Titel
Seminare
,
pädagogische.
Über die praktische
Ausbildung der
Lehrer an höhern
Schulen (Gymnasien,
Realschulen),
wie sie bisher in
Deutschland
[* 2] und namentlich in
Preußen
[* 3] üblich war, geben die
Artikel
Probejahr (Bd. 13, S. 397) und
Seminar
(Bd. 14, S. 853) kurze Auskunft. Der Gegenstand hat im letzten
Jahrzehnt die öffentliche Meinung in weitern Umkreisen lebhaft beschäftigt und ist 1890 in
Preußen durch neue ministerielle
Vorschriften geregelt worden.
Daher hier ein etwas ausführlicherer Überblick über die Vorgeschichte
und den
Inhalt der vom
Minister v.
Goßler erlassenen
Ordnung der praktischen
Ausbildung der
Kandidaten für das Lehramt
an höhern
Schulen. Seit die pädagogische
Wissenschaft und
Kunst im Beginn des 17. Jahrh. auf Grundlage der
Psychologie
sich selbständig zu gestalten begann, mußte die
Notwendigkeit geeigneter Vorbildung der
Lehrer, namentlich und zunächst
für höhere
Schulen, empfunden werden.
Wolfgang
Ratichius (s. d., Bd.
13) erteilte an seiner
Musterschule in
Köthen
[* 4]
Unterricht für
Lehrer in seiner neuen
Methode. Wo seine Anregung trotz des Mißlingens
seiner unmittelbaren
Unternehmungen nachwirkte, wie bei dem geistvollen
Hamburger
Pastor
Johann Balthasar
Schuppius (s. d., Bd.
14), sprach sich auch die Einsicht aus, daß nicht ohne weiteres jeder leidlich vorgebildete Theolog zum Schulmann geeignet
wäre.
Bei den Jesuiten gewährte naturgemäß der Orden [* 5] selbst mit seinen strengen didaktischen Vorschriften die nötige praktische Schulung für die Lehrer ihrer Kollegien. Im evangelischen Deutschland gab zuerst August Hermann Francke an seinen berühmten Halleschen Anstalten der praktischen Anleitung theologischer Studenten zum Unterrichten festere Form in seinem Seminarium selectum praeceptorum (1707), worin die Mitglieder durch Besuch des Unterrichts bewährter Lehrer, durch theoretische und methodische Aufsätze, die der Leiter beurteilte, und durch eigne, beaufsichtigte Lehrversuche sich für das höhere Schulamt vorbereiteten.
Ähnliche Einrichtung hatte das pädagogische
Seminar, das (1737) in
Göttingen
[* 6]
Johann
Matthias
Gesner errichtete. Aber diese
Anstalten wie die ähnlichen
Versuche des vorigen
Jahrhunderts an den
Universitäten lenkten allmählich in
die
Bahn rein philologischer
Fachstudien ein und verloren den eigentlich pädagogischen
Zweck mehr und mehr aus den
Augen. So auch das
jüngere pädagogische
Seminar zu
Halle
[* 7] unter
Semler,
Schütz,
Trapp,
Wolf, obwohl der von der sogen. philanthropischen
Pädagogik
stark beeinflußte preußische
Minister v.
Zedlitz (s. d., Bd.
16) alles that, um die praktisch-pädagogische
Seite der Lehrerbildung ihnen gegenüber zu betonen.
Mehr praktischen Erfolg hatte dieser
Minister mit dem
Berliner
[* 8]
Lehrerseminar zur Heranziehung geschickter
und erfahrener
Lehrer für Gymnasien und lateinische
Schulen, das 1788 unter Leitung des Oberschulrats und
Direktors
Gedike am
Friedrich-Werderschen
Gymnasium ins
Leben trat. Doch hat auch dieses während seines 100jährigen Bestandes wiederholt
Zeiten
erlebt, in denen die pädagogische
Anweisung für
Unterricht und Schulzucht hinter der gelehrten, vorwiegend
philologischen Fortbildung zurückstand, zumal seit 1812 unter
Solger, wie demnächst unter
Böckh das
Seminar in nähern
Verband
[* 9] mit der
Universität trat.
Erst unter dem jetzigen
Leiter, dem
Direktor
Franz
Kern, ist die Anstalt wieder mit einer einzelnen höhern Lehranstalt, dem
Köllnischen
Gymnasium, enger verknüpft worden. Im
Laufe des 19. Jahrh. ist zu diesen ältern Seminaren
noch eine Anzahl ähnlicher in
Breslau,
[* 10]
Stettin,
[* 11]
Königsberg,
[* 12] seit 1884 in
Magdeburg,
[* 13]
Danzig,
[* 14]
Posen,
[* 15]
Kassel,
[* 16]
Münster,
[* 17]
Koblenz
[* 18] getreten.
Sie werden meistens von den
Schulräten der Provinzialschulkollegien geleitet und gewähren nebenbei Gelegenheit zur Berührung
mit der Unterrichtspraxis an einzelnen höhern Lehranstalten der Provinzialhauptstädte.
Zwei fast selbständige Abteilungen hat das pädagogische
Seminar in
Göttingen, deren erste eng an das philologische
Seminar
der
Universität angeschlossen, deren zweite dagegen dem
Gymnasium einverleibt ist. Außer
Preußen entstanden ähnliche öffentliche
Anstalten in
Verbindung mit den
Universitäten (praktische Übung an Schulanstalten des Universitätsortes) zu
Heidelberg,
[* 19]
Tübingen,
[* 20] Freiburg,
[* 21] Leipzig
[* 22] und außer
Göttingen (s.
oben) in dem gleichfalls später preußisch gewordenen
Kiel.
[* 23] In
Gießen
[* 24] schließt das pädagogische
Seminar, obwohl dessen
Leiter zugleich
Professor der
Pädagogik an der
Universität und
Direktor des
Gymnasiums ist, sich unmittelbar
nur diesem an. Die meisten dieser Anstalten drückt oder drückte doch bis in die neueste Zeit der Mangel,
daß sie die eigentlich praktische Anleitung, weil nicht an eine bestimmte
Schule angeschlossen, nicht genug berücksichtigen
können. Gegen alle in und außer
Preußen war zu sagen, daß sie nur einer geringen Minderzahl der künftigen
Lehrer der höhern
Schulen die planmäßige Einschulung für ihr berufliches Wirken ermöglichten, während die
Mehrzahl der
Kandidaten in dieser Hinsicht ganz auf das sehr verschieden behandelte und in den meisten
Fällen ziemlich unfruchtbare
Probejahr
angewiesen blieb.
Diese Mängel sind längst empfunden, und an
Vorschlägen und
Versuchen, ihnen abzuhelfen, hat es nicht gefehlt. Solche
Versuche
sind teilweise aus dem
Schoße der einzelnen beteiligten Schulwissenschaften hervorgegangen, wodurch eine
(gleichfalls jedoch nach Zahl und
Umfang dem
Bedürfnis nicht entsprechende)
Reihe von Fachseminaren
für Religionslehrer
(Magdeburg),
Lehrer neuerer
Sprachen
(Berlin),
[* 25]
Lehrer der Naturkunde (z. B.
Bonn,
[* 26]
Königsberg,
Halle) u. a. entstand. Auch abgesehen von der
äußern Unzulänglichkeit, liegt auf der
Hand,
[* 27] daß derartige Seminare
, von hervorragenden Fachgelehrten
geleitet, im ganzen
¶
mehr
nicht geeignet sind, gerade die pädagogisch-praktische Berufsbildung der Lehrer zu fördern. Nachdrücklich betonten dagegen
diesen Gesichtspunkt der Begründer der wissenschaftlichen Pädagogik Johann Friedrich Herbart und seine Jünger. Das für ihr
Bemühen typische pädagogische
Seminar Herbarts in Königsberg (1810) war eine selbständige, mit eigner Übungsschule versehene
Anstalt, an der unter des Professors Leitung zwei angestellte Lehrer und als Seminaristen bis zu zehn Studenten
den Unterricht erteilten.
Nach diesem Muster plante Herbarts Schüler Brzoska (1836) in Jena
[* 29] ein pädagogisches
Seminar in großem Stile, das aber seines
frühen Todes wegen über die ersten Anfänge nicht hinauskam. Glücklicher waren die Herbartianer Franz Volkmar Stoy
(1844) in Jena, Tuiskon Ziller (1861) und Ludwig Strümpell in Leipzig. Aber ihre Anstalten kamen im ganzen weniger den eigentlichen
Lehrern höherer Lehranstalten zu gute als pädagogisch angeregten Theologen und emporstrebenden Volksschullehrern.
Auch ist nicht zu leugnen, daß die (fast ausnahmslos kleinen und wenig gegliederten) Übungsschulen dieser Herbartschen
pädagogischen
Seminare
ein treues Bild der Arbeit, welche die Lehrer an öffentlichen höhern Schulen später
zu leisten haben, nicht gewähren können. Endlich ist überhaupt gegen die an die Universitäten angeschlossenen pädagogischen
Seminare
einzuwenden, daß sie entweder (nur nebenbei von den Studierenden besucht) wenig nützen können, oder (in den Mittelpunkt
des Studiums gerückt) die fachwissenschaftlichen Studien wesentlich beeinträchtigen müssen. Es ist denn
auch namentlich von Stoy durch seine Schüler bezeugt, daß er solche Teilnehmer seines pädagogischen
Seminars in Jena bevorzugte,
die das eigentliche akademische Studium bereits hinter sich hatten.
Unter solchen Umständen war lange, bevor das größere Publikum aufmerksam auf diese Frage ward, in Fachkreisen
die Notwendigkeit anerkannt, der praktischen Vorbildung des höhern Lehrstandes eine vermehrte staatliche Fürsorge zuzuwenden.
Schon die zur Beratung der Schulfragen 1849 berufene Berliner Konferenz von Sachverständigen sprach sich in diesem Sinn aus.
Aber die Sache ruhte, von brennendern Fragen zurückgehalten, noch lange. Im J. 1876 hatte die Spannung
im Lehrerstand selbst sich so verstärkt, daß unter Stoys und Jürgen Bona Meyers Leitung in Bonn 28. Mai eine eigne pädagogische
Konferenz zum Austausch über die Vorbildung der Lehrer zum höhern Schulamt zusammentrat.
Die Versammelten entschieden sich trotz Stoys Vorgang in Jena gegen das Herbartsche pädagogische
Universitätsseminar, ohne
jedoch genaue eigne Vorschläge zu formulieren. Inzwischen tauchte mit steigender Gewalt die Anklage der
Überbürdung gegen die höhern Schulen empor, und die Ankläger benutzten (ost mit rücksichtsloser Übertreibung) die längst
im Lehrerstand empfundenen Schwächen der herkömmlichen pädagogischen
Vorbildung als willkommene Argumente. Das Verdienst,
dem gegenüber den Weg der wirksamen Abhilfe recht deutlich gezeigt zu haben, gebührt vor allem dem
Direktor der Franckeschen Stiftungen in Halle, Otto Frick (s. d., Bd.
17), der 1881 das alte Franckesche Seminarium praeceptorum in zeitgemäßer Gestalt erneuerte. Der königlich sächsische
Kultusminister v. Gerber sprach im folgenden Jahre die Ansicht amtlich aus, daß die praktische Vorbildung
vorzugsweise auf die Zeit nach dem beendeten Universitätsstudium zu verlegen und an bestimmte Anstalten, welche zu diesem
Behuf entsprechend eingerichtet werden müßten,
zu weisen, auch das auf die praktische Vorbildung gerichtete, etwa zweijährige
Studium durch eine zweite, vorzugsweise pädagogische
und praktische Prüfung abzuschließen wäre.
Gleichzeitig machte der preußische Kultusminister v. Goßler dem Landtag eine Vorlage, wonach dem Probejahr
noch ein zweites Jahr auftragsmäßiger Beschäftigung der jungen Lehrer folgen und dieses mit einer zweiten praktischen Prüfung
(wie sie übrigens vor 1866 bereits in Kurhessen und Nassau bestand) abschließen sollte. Die Vorlage, die dem Landtag einerseits
zu wenig zu bieten, anderseits zu viel zu fordern schien, drang nicht durch. Die Bewegung ging aber fort
und ward durch die Errichtung einiger neuer pädagogischer Seminare
am Sitze der Provinzialschulkollegien nicht aufgehalten.
Außer Frick, der zugleich litterarisch mehrfach für seinen Plan eintrat (s. unten), hatte inzwischen der hessische Gymnasialdirektor und Professor Schiller in Gießen das nach dem Berliner Muster 1876 errichtete dortige pädagogische Seminar wesentlich in Fricks Sinne mit unverkennbarem Erfolg entwickelt. Die pädagogische Sektion der 38. Versammlung deutscher Schulmänner und Philologen faßte 1885 in Gießen folgende Beschlüsse:
1) Die Sektion vermag nicht anzuerkennen, daß das Probejahr in seiner gegenwärtigen Einrichtung die Gewähr biete, daß den Berufsgenossen eine wohlgeordnete praktische Durchbildung und eine ausreichende pädagogische Unterweisung zu teil werde.
2) Sie spricht ihre Überzeugung dahin aus, daß eine solche Ausbildung am besten durch die Teilnahme an einer Art von seminaristischem Kursus erreicht werde.
3) Solche Kurse werden ihres Erachtens am angemessensten an bestimmten, von den Schulbehörden auszuwählenden Lehranstalten eingerichtet werden, an welchen in der Regel die Direktoren unter Beihilfe von Fachlehrern für längere Zeit mit der Leitung zu betrauen sind.
4) Die Teilnahme an einem solchen Kursus ist jedem Kandidaten sowohl zu eröffnen als auch zur Pflicht zu machen.
Die preußische Verordnung vom
Aus diesen geschichtlichen Vorgängen ist der Erlaß des Ministers v. Goßler vom zu verstehen, durch den (nach erfolgter Bewilligung der Mittel) diese Frage für Preußen einstweilen zum grundsätzlichen Abschluß gelangt ist. Die Ordnung der praktischen Ausbildung der Kandidaten für das Lehramt an höhern Schulen, mit der in der Hauptsache die Gießener Beschlüsse von 1885 ausgeführt werden, enthält folgende wesentliche Vorschriften:
(§ 1.) Behufs Erwerbung der Anstellungsfähigkeit an höhern Schulen haben sämtliche Kandidaten nach bedingungslos bestandener
wissenschaftlicher Prüfung für ihren Beruf praktisch sich auszubilden. Die Ausbildung erfolgt unter der Leitung bewährter
Schulmänner und unter der Aufsicht des Provinzialschulkollegiums. (§ 2.) Die praktische Ausbildung dauert
zwei Jahre und besteht aus einem Seminarjahr und einem darauf folgenden Probejahr. A. Das Seminarjahr ist dazu bestimmt, die
Kandidaten entweder an einem der vorhandenen pädagogischen Seminare
oder an einer den Zwecken des Seminarjahrs entsprechend
eingerichteten höhern Lehranstalt von neun Jahrgängen, bez. der
Vorschule derselben mit den Aufgaben der Erziehungs- und Unterrichtslehre in ihrer Anwendung auf höhere Schulen und insbesondere
mit der Methodik der einzelnen Unterrichtsgegenstände bekannt zu machen sowie durch Darbietung vorbildlichen Unterrichts und
durch Anleitung zu eignen Unterrichtsversuchen zur
¶
mehr
Wirksamkeit als Lehrer zu befähigen. B. Das Probejahr dient vorzugsweise der selbständigen praktischen Bewährung des im Seminarjahr erworbenen Lehrgeschicks und wird in der Regel an solchen höhern Lehranstalten abgelegt, welche nicht bereits durch die Aufgaben der Seminarausbildung in Anspruch genommen sind. Ein Unterschied zwischen Anstalten von neun Jahrgängen und solchen von kürzerer Lehrzeit findet hierbei nicht statt. (§ 4.) Das Schulkollegium jeder Provinz bildet unter Beachtung der Hauptlehrbefähigung der Kandidaten und mit Rücksicht auf die für die Anleitung in der Methodik der einzelnen Fächer [* 31] besonders geeigneten Lehrkräfte vor jedem Schulhalbjahr entsprechende Gruppen von Seminaristen und überweist sie den für diesen Zweck ausgewählten Anstalten.
Auf die einzelne Anstalt sollen im Durchschnitt sechs Kandidaten jährlich entfallen. (§ 5-7.) Dem Direktor und den vom Provinzialschulkollegium besonders beauftragten Lehrern liegt die planmäßige Unterweisung und Anleitung der Kandidaten ob. In theoretischer Hinsicht umfaßt diese a) pädagogische Besprechungen des Direktors mit den Kandidaten (2 Stunden wöchentlich); b) kürzere Referate der Seminaristen über einzelne Punkte der allgemeinen Lehrpläne, der Prüfungsordnungen, der Verhandlungen preußischer Direktorenkonferenzen, der amtlich veröffentlichten Speziallehrpläne höherer Schulen; über wichtigere neuere Erscheinungen auf dem Gebiete der Pädagogik, beachtenswerte Methoden, Unterrichtsmittel, Apparate, Grundsätze der Schulgesundheitspflege u. dgl.; c) eine 3 Monate vor Schluß des Seminarjahrs von jedem Seminaristen einzuliefernde Arbeit über eine vom Direktor gewählte konkrete, pädagogische oder didaktische Aufgabe. In engem Zusammenhang mit diesem Lehrgang findet geordnete praktische Beschäftigung der Seminaristen statt.
Diese besteht zunächst im Besuch von Unterrichtsstunden des Direktors und der von ihm bezeichneten Lehrer, dann in eignen unterrichtlichen Versuchen nach besonderer Anweisung. Auch auf dem Spielplatz, in Arbeitsstunden, bei Schulausflügen sind die Kandidaten thunlichst zu beteiligen; soweit es die örtliche Gelegenheit gestattet, wird das zeitweilige Hospitieren an Volksschullehrerseminaren und Volksschulen empfohlen. Die Versuche werden vom Direktor und den beteiligten Fachlehrern überwacht und beurteilt.
Über den Gesamterfolg des Seminarjahrs erstattet der Direktor gegen dessen Schluß dem Provinzialschulkollegium Bericht, dem die wissenschaftlichen Arbeiten und die Meldungen zum Probejahr beizufügen sind. Wechsel der Anstalt während des Seminarjahrs ist, von ganz besondern Ausnahmen abgesehen, nicht gestattet. (§ 8.) Das Probejahr kann an vollständigen, neunjährigen oder auch an unvollständigen Anstalten abgelegt werden; doch sollen an einer Anstalt jener Art nicht über drei, an einer solchen dieser Art nicht über zwei Probekandidaten gleichzeitig beschäftigt werden.
Auch hier soll Wechsel während des Jahres nur ausnahmsweise zulässig sein. (§ 9.) Die Kandidaten sind unter genauer Beachtung ihrer Lehrbefähigung sofort mit größern zusammenhängenden Lehraufgaben zu betrauen und mit 8-10 Stunden wöchentlich zur unentgeltlichen Unterrichtserteilung heranzuziehen. Diese Thätigkeit vollzieht sich unter Leitung des Dirigenten der Anstalt und derjenigen Ordinarien und Fachlehrer, in deren Klassen die Kandidaten unterrichten, bez. deren Stunden sie stellvertretend übernehmen. (§ 10.) Diese Lehrer haben die Thätigkeit der Probekandidaten fortlaufend zu überwachen und ihre Wahrnehmungen in besondern Konferenzen auszutauschen. (§ 13.) Wo die Verhältnisse es dringend erheischen, können die Probekandidaten mit Genehmigung des Provinzialschulkollegiums bis zu 20 Stunden wöchentlich herangezogen werden; sie erhalten dann angemessene Vergütung. In diesem Falle haben sie in der Lehrerkonferenz in betreff der von ihnen geführten Klasse oder der von ihnen unterrichteten Schüler volles Stimmrecht. (§ 14.) Die Kandidaten haben am Schlusse ihres Probejahrs dem Leiter der Anstalt einen Bericht über ihre Thätigkeit zu erstatten, worauf (§ 15.) dieser seinerseits an das Provinzialschulkollegium berichtet. (§ 16,17.) Die Behörde entscheidet auf Grund der erstatteten Berichte über Seminar- und Probejahr und etwaniger Beobachtungen ihrer Schulräte nunmehr über die Anstellungsfähigkeit der Kandidaten. Im günstigen Falle erhalten diese darüber ein Zeugnis, das als Ergänzung des Prüfungszeugnisses bei jeder Bewerbung etc. mit vorzulegen ist.
Kein Zweifel, daß mit diesem Erlaß des Ministers die Angelegenheit in eine glückliche Bahn geleitet worden. Bedenken erweckt nur die eine (leicht zu beseitigende) Vorschrift, daß die Gruppierung der Kandidaten nach ihrer Hauptfakultas geschehen soll. Es werden dabei leicht Fachseminare für die mathematisch-naturkundliche, die alt- und neuphilologische, die historisch-muttersprachliche etc. Richtung herauskommen, die in beständiger Gefahr schweben, das fachwissenschaftliche Interesse dem eigentlich pädagogischen voranzustellen.
Die Erfahrung eines Jahrhunderts spricht dafür. Gerade in der Vereinigung junger Lehrer aus den verschiedenen Wissenschaften zu gemeinsamer praktischer Vorbildung würde vollwichtige Bürgschaft gegen die bedenkliche Absonderung der einzelnen spezialistischen Kreise [* 32] des höhern Lehrstandes liegen. Ferner ware es wünschenswert, daß die angehenden Lehrer im Seminarjahr das eigentliche Erziehungsgeschäft an Alumnaten aus Erfahrung kennen lernten. Doch ist schon vieles gewonnen. Die Einrichtung der etwa 70 geplanten Seminaranstalten ist zur Zeit noch nicht abgeschlossen. Für die Praxis in ihnen liegen in der Litteratur der letzten Jahre, namentlich den Schriften von Frick und Schiller, bereits ausreichende Handhaben vor.
Vgl. Frick, Das Seminarium praeceptorum zu Halle (Halle 1883) und zahlreiche Aufsätze in dessen Zeitschrift »Lehrproben und Lehrgänge« (das., seit 1885);
Schiller, Pädagogische Seminarien für das höhere Lehramt (Leipz. 1890, mit zahlreichen Litteraturnachweisen);
Brzoska, Die Notwendigkeit pädagogischer Seminare (Halle 1836; neu hrsg. von Rein, Leipz. 1887);
Voß, Pädagogische Vorbildung zum höhern Lehramt in Preußen und Sachsen [* 33] (Halle 1889);
Fischer, Das königliche pädagogische Seminar in Berlin 1787-1887 (in der Berliner »Zeitschrift für das Gymnasialwesen«, 1887, Bd. 42).