Sieden
(Kochen), die unter Aufwallen vor sich gehende
Verdampfung einer
Flüssigkeit, wobei sich nicht nur an der Oberfläche,
sondern auch im Innern der
Flüssigkeit
Dampf
[* 2] bildet. Im Innern einer
Flüssigkeit aber können Dampfblasen
nur dann bestehen, wenn die
Spannkraft des in ihnen enthaltenen
Dampfes dem auf der
Flüssigkeit lastenden
Druck das
Gleichgewicht
[* 3] zu halten vermag. Eine
Flüssigkeit wird also dann sieden
, wenn sie diejenige
Temperatur erreicht hat, bei welcher die
Spannkraft
ihres gesättigten
Dampfes dem äußern
Druck gleich ist.
Diese Temperatur, der Siedepunkt, ist demnach von dem äußern Druck abhängig und liegt um so tiefer, je geringer dieser Druck ist. Der normale Siedepunkt des Wassers, welchen man als festen Punkt der Thermometerskala gewählt und mit 100° bezeichnet hat, ist diejenige Temperatur, bei welcher der gesättigte Wasserdampf eine dem normalen Luftdruck gleiche Spannkraft besitzt und demnach einer Quecksilbersäule von 760 mm Höhe (Normalbarometerstand an der Meeresoberfläche) das Gleichgewicht hält.
Auf hohen Bergen [* 4] oder Hochebenen, wo der Luftdruck geringer ist als am Meeresspiegel, erfolgt das S. bei weniger als 100°. Auf dem Gipfel des Montblanc z. B., in einer Höhe von 4775 m ü. M., wo der Barometerstand nur noch 417 mm beträgt, siedet das Wasser schon bei 84°, d. h. bei derjenigen Temperatur, bei welcher die Spannkraft des Wasserdampfes ebenfalls 417 mm beträgt. Wenn man daher an einem hoch gelegenen Orte den Siedepunkt des in einem offenen Gefäß [* 5] kochenden Wassers bestimmt und die zugehörige Spannkraft aus einer Spannkraftstabelle entnimmt, so weiß man hiermit auch den dort herrschenden Barometerstand und kann die Höhe des Beobachtungsorts über der Meeresoberfläche berechnen.
Ein zu diesem Zweck geeignetes Thermometer, [* 6] dessen in sehr kleine Unterabteilungen geteilte Skala nur wenige Grade unterhalb des normalen Siedepunktes umfaßt, heißt Hypsothermometer. Unter der Glocke der Luftpumpe [* 7] kann man das Wasser bei jeder beliebigen niedrigen Temperatur zum S. bringen. Wird in einem etwa zur Hälfte gefüllten Glaskolben Wasser zum S. gebracht, bis alle Luft durch die entweichenden Dämpfe ausgetrieben ist, sodann die Mündung durch einen luftdicht schließenden Kork [* 8] verschlossen und der Kolben mit dem Hals nach unten aufgestellt, so befindet sich über dem Wasser, welches nun unter den normalen Siedepunkt erkaltet, nur noch Wasserdampf, welcher einen seiner Temperatur entsprechenden Druck auf die Flüssigkeit ausübt.
Gießt man nun kaltes
Wasser auf den Glaskolben, so beginnt das
Wasser im Innern wieder lebhaft zu sieden
,
weil der auf der
Flüssigkeit lastende
Druck
des
Dampfes durch die Abkühlung plötzlich vermindert wird.
Hat man aus einer an
beiden
Enden kugelförmig erweiterten und zum Teil mit
Weingeist gefüllten Glasröhre durch
Kochen alle
Luft vertrieben und
dieselbe alsdann durch Zuschmelzen geschlossen, so daß nach dem Erkalten die eingeschlossene
Flüssigkeit
nur noch dem bei gewöhnlicher
Temperatur geringen
Druck ihres
Dampfes ausgesetzt ist, so reicht die
Wärme
[* 9] der
Hand
[* 10] hin, die
Flüssigkeit zum S. zu bringen
(Pulshammer).
Eine mit Wasser gefüllte und auf diese Weise luftleer gemachte Röhre nennt man Wasserhammer (Kryophor), [* 11] weil beim Schütteln das Wasser, von Luft nicht mehr gehindert, mit lautem Schall [* 12] gegen die Glaswand schlägt. In einem offenen Gefäß kann man eine Flüssigkeit nicht (oder nur wenig) über den Siedepunkt erhitzen, welcher dem jeweils herrschenden Luftdruck entspricht, weil, sobald das S. begonnen hat, alle zugeführte Wärme zur Überführung der Flüssigkeit in den gasförmigen Zustand verbraucht wird. In einem geschlossenen Gefäß dagegen steigert sich bei fortgesetztem Erhitzen, da der Dampf nicht entweichen kann, die auf die Flüssigkeit pressende Dampfspannung immer mehr und mit ihr der Siedepunkt; unter einem Druck von 2 Atmosphären z. B. siedet das Wasser erst bei 121°, unter 3 Atmosphären bei 134° u. s. f. Hierauf beruht der Dampfkochtopf (s. Digestor). Siedepunkte einiger Flüssigkeiten beim normalen Druck von 760 mm:
Stickstoffoxydul | -88° C. |
Kohlensäure | -75 " |
Ammoniak | -38 " |
Chlor | -34 " |
Cyan | -20 " |
Schweflige Säure | -10 " |
Äther | 33 " |
Schwefelkohlenstoff | 46 " |
Chloroform | 61° C. |
Alkohol | 78 " |
Benzol | 81 " |
Wasser | 100 " |
Terpentinöl | 159 " |
Quecksilber | 350 " |
Schwefel | 447 " |
Zink | 1040 " |
Das S. einer
Flüssigkeit beginnt übrigens nicht immer bei der
Temperatur ihres
Siedepunktes, sondern häufig wird, besonders
in glattwandigen
Gefäßen, eine
Verzögerung des Siedens
, ein
Siedeverzug, beobachtet; die
Temperatur steigt dann allmählich
ein wenig über den
Siedepunkt, und das S. tritt dann stoßweise oder sogar explosionsartig ein, indem
die
Temperatur wieder auf den normalen
Siedepunkt herabsinkt, um nachher wiederum anzusteigen. Durch den
Siedeverzug (Überhitzung)
und die darauf folgende stürmische Dampfentwickelung hat man
Dampfkesselexplosionen zu erklären versucht. Der
Siedeverzug
wird verhindert, wenn man eckige, rauhe und insbesondere poröse
Körper, z. B. Platindrähte,
Sand, Kohlenstückchen,
Holzspäne, in die
Flüssigkeit bringt, welche, indem sie die ihnen adhärierende
Luft abgeben, die
Dampfbildung einleiten.
Noch wirksamer kann der
Siedeverzug durch Einleiten eines Luftstroms verhindert werden.