Schwarzbur
g-Rudolstadt
,
deutsches Fürstentum, dessen Gebiet aus zwei getrennten Teilen, nämlich der am Thüringer Wald gelegenen Oberherrschaft und aus der von der preußischen Provinz Sachsen [* 2] umschlossenen Unterherrschaft, besteht. Die Oberherrschaft umfaßt das Hauptland zwischen Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Schwarzburg-Sondershausen und Sachsen-Gotha, ferner das von diesem durch sachsen-meiningisches Gebiet getrennte und sonst noch von preußischem und reußischem Gebiet begrenzte Amt Leutenberg und vier kleine Parzellen, während die Unterherrschaft aus einem größern, zwischen Preußen, [* 3] Schwarzburg-Sondershausen und dem sachsen-weimarischen Amt Allstedt gelegenen Gebiet und zwei kleinern Enklaven zusammengesetzt ist.
Beide Landesteile sind gebirgig. In der Oberherrschaft, die mit ihrem südlichen Teil im Thüringer Wald, mit ihrem nördlichen im thüringischen Hügelland liegt, sind die höchsten Punkte der Großfarmdenkopf (872 m) und der Wurzelberg (844 m); in die südöstliche Ecke der Oberherrschaft ziehen sich die Nordabhänge des Frankenwaldes hinein. Der Unterherrschaft gehört der Kyffhäuser (471 m) an. Der Hauptfluß der Oberherrschaft ist die Saale, welche zuerst das Amt Leutenberg und dann den nordöstlichen Teil des Amtes Rudolstadt [* 4] durchfließt und als wichtigste Nebenflüsse die Loquitz mit der Sornitz und die Schwarza aufnimmt.
Der nordwestliche Teil der Oberherrschaft, das Amt Stadtilm, wird von der Ilm durchflossen, und auf kurze Strecken berühren noch die Wipfra und Gera [* 5] die Parzellen Elxleben und Angelroda. Den Südwesten der Unterherrschaft durchfließt die Wipper. Von Badeorten sind Frankenhausen (Solbad) und Blankenburg (klimatischer Kurort) zu nennen. In den im Thüringer Wald gelegenen Landesteilen ist das Klima [* 6] rauher als in den nördlichen Gegenden. Für letztere beträgt die mittlere Wärme [* 7] +7,5° C., im nördlichen Teil der Oberherrschaft steigt dieselbe auf +8,7° C., während sie in den höher gelegenen südlichen Teilen auf +5° C. sinkt.
Das Fürstentum S. hat einen Flächeninhalt von 940,88 qkm (17,09 QM.), wovon 733,69 qkm (13,32 QM.) auf die Oberherrschaft (Rudolstadt) u. 207,19 qkm (3,77 QM.) auf die Unterherrschaft (Frankenhausen) entfallen. Von der Gesamtbevölkerung, welche 83,836 Seelen betrug, kamen 79 Proz. auf die Oberherrschaft, 21 Proz. auf die Unterherrschaft. Die große Masse der Bevölkerung [* 8] ist protestantisch, es gab nur 526 Römisch-Katholische und 45 Juden. Unter den Wohnplätzen sind 8 Städte und 157 Landgemeinden.
Dem Schulwesen wird große Sorgfalt zugewandt; es bestehen ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Realschule, ein Lehrerseminar, 2 höhere Töchterschulen und 135 Volksschulen. Von Privatanstalten ist die Erziehungsanstalt in Keilhau zu erwähnen. In Rudolstadt befinden sich eine fürstliche Landesbibliothek, ein Naturalienkabinett und eine Gemäldesammlung. Was die Bodenbenutzung anbelangt, so sind Holzungen, Ackerland, Wiesen und Weiden die hauptsächlichsten Faktoren.
Der Getreidebau bildet in der Unterherrschaft den Hauptnahrungszweig, in der Oberherrschaft sind, besonders im Süden und W., wo das Ackerland hinter den Waldungen bedeutend zurücktritt, Gewerbe und Waldarbeit die vorzüglichsten Nahrungsquellen. Dagegen sind diese Waldbezirke reich an trefflichen Wiesen, die zu einer erheblichen Viehzucht [* 9] Veranlassung gegeben haben. Von der produktiven Fläche sind (1888) 35,750 Hektar Ackerland, 984 Gärten, 7390 Wiesen, 1723 Weiden, 41,358 Hektar Holzungen. 21,113 Hektar (22 Proz. der Gesamtfläche) gehören zum Domanialbesitz.
Von hervorragender Bedeutung ist die Forstkultur im Thüringer Walde. Derselben wird allgemein, besonders von seiten des Staats, der 46 Proz. des gesamten Waldareals besitzt, große Sorgfalt gewidmet. Vorherrschend ist Nadelholz. Das Wildbret hat sich in neuerer Zeit vermindert, doch ist Federwild noch ziemlich zahlreich vorhanden. Ein Wildpark befindet sich bei Schwarzburg. [* 10] Obst- und Gemüsebau wird besonders in der Unterherrschaft, Weinbau im Saalthal getrieben. Im Thüringer Wald sind massenhaft wachsende Waldbeeren, die zur Sommerzeit einen nennenswerten Handelsartikel bilden, fast das einzige Obst. Der Viehstand betrug 1883: 2813 Pferde, [* 11] 19,831 Stück Rindvieh, 39,024 Schafe, [* 12] 19,544 Schweine, [* 13] 14,420 Ziegen;
es gab 4121 Bienenstöcke.
Geflügelzucht ist allgemein verbreitet.
Bergbau [* 14] wird auf Eisen, [* 15] Braunkohlen, Gips, [* 16] Schwerspat und Schiefer betrieben; besonders die Thäler der Schwarza, Lichte und Loquitz sind reich an Schieferbrüchen. Eine Saline besteht in Frankenhausen. Die bedeutendsten Gewerbe sind die Porzellanindustrie (403 Betriebe) und Glasindustrie (23 Betriebe für Glasfabrikation [* 17] und -Veredelung und 266 Glasbläsereien vor der Lampe), [* 18] die beide ausschließlich in der Oberherrschaft betrieben werden. Hauptorte für erstere sind: Volkstedt, Katzhütte, Lichte bei Wallendorf, Scheibe, Rudolstadt, Neuhaus, für letztere: Neuhaus, Geiersthal, Schmalenbuche.
Außerdem erstreckt sich die Industrie auf die Fabrikation von Maschinen, mathematischen, physikalischen etc. Instrumenten (besonders Thermometer), [* 19] von Papier, Holzstoff, [* 20] Spielwaren, Perlmutterknöpfen, Pinseln, auf den Bau von Orgeln und Pianofortes, auf Wollspinnerei und -Weberei, Bleicherei, Färberei, Appretur, Seilerei, Gerberei. Die vielen vorhandenen Wasserkräfte werden von zahlreichen Mühlwerken, in einigen Fällen auch unter Zuhilfenahme von Dampfkraft, ausgenutzt. Endlich gibt es eine Rübenzuckerfabrik (Frankenhausen). Zur Ausfuhr kommen: Holz [* 21] ¶
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und Holzwaren, Schiefer, Porzellan, Glas, [* 23] Farbewaren, Bleiweiß, [* 24] Droguen, Eisen, Garn und Gewebe, [* 25] Leder, Wolle, Schlachtvieh, Getreide [* 26] etc. Wollmärkte werden zu Rudolstadt und Frankenhausen abgehalten. Wie in Schwarzburg-Sondershausen, steht die Unterherrschaft unter preußischer Zollverwaltung, während die Oberherrschaft zum Thüringer Zollverein gehört. Letztere wird von der Saaleisenbahn durchzogen. Die Zahl der Sparkassen betrug 1886 elf, in denen 7,4 Mill. Mk. hinterlegt waren.
Das Fürstentum hat eine konstitutionell-monarchische Verfassung, die auf dem Grundgesetz vom und dem Gesetz vom beruht. Seit regiert Fürst Georg (geb. Bei Ausübung des Gesetzgebungs- und Besteuerungsrechts ist der Fürst an die Mitwirkung des Landtags gebunden, der aus 16 Abgeordneten besteht, von denen 4 von den Höchstbesteuerten, 12 von den übrigen wahlberechtigten Staatsangehörigen in geheimer Abstimmung gewählt werden.
Die Wahlperiode dauert drei Jahre; im Fall einer Auflösung muß die Einberufung des neuen Landtags binnen sechs Monaten erfolgen. Der Landtag wählt einen Präsidenten aus seiner Mitte und wird für die Zeit, in der er nicht versammelt ist, durch einen ständigen Ausschuß vertreten. Die Staatsverwaltung ist durch Gesetz vom neu organisiert worden. Danach hat die oberste Leitung der Regierungsgeschäfte das Ministerium, an dessen Spitze ein dem Landtag verantwortlicher Minister steht, und dem mehrere dem Landtag gleichfalls verantwortliche Abteilungsvorstände beigeordnet sind.
Unmittelbar unter dem Ministerium stehen die drei Landratsämter Rudolstadt, Königsee und Frankenhausen. Oberste Gerichtsinstanz ist das Oberlandesgericht zu Jena, [* 27] die zweite Instanz repräsentiert das Landgericht zu Rudolstadt, dem im Fürstentum sieben Amtsgerichte unterstellt sind. Dasselbe fungiert auch für den Saalfelder Kreis [* 28] von Sachsen-Meiningen und den preußischen Kreis Ziegenrück. Der Staatshaushaltsetat für die Finanzperiode 1888-90 weist eine jährliche Einnahme und Ausgabe von 2,234,200 Mk. auf; einer Staatsschuld von 4,271,200 Mk. stehen Aktiva im Betrag von 2,337,100 Mk. gegenüber.
Die Matrikularbeiträge für 1888-89 sind auf 377,640 Mk. veranschlagt. Die Einkünfte des Domanialvermögens werden zunächst zur Deckung des Aufwandes der fürstlichen Familie verwendet (nach dem Budget für 1888 bis 1890 jährlich 291,817 Mk.). In militärischer Hinsicht bildet das Kontingent des Fürstentums mit den Truppen von Sachsen-Altenburg und der beiden Reuß [* 29] das 7. thüringische Infanterieregiment Nr. 96, von dem ein Bataillon in Rudolstadt liegt. Im deutschen Bundesrat führt das Fürstentum eine Stimme und sendet einen Abgeordneten in den deutschen Reichstag.
Residenz ist Rudolstadt. Das Wappen [* 30] von S. ist dem von Schwarzburg-Sondershausen gleich (s. Tafel »Wappen«); das kleine zeigt den deutschen Reichsadler in Gold [* 31] (zum Andenken an die vom Grafen Günther XIX. 1349 bekleidete deutsche Königswürde), das größere enthält die Zeichen der Landesteile, das erwähnte kleine Wappen und das Zeichen von Schwarzburg (goldener Löwe in Blau) und wird von sechs gekrönten Helmen bedeckt sowie von einem wilden Mann und einem wilden Weib gehalten. Die Landesfarben sind Weiß und Blau. Zur Belohnung treuer Dienste [* 32] in Anerkennung ausgezeichneter Leistungen ist 1858 von den Fürsten von S. und Schwarzburg-Sondershausen ein gemeinsames Ehrenkreuz in vier Klassen gestiftet worden, dem eine Ehrenmedaille in zwei Abteilungen hinzugefügt ist; daneben werden noch Militärdienstauszeichnungen u. Militärmedaillen verliehen. S. Karte »Sächsische Herzogtümer«. [* 10] Geschichte s. unten (S. 692).