Siemens
,
Familienname eines norddeutschen Landwirts, von dessen zehn Söhnen mehrere sich um verschiedene Zweige der Wissenschaft, Technik und Industrie hoch verdient gemacht haben. Werner S., der älteste der Brüder, geb. zu Lenthe bei Hannover, [* 2] besuchte das Gymnasium zu Lübeck, [* 3] trat 1834 zu Magdeburg [* 4] als Freiwilliger in die preuß. Artillerie ein, besuchte die Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin [* 5] und kam 1838 als Artillerieoffizier nach Magdeburg. 1841 nahm er in Preußen [* 6] das erste Patent auf galvanische Versilberung und Vergoldung.
Gegen Ende 1842 und 1843 sandte er seinen Bruder Wilhelm S. (s. unten) nach England, besonders um dort das Vergoldungs- und Versilberungsverfahren einzuführen und den von Werner erfundenen, von beiden Brüdern weiter verbesserten chronometrischen oder Differentialregulator für Dampfmaschinen [* 7] und Wasserräder [* 8] patentieren zu lassen und zu verwerten, der noch jetzt unter anderm zum Regulieren astron. Instrumente benutzt wird. Werner, der nach Berlin versetzt und 1844 zur Artilleriewerkstätte kommandiert worden war, beteiligte sich daselbst eifrig an den Verhandlungen der Polytechnischen und der Physikalischen Gesellschaft. Im Frühjahr 1845 gelang es ihm zuerst, die von Schönbein erfundene Schießbaumwolle durch Anwendung einer Mischung ¶
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von Salpetersäure und Schwefelsäure [* 10] praktisch brauchbar zu machen, worauf er mit der Leitung ausgedehnter Versuche mit diesem Material durch das preuß. Kriegsministerium betraut wurde; 1846 bereicherte er die elektrische Telegraphie mit einem von allen frühern wesentlich abweichenden Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung. 1847 in die Kommission für Einführung elektrischer Telegraphen [* 11] in Preußen berufen, schlug er dieser auf Grund seiner 1846 angestellten Versuche die Guttapercha als Isolationsmittel für unterirdische Leitungen vor und konstruierte auch zum Überziehen der Drähte mit Guttapercha die erste Schraubenpresse. 1848 legte er im Kieler Hafen mit seinem Schwager, Professor Himly, die ersten unterirdischen Seeminen mit elektrischer Zündung an und baute als Kommandant von Friedrichsort die 1849 berühmt gewordenen Batterien zum Schutz des Eckernförder Hafens. Im Herbst und Winter 1848/49 baute er im Auftrage der preuß. Regierung die erste große Telegraphenlinie auf dem Kontinent zwischen Berlin und Frankfurt [* 12] a. M. Werner schied 1849 aus der Armee und nach Vollendung der Telegraphenlinien von Berlin nach Köln [* 13] und Berviers sowie nach Hamburg, [* 14] Breslau [* 15] und Oderberg aus dem Staatsdienst überhaupt, um sich der Telegraphenbauanstalt zu widmen, die er schon 1847 mit dem (1867 wieder aus dem Geschäft getretenen) Mechaniker J. G. Halske (s. d.) in Berlin gegründet hatte.
Diese bald viele Hunderte, jetzt mehrere Tausende von Arbeitern beschäftigende Firma (Siemens
& Halske)
erstreckt mit ihren Zweiggeschäften ihre Thätigkeit auf alle Weltteile. Das erste Zweiggeschäft ward, nachdem das Hauptgeschäft
schon 1853 den Bau und die zwölfjährige Unterhaltung des russ. Telegraphennetzes übernommen hatte, 1855 in
Petersburg
[* 16] gegründet und stand viele Jahre und auch jetzt wieder unter der Leitung des als Teilhaber
in die Gesamtfirma Siemens
& Halske aufgenommenen Bruders Karl S. (geb. der 1895 vom Kaiser von Rußland in den
erblichen Adelstand erhoben wurde.
Das 1858 mit Wilhelm S. unter der Firma Siemens
, Halske & Comp. begründete Zweiggeschäft in London
[* 17] ward später unter
der Firma Siemens'
Brothers von Wilhelm und Karl geleitet. Es entwickelte sich bald zu einem selbständigen
Weltgeschäft und hat allein sieben der Kabel zwischen Europa
[* 18] und Amerika
[* 19] aus seiner großen Kabelfabrik bei Woolwich geliefert
und gelegt. Es hat die Form einer Aktiengesellschaft mit nicht übertragbaren Aktien erhalten und steht unter der
Leitung von Alexander S. Das Zweiggeschäft in Tiflis (1863) wurde von dem preuß. Konsul, Walther S., geb. und
nach dessen Tode, von dem jüngsten, Dr. Otto S., geb. geleitet, welcher 1871 starb; es war an dem
von dem Hauptgeschäft geleiteten Bau der indo-europ. Telegraphenlinie, von London durch Norddeutschland
und Rußland nach Teheran, beteiligt und betreibt noch jetzt bedeutende Kupferbergwerke, früher auch Petroleumquellen im Kaukasus.
Ein Zweiggeschäft in Wien
[* 20] bestand seit 1858 einige Jahre und ward 1879 unter Leitung von Arnold S., des ältesten Sohnes von
Werner S., wieder eröffnet. Es wirkt in gleicher Weise wie das Hauptgeschäft in Berlin und die Zweiggeschäfte
in London und Petersburg namentlich für Einführung elektrischer Beleuchtung
[* 21] und elektrischer Bahnen in Österreich.
[* 22] Für diese
Zweige hat das Berliner
[* 23]
^[Seitenwechsel]
Hauptgeschäft eine besondere große Fabrik in Charlottenburg
[* 24] errichtet, in welcher auch die Kabel für unterirdische Leitungen,
für elektrische Beleuchtung und für Telephonanlagen hergestellt werden. Am übertrug Werner
S. die Leitung der Berliner Firma Siemens
H Halske seinen Söhnen Arnold und Wilhelm.
Werner S. entdeckte (1848) die sog. Flaschenladung isolierter Leitungen (Kabel) und die daraus entspringende Verzögerung
des durch sie gesandten Stroms, gab Methoden zur Untersuchung solcher Kabel und zur Auffindung von Fehlern
und Beschädigungen darin an; er stellte 1859 die genau definierte und leicht zu reproduzierende Siemenssche
Quecksilber-Widerstandseinbeit
auf und legte dadurch den ersten festen Grund zur Ausführung genauer und vergleichbarer elektrischer Messungen.
Werner gab die erste Kabellegungstheorie und legte auch das erste gelungene Tiefseekabel (Bona-Cagliari) mit Bremse und von ihm erfundenem Kraftmesser; 1856 erfand er den Cylinderinduktor (s. d.), und trat er mit dem epochemachenden Dynamoprincip (s. d.) hervor. Große Verdienste erwarb sich Werner um die Translation, die automatische Telegraphie, das Gegen- und Doppelsprechen u. s. f. Durch das von ihm verfaßte Gutachten der Berliner Handelskammer und den von ihm seiner Zeit begründeten und geleiteten Patentschutzverein legte er zu dem jetzigen deutschen Patentgesetz den Grund.
Auch hat Werner S. auf die hochwichtige Möglichkeit hingewiesen, daß man in kommenden Zeiten mit Hilfe der Elektricität Lebensmittel aus ihren überall vorhandenen Elementen herstellen werde. Nachdem er den Reichsbehörden eine Schenkung von 500000 M. als Beitrag zur Gründung einer «Physikalisch-Technischen Reichsanstalt» (s. d.) angeboten hatte, erfolgte die Einrichtung einer solchen. Er war Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Vicepräsident des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes, Mitbegründer und erster Präsident des Elektrotechnischen Vereins daselbst: 1860 wurde er Ehrendoktor der Berliner, 1886 der Heidelberger Universität, 1885 erhielt er den Orden [* 25] pour le mérite, und 1888 wurde er von Kaiser Friedrich in den Adelstand erhoben. Er starb Er schrieb: «Positive Vorschläge zu einem Patentgesetz» (Berl. 1869),
«Gesammelte Abhandlungen und Vorträge» (ebd. 1881),
«Wissenschaftliche und technische Arbeiten» (2. Aufl., edd. 1889-91),
«Lebenserinnerungen» (4. Aufl., ebd. 1895).
Wilhelm S., geb. zu Lenthe, studierte 1841-42 in Göttingen, [* 26] trat 1842 in die Gräflich Stolbergsche Maschinenfabrik, ließ sich dann, nachdem er im Interesse seines Bruders Werner S. nach London gegangen war, 1851 in London als selbständiger Civilingenieur nieder. Er wurde bereits 1862 in die Royal Society aufgenommen, war unter anderm Präsident der British Association 1882, der Institution of Mechanical Engineers 1872-73 und 1873-74, des Iron and Steel Institute 1877, der Society of Telegraph [* 27] Enegineers 1872 und 1878, Vorsitzender des Rats der Society of Arts zur Zeit seines Todes. Er war Ehrendoktor (1870) und wurde 1883 von der Königin von England als Sir William S. in den Ritterstand erhoben. Er starb Wilhelm war seit 1857 mit seinem Bruder Friedrich S. (s. unten) mit der von letzterm zuerst vorgeschlagenen Einführung der ¶
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Regeneration bei Feuerungsanlagen
[* 29] für Hüttenzwecke beschäftigt, die einen Umschwung in der Pyrotechnik veranlaßt hat (s.
Gasfeuerungen, Bd. 7, S. 572d). An der Vervollkommnung dieser
Regenerativgasöfen haben auch Hans S. (geb. 1818, gest. 1867) und Werner S. mitgearbeitet.
Friedrich S. hat bedeutende Erfolge damit vorzüglich in der Glasindustrie erzielt, Wilhelm aber
in der Stahl- und Eisengewinnung: letzterer legte 1867 ein eigenes Probestahlwerk in Birmingham,
[* 30] 1869 die Landore Siemens
Steel
Works an. Diese haben neuerdings die Bestimmung erhalten, Stahlrohren nach dem Mannesmannschen Walzverfahren herzustellen,
für das der Siemens
stahl besonders geeignet ist.
Wilhelm S. war Teilhaber der Firma Siemens
& Halske (s. oben) und leitete
deren Londoner Zweiggeschäft. Er schrieb: «Über Brennstoff. Über Gewinnung von Eisen
[* 31] und Stahl» (Berl. 1874),
«Die Eisen- und Stahlindustrie in England. Der Bathometer» (ebd. 1878),
«Einige wissenschaftlich-technische Fragen der Gegenwart» (ebd. 1879; Neue Folge, ebd. 1883),
«Über die Erhaltung der Sonnenenergie» (aus dem Englischen, ebd. 1885). Seine «Scientfic works» erschienen in 3 Bänden (Lond. 1889-95). -
Vgl. Obach, Sir William S. als Erfinder und Forscher (Lond. 1885);
Pole, Wilhelm S. (Berl. 1890).
Friedrich S., geb. zu Mentzendorf bei Lübeck, besuchte das Lübecker Gymnasium, fuhr dann 2 ½ Jahre lang als Schiffsjunge zur See und ging hierauf zu seiner weitern Ausbildung nach Berlin. Er machte als Freischärler den ersten Feldzug gegen Dänemark [* 32] mit, ward aber nach dem Abschluß des ersten Waffenstillstands 1818 nach England geschickt, um Werners Telegraphenapparate dort einzuführen. Er arbeitete in England mit Wilhelm S. zusammen, bemühte sich dann in der Maschinen- und Schiffbauanstalt, jetzt «Vulkan», bei Stettin [* 33] Wilhelms und auch seine eigenen Erfindungen im Fache der Motoren- und Maschinentechnik zur Ausführung zu bringen. Im Herbst 1856 konstruierte er den ersten Regenerativofen (erstes engl. Patent vom 1858 setzte er in seinen Regenerativofen an Stelle der direkten Feuerung die Gasfeuerung. [* 34] 1859 siedelte Friedrich wieder nach England über.
Nach dem Tode seines Bruders Hans (1867) übernahm Friedrich S. die von Hans begründete Glashütte in Dresden [* 35] und hat nicht nur diese zur bedeutendsten Glashütte Deutschlands [* 36] gefördert, sondern auch noch Glashütten in Dohlen bei Dresden und Neusattel bei Karlsbad in Böhmen [* 37] sowie die Dresdener Hartglasfabrik gegründet. Diese Glashütten beschäftigen über 4000 Personen. 1888 wurden sie in eine «Aktiengesellschaft für Glasindustrie» mit einem Kapital von 9 Mill. M. umgewandelt.
Durch das von ihm erfundene «Heizverfahren mit freier Flammenentfaltung» erzielt er eine weit vollkommenere Verbrennung, steigert
unter Erhöhung der Ofentemperatur die Leistung und sichert trotz dieser gesteigerten Leistungen eine
erheblich längere Dauer der Ofen. Dieses Heizverfahren ist auch bei dem Siemens
-Martinofen angewendet worden. Friedrich S.
gründete ferner Fabriken in Dresden, Wien, Berlin und London zur Herstellung von Gasbeleuchtungs- und Heizapparaten eigener
patentierter Erfindung, ferner technische Bureaus in Dresden und London mit Zweiggeschäften in Wien, Paris
[* 38] zur Verwertung
seiner zahlreichen technischen Erfindungen, von denen noch die Glasschmelzwannen, das kontinuierliche Glasschmelz- und Arbeitsverfahren,
die Herstellung
^[Spaltenwchsel]
von
Preßhartglas und Glashartguß sowie Friedrichs Regenerativlampen (s. Gasbeleuchtung, Bd.
7, S. 576d), die Regenerativgaskamine und -Öfen zu nennen sind. Als neue Spezialitäten stellt die Firma noch her: Petroleumgasöfen,
Universalgaskochherde, Wasserwärmapparate, Spiritusglühlampen. Durch die Übernahme der Geschäfte,
in welchen Friedrich mit Wilhelm S. verbunden war, hat sich sein Wirkungskreis wieder nach England, und in den Landore Siemens
Steel Works namentlich wieder auf die Eisen- und Stahlindustrie ausgedehnt. Er schrieb: «Bericht über die Smoke Abatement Exibition»
(Berl. 1882),
«Heizverfahren mit freier Flammenentfaltung» (ebd. 1885),
«Über den Verbrennungsprozeß» (2. Aufl., ebd. 1887). «über die Vorteile der Anwendung hocherhitzter Luft u. s. f.» (2. Aufl., ebd. 1887).