Titel
Schwefelsäure
[* 1] H2SO4 findet sich im freien Zustand in einigen Gewässern
Südamerikas, welche
auf vulkanischem Gebiet entspringen, z. B. im
Rio
[* 2] Vinagre, der täglich 37,600 kg S. liefert, und in einigen
Wassern
Louisianas, von denen eins 5,29 g
S. in 1
Lit. enthält. Sehr weit verbreitet findet sich
S. an
Basen gebunden in Form
von
Schwefelsäuresalzen, besonders als schwefelsaurer
Kalk,
schwefelsaure Magnesia und schwefelsaures
Alkali (vgl.
Schwefel).
Sie entsteht bei Oxydation von Schwefel und schwefliger Säure, beim Lösen von Schwefelsäureanhydrid in Wasser und als Schwefelsäuresalz beim Rösten von Schwefelmetallen. Schweflige Säure, welche sich an der Luft nur langsam in S. verwandelt, erleidet diese Oxydation schnell, wenn Salpetersäure oder andre höhere Oxyde des Stickstoffs gegenwärtig sind, welche dabei zu Stickstoffoxyd reduziert werden. Letzteres bildet aber bei Gegenwart von Luft Stickstofftetroxyd, und dies wird durch schweflige Säure bei Gegenwart von Wasser wieder zu Stickstoffoxyd reduziert. Unter abwechselnder Reduktion und Regeneration einer und derselben geringen Menge von höhern Oxyden des Stickstoffs kann also theoretisch eine unbeschränkte Menge schwefliger Säure in S. verwandelt werden, und hierauf beruht die Darstellung derjenigen S., welche zuerst als englische in den Handel kam und bisweilen auch jetzt noch so bezeichnet wird.
Die
schweflige Säure wird in den Schwefelsä
urefabriken durch Verbrennen von
Schwefel nur noch erzeugt, wenn es sich um Gewinnung
arsenfreier S. handelt; meist erhält man sie durch
Rösten von
Schwefelkies (Pyrit), verarbeitet aber
auch kupfer- und silberhaltige
Kiese und gewinnt aus denselben nach dem Abrösten
Kupfer
[* 3] und
Silber. Die beim
Rösten von
Kupferkies,
Zinkblende, Kupferrohstein,
Bleistein etc. auftretende
schweflige Säure, welche bei Hüttenprozessen früher als lästiges
Nebenprodukt entwich, wird gegenwärtig ebenfalls auf S. verarbeitet (metallurgische S.).
Zum Rösten der Kiese, welche, einmal bis zur Rösttemperatur erhitzt, in größern Partien fortbrennen, benutzt man kleine, niedrige Schachtöfen (Kilns), welche stets in Gruppen angewandt und in der Art betrieben werden, daß man eine regelmäßige Gasentwickelung erhält. [* 1] Fig. 1 und 2 zeigen einen Kiesröstofen in Vorderansicht, Längs- und Querschnitt. a ist die Arbeitsthür mit der Schiebeklappe b zum Beobachten des Ofeninnern, c c sind die Thüren für die Roste und d für den Aschenfall, e ist eine kleine Arbeitsthür, und f führt in den Zugkanal.
Die Pyrite, welche 35-50 Proz. Schwefel enthalten, werden so weit abgeröstet, daß die wesentlich aus Eisenoxyd bestehenden Abbrände nur noch 3 Proz. Schwefel enthalten. Die Kiesschliche, welche beim Zerkleinern der Pyrite entstehen und nicht in die Kilns gebracht werden dürfen, weil sie den Zug hemmen würden, formt man durch Anrühren mit Wasser und Trocknen in Stücke, welche sich für die Verarbeitung in den Kilns eignen, oder man röstet sie in letztern auf Platten über dem brennenden Stückkies oder läßt sie in einem turmartigen Apparat auf geneigten Platten herabrutschen den Röstgasen entgegen, welche aus einem Kiln entweichen. Auch benutzt man den Gerstenhöferschen Röstofen, in welchem sie, nachdem derselbe weißglühend gemacht worden, von horizontal liegenden prismatischen Thonstäben aufgehalten, allmählich dem oxydierenden Luftstrom entgegen herabrieseln, so daß sie mit fortschreitender Röstung beständig sauerstoffreicherer Luft begegnen.
Die aus den Röstöfen entweichenden Gase [* 4] enthalten etwa 7-8 Volumprozent schweflige Säure und passieren bei Verarbeitung von Schlichen zunächst Flugstaubkammern, um den aus den Öfen [* 5] mechanisch fortgerissenen Staub ablagern zu lassen. Sie werden dann in gußeisernen Röhren [* 6] gekühlt, auch zur Heizung [* 7] von Abdampfpfannen benutzt, gegenwärtig aber häufiger sogleich in den Gloverturm geleitet. Auf die eine oder die andre Weise hinreichend abgekühlt, ge-
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1 u. 2. Kiesröstofen.
Fig. 1. Längsschnitt.
Fig. 2. Querschnitt.] ¶
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langen sie zur Oxydation der schwefligen Säure in die Bleikammern. Diese werden aus Bleiplatten von 2,6-3 mm Stärke, [* 9] die mit Hilfe des Knallgasgebläses zusammengelötet sind, konstruiert und erhalten einen Rauminhalt von 800-2000 cbm. Sie sind von Holzgerüsten umgeben und ruhen auf eisernen oder hölzernen Gerüsten, unter welchen die Röstöfen und Abdampfpfannen aufgestellt werden. Die Gase, welche aufeinander einwirken sollen, durchströmen die Kammern von der einen Schmalseite zur andern, und gewöhnlich sind 3-4 Kammern zu einem System vereinigt und durch weite Bleiröhren miteinander verbunden.
Die zur Oxydation der schwefligen Säure bestimmte Salpetersäure wird aus Chilisalpeter und S. in einer besondern Abteilung der Kilns entwickelt. In [* 8] Fig. 1 ist h ein Halbcylinder, der in dem Raum g auf der Platte i steht und durch den Trichter k gespeist wird, so daß sich die Salpetersäuredämpfe mit den Röstgasen mischen. Man stellt aber auch in der Bleikammer flache irdene Schalen mit breitem Überlaufschnabel treppenartig zu einem Kaskadenapparat zusammen und läßt Salpetersäure langsam durch alle Schalen strömen, so daß sie der schwefligen Säure eine große Oberfläche darbietet.
Den zur Bildung der S. erforderlichen Wasserdampf leitet man aus einem Dampfkessel
[* 10] in der Richtung der Strömung der Gase in
die Bleikammern. Die zweckmäßige Zusammensetzung der Gase, d. h. das richtige Verhältnis zwischen Sauerstoff
und schwefliger Säure, erreicht man durch den richtigen Gang
[* 11] der Öfen, einen der letzten Kammer angefügten Schornstein oder
durch ein vertikales Abzugsrohr. Die Temperatur in den Kammern beträgt etwa 45-50°. Der oben angedeutete Schwefelsä
urebildungsprozeß
verläuft am energischten in der ersten Kummer und vollendet sich in den folgenden Kammern, so daß in der
letzten die schweflige Säure verschwunden ist und rote Dämpfe von Stickstofftetroxyd und salpetriger Säure die Kammer erfüllen.
Man erreicht dieses Resultat mit etwa 3-4 Proz. Salpeter vom Gewicht des verbrannten Schwefels, muß dann aber, um Verluste an
Salpetergasen zu vermeiden, einen Gay-Lussacschen Turm
[* 12] anfügen. Dieser ist 8-15 m hoch, aus Bleiplatten
konstruiert und mit Koks gefüllt. Letztere ruhen auf einer Art Rost aus hart gebrannten Thonsteinen. Die Gase gelangen aus der
letzten Bleikammer durch das Rohr A
[* 8]
(Fig. 3) in den Turm und passieren dabei den Ventilkasten B, welcher eventuell die direkte
Abführung der Gase in die Luft durch das Rohr C gestattet.
Die Gase steigen in feiner Verteilung in der Kokssäule auf, während gleichzeitig möglichst kalte konzentrierte S. von etwa 62° B. über die Koks herabrieselt und die Salpetergase absorbiert. Die von letztern befreiten Gase ziehen durch die Rohre D und C ab und passieren dabei den Ventilkasten E, welcher bei direkter Abführung der Gase die Verbindung des Rohrs C mit dem Turm unterbricht. Die Lösung der Salpetergase in der S. (Nitrose) fließt in das Reservoir R. Die konzentrierte Säure zur Speisung des Turms passiert aus dem Behälter J eine Vorrichtung, durch welche sie gleichmäßig über die Koks verteilt wird.
Die Nitrose, welche beim Verdünnen mit Wasser lebhaft rote Salpetergase entwickelt, läßt man entweder mit warmem Wasser zusammenfließen und den Kaskadenapparat passieren, oder man läßt sie in stehenden Cylindern (Kochtrommeln) über Quarzstücke herabrinnen, während am Boden der Cylinder Wasserdampf einströmt und die Salpetergase entbindet, die dann in die Bleikammern geleitet werden; vorteilhafter aber benutzt man den dem Gay-Lussacschen Turm ähnlich konstruierten Gloverturm, welcher mit der Nitrose und Kammersäure (der in den Bleikammern sich sammelnden, noch nicht weiter konzentrierten S.) gespeist wird, während die heißen Gase aus den Kilns unten eintreten und der Säure entgegenströmen. Hierbei findet vollständige Austreibung der Salpetergase (Denitrierung) statt, und die gesamte Säure wird ohne weitere Kosten auf eine Konzentration von 62° B. gebracht, während die Gase zweckmäßig abgekühlt aus dem Turm direkt in die Bleikammern gelangen.
Die Kammersäure, welche 50, höchstens 55° B. stark ist, kann für manche Zwecke direkt benutzt werden, der Gloverturm liefert sogar S. von 60-62° B.; wo aber ein solcher Turm nicht vorhanden ist und stärkere Säure dargestellt werden soll, verdampft man die Kammersäure in Bleipfannen bis 60 oder 62° B. (Pfannensäure). Bei weitem der größte Teil der S. wird in dieser Konzentration (zur Soda- und Superphosphatfabrikation) verbraucht. Für den Handel aber stellt man konzentrierte S. (66, oft nur 65° B.) dar und zwar durch Verdampfen in Glas- oder Platingefäßen, da Blei [* 13] zu stark angegriffen werden würde.
Einen Platinapparat zeigt [* 8] Fig. 4. Der Kessel a besteht aus Platinplatten, welche mit dem Knallgasgebläse zusammengelötet sind, und ruht auf dem eisernen Ring c. Die Kammersäure läuft aus dem Hahn [* 14] b durch ein Rohr auf den erhitzten dicken Boden des Kessels, wo sie rasch konzentriert wird, während der Wasserdampf durch das Rohr l entweicht. Sowie die Säure das Niveau des Trichters d erreicht hat, fängt sie an abzufließen und gelangt durch e in das Platingefäß f, um welches ein Strom kalten Wassers in g fließt. Wenn das Gefäß [* 15] gefüllt ist, läuft die Säure durch ein Heberrohr in das ebenfalls durch Wasser gekühlte Steingutgefäß h und von da durch das Heberrohr i welches aus Blei oder Steingut besteht, in den Be-
[* 8] ^[Abb.: Fig. 3. Gay-Lussacscher Turm.] ¶
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hälter k, aus welchem sie in die Ballons abgelassen wird. Der Prozeß geht ununterbrochen fort, wenn die Kammersäure in richtigem Verhältnis zufließt. Sehr häufig benutzt man statt des Platinapparats auch Glasretorten, welche etwa 135 Lit. fassen, aus einem flaschenförmigen Gefäß und Helm bestehen und einzeln in Kapellen mit Sandbad mit eigner Feuerung aufgestellt sind. Man füllt die Retorten, von denen etwa 20-50 in einem durchaus zugfreien Haus im Betrieb sind, mit warmer, 60gradiger Säure, feuert etwa 12 Stunden, läßt dann 12 Stunden abkühlen und zieht die konzentrierte Säure mit einem Heber [* 17] ab. Unter Anwendung terrassenförmig aufgestellter und durch Heber miteinander verbundener Retorten kann man auch kontinuierlichen Betrieb erzielen, indem die S. aus einer Retorte in die andre und zwar aus der von der gemeinsamen Feuerung entferntesten allmählich in die am stärksten geheizte Retorte gelangt.
Theoretisch sollten 100 Teile Schwefel 306,25 Teile S. liefern; man erhält aber im Durchschnitt aus Rohschwefel
296-300 und aus Pyrit auf 100 Teile wirklich verbrannten Schwefel 283-301 Teile S. Die Kammersäure wird häufig mit Schwefelwasserstoff
behandelt, welche S. neben Arsen auch Blei, Antimon, Kupfer, Selen fällt und salpetrige Säure, Salpetersäure und schweflige Säure
zerstört. Die konzentrierte S. des Handels ist oft durch hineingefallenen und zum Teil verkohlten Staub
mehr oder weniger braun gefärbt; sie enthält meist etwas schwefelsaures
Bleioxyd, welches sich beim Verdünnen abscheidet,
gewöhnlich auch Salpetersäure oder Oxyde des Stickstoffs und Arsen.
Reine S. erhält man durch Aufkochen der etwas verdünnten Säure des Handels mit schwefelsaurem
Ammoniak (zur Entfernung der
Oxyde des Stickstoffs) und Zugeben von chromsaurem Kali (zur Oxydation der arsenigen Säure). Man gießt von
ausgeschiedenem Bleisulfat ab, destilliert aus dem Sandbad, wobei nur die Seiten der Retorte erhitzt werden dürfen, und vermeidet
das Stoßen durch Einlegen von Platindraht oder Platinblechschnitzeln. Wenn 0,16 Volumen übergegangen ist, wechselt man die
Vorlage und destilliert, bis von 10 Teilen roher S. 6 Teile in der Vorlage sich befinden.
Reine S. ist farb- und geruchlos, fließt wie Öl, raucht nicht an der Luft, zischt nicht beim Eingießen in Wasser und wirkt höchst ätzend. Sie besitzt das spez. Gew. 1,840, enthält noch 1,5 Proz. Wasser und siedet bei 338°, in der Kälte kristallisiert aber wasserfreie S. heraus, welche bei 10,5° schmilzt und das spez. Gew. 1,857 besitzt; sie beginnt bei 290° zu sieden, gibt Schwefelsäureanhydrid ab und hinterläßt unter Steigerung der Temperatur eine Säure von oben angegebener Beschaffenheit. S. zieht aus der Luft begierig Wasser an und entwickelt beim Verdünnen mit Wasser viel Wärme. [* 18] Man muß stets, wenn man S. mit Wasser mischen will, die Säure vorsichtig und unter Umrühren in das Wasser gießen, niemals umgekehrt, weil sonst durch plötzliche Dampfbildung die Säure umhergeschleudert werden würde. Den Gehalt verdünnter S. von verschiedenem spezifischen Gewicht zeigt nebenstehende Tabelle (S. 731).
S. ist eine starke Säure; sie neutralisiert die stärksten Basen vollständig und bildet zwei Reihen Salze; sie treibt die andern Säuren aus ihren Verbindungen aus und wird selbst regelmäßig nur durch nicht flüchtige Säuren in hoher Temperatur deplaciert. Sie löst die meisten Metalle entweder als verdünnte Säure unter Entwickelung von Wasserstoff oder als konzentrierte Säure unter teilweiser Reduktion zu schwefliger Säure. Platin wird von konzentrierter S. nicht angegriffen, Gußeisen widersteht einer Säure von höherm spezifischen Gewicht als 1,65 in der Wärme und in der Kälte sehr gut, und Blei wird nur von Säure angegriffen, welche ein höheres spezifisches Gewicht besitzt als 1,71. Auch durch Kohle, Schwefel, Phosphor und bei 160° durch Wasserstoff wird sie zu schwefliger Säure reduziert.
Leitet man den Dampf [* 19] von S. durch glühende Röhren, so zerfällt er in schweflige Säure, Sauerstoff u. Wasser. Organischen Stoffen entzieht S. die Elemente des Wassers, oft unter tief greifender Zersetzung, Verkohlung, Entwickelung von Kohlenoxyd, Kohlensäure, schwefliger Säure. Alkohol wird durch S. in Äthylen u. Wasser zerlegt, und bei Einwirkung minder konzentrierter Säure entsteht Äther; Glykoside werden durch sie gespalten, Fette in Glycerin und fette Säuren zerlegt, Papier wird von konzentrierter S. in Pergamentpapier umgewandelt, Cellulose und Stärkemehl bei längerer Einwirkung verdünnter S. in Dextrin und Zucker [* 20] übergeführt etc.
Rauchende S. (Nordhäuser Vitriolöl, Oleum) ist eine Mischung von S. (H2SO4) ^[(H2SO4)] und Pyroschwefelsäure
(H2S2O7) ^[(H2S2O7)]. Sie wird dargestellt, indem man Vitriolschiefer (schwefelkieshaltigen Thonschiefer)
an der Luft stark verwittern läßt, dann auslaugt, die Lauge, welche schwefelsaures
Eisenoxydul und schwefelsaures
Eisenoxyd
enthält, verdampft, den Rückstand im Flammofen kalciniert und in kleinen irdenen Kolben mit irdenen
Vorlagen im Galeerenofen erhitzt. Das schwefelsaure
Eisenoxyd zerfällt hierbei in Eisenoxyd (Totenkopf, Caput mortuum), welches
in der Retorte zurückbleibt, und
[* 16]
^[Abb.: Fig. 4. Platinapparat zur Konzentrierung der Schwefelsäure.]
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