Seethal
(Kt. Aargau, Bez. Lenzburg, und Kt. Luzern, Bez. Hochdorf). 539-353 m. Rechtsseitiges Nebenthal der Aare, das sich in gerader Richtung von SSO. nach NNW. durch den nö. Teil des Kantons Luzern und den s. Teil des Kantons Aargau senkt und von der Hallwiler Aa durchflossen wird, welche bei Wildegg in die Aare mündet. 33 km lang. Es ist eines der lieblichsten Thäler des Mittellandes und verdankt den Namen seinem schönsten landschaftlichen Schmucke, dem Baldegger- und Hallwiler See, die etwa einen Drittel der Thalsohle bedecken und durch die 4 km lange Waag, den Mittellauf der Hallwiler Aa, miteinander verbunden sind. Oft wird in einem engern Sinne unter Seethal nur das Gebiet der beiden Seen verstanden. Als Oberlauf der Hallwiler Aa kann die vom S.-Hang der Erlosen herabstürzende Ron, der Zufluss des Baldeggersees, betrachtet werden, welche jedoch, wenigstens im obern Teile, nach Richtung und Wassermenge eher den Charakter eines Seitenflusses besitzt. Das Seethal erscheint nämlich dem Geologen auf den ersten Blick als ein Thaltorso, d. h. ein Thal, aus welchem der Hauptfluss durch seitliche Erosion oder Dislokationsvorgänge abgelenkt wurde. Die stattliche, von unten nach oben fast gleichmässige Breite (etwa 2 km), das geringe Gefälle besonders in der obern Hälfte und die meist sanft, aber doch zu bedeutenden Höhen ansteigenden Thallehnen setzen als thalbildende Ursache ein viel mächtigeres Gewässer voraus, als es die jetzige Hallwiler Aa darstellt.
Vielmehr weist die breite Thalmulde, deren s. Ausgang ganz unscharf durch einen niedrigen Molasserücken gebildet wird, auf einen Alpenfluss, wohl einen Vorfahren der Reuss hin, der nach seinem Austritt aus dem Gebirge in gerader nnw. Richtung die Molasseabdachung durchschnitt, bis er durch Dislokation (Rücksinken des Alpenkörpers) veranlasst wurde, dem Fuss der Alpen entlang in nö. Richtung sich ein neues Bett, das heutige untere Reussthal, zu graben. Hufeisenförmige Moränenwälle (Endmoränen), die die Thalsohle bei Ermensee und Hallwil durchqueren, veranlassten wohl nach dem Schwinden der Gletscher die Entstehung der beiden Seebecken, die daher als Moränen-Stauseen anzusprechen sind.
Eine weitere angenehme Abwechslung in dem Relief des Thales bieten die Wälle und Terrassen der Seitenmoränen, welche die beidseitigen Abhänge begleiten und durch die Wirkung fliessenden Wassers in Ketten rundlicher Hügel aufgelöst erscheinen (Hügellandschaft von Gelfingen-Hitzkirch). Die das Thal einfassenden, nach oben sanft gerundeten Molasserücken sind von ansehnlicher Höhe, so im O. die Kette des Tannwald (713 m) und Lindenberg (893 m), im W. die Egg (791 m), der Homberg (792 m) und die Erlosen oder der Herrlisberg (814 m). Den Eingang des Thales bei Lenzburg beherrschen zwei
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von beiden Seiten vorgeschobene Molassehügel, der mit dem Schlosse von Lenzburg gekrönte Schlossberg und der Staufen.
Für den Botaniker ist das Seethal ein sehr dankbares Exkursionsgebiet. Das erste Lenzeswehen wirkt auf die noch feuchten Wiesen einen marineblauen Teppich der Scilla bifolia; Aecker und Wegränder leuchten auf in dem Goldgelb der Gagea lutea; bald gesellen sich unter Hecken und Obstbäumen hinzu die Corydalis cava, in Rebgeländen das duftende Muscari racemosum, auf Waldwiesen die Primula officinalis und in Buchenwäldern das Arum maculatum. Die Lüfte jedoch werden eigentlich parfümiert durch die auf Weg und Steg in Mengen wuchernde Viola odorata.
Die anziehendsten Gestalten der Sommerflora sind auf Seen und Sümpfen die Nymphaea alba und das Nuphar luteum -, dann Drosera rotundifolia, Geranium palustre, Oenothera biennis, Gentiana cruciata, Symphytum officinale, Stachys palustris, Scutellaria galericulata, Veronica aquatica, Pedicularis palustris Sparganium ramosum;
Ranunculus lingua, R. divaricatus und R. flammula;
in Wäldern, Hecken und auf Waldwiesen Actaea spicata, Polygonatum verticillatum, Cypripedilum calceolus, Betonica officinalis, Lathraea squamaria, Scrofularia nodosa, Atropa Belladonna;
auf Feldern, Getreideäckern, Kiesgruben u. s. w. Papaver Rhoeas, Ranunculus arvensis, Reseda lutea, Vicia angustifolia, Agrimonia eupatoria, Specularia speculum, Euphrasia odontites und E. serotina;
auf Wiesen und Wegrändern Malva alcea und M. silvestris, Pastinaca sativa, Scabiosa columbaria, Teucrium botrys;
in Gärten, auf Schutthaufen und Mauern Verbascum nigrum, Hyoscyamus niger, Linaria cymbalaria und L. vulgaris, Antirrhinum majus, Matricaria chamomilla, Senecio erucifolius u. a.
Der zumeist kiesige Boden ist im allgemeinen recht fruchtbar und besonders geeignet für Wiesen- und Obstbau. Besonders begünstigt ist die nach SW. schauende rechte Thalseite. In den Geländen von Kleinwangen, Gelfingen, Hitzkirch, Ermensee, Meisterschwanden etc. breiten sich wahre Wälder von Obstbäumen aus. Die nach NO. gerichtete linke Seite leidet stellenweise an Ueberfluss nicht genügend abgeführten Wassers. Das obere (luzernische) Seethal liefert vorzüglich Kernobst, während im untern, aargauischen, Teile auch Steinobst (vor allem Kirschen) in grossen Mengen erzeugt wird.
Hier ist auch der Weinbau noch von Belang, während er in dem ehemals weinreichen Hitzkirch unaufhaltsam zurückgeht. Abgesehen von dem gewerbsamen, aufstrebenden Hochdorf stellt das luzernische Seethal einen rein landwirtschaftlichen Bezirk dar. Dagegen zeigt der aargauische Anteil eine glückliche Mischung von Landbau und Gewerbe. Letztere befassen sich vorzüglich mit Zigarrenfabrikation, Seidenindustrie, Maschinenstickerei, Herstellung von Obstkonserven, chemischen Präparaten etc. Viele Hände beschäftigt auch die Hausindustrie durch Strohflechterei. Das Strassenwesen ist im Thal selbst sehr gut entwickelt, während es auf den Bergrücken vieles zu wünschen übrig lässt. Das Thal wird durchzogen von der. Strassenbahn Emmenbrücke-Lenzburg-Wildegg (Seethalbahn). Auf dem Hallwilersee besteht eine Dampfbootverbindung zwischen Beinwil, Meisterschwanden und Birrwil. Postkurse zwischen Boniswil-Seengen-Meisterschwanden-Fahrwangen und Gelfingen-Fahrwangen-Meisterschwanden.
Vor den Sempacher Kriegen stand das ganze Seethal unter der Herrschaft Oesterreichs. Während jener Periode bemächtigten sich dann die Luzerner des zum heutigen Kanton Luzern gehörigen Gebietes, mit Ausnahme des Amtes Hitzkirch, welches wie der übrige Teil bis zum Jahr 1415 bei Oesterreich verblieb. Mit jenem Jahre wurde das heutige aargauische Seethal ein Untertanenland Berns (Vogtei Lenzburg). Das Amt Hitzkirch wurde ein Teil der sog. Freien Aemter. Die Reformation führte eine weitere Schranke zwischen den landschaftlich so eng zusammenhängenden Gebieten auf, indem der untere, bernische, Anteil reformiert wurde, der obere, luzernische, sowie das freie Amt Hitzkirch katholisch blieben. Im Jahr 1803 tauschte Luzern auch dieses Amt gegen seine bisherige Besitzung Merenschwand (im Freiamt) ein, während die frühere bernische Vogtei Lenzburg als Bezirk Lenzburg zum heutigen Kanton Aargau geschlagen wurde. Viele Spuren von Niederlassungen aus der Pfahlbauzeit und der Römerherrschaft; Burgruinen Ober Reinach, Lieli, alter Turm in Richensee, Schlösser Heidegg, Hallwil und Lenzburg.
[Dr. Jos. Brun.]