Titel
Singvögel
(Oscines; hierzu die
Tafeln: Mitteleuropäische Singvögel
I-IV), eine sehr artenreiche
Unterordnung der
Sperlingsvögel
[* 2] (s. d.), die durch eine ganz besondere
Entwicklung der Luftröhre an der
Stelle, wo sich dieselbe
gabelt und die man den untern
Kehlkopf
[* 3]
(Syrinx) nennt, ausgezeichnet ist. An diesem
Syrinx haben die untern
Ringe der eigentlichen
Luftröhre und die obern der
Bronchien eine Umbildung erfahren, indem sie zu Plättchen, Spangen u. s. w.
umgestaltet wurden, die durch 5-6 Muskelpaare gegeneinander bewegt werden können und die sich, im
Verein mit zwischen ihnen
befindlichen Membranen jederseits eine Art untere
Stimmritze bildend, durch willkürlichen Einfluß der
Muskeln
[* 4] bald einander
nähern, bald voneinander entfernen können und so dem jederseits aus den
Lungen kommenden Luftstrom einen
verschiedenen
Widerstand bieten, der die Verschiedenheit und Aufeinanderfolge der
Töne des Vogelgesangs bedingt.
Der Gesang ist fast immer nur dem männlichen Geschlecht eigen und als ein Produkt der geschlechtlichen Zuchtwahl aufzufassen; merkwürdig ist es, daß sich die anatom. Verhältnisse des untern Kehlkopfes der Weibchen (z. B. der Nachtigall) auch bei den genauesten Untersuchungen weder qualitativ noch quantitativ von denen der Männchen unterscheiden, wie es denn auch eine ganze Reihe von Vögeln (z. B. Raben) giebt, die auch im männlichen Geschlecht bei einem dem Bau nach allen Anforderungen auf Gesang genügenden Syrinx, doch nicht singen, und andererseits solche, die, ohne einen derartigen Apparat zu besitzen und ohne zur Ordnung der S. zu gehören, doch einen und oft sehr melodischen Gesang haben.
Der Schnabel der S. ist zwar je nach der Lebensweise sehr verschieden gebaut, immer aber mit einer bis zur Wurzel [* 5] hornigen Scheide versehen; Handschwingen finden sich nie unter neun, bisweilen sind es zehn. Die ganze, etwa 5000 Arten umfassende Unterordnung hat man in eine große Anzahl von Familien von sehr verschiedenem Werte aufgelöst. Einer zwar ältern und nicht natürlichen, aber übersichtlichen und bequemen Einteilung nach zerfallen die S. in sechs Gruppen:
1) Zahnschnäbler (Dentirostres), Schnabel an der Spitze hakenförmig übergreifend, an den Mundwinkeln mit ¶
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Borstenfedern; hierher gehören unter andern die Würger (z. B. der rotrückige Würger, Lanius collurio L., s. Taf. IV, [* 6] Fig. 4) und die Fliegenschnäpper.
2) Pfriemenschnäbler (Subulirostres), Schnabel an der Spitze nicht übergebogen, pfriemenförmig, Insekten-, teilweise auch Beerenfresser. Am bekanntesten aus dieser Gruppe sind die Bachstelzen (z. B. die Gebirgsstelze, Motacilla sulphurea L., s. Taf. II, [* 6] Fig. 7), die Drosseln (mit der Singdrossel oder Zippe [Turdus musicus L.], [* 6] Fig. 5), sowie die echten Sänger (Sylviidae), schlanke Vögel [* 7] mit 10 Steuerfedern, einem an der Spitze seitlich, an der Wurzel von oben nach unten zusammengedrückten Schnabel, die sich hauptsächlich von Insekten, [* 8] doch auch von Beeren ernähren. Zu ihnen gehört die Nachtigall (Sylvia luscinia Lath. oder Lusciola luscinia Briss., s. Taf. III, [* 6] Fig. 7), das Rotkehlchen (Erythacus rubecula Lath., s. Taf. II, [* 6] Fig. 1), ferner das Blaukehlchen (Cyanecula suecica Bechst., [* 6] Fig. 9) und das safranköpfige Goldhähnchen (Regulus ignicapillus Bechst., s. Fig. 3), endlich der Plattmönch (Sylvia atricapilla, s. Taf. III, [* 6] Fig. 3), der Teichrohrsänger (Calamoherpe arundinacea Lath., [* 6] Fig. 2), der Waldlaubsänger (Phyllopneuste sibilatrix Bechst., [* 6] Fig. 4) und die Heckenbraunelle (Accentor modularis L., [* 6] Fig. 5); weiter gehören noch zu den Pfriemenschnäblern die Zaunkönige mit dem europ. Zaunkönig (Troglodytes parvulus Koch, s. Taf. II, [* 6] Fig. 6), die Wasseramsel oder Wasserschmätzer (Cinclus aquaticus Bechst., [* 6] Fig. 8), ferner der Baumpieper (Anthus arboreus Bechst., s. Taf. III, [* 6] Fig. 6), das Gartenrotschwänzchen (Ruticilla phoenicurus Bp., Taf. IV, [* 6] Fig. 3), der graue Steinschmätzer (Saxicola oenanthe, s. Taf. IV, [* 6] Fig. 5) und noch viele andere mehr.
3) Kegelschnäbler (Conirostres). Der kräftige harte Schnabel ist kegelförmig; sie leben hauptsächlich, aber nicht ausschließlich von Vegetabilien. Zu ihnen rechnet man die Meisen (Paridae), von denen in Deutschland [* 9] häufig sind: die Blaumeise (Parus coeruleus L., s. Taf. I, [* 6] Fig. 7), die Kohlmeise (Parus major L., [* 6] Fig. 6), seltener die Sumpfmeise (Parus palustris L.), die Haubenmeise (Parus cristatus L.), die Tannenmeise (Parus ater L., s. Taf. II, [* 6] Fig. 2) und die aberrant gebaute Spechtmeise oder der Kleiber (Sitta caesia Meyer);
die Lerchen (Alaudidae), mit der Feldlerche (Alauda arvensis L., s. Taf. IV, [* 6] Fig. 8);
weiter die große Familie der Finken (Fringillidae), mit der Unterfamilie der Ammern (Emberizinae), zu der die Emberiza citrinella, [* 6] Fig.
7) gehört; derjenigen der eigentlichen Finken (Fringillinae). Hierher der Fichtenkreuzschnabel (Loxia curvirostra L., s. Taf. II, [* 6] Fig. 4), der Rotgimpel (Pyrrhula vulgaris Tem., s. Taf. I, [* 6] Fig. 5), der Kernbeißer (Coccothraustes vulgaris Pall., [* 6] Fig. 2), der Buch- oder Edelfink (Fringilla coelebs L., [* 6] Fig. 4) und der Hänfling (Fringilla cannabina L., [* 6] Fig. 3), der Zeisig (Chrysomitris spinus L., [* 6] Fig. 1), der Stieglitz (Fingilla carduelis L., [* 6] Fig. 8), der Feldsperling (Passer montanus L., [* 6] Fig. 9) und der Haussperling (Passer domesticus L., [* 6] Fig. 10); die Webervögel (Ploceidae).
4) Rabenvögel (Coraces), mit starkem, fast geradem, verlängert kegelförmigem Schnabel, mit kräftigen Wandelbeinen. Zu ihnen gehören die Pirole (z. B. der Kirschpirol oder die Goldamsel, Oriolus galbula L., s. Taf. III, [* 6] Fig. 1), die Stare mit unserm gewöhnlichen Star (Sturnus vulgaris L., s. Taf. IV, [* 6] Fig. 6), die Paradiesvögel [* 10] (s. Tafel: Paradiesvögel, z. B. Paradisea rubra Vieill., [* 6] Fig. 1, Paradisea Rudolphi A. B. Meyer, [* 6] Fig. 5, Schlegelia Wilsoni Bernst., [* 6] Fig. 3, Semioptera Wallacei Gray, [* 6] Fig. 4, und Lophorina superba Veill., [* 6] Fig. 2), der Eichelheher, der Nußheher, die Elster, [* 11] der Kolkrabe [* 12] und viele andere mehr.
5) Dünnschnäbler (Tenuirostres) mit dünnem, langem, scharf zugespitztem Schnabel, denen der Baumläufer (Certhia familiaris L.) und der Mauerläufer [* 13] (Tichodroma muraria Illig.) zugerechnet werden.
6) Die letzte Gruppe, die der Spaltschnäbler (Fissirostres), bilden, nach Ausscheidung der Segler und Nachtschwalben, die
echten Schwalben mit kurzem, flachem, an der Basis verbreitertem Schnabel, spitzen, langen Flügeln und Gabelschwanz; die in
Deutschland am häufigsten vorkommende Art ist die Rauchschwalbe (Hirundo rustica L., s. Tafel: Mitteleuropäische
Singvögel
IV,
[* 6]
Fig. 1) und die Hausschwalbe (Hirundo urbica L.,
[* 6]
Fig. 2).
Über die Zucht und Abwartung der S. existiert eine umfangreiche Litteratur, aus welcher hervorzuheben sind: Brehm, Handbuch für Liebhaber der Stubenvögel [* 14] (Ilmenau 1832);
Bechstein, Naturgeschichte der Hof- und Stubenvögel (5. Aufl., hg. von Berge, Lpz. 1870);
Ruß, Handbuch für Vogelliebhaber (1. Bd., 3. Aufl., Magdeb. 1887; 2. Bd., 2. Aufl. 1881);
ders., Lehrbuch der Stubenvogelpflege (2. Aufl., ebd. 1888 fg.);
A. und K. Müller, Tiere der Heimat (2. Aufl., Cass. 1888 fg.).