Sedativsalz
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s. v. w. Borsäure.
Sedativsalz
3 Wörter, 33 Zeichen
Sedativsalz,
s. v. w. Borsäure.
(Sedativsalz, Boraxsäure) H3BO3 findet sich in der Natur als Sassolin, hauptsächlich aber in Dämpfen (Soffioni), welche in Italien [* 3] und Kalifornien dem Boden entströmen, außerdem, an Basen gebunden, in vielen Mineralien [* 4] (s. Bor), von denen Boracit (borsaure Magnesia mit Chlormagnesium) 62,5, Boronatrocalcit (borsaurer Kalk mit borsaurem Natron) 30-44, Tinkal (borsaures Natron) 36,5 Proz. Borsäure enthalten. Zwischen Volterra und Massa marittima in Toscana liegt ein Landstrich von etwa 20 qkm, in welchem an vielen Punkten Wasserdämpfe aus Spalten und Klüften des Bodens hervorströmen und, wo sie aus Vertiefungen hervortreten, in denen Wasser angesammelt ist, dasselbe mit Schlamm vermischt hoch emporschleudern.
Solche von Dämpfen durchströmte natürliche oder künstliche Wasseransammlungen heißen Lagonen. Man findet die Soffionen in großer Anzahl sowohl an Bergabhängen, wo sie aus Spalten fester Kalksteinbänke hervordringen, als auch in Thalgründen, in denen sie sich durch einen blaugrauen Thon oder Mergel Wege gebahnt haben. Sie verändern ihren Ort, indem sie neue Ausgänge finden, während sich die alten verstopfen. Große Flächenräume werden dadurch verwüstet; auch entstehen häufig Einsenkungen des Bodens, indem hohle, durch Einwirkung der Dämpfe gebildete Räume von zusammenbrechendem Gebirge verschüttet werden.
Die Soffionen bestehen aus Wasserdämpfen, viel Kohlensäure und Stickstoff, wenig Sauerstoff und Schwefelwasserstoff, und wenn man sie verdichtet, gewinnt man eine Flüssigkeit, welche 0, 1 Proz. Borsäure nebst Schwefelverbindungen, erheblichen Mengen von Ammoniak und Kohlensäure und mechanisch von den Dämpfen fortgerissene Gesteinsteilchen enthält. Die Soffionen zerfressen das Erdreich und setzen in heißen Spalten Schwefelkristalle, kristallisierte Borsäure (Sassolin), borsauren Kalk (Hydroborocalcit oder Hayesin), borsaures Ammoniak (Larderellit) und borsaures Eisenoxyd (Lagonit) ab. Im Thal [* 5] bei Monterotondo liegt ein kleiner See von 500 m Durchmesser, aus dessen Grund mehrere Quellen und starke Soffionen hervordringen, und dessen Wasser 0,2 Borsäure enthält.
Ein ähnliches Vorkommen der Borsäure findet sich auch in Kalifornien und Nevada; auch feste Borsäure findet sich daselbst häufig, besonders in Klüften. Freie Borsäure, deren Verflüchtigung durch Wasserdämpfe vermittelt wird, dringt aus einigen Vulkanen hervor und setzt sich am umgebenden Gestein ab; erhebliche Mengen finden sich davon im Krater [* 6] der Insel Vulcano in Begleitung von Salmiak und Schwefel; auch im Auswurf der kalten Salse von Sassuolo in Modena ist Borsäure nachgewiesen worden, und viele Mineralwässer, wie die von Aix in Savoyen, Wiesbaden, [* 7] Aachen, [* 8] Vichy, Bagnères de Luchon u. a., die Mutterlauge der Saline Bex und das Meerwasser an der Küste Kaliforniens zeigen einen geringen Gehalt an Borsäure. Man leitet die Bildung der freien Borsäure aus der Zersetzung eines Lagers von Stickstoffbor (welches aber bis jetzt nirgends in der Natur aufgefunden werden konnte) durch Wasserdämpfe, natürlicher aber wohl aus der Einwirkung von Wasserdämpfen auf borsaure Salze ab. Letztere finden sich häufig im Steinsalzgebirge, welches in der Nähe der Soffionen sehr ausgedehnt und mächtig auftritt.
Der vulkanische Boden berechtigt zu der Annahme, daß dort in nicht bedeutender Tiefe hohe Temperatur herrsche, und wenn nun das Meerwasser zu dem heißen Gestein vordringt, so wird es in Dampf [* 9] verwandelt, welcher nach direkten Ermittelungen die Borsäuresalze zersetzt. Das Ammoniak kann leicht aus organischen Substanzen des Meerwassers, der Schwefelwasserstoff aus Schwefelsäuresalzen oder durch Einwirkung von Dämpfen aus Schwefeleisen entstehen. ¶
Man gewinnt die in geringer Menge aus dem Krater der Insel Vulcano (jährlich 2500 kg) und durch Zersetzung natürlichen borsauren Kalkes, hauptsächlich aber aus den Soffionen Toscanas, sowohl aus den natürlichen als aus künstlich erbohrten. Man legt über den Spalten a [* 10] (Fig. 1), welchen die Dämpfe entströmen, künstliche Lagonen an, indem man den Boden ebnet und die Umfassungsmauern b aus Bruchstein und hydraulischem Mörtel errichtet; ein hölzernes Rohr cd dient zum Ablassen der Flüssigkeit.
Die größern Lagonen umfassen bis 15 Dampfströme und haben etwa 100 m, die kleinern aber nur 30 m Umfang; man füllt sie 2 m hoch mit Wasser, an welches die durchströmenden Dämpfe und ihre andern löslichen Bestandteile abgeben, und welches außerdem die Salze aufnimmt, die sich durch Einwirkung der Oxydationsprodukte des Schwefels auf das Gestein bilden. Danach enthält die Flüssigkeit Borsäure, Gips, [* 11] schwefelsaure Magnesia, schwefelsaures Ammoniak, Chloreisen, Salzsäure, organische Substanzen und ein Öl, welches nach gesalzenen Seefischen riecht.
Man leitete früher das Wasser aus einer Lagone in die andre, erzielte aber damit keine größere Anreicherung und läßt es deshalb bei den neuern Anlagen nur je eine Lagone passieren, in der es bleibt, bis es 0,5 Proz. Borsäure enthält. Der größte Teil der Borsäure geht mit den entweichenden Dämpfen verloren, und man hat deshalb angefangen, einzelne Lagonen mit Mauerwerk zu überwölben und die Dämpfe in lange Kanäle zu leiten, wo sie kondensiert werden. Die auf solche Weise gewonnene Flüssigkeit enthält etwa 0,1 Proz. und dient zum Speisen der Lagonen. Die in letztern angereicherte schlammige, borsäurehaltige Flüssigkeit leitet man in ausgemauerte Behälter B [* 10] (Fig. 2) und, nachdem sie sich in denselben geklärt hat, in die 125 m langen Abdampfpfannen C D. Der Boden dieser Pfannen ruht auf Eisenstäben a; bleierne Scheidewände halten die schon konzentrierte Lösung von der frisch nachgelassenen getrennt, sind aber mit Öffnungen versehen, so daß die Flüssigkeit allmählich aus einer Abteilung in die andre gelangt.
Sie tritt bei d kontinuierlich ein, laugt am andern Ende c fast gesättigt an und fließt in die bleiernen Sammelbehälter D, aus welchen die Kristallisiergefäße gefüllt werden. Zur Heizung [* 12] dienen, wie erwähnt, die Soffionen selbst; sie treten bei e ein, strömen durch den Kanal [* 13] f und dann unter die Pfanne, um bei d zu entweichen. Die in den Kristallisationsgefäßen abgeschiedene Borsäure wird getrocknet und durch Umkristallisieren und Behandeln mit Tierkohle oder durch Befeuchten mit Salpetersäure und starkes Erhitzen gereinigt. Als Nebenprodukt gewinnt man schwefelsaures Ammoniak. Zur Darstellung von Borsäure aus Boronatrocalcit schließt man ihn mit Schwefelsäure [* 14] auf und behandelt ihn in Cylindern bei Rotglut mit überhitztem Wasserdampf, durch welchen die Borsäure fortgeführt und in mit Blei [* 15] ausgekleideten Kondensationskammern abgesetzt wird. Man zersetzt auch den ¶
Boronatrocalcit und ähnliche Mineralien mit Salzsäure und läßt die Borsäure aus der Lösung kristallisieren. Im kleinen kann man Borsäure bereiten, wenn man Borax [* 17] in siedendem Wasser löst und starke Salzsäure zusetzt; beim Erkalten scheidet sich ab und wird durch Umkristallisieren gereinigt. Sie bildet farb- und geruchlose, glänzende, fettig anzufühlende, schwach bitterlich schmeckende Blättchen, löst sich bei 15° in 25,6 Teilen, bei 100° in 2,9 Teilen Wasser, auch in Alkohol und verflüchtigt sich teilweise beim Verdampfen der wässerigen Lösung; die alkoholische Lösung brennt grün. Borsäure färbt Lackmus weinrot, Kurkumapapier braun; sie bläht sich beim Erhitzen stark auf, verliert bei 100° 1 Molekül Wasser und gibt also HBO2 . Aus 4 Molekülen dieser Säure tritt bei Rotglut noch 1 Molekül Wasser aus, und es entsteht Tetraborsäure H2B4O7 , welche endlich wasserfrei wird und Borsäureanhydrid (glasige Borsäure, Bortrioxyd) B2O3 hinterläßt.
Dies bildet ein farbloses, sprödes, durchsichtiges Glas, [* 18] welches in Rotglut schmilzt, sich zu Fäden ausziehen läßt, nur in der stärksten Hitze des Porzellanofens langsam verdampft und beim Glühen mit Salzen alle flüchtigen Säuren austreibt. Borsäure macht fast alle Körper, mit denen sie sich vereinigt, schmelzbar; ihre Verbindungen sind weit leichtflüssiger als die entsprechenden der Kieselsäure, mit welcher sie in mancher Beziehung Ähnlichkeit [* 19] besitzt.
Sie wirkt fäulniswidrig und wird zur Konservierung der Nahrungsmittel [* 20] benutzt. Für diesen Zweck kam sie zuerst unter dem Namen Aseptin in den Handel. Sie dient außerdem hauptsächlich zur Darstellung von Borax, dann zu Glasflüssen, Email, Glasuren, als Zusatz zur Masse der Thonwaren, [* 21] um sie schmelzbar zu machen, als Flußmittel, zur Darstellung von künstlichen Edelsteinen, zum Tränken der Kerzendochte (sie schmilzt beim Brennen derselben zu kleinen Kugeln zusammen, welche die Asche aufnehmen und abfallen), zum Färben des Goldes, zum Ätzen von Eisen [* 22] und Stahl, zur Darstellung von borsaurem Manganoxydul, welches als Sikkativ dient, und von Guignets Grün (Chromoxydhydrat). Als Arzneimittel benutzte man sie früher bei Fieberdelirien, Nervenleiden und Krämpfen, gegenwärtig nur selten als mildes Beizmittel in schmerzhaften hohlen Zähnen; größere Dosen erzeugen Magen- und Darmentzündung. Gesamtproduktion in Italien über 2,5 Mill. kg.
Borsäure ward 1702 von Homberg aus Borax abgeschieden und Sedativsalz genannt, 1777 entdeckte sie Höfer in den Soffionen Toscanas, und 1815 wurde dort eine Fabrik zur Gewinnung von Borsäure angelegt; doch rentierte dieselbe erst, seit Larderel 1828 die Wärme [* 23] der Soffionen zum Abdampfen und Trocknen der Borsäure ausnutzte. In ein neues Stadium trat die Borsäuregewinnung in Mittelitalien, seit 1854 Durval künstliche Soffionen erbohrte. In neuester Zeit machte kalifornische Borsäure der italienischen Konkurrenz.