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gedeckt worden, und der Zar selbst hat angeordnet, daß oen Aufsehen erregenden Mißständen schleunigst ein Ende gemacht werde. Nach einem Gesetzentwurf des verstorbenen Ministers Tolstoi soll die bisher übliche Verbannung zur Ansiedelung durch Gefängnisstrafe ersetzt, die Versendung von Bauern durch ihre Gemeinden überhaupt unterdrückt werden. Im Reichsrat ist indessen dieses Projekt auf Hindernisse gestoßen, und es sind neue Erhebungen angeordnet worden, deren Dauernoch nicht abzusehen ist.
Man hat sich aber entschlossen, die zu Strafarbeit Verurteilten nur noch nach Sachalin und den Minen von Nertschinsk zu senden. An beiden Orten befinden sich 10,667 Gefangene, davon über die Hälfte auf Sachalin, wo außerdem 3500 Verbannte als Kolonisten angesiedelt sind. Die Insel hat ihre eigne Verwaltung und 1500 Mann Soldaten. Den Verkehr mit der sibirischen Küste, woher die Insel meist die Lebensmittel bezieht, vermittelt eine besondere Dampferlinie. Doch ist der Bezug der Lebensmittel wie der Absatz der Erzeugnisse der Kolonisten noch ziemlich mangelhaft. Da die Auswanderung aus den landarmen und verkommenen Dörfern trotz aller Strafandrohungen fortdauerte, so wurde eine obrigkeitliche Regelung der Bewegung versucht.
Durch das Auswanderungsgesetz vom gestattet die Regierung nicht nur die Übersiedelung nach S., sondern stellt Maßnahmen zur Unterstützung der Kolonisten und ihrer Ansiedelung in Aussicht. Dieselben erscheinen indes durchaus unzureichend, da ganz armen Familien, welche das Reisegeld nicht erschwingen können, die Erlaubnis zuni Auswandern ebensowenig gegeben wird als wohlliabenden Bauern, welche der Zukunft ihrer Kinder wegen nach S. gehen wollen.
Obwohl nun das neue Gesetz denjenigen, welche ohne Erlaubnis auswandern, alle in Aussicht gestellten Vorteile (Gewährung von Reqierungsland, Vorschuß von Vieh und Ackergerät, Befreiung oder Ermäßigung der Steuern für die ersten Jahre, Erlaß der Militärpflicht) abspricht, ja sogar ihren Rücktransport in Aussicht stellt, so lassen sich die Bauern dadurch doch nicht abhalten, zum Nanderstab zu greifen. In anbetracht dieser Umstände hat sich Ende 1890 in St. Petersburg [* 3] eine Gesellschaft zur Unterstützung notleidender Auswanderer gebildet, zur Errichtung schutzgewährender Baracken an den Hauptpunkten, zur Gewährung ärztlicher Hilfe dort und auf den Dampfern, zur Beihilfe dei Anschaffung von Baumaterial, Vieh und Ackergeräten und zur Errichtung von Kirchen und Schulen in den neuen Ansiedelungen. Als Hauptpunkte für die Thätigkeit der Gesellschaft sind Tjumen und Tomsk ins Auge [* 4] gefaßt.
Vgl. Jadrinzew, Statistische Materialien zur Geschichte der Verschickung nach S. (russisch, Petersb. 1889);
Gowing, Five thousand miles in a sledge (Lond. 1889);
Boulangier, Notes de voyage en Sibérie (Par. 1891);
die
Berichte
von G.
Kennan im »Century
Magazine« (danach deutsch von
Kirchner: »Sibirien«
, Berl. 1891, 3 Bde.),
als Buch verarbeitet in »Siberia and the exile system« (Lond. 1892, 2 Bde.).