Serbien.
[* 2] Die serbischen Finanzen haben in den letzten Jahren eine durchgreifende Veränderung erfahren und zwar durch den Rückerwerb der drei Regalien (Salz, [* 3] Tabak, [* 4] Eisenbahnen). Die Gesamtschuld Serbiens setzte sich zusammen aus:
Mill. Dinar | |
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Eisenbahnanleihe (Belgrad-Vranja, Nisch-Pirot, (à 80 Pf.) Smederevo-Velitra-Plana, Lapovo-Kragujewatz) | 127.6 |
Restschuld an Rußland | 4.3 |
Entschädigungsanleihe an türkische Auswanderer | 7.1 |
Lotterieanleihe | 32.3 |
Anleihe von 1884 (Stempel) | 39.9 |
- - 1885 (Tabak) | 39.4 |
Salzanleihe | 4.4 |
Zusammen: Mill. Dinar | 255.0 |
Hiervon geht die Salzanleihe mit 4,4 Mill. Dinar, welche 1890 zurückgezahlt wurde, ab; dagegen treten 6 Mill. Din. Salzbons und 26⅔ Mill. Din. hinzu, welche für den Rückerwerb der Eisenbahnen verausgabt wurden. Die Staatsschuld Serbiens stellt sich hiernach auf 283,4 Mill. Dinar. Das Budget Serbiens erfährt durch den Erfolg aus dem Rückerwerb der genannten drei Regalien eine ganz bedeutende Umgestaltung, welche sich in den außerordentlichen Resultaten des laufenden Jahres ausspricht.
Diese drei Regalien waren bis dahin verlustbringend. Für die Eisenbahnen hatte der Staat jährlich 8,9 Mill. Din. Annuitäten sowie 1 Mill. Din. Betriebsdefizit bezahlen müssen, während im laufenden Jahr der Betrieb ein Mehr von 60 Proz. aufweist. Die Einnahmen der Staatsbahnen [* 5] vom 1. Jan. bis 20. Aug. von 2,8 Mill. Din. sind um 1 Mill. Din. größer als im Vorjahr. Im Bau begriffen ist die Eisenbahn nach dem staatlichen Kohlenrevier Senje, welche Linie noch in diesem Jahr in Betrieb kommen wird.
Für den Rückerwerb des Salzmonopols von der Anglobank in Wien [* 6] wurden 6 Mill. Din. Salzschatzscheine, welche innerhalb 10 Jahren tilgbar sind, ausgegeben. Der Salzpreis, welcher von der Skuptschina genehmigt wird, ist seit Jahren 16 Din. für 100 kg, während die Verträge wegen Lieferung des Salzes mit der ungarischen Regierung (zu einem kleinen Teil auch mit der rumänischen Regierung) zum Preise von 3,80 Din. für 100 kg abgeschlossen sind. Aus dem Tabaksmonopol wurden im J. 1889/90: 6,5 Mill. Din. gegen 5,3 Mill. Din. im Vorjahr gelöst, während die Ausgaben und Herstellungskosten sich in beiden Jahren auf nahezu 3 Mill. Din. beliefen. Der Nettoüberschuß für das mit dem 30. Juni abgelaufene Geschäftsjahr beträgt 3,5 Mill. Din. gegen 2,2 Mill. Din. im Vorjahr. Seitdem das Monopol in die Verwaltung des Staates übergegangen ist, haben sich die Herstellungskosten und Ausgaben von 58 Proz. auf 46 Proz. ermäßigt.
Die Mängel in den serbischen Finanzverhältnissen liegen hauptsächlich in dem System der Steuererhebung, ferner darin, daß die Ministerien nicht ihre etatmäßigen Beträge festhalten, und ferner darin, daß fast das gesamte Hypothekenwesen in den Händen des Wuchers liegt. Die Zahlung von Hypothekenschulden ist nur auf gerichtlichem Wege zu veranlassen, und es sind 3 Jahre und mehr notwendig, um ein vollstreckbares Mandat zu erreichen. Man geht jetzt damit um, eine Nationalhypothekenbank und ein dem west- und mitteleuropäischen Verhältnissen entsprechendes Hypothekengesetz ins Leben zu rufen.
Belgrad [* 7] ist vorläufig vollständig schuldenfrei, wird nunmehr aber eine Anleihe von 10 Mill. Din. aufnehmen zum Zweck der Uferregulierung, der Errichtung von Gas- und Wasserleitung [* 8] und von Entrepotgebäuden zwischen Save und Donau.
Über die Einnahme der Douane liegen amtliche Nachrichten für das erste Halbjahr vor, dieselben ergeben eine Einnahme von 3,225,503 Din., um 317,958 Din. mehr als im Vorjahr. Es wird aber ein Minus aus dem Salzmonopol von 137,182 Din. aufgeführt, weil die Verwaltung desselben in die Hände des Staates übergegangen und deshalb die Einnahme noch unter den Douane-Erträgen aufgeführt wird. Werden diese 137,182 Din. für 1889 ausgeschieden, dann stehen 3,225,503 Din. Einnahmen im laufenden Jahr gegenüber, und das Plus berechnet sich mit 455,140 Din. oder 16,43 Proz. Davon fallen 126,624 Din. auf Zölle und 158,729 Din. auf die Konsum-Umsatzsteuer (Impôt de l'Obrt).
Der auswärtige Handel Serbiens hat an den Orientbahnen eine Stütze gefunden, welche in den Mehreinnahmen der Staatsbahnen und in dem Mehr des Transitverkehrs zum Ausdruck kommt. Es war in Millionen Dinaren
Einfuhr | Ausfuhr | Transitverkehr | |
---|---|---|---|
1889 | 34.8 | 39.1 | 8.0 |
1888 | 35.2 | 38.9 | 5.7 |
Der Anteil Deutschlands [* 9] betrug:
Einfuhr | Ausfuhr | Transitverkehr | |
---|---|---|---|
1889 | 2.1 | 0.8 | 0.5 |
1888 | 1.5 | 1.1 | 1.9 |
Geschichte. Die 1889 zur Herrschaft gelangte radikale Partei befestigte sich immer mehr in derselben. Zu den durch die neue Verfassung von 1888 nötig gewordenen Reformen gehörte auch die Wiederbelebung des Staatsrats od er Senats, den die Verfassung von 1869 zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgedrückt hatte; er sollte nun Verwaltungsgerichtshof, Staatsrechnungshof und oberste Aufsichtsbehörde sein, mit Regierung und Skuptschina gemeinsam die Präsidenten und Mitglieder der Obergerichte zu ernennen haben und sein Gutachten über alle Regierungsvorlagen abgeben; seine 16 Mitglieder sollten lebenslänglich und unabsetzbar sein. Die Regentschaft hatte 8 Mitglieder im Namen der Krone direkt und 8 aus den von der Skuptschina vorgeschlagenen Kandidaten zu ernennen. Die letztern gehörten sämtlich der radikalen Partei an, aber auch von den 8 durch die Krone ¶
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ernannten waren nur 5 nicht radikal, so daß diese Partei im Staatsrat die Mehrheit hatte. Da mehrere Minister in den Staatsrat eintraten, so fand im April 1890 eine Neubildung des Ministeriums statt, an dessen Spitze Gruitsch als Ministerpräsident, Minister des Äußern und des Kriegs blieb. Ende April wurden die Sitzungen der Skuptschina geschlossen, und eine Botschaft der Regenten rühmte ihr nach, daß sie durch Sparsamkeit das Budget auf solidere Grundlage gestellt, das Defizit herabgemindert und durch Rückkauf der Monopole sowie durch den Steuerzuschlag für Bewaffnungszwecke die Staatseinkünfte erhöht habe.
Die geplante Heeresreform hatte die Skuptschina nicht vollendet, indes durch mehrere Änderungen des Heeresgesetzes die von den Radikalen von jeher erstrebte Umgestaltung der Nationalmiliz durchgeführt. Dieselbe bildete neben dem regulären Heer die Hauptstreitmacht Serbiens, zerfiel in zwei Aufgebote, von denen das erste jährlich höchstens 30, das zweite höchstens 10 Tage einberufen wurde, und ihre Verpflegung in dieser Zeit fiel ebenso wie die Stellung der Pferde [* 11] und des Trains den Wehrpflichtigen oder den Gemeinden zur Last; die Offiziere des zweiten Aufgebots wurden mit Ausnahme der höhern Befehlshaber aus der Miliz entnommen.
Weitere tiefgreifende Reformen in radikalem Sinn wurden der Herbstsession der Skuptschina vorbehalten. Von Garaschanin, dem Führer der Fortschrittspartei, die nach ihrer gewaltsamen Unterdrückung im Mai 1889 sich erst jetzt wieder zu regen wagte, wurde der radikalen Regierung diese Verschiebung der Reformen zum Vorwurf gemacht und ihr Gewissenlosigkeit und Gewaltthätigkeit schuldgegeben. Die Lasten des Volkes hatten sich allerdings unter der radikalen Ära noch nicht verringert, die Unzufriedenheit in allen Schichten Serbiens war so groß wie früher, und so strengten die Liberalen und Fortschrittler alle Kräfte an, um bei den Neuwahlen für die Skuptschina (Ende September) eine größere Zahl von Mandaten zu erobern. Indes hatte die radikale Regierung alle Beamtenstellen mit ihren Anhängern besetzt, und wenn diesen auch meist die nötige Vorbildung und Erfahrung, manchmal auch die erforderlichen moralischen Eigenschaften abgingen, so hatten sie doch die Macht und waren entschlossen, sie rücksichtslos im Interesse ihrer Partei zu gebrauchen. Die Wahlen fielen denn auch ganz zu gunsten der Radikalen aus; nur 17 Liberale und 2 Fortschrittler wurden gewählt.
In der auswärtigen Politik wünschten die Radikalen einen Umschwung gegenüber der österreichfreundlichen Haltung des Königs Milan. Dessen Politik war ja keineswegs reich an Erfolgen, dagegen wohl an Enttäuschungen gewesen. S., das sich früher unter den slawischen Staaten der Balkanhalbinsel [* 12] zur Führerschaft berufen geglaubt hatte, mußte es erleben, daß Bosnien [* 13] und die Herzegowina auf dem Berliner Kongreß [* 14] an Österreich [* 15] überliefert wurden, dann Bulgarien sich mit Ostrumelien vereinigte und damit das zahlenmäßige Übergewicht über S. erhielt, und der serbisch-bulgarische Krieg mit einem Siege dieses Nebenbuhlers endete.
Die Radikalen schrieben diese Ergebnisse der österreichischen Freundschaft zu und glaubten durch die russische Freundschaft bessere erzielen zu können. Sie knüpften daher mit dem Petersburger Hof [* 16] wieder engere Beziehungen an, indem ihr Führer Paschitsch, Präsident der Skuptschina, sich wiederholt nach Petersburg [* 17] begab und die Sendung von Waffen [* 18] und Munition erwirkte. Die radikale Presse [* 19] stellte sich ganz auf den panslawistischen Standpunkt und griff Österreich-Ungarn [* 20] in schärfster Weise an. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu dem Nachbarland wurden erschwert, die Einfuhr rumänischen Getreides und Viehs durch S. in Österreich-Ungarn, um die von diesem gegen Rumänien eingeführten hohen Zölle zu umgehen, begünstigt.
Die österreichische Regierung gab ihre Unzufriedenheit hiermit zu erkennen, indem Kalnocky im Juni 1890 in seiner Rede in den Delegationen sich über S. beschwerte und die ungarische Regierung die Schweineausfuhr aus S. verbot. Die serbische Regierung versicherte in lebhafter Weise ihre Unschuld und ihren aufrichtige Wunsch, die freundschaftlichen Beziehungen zur Nachbarmonarchie aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig versuchte sie aber, sich über Saloniki [* 21] einen von Österreich unabhängigen Weg für ihre Ausfuhr an Schweinen und Getreide [* 22] zu eröffnen, was jedoch nicht gelang.
Gleichzeitig erlitt S. einen empfindlichen Schlag durch den Berat des Sultans, der drei bulgarische Bischöfe in Makedonien ernannte und in diesem Lande den serbischen Einfluß zurückdrängte, was man dem Einfluß Österreichs und seiner Verbündeten in Konstantinopel [* 23] zuschrieb. Daher suchte sich die Regierung Österreich wieder zu nähern, um wenigstens die Aufhebung des Schweineausfuhrverbots zu erlangen. Dies glückte endlich auch, indem die ungarische Regierung nur auf einigen Vorsichtsmaßregeln bestand, welche S. gern bewilligte. Bei der Feier zur Eröffnung der Arbeiten am Eisernen Thor Ende September (s. Donau) wurde die Wiederherstellung der freundlichen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und S. von beiden Seiten konstatiert.
Die neugewählte Skuptschina wurde mit einer Thronrede eröffnet, welche unter dem Eindruck dieser letzten Ereignisse die Regierung beglückwünschte, daß das vertragsmäßige Verhältnis zu Österreich, mit welchem S. Beziehungen der Freundschaft und guter Nachbarschaft zu unterhalten wünsche, wieder in Kraft [* 24] gesetzt werde. Dem gegenüber hielt es die radikale Mehrheit für notwendig, in der Antwortsadresse auf die Thronrede dem erhabenen Kaiser des russischen Brudervolkes den immerwährenden tiefgefühltesten Dank des serbischen Volkes auszusprechen; der Kaiser habe, wie immer, so auch in neuester Zeit Beweise seines Wohlwollens für S. und das serbische Volk gegeben.
Der Budgetentwurf veranschlagte die Gesamtausgaben auf 57,690,600, die Gesamteinnahmen auf 54,554,000 Dinar, den Fehlbetrag also auf 3,136,900 Dinar; doch wurde derselbe von Sachverständigen weit höher geschätzt, so daß neue Steuern und neue Anleihen unvermeidlich erschienen. Da dies den Träumen der Radikalen von großen Ersparnissen und der Möglichkeit der Steuerherabsetzung, wenn sie erst zur Herrschaft gelangt wären, wenig entsprach, so stieß das Budget in der Skuptschina auf Schwierigkeiten.
Auch der Preßgesetzentwurf, den das Ministerium einbrachte, um den groben Beleidigungen und Herausforderungen Österreichs in der Presse entgegentreten zu können, wurde vom Ausschuß verworfen. Daher reichte im Februar 1891 das Ministerium Gruitsch seine Entlassung ein, und der Führer der Radikalen, Paschitsch, bildete 23. Febr. ein neues Kabinett, das aus rein radikalen Mitgliedern zusammengesetzt war. Dasselbe sprach in einem diplomatischen Rundschreiben den festen Willen aus, mit allen Staaten die freundschaftlichsten Beziehungen zu unterhalten und alle Kräfte der innern Konsolidierung des Landes zuzuwenden; nach Petersburg erging aber eine besondere Note mit der Versicherung, die Beziehungen zu Rußland sollten mit der altüberlieferten Freundschaft und Sympathie und mit den Dankgefühlen des ¶
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serbischen Volkes in Einklang gebracht werden. Denn die Radikalen schmeichelten sich ernstlich mit der Hoffnung, daß Rußland ihnen helfen werde, das großserbische Reich zu errichten. Das Budget wurde nun genehmigt; mit Hilfe einer Anleihe von 5 Mill. war das Gleichgewicht [* 26] in der Höhe von 57½ Mill. hergestellt, eine Vermehrung der regelmäßigen Einnahmen durch neue Steuern gesichert. Eine verdrießliche Schwierigkeit bereitete dem neuen Ministerium der Exkönig Milan, der im März 1891 plötzlich wieder in Belgrad erschien und, indem er seinen frühern Ministerpräsidenten Garaschanin, der durch seine Parteinahme für die Königin Natalie seinen Zorn gereizt, der Ermordung (1887) der Attentäterin Ilka Markowitsch und ihrer Gefährtin Jelena Knitschanin im Kerker beschuldigte, einen großen Skandal hervorrief.
Garaschanin, durch die Anklage heimlicher Mitwissenschaft mit dem Mordanschlag auf Milan herausgefordert, schob in seiner Antwort an den »Grafen von Takowo« diesem die Schuld an der Erdrosselung der beiden Frauen zu. Doch gelang es der Regierung, Milan durch eine Vorschußzahlung von 1 Mill. Din. auf seinen Anteil an der Zivilliste zu dem Versprechen zu bewegen, bis zur Großjährigkeit des jungen Königs von S. fernzubleiben. Die Skuptschina genehmigte dies Abkommen sowie ein neues Preßgesetz, welches auch dem königlichen Elternpaar Schutz verlieh.