Schußwunden
(Vulnera sclopetaria),
Wunden, welche durch
Geschosse
[* 2] oder Geschoßstücke hervorgebracht werden; zeigen
im Anfang unbedeutenden
Schmerz, bluten wenig, und die
Blutung stillt sich bald, wenn nicht gerade eine größere
Schlagader
durch eine
Kugel verletzt wurde.
Schnelle
Kugeln machen ein kleines, enges
Loch in der
Haut,
[* 3] als ob es gestochen
wäre; matte
Kugeln dagegen verursachen ausgebreitete
Quetschung, Zerreißung und
Blutunterlaufung. Meist verursacht das
Projektil
außer der Schußwunde
auch noch einen höhern oder geringern
Grad von
Erschütterung des verletzten Teils oder des ganzen
Körpers, besonders wenn die
Kugel den
Knochen
[* 4] traf, und infolgedessen verminderte
Empfindlichkeit oder völlige
Stumpfheit des verletzten Teils,
Ohnmacht,
Zittern, kalten
Schweiß,
Erbrechen,
Schwindel, kleinen
Puls etc. Der Weg, welchen die
Kugel im
Körper nimmt, entspricht durchaus nicht immer ihrem ursprünglichen
Lauf; besonders geht sie oft bogenförmig unter
der
Haut hin, sobald sie diese durchbohrt hat, und wird durch
Aufschlagen auf
Knochen abgelenkt (sie rikoschettiert).
Von Verletzungszuständen, welche bei S. sehr verschieden sein können, unterscheidet man gewöhnlich folgende Fälle:
1) Die Kugel dringt nicht durch die Haut ein, verletzt aber die darunterliegenden Teile, so daß die Muskeln [* 5] und die übrigen Teile in verschiedenem Grad zerquetscht und selbst die Knochen zermalmt sein können, ohne daß die Haut sich verletzt zeigt. Diese Luftstreifschüsse (Prellschüsse) kommen vor, wenn die Kugel nicht Kraft [* 6] genug hatte, einzudringen, oder wenn sie die Körperoberfläche unter sehr schiefem Winkel [* 7] traf.
2) Die Kugel dringt durch die Haut ein, bleibt aber weiterhin stecken, und der Schußkanal hat nur eine Öffnung.
3) Die Kugel schlägt durch den getroffenen Teil hindurch, der Schußkanal hat zwei Öffnungen, wovon die, durch welche die Kugel eindrang, eingedrückt und nur so groß oder selbst kleiner als die Kugel ist, während der Umfang der Austrittsöffnung größer, aufgeworfen, unregelmäßig zerrissen und gequetscht ist.
4) Die Kugel reißt in der Haut nur eine Furche, quetscht und zertrümmert die benachbarten Teile.
5) Die Kugel hat ein Glied [* 8] größtenteils oder völlig hinweggerissen. Außerdem unterscheidet man noch einfache und komplizierte S., je nachdem bloß Weichteile von geringerer Bedeutung oder daneben auch große Gefäße, Nerven [* 9] und Knochen verletzt sind. Die S. sind übrigens meist durch das Vorhandensein fremder Körper in dem Schußkanal kompliziert. Diese können sein: die Kugel selbst, Teile von Kleidungsstücken, Knochensplitter etc. Matte Kugeln schlagen gewöhnlich eine größere Partie der Kleidungsstücke in den Wundkanal als Kugeln, welche noch in kräftigem Lauf sind.
Die
Prognose der Schußwunde
richtet sich zunächst nach der Wichtigkeit des verletzten
Organs, dann nach
dem
Umfang der Zerstörung, welche das
Projektil durch seine
Masse und
Geschwindigkeit hervorgebracht hat. Dabei muß man bedenken,
daß die Verletzten (im
Krieg), obgleich sonst nach
Alter und
Konstitution sehr widerstandsfähig, sich meist unter den ungünstigsten
äußern Verhältnissen befinden. Wenn es sich nicht um sofortige
Amputation des
Gliedes oder um Stillung
einer bedeutenden
Blutung handelt, so ist zunächst die
Kugel, sofern sie im
Grunde des Schußkanals nahe unter der
Haut liegt,
durch eine künstlich gemachte Gegenöffnung zu entfernen, indem man die
Haut auf der
Kugel einschneidet.
Hinter der Kugel findet man beinahe immer etwas von den eingeschlagenen Kleidungsstücken, das man sorgfältig entfernen muß. In manchen Fällen, wo sich die Kugel nicht schonend genug entfernen läßt, und wo dieselbe keine besondern Zufälle (etwa durch Druck auf einen Nerv etc.) bedingt, ist es geratener, die Extraktion einer spätern Zeit zu überlassen. Bei Kugeln, welche im Knochen feststecken, kann unter Umständen die Trepanation (s. d.) notwendig werden, es kann auch Einheilen derselben vorkommen, obwohl eine Eiterung der gewöhnlichste Ausgang ist, der in gleicher Weise beim Zurückbleiben andrer Fremdkörper auch in den Weichteilen eintritt.
Kugeln, die im Körper stecken geblieben sind, senken sich späterhin häufig, bis sie endlich unter die Haut zu liegen kommen, von wo sie durch eine künstliche Öffnung leicht entfernt werden. Früher stellte man als allgemeines Verfahren die künstliche Erweiterung der S. hin, gegenwärtig jedoch nimmt man eine solche nur in einzelnen ganz bestimmten Fällen vor. Die übrige Behandlung der S. unterscheidet sich nicht von derjenigen der gequetschten Wunden überhaupt.
Sehr häufig treten im weitern Verlauf der S. Nachblutungen von oft sehr bedenklicher Art auf. Die Behandlung der S., die mit Brüchen (Schußfrakturen), Splitterung und Zermalmung des Knochens kompliziert sind, ist verschieden nach der Art der Verletzung. Welche Fälle von Schußverletzungen die Amputation erheischen, ist immer sehr schwierig zu bestimmen. Es kommt hierbei nicht bloß auf die Wichtigkeit der Verletzung an und für sich, sondern auch auf viele äußere Verhältnisse an. Im Krieg muß mancher amputiert werden, dem man im Frieden sehr wohl sein verwundetes Glied erhalten könnte.
Wenn die Beschaffenheit der Wunde die Amputation erfordert, so wird dieselbe in den ersten 12-24 Stunden vorgenommen, ehe noch die sekundären Zufälle sich eingestellt haben. Je frühzeitiger man zur Amputation schreitet, um so günstiger wird der Erfolg derselben sein. Sind aber bereits sekundäre Zufälle vor der Operation eingetreten, so muß diese bis in die Periode der Eiterung verschoben werden, bis der Kranke in einen ruhigen und relativ guten Zustand versetzt ist. Selbst dann, wenn die Amputation durch die Natur der Wunde nicht sogleich indiziert ist, kann doch die Operation noch später notwendig werden, und zwar wegen Brand des Gliedes, wegen Wundstarrkrampfes, dessen Ursache in der Wunde liegt und auf keine andre Weise entfernt werden kann, wegen erschöpfender Eiterung und wegen einer nicht zu stillenden Blutung.
Die Resultate der Behandlung der S. im Krieg, namentlich der schweren Fälle, sind im ganzen sehr schlechte, oft geradezu traurige. Es summieren sich hier eine ganze Anzahl schädlicher Momente: die schlechte Ernährung, ein wenn auch jugendlicher, so doch durch vorhergegangene Strapazen geschwächter Körper, die ungenügenden Transportmittel, mannigfache psychisch schädliche Einwirkungen, die mangelhafte Pflege, vor allem aber die ungünstigen lokalen Verhältnisse, die es bedingen, daß oft eine außerordentlich große Zahl von Schwerverwundeten auf engem Raum zusammengepfercht werden muß, wodurch erfahrungsgemäß Epidemien der schlimmsten Wundkrankheiten, Pyämie, Hospitalbrand etc., entstehen. Die moderne Kriegschirurgie arbeitet auf das eifrigste daran, diesen Schäden entgegenzutreten: man ist bemüht, durch Verbesserungen der Transportmittel, Krankenwagen und Sanitätseisenbahnzüge die Zusammenhäufung zu verhindern und durch ein verbessertes Evakuationssystem eine bessere ¶
mehr
Krankenzerstreuung, namentlich nach rückwärts, nach dem Heimatland, herbeizuführen. Anderseits ist zu hoffen, daß die Einführung des antiseptischen Verfahrens (s. Wunde) in die Kriegschirurgie eine ähnliche Besserung im Verlauf der S. herbeiführen wird, wie sie dieselbe bei den Verletzungen des zivilen Lebens in so glänzender Weise gezeigt hat.
Vgl. Stromeyer, Maximen der Kriegsheilkunde (2. Aufl., Hannov. 1862);
Pirogow, Grundzüge der allgemeinen Kriegschirurgie (Leipz. 1864);
Fischer, Handbuch der Kriegschirurgie (2. Aufl., Stuttg. 1882, 2 Bde.);
Richter, Chirurgie der Schußverletzungen etc. (Bresl. 1875-77).