Sigurd
(Sigurdhr
), der Hauptheld der nord.
Sage, Sohn Sigmunds mit Hjordis aus dem
Stamm der Wölsungen, dem deutschen
Siegfried (s. d.) entsprechend.
Sein
Charakter: gewaltig und in voller Jugendschöne strahlend, mit
Augen,
die so scharf sind, daß niemand hineinsehen kann,
ist er voraussichtig, redegewandt und auf das
Wohl seiner
Freunde bedacht,
hat niemals
Furcht gekannt. Früher
Tod, aber der höchste
Ruhm sind ihm vom
Schicksal beschieden.
Sein
Leben: Er wird an König
Hjalpreks, seines Stiefvaters,
Hofe von dem kunstfertigen
Zwerg Regin in allerhand
Künsten unterrichtet.
Derselbe erzählt ihm von dem verhängnisvollen Goldhort aus Otrs (s. d.) Buße, dessen sich sein Bruder Fafnir allein bemächtigt habe und ihm seinen Anteil vorenthalte, und reizt ihn, Fafnir, der auf der Gnitaheida den Schatz in Wurmgestalt (als Drache) [* 2] hütete, zu töten. S. will erst seinen Vater an den Söhnen Hundings, der ihn getötet, rächen. Er wählt sich aus Hjalpreks Gestüt den Hengst Grane, läßt sich von Regin aus den Stücken des Schwerts, welche ihm sein sterbender Vater dazu hinterlassen, das Schwert Gram schmieden und vollzieht nun die Vaterrache; darauf tötet er Fafnir, der ihm sterbend Unheil von Regin prophezeit.
Als S. Fafnirs Herz brät, verbrennt er sich bei Berührung desselben den Finger, und als er diesen in den Mund steckt und so Fafnirs Blut ihm auf die Zunge kommt, versteht er die Sprache [* 3] der Vögel, [* 4] die Fafnirs Verkündigung von Regins Tücke bestätigen. Da erschlägt S. auch diesen und kommt so in den Besitz des Goldhorts sowie des schrecklichen Ögishelms (der Tarnkappe der deutschen Sage entsprechend) und des verhängnisvollen Ringes Andwaranaut (s. d.). Weiter ziehend, sieht er ein großes Feuer und gelangt, dasselbe durchreitend, zu einer Schildburg, in welcher, von dem Flammenwall umgeben, Brunhilde, Budlis Tochter, König Atlis Schwester, im Zauberschlaf in voller Rüstung [* 5] schläft.
Sie war früher eine
Walküre, Sigurdrifa
mit
Namen, gewesen, hatte aber gegen
Odins
Willen einem
Helden
Sieg verliehen, so daß
Odin sie deshalb mit einem Schlafdorn verzaubert und über
sie den Spruch gethan hatte, sie solle nie wieder
Sieg erfechten im
Kampf, sondern sich vermählen. S. ritzt der
Brunhilde die
Brünne mit dem
Schwert; sie erwacht, u. beide verloben
sich mit heiligen
Eiden; S. gibt ihr den
Andwaranaut. Weiter reitend, gelangt
S. an König Giukis
Hof,
[* 6] wo er mit den Königssöhnen
Gunnar u. Högni sich durch
Eide verbündet und ihre
Mutter
Kriemhild dann S. durch einen Zaubertrank bethört,
daß er
Brunhilde vergißt und ihre Tochter
Gudrun heiratet.
Als nun Gunnar um Brunhilde freien will, unterstützt S. ihn dabei. Da Gunnar nicht durch die Waberlohe reiten kann, wechselt S. mit ihm die Gestalt, vollbringt es und gewinnt die Brunhilde, bei der er drei Tage weilt, aber des Nachts sein blankes Schwert zwischen sich und die Jungfrau legt, angeblich weil ihm so beschieden sei, die Verlobung zu feiern, sonst ereile ihn der Tod. Er nimmt ihr den Ring Andwaranaut dabei wieder ab, kehrt dann zu seinen Gesellen zurück, wechselt wieder die Gestalt, und Gunnar führt Brunhilde heim.
Als eines Tages Brunhilde und Gudrun baden, entsteht ein Wettstreit zwischen den Frauen, bei dem Gudrun die Brunhilde damit höhnt, daß S. sie überwunden und ihr zum Zeugnis den Andwaranaut zeigt. Als Brunhilde erfährt, daß sie getäuscht, kennt sie nur das Gefühl, Rache an S. zu nehmen, obgleich sie ihn stets geliebt hat und noch immer liebt. Sie gewinnt Gunnar und Högni, die aber selbst der geschwornen Eide wegen den Mord nicht vollführen wollen, sondern den jüngsten Bruder, der nicht mit geschworen, Guthorm, dazu aufstacheln.
Dieser ersticht
S. an
Gudruns Seite. Da nun ihre
Rache gestillt ist, ersticht sich
Brunhilde, nachdem sie
von Gunnar und den übrigen
Abschied genommen, auch noch einmal
Zeugnis für Sigurds
Treue abgelegt und schließlich verlangt
hat, daß ihr neben S. der
Scheiterhaufen errichtet werde, »sie will mit S. zusammenbleiben«.
Weiter erzählt dann die
Edda, wie
Gudrun von ihren
Brüdern
Buße nimmt und sich noch mit Atli vermählt,
der dann schließlich an ihren
Brüdern, den Giukunge, für
Brunhildes Unglück
Rache nimmt, indem er sie treulos einladet und
tötet (Gunnar stirbt im Schlangenturm). Die Völsunga- sowie die Ragnarlodbroksage und die Wilkinasage führen Einzelheiten
noch mehr aus, weichen aber auch in manchem ab. So läßt unter Aufgabe des so bedeutsam ethisch in der
Edda entwickelten Verhältnisses Sigurds
zur
Brunhilde die Ragnarlodbroksage sie eine Tochter
Aslaug (s. d.) gehabt haben von
ihrem ersten Zusammenkommen, welche dann für die Ahnmutter der norwegischen
Könige galt (vgl.
Swanhilde).
Die
Frage über das
Verhältnis der nordischen Sigurdsage
zur deutschen Siegfriedsage ist noch nicht vollständig
gelöst. Man ist gegenwärtig vielfach geneigt, die
Übertragung der
Sage selbst von
Deutschland
[* 7] nach dem
Norden
[* 8] anzunehmen.
Allerdings treten in den betreffenden nordischen Bearbeitungen derselben (den Edden, der Völsungasage etc.)
einzelne bestimmte äußerliche Beziehungen zu der Form der Siegfriedsage, wie sie sich am
Rhein lokalisiert
hat, auf, welche eine mit der Zeit sich mehrende Kenntnis derselben voraussetzen.
Aber abgesehen von dem ganzen eigenartigen Kolorit jener (unter anderm schon in betreff des sich darin entfaltenden geographischen Horizonts, der, entsprechend den sich immer weiter ausdehnenden Wikingerzügen des Nordens, fortschreitend den Charakter selbständiger Entwickelung für sich in Anspruch nimmt), legt der besondere mythische Hintergrund der nordischen Sage im einzelnen, zumal in einer eigentümlichen Verbindung mit der nordischen Mythologie, für die Ursprünglichkeit der Sage an sich auch bei den Nordgermanen ein beachtenswertes Zeugnis ab. Erwägt man ferner, daß auch die rheinische Version der Sage nur eine Form derselben in Deutschland ist, welche nur das Nibelungenlied (s. d.) in einen gewissen Vordergrund gestellt hat, und daß daneben noch andre bestanden und auch in der Litteratur gelegentlich hervortreten, wie auch dänische, ja färörische Lieder und Sagen denselben Stoff in variierender Weise behandeln, so dürfte alles dahin führen anzunehmen, daß der mythische Urkern der Sage ursprünglich gemeinsamer Besitz der Nord- wie Südgermanen gewesen, zumal Analogien auch bei andern arischen Völkern sich finden, wie z. B. der nordische S. in seiner Ausstattung sich ganz zu der ¶
mehr
entsprechenden des Perseus,
[* 10] in seiner teilweisen Unverletzlichkeit zum Achill stellt. Die mythischen Hauptelemente in der Sigurd-
,
resp. Siegfriedsage sind:
1) der verhängnisvolle, den Zwergen abgenommene Schatz nebst Helm (Tarnhut) und Schwert;
2) der Kampf mit dem Drachen und die wohl ursprünglich mit demselben zusammenhängende Befreiung einer Jungfrau (Sonnenfrau), welcher letztere Zug dann selbständige Gestaltung gewonnen hat und sich in dieser widerspiegelt in der Erlösung der in der Waberlohe (des Gewitterfeuers) sich befindenden Sonnenfrau Brunhilde (in Parallele [* 11] zu der entsprechenden Szenerie des Märchens vom Dornröschen);
3) der bald nach seinem Sieg eintretende Tod des Gewitterhelden selbst sowie endlich, daß er nicht für sich, sondern für einen andern, seinen Freund (Stallbruder, wie die Färöerlieder sagen), die Maid erlöst hatte, was auch in ähnlicher Weise in griechischen Sagen wiederkehrt. So gewinnt z. B. Theseus die Ariadne eigentlich für Dionysos, [* 12] Achill kämpft um Helena für Menelaos [* 13] (während daneben Achill und Helena, ähnlich wie S. und Brunhilde, auch als miteinander vermählt gelten), so tötet Herakles [* 14] den Drachen, gibt die Jungfrau aber, die er befreit, seinem Gefährten Telamon etc. Über die Litteratur vgl. Siegfried.