französisch Sierre.
Bezirk und ehemaliger Zehnten des Kantons Wallis.
Liegt zu beiden Seiten der Rhone und grenzt
im N. an den Kanton Bern
(Ober Simmenthal), im W. an die Bezirke Hérens und Sitten, im S. an den Bezirk Visp
(Zmuttthal) und im O. an die Bezirke
Visp und Leuk.
41860 ha Fläche. 28 Ew. auf einen km2. Die grösste Länge vom Mittaghorn (2687 m) über dem
Rawilpass bis zur Pointe de Zinal (3806 m) misst 42,7 km, die mittlere Breite 13,5 km. Von der Rhone wird der Bezirk in der
Richtung ONO.-WSW. durchzogen.
Ausser diesem Fluss entwässern ihn noch die Navizance, deren Sammelgebiet ihm ganz angehört, sowie der Wildbach von
Réchy. Beide münden von links in die Rhone. Im N. sind die beiden einzig nennenswerten Bachläufe die Raspille, die den Bezirk
auf eine kurze Strecke vom Bezirk
Leuk
trennt, und die Liène, deren tiefe Schlucht ihn im W. von den Bezirken Hérens und Sitten
scheidet.
Von entweder ihrer Höhe oder ihrer Lage wegen bemerkenswerten Gipfeln seien erwähnt: die Dent Blanche
(4364 m), das Ober Gabelhorn (4073 m) und Weisshorn (4512 m), die Diablons (3605 m), der Besso (3675 m), die Bella Tola (3001
m), das Illhorn (2724 m), der Grand Cornier (3969 m), der Bouquetin (3484 m) und die Becs de Bosson (3154
m), welche sämtlich das Eifischthal umrahmen.
Der Mont Nuoble (2673 m) und Mont Gautier (2706 m) stehen zwischen dem Val de Réchy und dem Eringerthal (Vallée d'Hérens).
Nordwärts sind in der Kette der Berner Alpen die bedeutendsten Gipfel der Mont Bonvin (3000 m), der Sex Mort (oder
Tothorn; 2942 m), das Weisshorn (3010 m) und der Rohrbachstein (2953 m). Der Bezirk Siders umfasst 21 Gemeinden, und zwar:
in der Ebene Siders (Bezirkshauptort), Chalais, Chippis, Granges, Grône und Saint Léonard;
im Eifischthal Ayer, Chandolin, Grimentz,
Saint Jean, Saint Lue und Vissoye;
auf den Hängen und Terrassen n. über der Rhone die umfangreiche Gemeinde
Lens, die 1904 in die vier Gemeinden Lens, Icogne, Chermignon und Montana aufgelöst wurde;
ö. davon an den fruchtbaren und sanft
geneigten Hängen über Siders, d. h. in der ihrer gesegneten Lage wegen «la Nobla contrâ» (la Noble Contrée = die stolze
Gegend) genannten Landschaft die Gemeinden Miège, Mollens, Randogne, Venthône und Veyras. 15 Pfarreien:
Siders, Granges, Grône, Grimentz (Rektorat), Chippis, Venthône, Saint Lue, Montana und Chandolin decken sich mit den politischen
Gemeinden gleichen Namens;
Vissoye umfasst die politischen Gemeinden Ayer, Saint Jean und Vissoye;
Chalais (in der Ebene) und Vercorin
(auf einer Bergterrasse) auf Gebiet der politischen Gemeinde Chalais;
Saint Maurice de Laques mit den Gemeinden
Randogne und Mollens;
Lens mit den Gemeinden Lens, Icogne und Chermignon Miège mit den Gemeinden Miège und Veyras. 2454 Haushaltungen
in 1664 Häusern. 11567 Ew., wovon 10456 französischer, 960 deutscher, 129 italienischer und 22 anderer Sprache;
11450 Katholiken, 113 Reformierte, 1 Israelite
und 3 andere. 1888 zählte der Bezirk 10138 Ew. Die Zunahme lässt sich hauptsächlich auf Rechnung der in Siders sich aufhaltenden
Fremden setzen, welcher Flecken als geschätzte Winterstation sich zu entwickeln beginnt.
Seit 1892 besteht in Siders eine
eidgenössische meteorologische Station. Seitdem die Gasthöfe im Rhonethal mehr und mehr von Wintergästen
besucht zu werden begannen, liessen einige um die Entwicklung der Gegend besorgte Männer um die nämliche Zeit das Hotel
in Crans über Montana erbauen. Seither folgten dann auf Boden der Gemeinde Randogne noch verschiedene andere am untern oder
obern Rand der Waldzone befindliche klimatische Kurorte (Genfer Volkssanatorium, Vermala, Sanatorium Beauregard).
Dem milden und bevorzugten Klima entspricht das Pflanzenkleid. Die Ortschaften in der Ebene sind von reichen Baumgärten umgeben,
die zahlreiche Obstsorten in Fülle erzeugen. Mehr als irgendwo anders im mittleren Wallis
weichen die beiden Rhoneufer voneinander
ab: das gegen N. schauende und von den hohen Ausläufern der Penninischen Alpen beherrschte linke Ufer
zeigt namentlich Wiesen, Felder und Wald, während das
mehr
rechte Ufer einem Spalier gleich nach S. exponiert erscheint und sich von den mit Burgruinen, Kapellen, Rebhäuschen und Weinbergen
gekrönten Vorhöhen bis zu den Felsen hinaufzieht, die den weitgedehnten Glacier de la Plaine Morte tragen. Ueber Siders und
Granges liegen in grünen Bergnischen die zahlreichen, nicht ständig bewohnten Gruppen von Rebhäuschen
der Bewohner von Lens und des Eifischthales. Die diesen letztern gehörenden Gruppen zeichnen sich durch ihre Glockentürme
aus, deren Spitzen über die Apfel- und Nussbäume, Kastanienbäume und Weinlauben hinausschauen.
Höher oben folgen ständig bewohnte Siedelungen, wie die Dörfer Veyras, Venthône, Miège, Anchette, Mollens, Randogne, Chermignon,
Lens und Montana. Noch höher erreichen wir von 1400 m an den Waldgürtel. Die Bezirke Siders und Sitten
liefern die verschiedenen Erzeugnisse der Landwirtschaft in reichster Fülle. 1894 umfassten die Weinberge des Bezirkes eine
Fläche von 570 ha und betrug die Jahresernte 30374 hl Wein. An diesen Zahlen beteiligte sich das linke Rhoneufer
nur mit einem geringen Anteil, der hauptsächlich auf die Gemeinde Granges entfiel. Seither hat die Weinrebe auch auf Boden
der Gemeinde Chalais an der Ausmündung des Val de Réchy Boden gefasst. Die Viehstatistik ergibt folgende Resultate:
1886
1896
1901
Rindvieh
6890
6166
6906
Pferde
84
101
146
Schweine
1245
2028
1503
Maultiere
-
-
336
Schafe
7150
6243
5683
Ziegen
1605
2261
1725
Bienenstöcke
382
619
675.
Uebrige
Naturprodukte des Bezirkes Siders sind: die zu wiederholten Malen abgebauten Nickel-, Kupfer- und Kobalterze des
Eifischthales (Val d'Anniviers), die um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Glarey bei Siders verhüttet und
deren bergmännische Gewinnung erst 1903 vollständig aufgegeben wurde, sowie die im 16. Jahrhundert auf Boden der Gemeinde
Grône betriebenen Silberminen. Fremdenverkehr und Hotelwesen entwickeln sich rasch und mit grossem Erfolg. Kurorte und
Fremdenstationen sind nördlich der Rhone Siders, die Gegend um und über Montana (Crans, Taulettes etc.), sowie Lens, südl.
der Rhone das Eifischthal mit Vissoye, Saint Luc, Chandolin und Zinal. Im übrigen kann nur von lokalen Industrien gesprochen werden.
Ein an der Ausmündung der Navizance errichtetes Elektrizitätswerk versorgt Siders und Umgebung mit Licht, während ein
ähnliches Werk in Bälde auch im Eifischthal selbst erstellt werden soll. In Chippis haben die Bauarbeiten
für eine Aluminiumfabrik begonnen, die von der Navizance und der Rhone getrieben werden soll. Sie wird von der Aluminiumgesellschaft
in Neuhausen mit einem Kapital von 15 bis 20 Mill. Fr. betrieben werden, etwa 1000 Arbeiter beschäftigen und über eine
Triebkraft von 50000 PS verfügen. Taubstummenanstalt Géronde. Den Bezirk durchzieht die Simplonbahn,
die hier die drei Stationen Saint Léonard, Granges und Siders hat. Ausser der dem Rhonethal folgenden Strasse sind folgende
Verkehrswege zu nennen: die von der Station Granges zur Terrasse von
mehr
Lens hinaufführende Fahrstrasse, die bis zum Rawil verlängert werden soll, die ebenfalls bis zum Rawil hinauf geplante
neue Fahrstrasse Siders-Crans mit Abzweigungen in die Gemeinden Veyras, Venthône, Miège, Mollens und Randogne, die Strassen Siders-Corin
und Siders-Miège und endlich die Strasse des Eifischthales. Nebenstrassen verbinden die Ortschaften in der Ebene
unter sich und reichen einerseits bis Brämis (Bramois) im Bezirk Sitten und andrerseits bis Salquenen im Bezirk Leuk. Das heutige
Gebiet des Bezirkes Siders umfasst einige ehemalige Herrschaften, von denen Siders und Anniviers den Bischöfen von Sitten und
Granges (das bis zu den Hochterrassen von Lens hinaufreichte) zuerst dem Geschlecht der Tavelli und dann
der Bürgerschaft Sitten gehörten. Infolge des Raronkrieges von 1417 und namentlich seit dem Fall der savoyischen Oberherrschaft
im Wallis
(1475) sind dann diese Sonderrechte rasch verschwunden.
französisch Sierre
(Kt. Wallis,
Bez. Siders). 550 m. Gem. und Flecken, Hauptort des Bezirkes; mitten im Rhonethal und
am rechten Ufer des Flusses, 16 km nö. Sitten und 37 km w. Brig. Station der Simplonbahn. Postbureau, Telegraph, Telephon.
Gemeinde, mit Borsuat, Cûchon, Glarey, Muraz und Villa: 275 Häuser, 1833 Ew.; Flecken: 63 Häuser, 569 Ew. Die Zahl der Bewohner
wächst zu gewissen Zeiten des Jahres, besonders im Februar und März, sowie im Herbst durch die aus
dem Eifischthal kommenden Anniviarden, die hier Weinberge und Baumgärten besitzen und sich in den umliegenden Weilern, besonders
in Glarey, Muraz und Villa, periodisch niederlassen. 1816: 810 Ew.;
1850: 875 Ew.;
1870: 1302 Ew.;
1888: 1786 Ew. Heute ist
Siders eine Ortschaft französischer Zunge (904 französisch und 845 deutsch sprechende Ew.), während
es vor etwa zwanzig Jahren noch überwiegend deutsch war.
Dieser rasche Umschwung erklärt sich aus den mannigfachen Beziehungen
zur französischen Schweiz und dem Ankauf zahlreicher Grundstücke und Wohnhäuser durch die Anniviarden. 1766 Katholiken
der Pfarrei Siders und 66 Reformierte, die sich vor Kurzem eine eigene Kirche erbaut haben. Die katholische
Pfarrkirche gilt als eine der schönsten des Kantons; in ihrem Glockenturm wird eine dem Merkur gewidmete römische Inschrift
aufbewahrt. An der Hauptstrasse steht die aus dem 15. Jahrhundert stammende Burg der Vitztume von Siders, welches Amt namentlich
in Händen des Geschlechtes de Chevron lag.
Trotzdem ihre der Strasse zugekehrte Front modernisiert worden ist, weist sie doch mit ihren aufgemauerten Ecktürmen und
zinnenartigen Ausbauten einen altertümlichen und malerischen Charakter auf. Von Interesse erscheinen daneben noch einige
weitere Privathäuser, wie die der Geschlechter de Courten, de Preux und de Chastonay. Das «la Cour» genannte,
um 1670' erbaute schlossähnliche Haus ist zu einem Gasthof umgewandelt worden. Weinbaugesellschaft, landwirtschaftlicher
Verein, Turn- und Musikverein etc. Mehrere Gasthöfe.
Der im Mittelpunkt nicht nur des ganzen Rhonethales, sondern auch eines der reichsten Abschnitte desselben gelegene und vor
den kalten Winden geschützte Flecken erfreut sich eines milden Klimas,
das nicht wenig zu seinem Aufblühen
mit beigetragen hat. Bemerkenswert ist, dass seine Höhenlage von 550 m der mittleren Höhe des schweizerischen Mittellandes
und seine geographische Breite (46° 18') derjenigen des zentralen Frankreich entsprechen. In seiner Monographie La Climatologiede Sierre zieht Dr. C. Reymond folgende Vergleiche: Mit Bezug auf die Höhenlage der schweizerischen
klimatischen Kurorte, unter denen Locarno mit 205 m den ersten Bang einnimmt, steht Siders an der 10., mit Bezug auf die mittlere
Temperatur dagegen schon an der 3. Stelle. Es weist zusammen mit Clarens das Minimum der relativen Luftfeuchtigkeit auf.
Ferner zeigt Siders die geringste Regenmenge (254 mm), die kleinste Anzahl von Regentagen (33 vom 1. Oktober bis 31. März) und
nach Locarno und Lugano die wenigsten Tage mit Schneefall. Auch mit Bezug auf die Nebel- und Bewölkungsverhältnisse nimmt
der Ort einen sehr günstigen Rang ein. Diese bevorzugten klimatischen Verhältnisse erklären sich aus der allgemeinen geographischen
Lage. Zwar ist die Sohle des Rhonethales hier nicht so breit wie bei Sitten, Martinach und Monthey, bietet
aber doch dem über Leuk vom Ober Wallis
herkommenden Reisenden mit ihren zahlreichen Hügeln, die alle von holzgezimmerten Rebhäuschen,
Burg- und Klosterruinen, Kapellen und Villen gekrönt erscheinen, ein überraschend abwechslungsreiches Bild. Dann erschliesst
sich dem Blick der in einer Ausbuchtung des Gehänges gelegene, an einen Höhenzug sich anlehnende und von weitern Anhöhen
umrahmte Flecken selbst. Am bekanntesten ist der über der Rhone gegenüber Chippis gelagerte Rücken mit dem ehemaligen Kloster
Géronde (Gerunden), an dessen Fuss sich ein kleiner See von 1 km Umfang ausdehnt. N. und nö. vom Flecken
steigt das Thalgehänge sanft und allmählig bis hinauf zum Glacier de la Plaine Morte und den Felstürmen des Mont Bonvin,
des Tubang, der Lyrettaz und der Zabona an. Auf frischgrünen Terrassen stehen bis über 1200 m Höhe hinauf zahlreiche Dörfer
und Weiler mit spitzigen Glockentürmen.
Anders ist der Landschaftscharakter auf der s. Thalseite. Hier strebt links der mit steilen Waldungen bekleidete Corbetschgrat
auf, während sich rechts über den Wäldern von Chippis und Chalais die Hochterrasse von Vercorin ausdehnt. Zwischen diesen
beiden dunkeln Hängen öffnet sich das Eifischthal (oder Val d'Anniviers) mit der tiefen Schlucht der von
der Gruppe der Dent Blanche herabkommenden Navizance. Südl. vom Flecken liegt der Höhenrücken von Géronde mit zahlreichen
Ruinen, deren besterhaltene umgebaut und zu einer Taubstummenanstalt eingerichtet worden ist.
Westl. davon steht auf einem andern Hügel die Ruine der im sog. Raronkrieg 1417 zerstörten Bischofsburg Alt Siders, um welche
sich der ursprüngliche Flecken gruppiert haben soll. Diese seit 1299 genannte Burg wurde durch den Weinberg von Le Lousselet
von einem andern Schloss geschieden, das vermutlich Sitz der bischöflichen Meyer war und zur selben Zeit der Zerstörung
anheimfiel. 1489 erbaute man an der nämlichen Stelle, etwas näher gegen Géronde hin, eine neue Burg,
die aber schon ein Jahrhundert später, d. h. zur Zeit, da der Zürcher Josias
mehr
Simler seine Vallesiae descriptio schrieb, in Trümmern lag. Oestl. vom Flecken ragt auf einem Hügel nahe Glarey der hohe viereckige
Turm Goubing (s. diesen Art.) auf. Der 1 km w. vom Bahnhof gelegene Weiler Villa weist ein altes Stammhaus des Geschlechtes de
Platea auf, das um die Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut worden sein muss und aus einem düstern, heute
verwahrlosten Turm mit kegelförmigem Dach besteht. Ausser der bereits genannten Inschrift sind in Siders und Umgebung, namentlich
in Muraz, verschiedene archäologische Funde gemacht worden.
Zahlreiche Gräber beweisen, dass an diesem bevorzugten Punkt des Rhonethales schon zur Römerzeit eine nicht
unbedeutende Siedelung gestanden hat. Nach dem Geschichtsforscher Gremaud scheint Siders zum ursprünglichen Besitz der Abtei
Saint Maurice gehört zu haben, doch erscheint der Ort nicht im Verzeichnis derjenigen Güter, die 1017 von Rudolf III. der
Abtei zurückgegeben worden sind. Wahrscheinlich ist dagegen, dass Siders zum grössern Teil der Kirche von
Sitten gehört hat, indem es Sitz eines bischöflichen Vitztums und seit 1179 auch eines bischöflichen Meyers war. Um
die Mitte des 13. Jahrhunderts stand Siders zusammen mit Sitten, Visp, St. Niklaus, Naters und der Landschaft Goms unter dem Vitztum
von Sitten.
Diese bischöflichen Herrschaften entwickelten sich in der Folge meist zu Pfarreien, dann zu den ursprünglichen
Gemeinden und endlich zu den alten Zehnten. In der Gegend von Siders bildete die Herrschaft Granges, die das Gebiet von Lens
und des Eifischthales umfasste, so lange ein Gegengewicht zum Einfluss des Fleckens Siders, bis sie im Zehnten Siders aufging.
Bei dieser Gelegenheit taucht der Ausdruck «dizain»
oder «dixain» (Zehnten) in einer zu Sitten aufgesetzten Urkunde vom Jahr 1352 zum erstenmal auf.
Während der letzten Zeiten des Mittelalters blieben so die Geschicke von Siders stets mit denjenigen des bischöflichen
Wallis
und den Kämpfen der Zehnten um ihre Unabhängigkeit verknüpft. Anlässlich der zeitweiligen Spaltung zwischen den
der neuen Verfassung beigetretenen Unter Wallisern und den am Bundesvertrag von 1815 festhaltenden Ober Wallisern war Siders 1839 und 1840 Sitz
der Ober Walliser Regierung, während diejenige des Unter Wallis
in Sitten sass.
Dieser Zustand nahm dann im April 1840 anlässlich des Sieges der Unter Walliser bei Saint Léonard sein
Ende. Siders ist die Wiege der Geschlechter de Courten, das zahlreiche Offiziere in die fremden Dienste gestellt hat, de Preux,
dem zwei Bischöfe von Sitten und zahlreiche Staatsbeamte angehörten, de Chastonay und de Lovina, von welch
letzterm der Abt
Ignaz Erzieher des Kaisers Karl VI. von Oesterreich war und nachher Bischof von Neustadt wurde. Im 6. Jahrhundert:
Sidrium (curtis);
im 11. Jahrhundert: oppidum Sidrio;
seit 1179: Sirro oder Syrro;
1260: Sierres. Auf dem Hügel von Géronde
hat man Gegenstände aus allen vergangenen Epochen aufgefunden: Steinbeil, Bronzeschwert, Gräber aus der Eisenzeit, Reste
einer Römersiedelung etc. Funde von interessanten Statuetten gallischer Gottheiten, die jetzt im Genfer
Museum aufbewahrt werden.
Gegenstände aus der Bronze- und Eisenzeit in Glarey, Gräber aus der Eisenzeit in Muraz und Siders
selbst, wo man auch das Grab einer Frau aus der La Tène Zeit aufgedeckt hat. Römische Münzen bei Prafalcon und an verschiedenen
andern Stellen; ein Römergrab in der Nähe von Chiat.
[L. Courthion.]
Der prähistorische Bergsturz von Siders.
Die Gegend von Siders mit ihren auf dem Boden des Rhonethales zerstreuten oder an die Thalgehänge sich anlehnenden zahlreichen
kleinen Hügeln verdankt dieses charakteristische landschaftliche Bild einem riesigen Bergsturz, der in prähistorischer Zeit
niedergebrochen ist und die Thalsohle mit seinen Trümmern übersät hat. Ursprünglich müssen alle
diese Hügel in einem einzigen grossen Trümmerhaufen gelegen haben, der die Thalsohle ausfüllte und überdeckte.
Noch heute erheben sich einzelne der Hügel bis zu 70 und 100 m über den Spiegel der Rhone, so z. B. zwischen Pfin (Finges)
und Chippis, wo der Trümmerstrom sich am höchsten aufgestaut haben muss. Es erscheint sogar als wahrscheinlich,
dass die Rhone aufgedämmt und dadurch das dahinter gelegene Thalstück an der Stelle, wo heute der vom Illbach angeschwemmte
weite Schuttkegel des Pfinwaldes (Bois de Finges) liegt, zu einem See umgewandelt worden ist. Nachdem sich
dann die mit starkem Gefälle fliessende Rhone der Reihe nach verschiedene Breschen in den Trümmerwall gegraben, entleerte
sich dieser See.
Die jetzigen kleinen Seebecken von Siders und Géronde sind die letzten Ueberreste von zweien der ehemaligen Rhonearme und
werden durch Quellen gespiesen, die an ihrem Boden aus dem Grundwasser entspringen. Auch im Pfinwald finden
sich zwischen den Bergsturzmassen noch zahlreiche kleine Seebecken versteckt. Die bedeutendsten modernen Umwandlungen der
Landschaft müssen weniger der Erosion als vielmehr der auffüllenden Arbeit der Rhone zugeschrieben werden, die ihr Bett und
Ufergelände erhöht und darnach strebt, die Bergsturzhügel allmählig unter ihren eigenen Aufschüttungen zu begraben.
Daraus folgt u. a., dass die
mehr
Seen von Géronde und Siders heute tiefer liegen als der Wasserspiegel der Rhone. Die Abrissnische des prähistorischen Bergsturzes
von Siders muss an dem von der Alpe de Varone bis zum Fuss des Mont Bonvin reichenden Gehängeabschnitt gesucht werden, der
sich durch die Beschaffenheit der ihn umrahmenden Felsen, sowie durch seinen geneigten und aus gegen das
Rhonethal hin einfallenden Schichten bestehenden Boden als Ausgangpsunkt des Sturzes kennzeichnet, worauf endlich auch
die petrographische Natur der den Trümmerstrom bildenden Gesteinsarten hinweist. Es hält schwierig, das Volumen der durch
den Sturz abgerissenen und zu Thal geschleuderten Felsmassen aus dem heutigen Zustande des Ablagerungsgebietes
oder aus dem Umfang der Abrissnische zu bestimmen.
Man darf sogar als wahrscheinlich annehmen, dass es sich in diesem Falle nicht um einen einzigen grossen Bergsturz, sondern
eher um eine Reihe von verschiedenen einzelnen, grössern oder kleinern Abbrüchen handelt. Dieser Schluss scheint sich aus
der verschiedenen Höhe und den Unterschieden im innern und äussern Bau der Bergsturzhügel in der Thalsohle,
sowie ferner auch aus der Gestalt der Abrissnische, die zwei Stufen aufzeigt, zu rechtfertigen. In der Tat kann man deutlich
eine untere und eine obere Nische unterscheiden.
Jene befindet sich zwischen den Felsen von Emenona und dem die Alpe de Varone tragenden Felsgerüst und
trägt nahezu in ihrer Mitte das Dorf Cordona. Das Volumen der Felsmassen, die von dem durch diese Felsen gebildeten Hufeisen
sich abgerissen haben, kann zusammen mit der Felsplatte, die oberhalb Varone verschwunden sein muss, auf nahezu 3 Milliarden
m3 geschätzt werden. Die zweite Stufe wird durch die Nische zwischen den Felsen von Prily und Le Plan
unter der Varneralp gebildet.
Dazu scheint ferner noch eine höher gelegene Gegend, nämlich die Zone zwischen Nousey und dem Zayettazhorn, ebenfalls Material
zu dem weiten Trümmerfeld von Siders geliefert zu haben. Die Grenzen dieser obersten Nische sind aber schwierig zu
bestimmen. Hat sie sich wirklich an einem der sukzessiven Abbrüche mitbeteiligt, so muss dies vor dem aus der untern Nische
gekommenen Absturz der Fall gewesen sein, weshalb auch ihre Mitwirkung bei dem heutigen Zustand des Ablagerungsgebietes sich
nicht mehr mit Sicherheit bestimmen lässt.
Diese oberste Nische hat viel eher das Aussehen eines durch Gletschereis ausgearbeiteten Kares, wie ein
solches die benachbarte Nische oder Combe von Colombire unzweifelhaft darstellt. Die Moränenablagerungen und Spuren von Glazialerosion
durch lokale Gletscher, die der tiefer unten gelegenen Nische durchaus fehlen, sprechen dafür, dass dieses oberste Kar sich
an der Entstehung und Zusammensetzung des grossen Trümmerfeldes nicht direkt als Abrissgebiet beteiligt
hat.
Andrerseits ist aber die Arbeit der Gletscher an diesem gewaltigen Ereignis ebenfalls mitbeteiligt. Dadurch, dass das Rhonethal
zwischen Leuk und Siders einen nach N. konvexen schwachen Bogen beschreibt, musste die seitliche Glazialerosion den zwischen
Varone und Miège an die N.-Flanke des Thales sich anlehnenden Schichten ihren Fuss abschneiden. Nachdem
dann der grosse Thalgletscher zurückgeschmolzen war und dadurch die Thalsohle geräumt hatte, rutschten die ihres Haltes
beraubten Felsen unter dem Druck des in der Höhe immer noch vorhandenen lokalen Gletschers auf ihrer mergelig-schiefrigen
Unterlage ab und bildeten ähnlich wie beim Bergsturz von Goldau einen Trümmerstrom, der sich mehr und
mehr lockerte und auflöste, um sich dann endlich in der
mehr
Thalsohle niederzuschlagen. Dieser Trümmerstrom erreicht im Unter Pfinwald am jenseitigen Ufer der Rhone seine grösste Höhe
(637 m), erstreckt sich auf mehr als 17 km Länge thalauswärts bis nahe an Brämis (Bramois) und bedeckt somit eine Fläche
von 30-35 km2. Daraus folgt wiederum, dass die gesamte Schuttmasse des Ablagerungsgebietes, um dem
Volumen der aus der untern Nische weggerissenen Felsmasse zu entsprechen, eine Mächtigkeit von etwa 100 m gehabt haben muss.
Da es kaum wahrscheinlich sein dürfte, dass diese Dicke jemals beträchtlicher gewesen ist, erscheint die Mitbeteiligung
der obersten Nische an der Entstehung des Trümmerfeldes auch aus diesem Grunde als ausgeschlossen.
Das Hügelgebiet von Siders und Umgebung, das wir soeben beschrieben haben, hat man auch auf die Wirkung der Gletscher zurückführen
und als von diesen und der Rhone herausmodellierte Züge der Landschaft erklären wollen. Wenn aber zwischen den Sturztrümmern
wirklich auch Moränenablagerungen vorhanden sind, so kann es sich doch nur um solches Material handeln,
das mitsamt dem Felsschlipf in die Tiefe gerissen wurde. Der Bergsturz von Siders ist auf jeden Fall postglazial, d. h. jünger
als der Rückzug des diluvialen Rhonegletschers. Schürfungen bei Siders haben ergeben, dass das Sturzmaterial auf Moränenschutt
liegt. Dass der Sturz auch in prähistorischer Zeit niedergegangen sein muss, beweisen die auf den Hügeln
befindlichen Reste von keltischen und römischen Siedelungen.