Titel
Schlosser
,
1) Johann Georg, Schriftsteller, geb. 1739 zu Frankfurt [* 2] a. M., war ein Jugendfreund Goethes und verheiratete sich, zum badischen Oberamtmann in Emmendingen ernannt, im Herbst 1773 mit Goethes Schwester Cornelia. Nach deren frühem, 1777 erfolgtem Tod vermählte er sich 1778 zum zweitenmal mit der Frankfurterin Johanna Fahlmer, der Vertrauten Goethes in den mannigfachen Erlebnissen und innern Kämpfen seiner Sturm- und Drangperiode (»Goethes Briefe an J. F. ^[Johanna Fahlmer]«, hrsg. von Urlichs, Leipz. 1874). S. ward 1787 Geheimer Hofrat in Karlsruhe [* 3] und 1790 Geheimrat und Direktor des Hofgerichts.
Weil eine von ihm zu gunsten der Armen erlassene Verordnung wieder zurückgenommen worden war, nahm er 1794 seine Entlassung und lebte nun als Privatmann teils in Ansbach, [* 4] teils in Eutin. 1798 von Frankfurt a. M. zum Syndikus gewählt, starb er daselbst Im Verein mit Merck, Goethe u. a. gründete er 1771 die Frankfurter »Gelehrten Anzeigen« und veröffentlichte außer mehreren Übersetzungen aus Platon, Aristoteles und Äschylos: »Seuthes, oder der Monarch« (Straßb. 1788) u. »Kleine Schriften« (Basel [* 5] 1779-1794, 6 Bde.).
Vgl.
Nicolovius,
Joh.
Georg Schlossers
Leben und litterarisches Wirken
(Bonn
[* 6] 1844).
2) Friedrich Christoph, ausgezeichneter Geschichtschreiber, geb. zu Jever, studierte 1794-97 in Göttingen [* 7] Theologie, wie auch seine ersten Schriften: »Abälard und Dulcin« (Gotha [* 8] 1807) und »Leben des Theodor von Beza und des Peter Martyr Vermili« (Heidelb. 1809), theologischen Inhalts waren, und ward dann Hauslehrer in Frankfurt a. M. Die 1808 an der Schule zu Jever erlangte Konrektorstelle legte er schon 1810 wieder nieder und kehrte nach Frankfurt zurück, wo er an seiner »Geschichte der bilderstürmenden Kaiser des oströmischen Reichs« (Frankf. 1812) arbeitete.
Vom Fürsten-Primas wurde er 1812 an dem neuerrichteten Lyceum zum Professor der Geschichte und Philosophie ernannt; als dasselbe 1814 eingegangen war, erhielt er die Stelle eines Stadtbibliothekars. 1819 ward er als Professor der Geschichte nach Heidelberg [* 9] berufen, wo er eine äußerst wirkungsvolle Lehrthätigkeit entwickelte, 1824 den Titel als Geheimer Hofrat und später als Geheimrat erhielt und starb. Unter seinen Werken sind hervorzuheben: »Weltgeschichte in zusammenhängender Erzählung« (Frankf. 1817-24, 9 Bde.; 2. Aufl. 1839-41);
»Geschichte des 18. Jahrhunderts« (Heidelb. 1823, 2 Bde.; 2. Aufl. u. d. T.: »Geschichte des 18. Jahrhunderts und des 19. bis zum Sturz des französischen Kaiserreichs« das. 1836-48, 6 Bde.; 5. Aufl. 1864-66, 8 Bde.);
»Universalhistorische Übersicht der Geschichte der Alten Welt und ihrer Kultur« (Frankf. 1826-34, 9 Tle.);
»Zur Beurteilung Napoleons und seiner neuesten Tadler und Lobredner« (das. 1832-35, 3 Bde.);
»Dante« (Leipz. 1855);
»Weltgeschichte für das deutsche Volk« (Frankf. 1844-56, 18 Bde. und Register; 4. Ausg., bearbeitet und fortgesetzt von Jäger und Wolff, Berl. 1884-88, 19 Bde.),
wovon die ersten 8
Bände nach Schlossers
Schriften von
Kriegk bearbeitet sind.
Mit Bercht gab S. das »Archiv für Geschichte und Litteratur« (Frankf. 1830-35, 3 Bde.) heraus. Wiewohl ein wissenschaftlich durchgebildeter und vielfältig belesener Historiker, ging S. doch nicht darauf aus, durch schöne Form zu wirken oder von seiner Gelehrsamkeit den Beweis zu führen; er stand sogar in ausgesprochenem Gegensatz zu der kritischen wie zu der künstlerischen Geschichtschreibung. Der wissenschaftliche Gehalt seiner Werke steht hinter der moralischen Wirkung weit zurück.
Der Liberalismus seiner Ansichten sowie die schlichte, einfach vernünftige Denkweise, die ungeschminkte Ehrlichkeit, die rücksichtslose Wahrheitsliebe und die scharfe, sittenstrenge Beurteilung der Personen und Zeiten haben seine Werke dem Verständnis und dem Gefühl des Volkes näher als die irgend eines andern Geschichtschreibers gebracht, und er hat auf den gebildeten Mittelstand seiner Zeit und dessen politische Anschauungen mächtig eingewirkt, ohne selbst je politisch thätig gewesen zu sein.
Ein Denkmal wurde ihm 1876 in Jever errichtet.
S., ein Nekrolog (Leipz. 1861; dazu die
Kritik von
Löbell:
»Briefe über den Nekrolog Schlossers
etc.«, anonym,
Chemn. 1862);
Weber, Fr. Chr. S. der Historiker, Erinnerungsblätter (Leipz. 1876);
Erdmannsdörffer, Gedächtsnisrede ^[richtig: Gedächtnisrede; im
Original-Buchtitel: Gedächtnissrede] zu der
Feier von Schlossers
100jährigem
Geburtstag (Heidelb. 1876);
O. Lorenz, F. C. S. und über einige Aufgaben und Prinzipien der Geschichtschreibung (Leipz. 1878).
3)
Johann
Friedrich
Heinrich, bekannt als eifriger Verfechter ultramontaner
Tendenzen, geb. zu
Frankfurt a. M., praktizierte seit 1803 als
Advokat daselbst, ward 1806 vom
Fürsten-Primas zum Stadtgerichtsrat ernannt, legte
aber diese
Stelle bei
Auflösung des Großherzogtums
Frankfurt nieder und trat mit seiner
Gattin
Sophie, gebornen du
Fay, zur katholischen
Kirche über. Er starb in seiner Vaterstadt S. schrieb unter anderm:
»Die morgenländische orthodoxe
Kirche Rußlands und das europäische
Abendland« (Heidelb. 1845) und »Die
Kirche in ihren Liedern
durch alle
Jahrhunderte« (2. Aufl., Freiburg
[* 10] 1863). Schlossers
»Nachlaß«
(Mainz
[* 11] 1856-1859, 4 Bde.: Wanderfrüchte, Gedichte,
Legenden
etc.) gab seine
Gattin (gest. in
Stift
Neuburg)
[* 12] heraus. Auch veröffentlichte Frese »Goethe-Briefe
aus
Fritz Schlossers
Nachlaß« (Stuttg. 1877).