Oberlippe, durch die breiten Kinnbacken, den aufgetriebenen Bauch, [* 7] die Drüsenanschwellungen am Hals, das schlaffe, schwammige Fleisch. Der Habitus bei erethischer Skrofulose steht in auffallend weißer, dünner, sich leicht rötender äußerer Haut, in hoher Röte der Lippen und Wangen, in blauer Färbung der sonst milchweißen Augapfelhaut (Sklera), was dem Auge [* 8] ein eigentümlich schmachtendes Ansehen gibt, und in der Weichheit der Muskeln.
Auf dem Boden der skrofulösen Krankheitsdisposition entwickeln sich am häufigsten Hautausschläge im Gesicht [* 9] und auf dem behaarten Teil des Kopfes; sie gehen meist mit Bläschen und Schorfbildung einher. Erst im spätern Verlauf können auch wohl zerstörende Hauterkrankungen eintreten. Entzündungen der Schleimhäute kommen vorzugsweise an den Lippen, der Nase, der Augenlidbindehaut vor und ziehen gewöhnlich die benachbarte äußere Haut in Mitleidenschaft.
Entwickelt sich auf skrofulöser Grundlage eine Entzündung der Knochen [* 10] oder Gelenke, so verläuft diese meist als tuberkulöse Zerstörung (Karies, Tumor albus). Auch die auf skrofulöser Grundlage entstehenden Lymphdrüsen- und Darmkrankheiten gehören der echten Tuberkulose an. Sobald Verkäsung eingetreten ist, sind die Tuberkelbacillen nachweisbar. Die Behandlung der S. bezweckt Hebung [* 11] des allgemeinen Ernährungszustandes durch kräftige Fleischnahrung, frische Luft, Aufenthalt in trocknen Wohnräumen, Leberthran und Solbäder. Sobald sich tuberkulöse Erkrankungen zeigen, erfordern diese außerdem besondere Berücksichtigung, Entfernung der Drüsen etc.