Silurische
[* 3]
Formation (hierzu Tafel »Silurische Formation«
),
älteste Schichtenfolge der
Petrefakten
[* 4] führenden
Gesteine,
[* 5] die
Zurechnung der unter dem
Namen der kambrischen
Formation (s. d.) auch wohl als selbständig ausgeschiedenen untersten Abteilung
vorausgesetzt. Überlagert wird das
Silur durch die jüngere
devonische Formation (s. d.). Die
Gesteine der Silurformation
sind:
Sandsteine,
Konglomerate,
Grauwacken,
Thonschiefer
(Alaunschiefer), welche, wie die sie begleitenden
Kalke,
Dolomite und
Mergel, samt den gelegentlich auftretenden
Kieselschiefern, auch in ihrer petrographischen
Beschaffenheit den sedimentären
Charakter deutlich
an sich tragen.
Eng verknüpft mit ihnen treten aber in einigen Gegenden
(Schottland,
Norwegen)
[* 6] auch
Gesteine auf (und zwar zum Teil selbst versteinerungsführend),
welche sich petrographisch von den
Gneisen,
Glimmer- und Hornblendeschiefern der azoischen
Formationen in
nichts unterscheiden und doch ihren Lagerungsverhältnissen nach der silurischen
Formation zugezählt werden müssen: ein
noch zu lösendes
Problem der Petrogenese. Als untergeordnete
Gesteine der Silurformation
finden sich
Anthracite und, teils
erbohrt, teils durch das Auftreten von starken
Solen wahrscheinlich gemacht, Steinsalzlager.
Die Verbreitung der Silurformation
ist zunächst in
Großbritannien
[* 7] eine bedeutende. Der Teil von
Wales, den die alten
Silurer
bewohnten, hat ihr den
Namen gegeben; außerdem tritt sie in
Cornwall,
Irland und
Schottland auf. Auf dem europäischen
Kontinent
ist sie in
Portugal,
[* 8]
Spanien und
Frankreich
(Bretagne) entwickelt.
Deutschland
[* 9] besitzt im
Harz, im
Frankenwald,
im
Fichtelgebirge und in den
Sudeten silurische
Gesteine an der Oberfläche anstehend.
In den
Alpen
[* 10] zieht sich ein schmaler Zug
silurischer
Schichten westöstlich, bei
Schwaz in
Tirol
[* 11] beginnend, bis in die Gegend von
Wiener-Neustadt und findet, durch Tertiärbildungen
oberflächlich unterbrochen, seine Fortsetzung nördlich von
Preßburg,
[* 12] während im Murthal bei
Murau und
Graz
[* 13] isolierte
Partien den azoischen
Gesteinen aufgelagert sind.
Ein reichgegliedertes Silurbecken besitzt
Böhmen
[* 14] zwischen
Pilsen
[* 15] und
Prag
[* 16] und über beide
Orte nach
SW. und
NO. noch hinweggreifend.
Über sehr bedeutende Horizontalstrecken verbreitet treten silurische
Gesteine in Rußland auf, südlich vom
Finnischen
Meerbusen,
im W. bis auf die
Inseln
Dagö und
Ösel sich erstreckend im Anschluß an die schwedischen Vorkommnisse
auf
Gotland und
Öland, im O. bis zu den
Ufern des
Ladogasees. Die
Gesteine dieser russischen
Ablagerung zeigen einen bei so alten
Materialien auffallenden Zustand der Unreife: anstatt der
Sandsteine sind
Sande, an der
Stelle der
Thonschiefer plastische
Thone entwickelt, welche man nach ihrer petrographischen
Beschaffenheit für viel jünger halten würde, wenn nicht die organischen
Reste ganz zweifellos auf ein silurisches
Alter hinwiesen. Außerdem tritt in Rußland die Silurformation
als ein schmaler
Streifen auf, der die azoischen
Gesteine des
Urals nach O. und W. garniert.
Skandinavien besitzt silurische
Territorien bei
Christiania
[* 17] und am Mjösensee in
Norwegen sowie im südlichen
Schweden. Ganz besonders mächtig aber und weitverbreitet
sind die Silurschichten jenseit des
Ozeans, in
Nordamerika.
[* 18]
Die nähere
Gliederung der Silurformation
trägt insofern einen lokalen
Charakter
an sich, als die in dem einen Land aufgestellte
Schichtenfolge sich niemals weit verfolgen oder
Schicht für
Schicht mit der
Entwickelung in einem andern
Land parallelisieren läßt. Dagegen gelingt
wenigstens ganz allgemein die
Durchführung einer
Teilung in eine obere und eine
untere Abteilung des
Silurs im engern
Sinn des
Wortes und der kambrischen (s. d.), oft als selbständig unterschiedenen
Formation im Liegenden dieser beiden Abteilungen.
Die Trilobitengeschlechter
Paradoxides,
Trinucleus und
Ellipsocephalus gehören neben
Lingula prima ausschließlich dem Kambrium
und dem Untersilur an, wo auch die Frequenz der
Graptolithen kulminiert, während
Calymene Blumenbachii,
Pentamerus Knightii,
Hypanthocrinus decorus und Cardiola interrupta für obersilurische
Schichten charakteristisch sind. Der kambrischen
Formation
gehören unter anderm in
Thüringen die Phykodenschichten und die
Saalfelder
Griffelschiefer, der Fukoidensandstein
Schwedens, die Obolusschichten in Rußland, die
Longmyndgruppe, die
Lingula Flags und die Tremadocschiefer in
England an, während
die amerikanischen Geologen in dieser Abteilung takonische und akadische
Schichten sowie den
Potsdamsandstein unterscheiden.
Böhmens
Silur gliedert
Barrande in acht mit A bis H bezeichnete
Etagen, von denen A,
B und C der kambrischen
Formation zuzuzählen sind, in der zuletzt genannten die sogen.
Primordialfauna eingeschlossen. Zum Untersilur werden gezählt
die
Dachschiefer des
Fichtelgebirges, die
Leimbacher
Schiefer in
Thüringen, die
Vaginatenkalke Nordeuropas, in
England die
Llandeilo Flags,
die Caradoc- und die untere
Llandoverygruppe, in
Nordamerika die
Quebec-,
Trenton- (mit den Utikaschiefern),
Hudson- und Cincinnatigruppe. Im böhmischen
Silur entspricht ungefähr
Barrandes
Etage D mit der sogen. zweiten
Fauna dem Untersilur,
nur spielt sich hier eine eigentümliche
Anomalie
[* 19] ab. In mehreren
Niveaus der
Etage D stellen sich nämlich
Schichten ein, die,
obgleich konform eingelagert, eine entschieden obersilurische
Fauna enthalten.
Für Barrande sind diese Schichten Kolonien, ihre Reste eingewanderte Tiere benachbarter Silurbecken, welche ihrer Fauna nach in der Entwickelung schon weiter vorgeschritten waren und durch Niveauänderungen vorübergehend mit dem großen Silurbecken Böhmens in Verbindung standen. Die Gegner der Barrandeschen Erklärung (so namentlich Lipold) nehmen Lagerungsstörungen an, ein keilartiges Einklemmen jüngerer Schichten zwischen ältere (vgl. unten unter Litteratur).
Zum Obersilur zählt man außer Barrandes böhmischer Etage E in England die obere Llandoverygruppe, die Wenlock- und die Ludlowstufe, in Nordamerika die Niagaragruppe mit der Clintonuntergruppe und die Salinagruppe. Bestimmte am Harz entwickelte Schichten (die Tanner Grauwacke und die Wieder Schiefer) wurden früher ebenfalls dem Obersilur zugerechnet, sind aber neuerdings unter dem Namen Hercin als eine besondere Facies des Unterdevons gedeutet worden, welcher auch die Tentakulitenschichten Thüringens und die böhmischen Etagen F bis H mit der sogen. dritten Fauna beizuzählen sein würden.
Flora und
Fauna der silurischen
Formation sind fast ausschließlich marin: einige Landpflanzen
(Lepidodendron)
gehören zu den seltensten
Funden;
die oben erwähnten Anthracitflöze sind wahrscheinlicher von Fukusbänken abzuleiten.
Das
tierische
Leben ist ein überraschend formenreiches: zählt doch
Barrande über 10,000 silurische
Arten. Von niedern
Tieren sind
außer
Schwämmen besonders einige Abteilungen der
Korallen
[* 20] (Hydrozoa) wichtig. So bilden vor allen die
Graptolithen ein vorzügliches
Leitfossil, da sie einesteils auf silurische
Schichten beschränkt sind und schon im
Devon
[* 21] vollständig
¶
a Graptolithus Beckii. b Graptolithus latus. (Art. Graptolithen.)
Bellerophon [* 23] bilobatus. (Art. Schnecken.) [* 24]
Lituites cornu arietis. (Art. Tintenschnecken.) [* 25]
Trinucleus Pongerardi. (Art. Trilobiten.)
Lingula antiqua. (Art. Brachiopoden.) [* 26]
Potsdamsandstein mit Lingula prima.
a Graptolithus geminus;
b vergrößert;
c Graptolithus folium;
d Retiolites Geinitzianus;
e Graptolithus turriculatus. (Art. Graptolithen.)
Catenipora escharoides. (Art. Korallen.)
Pentamerus Knightii. (Art. Brachiopoden.)
Ellipsocephalus Hoffi. (Art. Trilobiten.)
Hypanthocrinus decorus. (Art. Krinoideen.)
Calymene Blumenbachii. (Art. Trilobiten.)
Nereites cambrensis. (Art. Anneliden.)
Cardiola interrupta. (Art. Muscheln.) [* 27]
Orthoceras annulatum. (Art. Tintenschnecken.)
Tentaculites annulatus. (Art. Schnecken.)
Paradoxides spinulosus. (Art. Trilobiten.) ¶
mehr
verschwinden, andernteils in einigen Etagen der Silurformation
, namentlich in gewissen Thonschiefer (Graptolithenschiefern)
und Kalken, in größter Menge gefunden werden (Graptolithus und Retiolites, s. Tafel »Silurische Formation«
).
Die Korallenabteilungen der Tabulata und Rugosa sind ebenfalls durch zahlreiche Gattungen und Arten vertreten; den letztern
gehört die ausschließlich auf die Silurformation
beschränkte Catenipora escharoides Goldf. = Halysites
catenularia L. (s. Tafel) an. Mehrere silurische
Schichten Norwegens, Schwedens und Rußlands sind fast nur aus Korallenresten
zusammengesetzte Kalksteine.
Von Stachelhäutern (Echinodermata) findet man Seesterne
[* 29] und Seeigel nur in einigen wenigen Formen; dagegen liefern unter den
drei Ordnungen der Liliensterne die der Cystideen und die echten Krinoideen zahlreiche Arten, während die
Hauptentwickelung der Blastoideen
[* 30] erst in jüngere Perioden der paläozoischen Formation
sgruppe fällt. Unter den Cystideen
nennen wir Echinosphaerites aurantium, von den echten Krinoideen (Unterabteilung der Tafellilien, Tessalata) den Hypanthocrinus
decorus (s. Tafel).
Bei den Weichtieren liegt der Schwerpunkt [* 31] der Entwickelung während der Silurperiode im schroffen Gegensatz zur Jetztwelt in den Cephalopoden und den Brachiopoden, während unsre Meere fast nur von Muscheltieren und Schnecken bevölkert sind. Von Kopffüßern ist im Silur zwar nur die Familie der Nautileen vertreten, diese aber in sehr zahlreichen Spezies und Individuen. Barrande beschreibt über 1600 Arten, welche alle denkbaren Aufwickelungsformen darstellen (s. den ganz gestreckten Orthoceras und den widderhornartig gebogenen Lituites der Tafel).
Zwei Arten der bis zur Periode der Jetztzeit erhaltenen Gattung Lingula und eine Art des auf paläozoische Gesteine beschränkten Geschlechts Pentamerus repräsentieren auf der Tafel die Brachiopoden, Cardiola die Muscheltiere, Bellerophon die Schnecken. Eine Gattung der Flossenfüßer, Tentaculites (s. Tafel), erfüllt gewisse Thonschiefer in ebensolcher Häufigkeit wie die Graptolithen (Tentakulitenschiefer). Die eigentümlichen, oft meterlangen Gebilde der Nereiten (s. Tafel) werden als Gangspuren von Ringelwürmern gedeutet.
Die Krebstiere
[* 32] liefern in der Abteilung der Trilobiten für die ältern Formationen äußerst charakteristische Formen, welche
von der Dyasformation ab für immer verschwinden. Calymene, Trinucleus, Paradoxides und Ellipsocephalus (s.
Tafel) gehören ausschließlich der silurischen
Formation an, in welcher der Formenreichtum der Trilobiten kulminiert, um während
der Devonperiode schon entschieden abzunehmen, bis die Steinkohlenformation nur noch wenige unansehnliche Arten aufzuweisen
hat. Wirbeltierreste kommen nur in der obern Abteilung der Silurformation vor und gehören Knorpelfischen an,
deren Flossenstacheln und Schuppen mitunter zu einer förmlichen Knochenlage (Bonebed) aufgehäuft sind.
Eruptives Material ist an vielen Stellen eng mit silurischen
Gesteinen verknüpft. Weite, mit der Schichtung vollkommen konkordante
Einlagerungen namentlich von Diabasen beweisen die Gleichalterigkeit dieser Gesteine mit den silurischen
Bildungen im Harz, in
Böhmen, England, Norwegen und Schweden. In gleicher Weise treten anderwärts Diorite und Melaphyre (am Obern
See in Amerika),
[* 33] Felsitporphyre und Syenitporphyre (Böhmen, Norwegen) auf, während in Gangform, also von jüngerm Alter als
das durchsetzte Silurgestein, Granit, Syenit und Porphyr bekannt sind.
An technisch wichtigen Substanzen ist das Silur reich. In Lager- und Stockform kommen Eisenerze (Roteisenstein
in Böhmen und New York, Magneteisen in Thüringen, Spateisenstein in den Alpen, Brauneisen in Nordamerika), Zinkerz (Nordamerika)
und Bleiglanz (Nordamerika) vor. Häufig sind Alaunschieferschichten, und die oben erwähnten Anthracitflöze werden in Portugal,
Schottland und Irland abgebaut. Steinsalzlager sind in Kanada bekannt, und im Staat New York sowie in Indien
entspringen stark gesalzene Solen silurischen
Schichten. Von Gängen im Silur seien die Harzer, im Hercyn aufsetzenden Eisen-,
Kupfer- u. Silbererzgänge (St. Andreasberg), die Bleiglanzgänge am obern Mississippi und die mit Eruptivgesteinen eng verknüpften
Kupfervorkommnisse am Obern See in Nordamerika erwähnt (näheres bei Geologische Formation).
Vgl. Murchison, Silurian system (Lond., 2 Bde.) und die populäre Bearbeitung dieses Werkes unter dem Titel: »Siluria« (5. Aufl., das. 1872);
Sedgwick, Synopsis of the classification of the British palaeozoic rocks (mit McCoy, das. 1855);
Angelin, Palaeontologia suecica (Lund 1851-54);
Kjerulf, Die Geologie [* 34] des südlichen und mittlern Norwegen (deutsch von Gurlt, Bonn [* 35] 1880);
Murchison, Verneuil und Keyserling, Geology of Russia (Lond. 1845, 2 Bde.);
Barrande, Système silurien du centre de la Bohême (Prag 1852-81);
Derselbe, Défense des Colonies (das. u. Par. 1861-70);
Lipold, Über Barrandes Kolonien (Wien [* 36] 1863);
Kayser, Fauna der ältesten Devonablagerungen des Harzes (Berl. 1879);
Reusch, Die Fossilien führenden Schiefer von Bergen [* 37] in Norwegen (deutsch von Baldauf, Leipz. 1883).