Schlesische
Dichterschulen
, s.
Deutsche Litteratur,
[* 2] S. 742 f.
Schlesische Dichterschulen
18 Wörter, 131 Zeichen
Schlesische
Dichterschulen
, s.
Deutsche Litteratur,
[* 2] S. 742 f.
Deutsche Litteratur (V
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Seite 4.733.Litteratur, im weitesten Sinn der Inbegriff der gesamten Schriftwerke des deutschen Volkes, insofern dieselben Geistesprodukte von bleibender und nachwirkender Bedeutung und dadurch Gegenstand fortgesetzten Anteils sind oder doch einen bestimmten geschichtlichen Wert für gewisse Perioden und Kulturentwickelungen gehabt haben. In der Regel unterscheidet man die deutsche Nationallitteratur von der wissenschaftlichen (gelehrten) Litteratur der verschiedensten Gebiete.
Der Begriff der Nationallitteratur, die uns hier zunächst und hauptsächlich beschäftigt, kann mit einer gewissen Willkür bald verengert, bald erweitert werden; immer aber bleibt es unzweifelhaft, daß die poetischen Schöpfungen im Mittelpunkt der Nationallitteratur stehen und den wichtigsten Teil derselben bilden. »Unter den Denkmälern der Litteratur sind die poetischen insofern die wichtigern, als sie, ihren Zweck in sich selbst tragend, auf eine freiere, deutsches Gemüt und deutschen Geist entschiedener aussprechende Weise entstanden sind als die meisten Werke der Beredsamkeit, das Wort im weitern Sinn verstanden, da bei deren Abfassung in der Regel praktische oder wissenschaftliche Zwecke vorzugsweise gewaltet haben« (Koberstein).
Spottiswoode - Sprache
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Sprache.Die außerhalb der Dichtung stehenden Werke der Nationallitteratur können im wesentlichen nur solche sein, welche sich durch eine durchgebildete, schöne Form auszeichnen und in gewissem Sinn eine ästhetische Wirkung hervorzubringen vermögen. Die Aufgabe der Geschichte der deutschen Litteratur bleibt es daher, der Entwickelung des deutschen Volksgeistes und der deutschen Sprache, [* 5] wie sie sich in den Tausenden von Schriftwerken der bezeichneten Art darstellt, treu und sorgsam nachzugehen, die Wechselwirkung zwischen dem nationalen Leben und unsrer Litteratur klar zu machen, den Reichtum von Besonderheiten, die doch wieder einem allgemeinen Gesetz untergeordnet erscheinen, zu erfassen, die Entwickelungsbeziehungen zwischen den einzelnen Zeiträumen und Schöpfungen der Litteratur darzulegen, und durch historisch-ästhetische Betrachtung zum Genuß litterarischer Schöpfungen anzuleiten.
Die Werke der deutschen Litteratur stellen eins der kostbarsten Besitztümer des deutschen Volkes dar; sie sind in verhängnisvollen Zeiten das einzige nationale Besitztum gewesen, und jeder Rückblick auf das Werden und Wachsen, Blühen und Welken, Streben und Irren in den Werken der Dichtung erschließt ein mächtiges Stück deutscher Geschichte und deutscher Eigenart. Von den ältesten Tagen bis auf die Gegenwart gehen in Vorzügen und Mängeln bestimmte erkennbare Grundzüge durch die Entwickelung der deutschen Litteratur; allem Wandel und Wechsel der Zeiten, der Sitten und Zustände, selbst der Sprache trotzend, treten, meist unbewußt und unbeabsichtigt, die geheimsten Regungen der Volksseele, die besondern Eigentümlichkeiten des deutschen Wesens in den Schriftdenkmälern zu Tage. Liegt auch die Periode der ausschließlichen Pflege der Litteratur und eines durchaus litterarischen Charakters der deutschen Kultur schon längst hinter uns, so wird doch keine Zeit aufhören können, an den Leistungen und Ehren der Nationallitteratur warmen, ja leidenschaftlichen Anteil zu nehmen.
Die Geschichte der deutschen Litteratur zerfällt naturgemäß in zwei große Hauptabschnitte, deren erster von den Anfängen und ältesten Zeugnissen der Litteratur bis zum Ausgang des Mittelalters, der zweite von da bis zur Gegenwart reicht. Die Untereinteilungen ergeben sich durch die Hauptperiode in der nationalen Geschichte, des deutschen Kulturlebens, aus denen die Litteratur gedeihend und blühend oder in kümmerlicher Entfaltung erwachsen ist, mit denen sie in so engem Zusammenhang, so unablässiger Wechselwirkung gestanden hat, daß neuerlich eine Auffassung herrschend werden konnte, welche die Bedeutung der besondern Elemente und der individuellen Begabungen so gut wie verneinte.
Trägerrecht - Tragisch
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Träger.Zeigt es sich indessen, daß, je näher jede geschichtliche Darstellung der neuern Zeit rückt, je reicher die Quellen fließen, aus denen wir unsre Kenntnis über die einzelnen Träger [* 6] der poetischen Litteratur schöpfen, die Mitwirkung jener Eigenart, der zufolge jeder Mensch gleichsam eine Welt für sich darstellt, immer bedeutsamer wird: so ist ein Anteil hoch stehender Einzelner an der Entwickelung der Dichtung auch für jene Zustände und Gebiete anzunehmen, in denen für uns längst das Besondere im Allgemeinen untergetaucht erscheint.
Asien. Fluß- und Gebir
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Asien.Den Perioden der deutschen Litteratur, die sich historisch fixieren lassen, an deren Ein- und Ausgang bestimmte Werke und Namen stehen, und von denen spärliche oder reiche schriftliche Denkmäler und Zeugnisse vorhanden sind, ist eine Entwickelung, ja, wie man neuerdings geneigt ist anzunehmen, eine hohe Blüte [* 7] deutscher Dichtung vorangegangen, deren Nachklänge weit in die Zeiten des Mittelalters hereinreichen. Unerkennbar bleibt, wann und wo die poetische Gestaltung der Götter- und Heldensage angehoben hat, deren Anfänge vielleicht schon jene Arier auf ihrem Zug von Asien [* 8] nach Europa [* 9] begleiteten, welche sich vom gemeinsamen indogermanischen Stamm ablösten und nach mancher dazwischenliegenden Entwickelung als Germanen mehrere Jahrhunderte vor Christo Norddeutschland bis zu den Mündungen des Rheins und die Küsten der Nord- und Ostsee bevölkerten, die Kelten süd- und westwärts vor sich herdrängend.
Große Stämme dieser Germanen, vor allen das Volk der Goten, saßen noch weit im Osten zur Zeit, als Rom [* 10] vor den Teutonen zitterte, welche schließlich die Feldherrnkunst des Marius überwand, als Cäsar mit Ariovist kämpfte, als das Heer des Varus vor den germanischen Stämmen im Teutoburger Wald erlag, und als in den Tagen Kaiser Trajans Tacitus in seiner »Germania« [* 11] die erste genauere Kunde über die germanischen Völker gab und die rauhen, jugendfrischen, kriegerischen und häuslichen Tugenden derselben im Gegensatz zu der übersteigerten und alt werdenden Kultur der römischen Welt schilderte.
Bei allen oder doch bei einer Mehrzahl der germanischen Stämme fanden sich nach dem Zeugnis der Römer [* 12] Lieder, die schon Tacitus als »alte« bezeichnet. Der eine jener beiden »Merseburger Zaubersprüche«, die im 9. Jahrh. aufgeschrieben wurden, klingt an eine altindische Spruchformel an und deutet um Jahrhunderte zurück. Auch die ältesten Fassungen der Siegfriedsage, die Anfänge jener Tiersage, in deren Mittelpunkt der Fuchs [* 13] steht, mögen weiter zurückreichen als die historische Kunde von unsern Urvätern.
Deutsche Litteratur (H
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Seite 4.734.Aus der Vergleichung der Reste altheidnischer Gedichte mit den Dichtungen der Skandinavier und Angelsachsen, mit den uralten Rechtsformeln hat man mit einiger Sicherheit geschlossen, daß allen ältesten Gesängen durch Allitteration Form und Gestalt gegeben worden sei, eine Form, die besonders geeignet erscheint, eben diese Lieder dem Gedächtnis einzuprägen und so von Mund zu Mund zu überliefern. Beweise im strengsten Wortsinn sind hier nicht möglich; ¶
auch daß bei dem »Singen und Sagen«, welches nach dem Bericht des Tacitus gemeinsam geübt wurde, das Wort die Hauptsache, die »Musik« dagegen sehr unentwickelt war, läßt sich doch immer nur mit Wahrscheinlichkeit vermuten. Beweise, denen nicht zu widersprechen wäre, gibt es für diese Vorzeit, in welcher Überlieferung und Wiedergabe unmittelbarer Eindrücke, Mythe und lebendige Erinnerung, Namen der Stämme und Völker, historisch Beglaubigtes und Sagenhaftes ineinander verschwimmen, eben nicht.
Auch als in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt die Germanen immer entschiedener in den Vordergrund der Geschichte treten, als mit der Periode der Völkerwanderung und des Ansturms deutscher Stämme gegen das zerbröckelnde römische Weltreich Menschen und Dinge deutlicher werden, bleibt die Kunde von der deutschen Dichtung dürftig und unzulänglich. Wohl hat der geistvolle Forscher und Darsteller recht, der sagt: »Verlorne Gedichte sind ebenso wichtig wie erhaltene, wenn man ihre Existenz beweisen und ihre Nachwirkungen feststellen kann« (Scherer), und nicht minder wahr ist, daß es nicht leicht einen stärkern Beweis von der schöpferischen Macht einer Dichtung geben kann, als daß sie ohne schriftliche Fixierung wesentlich unverändert fortlebt, daß ihre Situationen, Gestalten und Hauptzüge zum Teil bis auf den Wortlaut zu spätern Geschlechtern gelangen.
Immer aber ist es nur ein Rückschluß, der aus den spätern Gestaltungen der großen Heldensage, aus verwandten Erscheinungen bei den germanischen Völkern über dem Meer und aus einzelnen ganz unbedeutenden Resten auf die Blüte einer großen epischen Dichtung, unmittelbar nach der Völkerwanderung, gemacht wird. Die gewaltigen und erschütternden Kämpfe, durch welche die deutschen Völker im ersten Halbjahrtausend der christlichen Zeitrechnung hindurchgingen, konnten nicht anders als befruchtend auf den poetischen Geist und den poetischen Gestaltungstrieb wirken; Eindrücke und Erinnerungen von fortreißender Macht, das Hervortreten einzelner Heldengestalten, ungeheure Schicksalswechsel fanden ihren Widerklang in Heldenliedern, deren Mannigfaltigkeit sich mehr und mehr auf einzelne große Gruppen (Sagenkreise) konzentrierte.
Wie stark die großen historischen Ereignisse, an denen die deutschen Stämme kämpfend und leidend Anteil nahmen, und in denen sie zum Teil ihren Untergang fanden, auf die Phantasie wirkten, ist aus den spätern mittelalterlichen Erneuerungen der Heldensage der Völkerwanderungszeit noch zu erraten. Der Grundcharakter dieser Poesie war heidnisch; an die heidnische Vergangenheit der Völker und die alten Überlieferungen knüpften die Dichter, oder wie man sie immer nennen will, auch dann noch an, als die Bekehrung der meisten deutschen Völker zum Christentum längst erfolgt war.
Bayern
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Bayern.Bei allen deutschen Völkern oder vielmehr Völkervereinen, deren hervorragendste in den Zeiten der großen Völkerwanderung Goten, Langobarden, Burgunder, Franken, Alemannen, Bayern, [* 15] Thüringer, Sachsen [* 16] und Friesen waren, werden in Fortbildung der ältern Lieder und unter den Einwirkungen der neuen Erlebnisse eigne Heldenlieder existiert haben, die inzwischen bald mannigfach aufeinander bezogen wurden und ineinander übergingen. Nachklänge der bei Tacitus erwähnten verlornen Lieder von Hermann dem Cherusker scheinen in andern Sagen vorhanden; Züge der gotischen Dichtungen von den Königsgeschlechtern der Balthen und Amaler und späterhin von Odoaker und Theoderich wurden weit verbreitet; die Gestalt Attilas (Etzels), des Hunnenkönigs, der mit seiner Augenblicksmacht Freiheit und Existenz beinahe aller germanischen Stämme gefährdete, kehrt in den verschiedenen Sagenkreisen wieder. So ist der Sagenforschung und der Kritik, welche den wesentlichsten Inhalt der alten, noch bis zum Schluß des ersten Jahrtausends erklingenden epischen Lieder festzustellen sucht, ein weites und wichtiges Feld eröffnet, und das Bewußtsein, daß eine mächtige, stoffreiche, von großartigem Leben und tausend Erinnerungen getränkte Dichtung vor der Zeit der geschriebenen Litteratur vorhanden war, muß festgehalten werden.
Merope - Merseburg
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Merseburg.Die Dichtungen selbst aber, von denen nach glaubhaften Berichten noch Karl d. Gr. im 8. und 9. Jahrh. einen großen Teil aufzeichnen ließ und lassen konnte, sind fast vollständig verloren gegangen. Als schriftliche Denkmäler der heidnischen und halbheidnischen Völkerwanderungsepoche besitzen wir nur unbedeutende Bruchstücke. Die beiden von G. Waitz 1841 in Merseburg [* 17] aufgefundenen sogen. »Merseburger Zaubersprüche«, die ähnlichen von Miklosich 1857 entdeckten Formen sind minder wichtig als das um 800 von zwei Fuldaer Mönchen aufgezeichnete »Lied von Hildebrand und Hadubrand«, in der That die einzige volle Probe der Form und des Wesens der großen, einst allverbreiteten Heldenlieder. In zweiter Linie stehen lateinische Niederschriften eines im 10. Jahrh. von Ekkehard von St. Gallen in Hexametern bearbeiteten Gedichts von »Walther und Hiltgund« (»Waltharius von Aquitanien«),
welches offenbar zu seiner Entstehungszeit ein deutsches Vorbild hatte, und eines an der Grenzscheide des 10. und 11. Jahrh. von dem Tegernseer Mönch Fromund in leoninischen Hexametern niedergeschriebenen Gedichts: »Rudlieb«. Einzelne Vorstellungen, die aus altheidnischen Gedichten in die kümmerlichen deutschen Dichtungsversuche der Geistlichen des 10. und 11. Jahrh. hereinragen (so im »Wessobrunner Gebet« und in den Versen vom Jüngsten Gericht: »Muspilli«),
die eigentümliche, an die alte epische Poesie gemahnende Auffassung des Erlösers als des Heerkönigs und reichen Volkskönigs im altsächsischen Gedicht »Heliand«, die Vergleichungen mit angelsächsischen und altnordischen Liedern kommen der Vorstellung, welche das Hildebrandslied gewähren kann, zu Hilfe. Letztes Resultat bleibt doch nach Jakob Grimms Wort: »Von althochdeutscher Poesie sind uns nur kümmerliche Bruchstücke gefristet, gerade so viel noch, um sicher schließen zu dürfen, daß Besseres, Reicheres untergegangen ist. Aber das Vermögen der Sprache, den nationalen Stil der Dichtkunst erkennen lassen uns nur die angelsächsischen und altnordischen Lieder, jene, weil sie dessen älteste, diese, weil sie eine noch heidnische Auffassung sind.«
Deutsche Litteratur (B
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Seite 4.735.Seit dem 4. Jahrh. war zuerst den in das römische Reich eindringenden, späterhin den andern deutschen Völkern das Christentum gepredigt worden. Am Ausgang des 8. Jahrh. bekehrte Karl d. Gr. die bis dahin heidnisch gebliebenen Sachsen mit Anwendung der äußersten Gewaltmittel. Mit den Heidenbekehrern, die ihre Klöster als Mittelpunkte des neuen kirchlichen Lebens im ganzen deutschen Land errichteten, kam auch die Herrschaft der lateinischen Sprache für kirchliche und geistliche Zwecke, für die neue christliche Bildung. Freilich übertrug schon im 4. Jahrh. der gotische Bischof Ulfilas (Wulfila) die Bibel [* 18] (mit Ausnahme der Bücher der Könige) und hinterließ in dieser teilweise erhaltenen Übersetzung eins der kostbarsten Denkmäler für die Geschichte der deutschen Sprache, das einzige wesentliche Zeugnis ¶
des sonst untergegangenen Gotischen. Aber das mutige Beispiel des arianischen Bischofs fand keine entsprechende Nachahmung, und nur das äußerste Bedürfnis drang den fränkischen, irischen und angelsächsischen Bekehrern im eigentlichen Deutschland [* 20] nach und nach Übersetzungen einzelner Predigten, Glaubens- und Beichtformeln ab oder reizte zu eigenen Abfassungen in der im ganzen doch für barbarisch erachteten Sprache. In der Hauptsache war es »dürftige Prosa«, was auf diesem Weg entstand.
Dem Reichtum und der eigentlichen Macht der deutschen Sprache wichen die Geistlichen eher aus, als daß sie ihn suchten. Da sie die Lust des Volkes an den alten Liedern, welche in dieser Zeit der wandernde Spielmann noch von Herd zu Herd trug, als verderblich erachteten, in der Erinnerung an die kriegerischen Sagenhelden nicht mit Unrecht Rückfall ins Heidentum witterten, da sie sich lange in einem völligen Gegensatz zu der Vorstellungs- und Sinnesweise des Volkes befanden und das Gefühl dieses Gegensatzes in den Klosterschulen auch bei der heranwachsenden Generation genährt ward, so währte es geraume Zeit, bis ein Einklang zwischen der eigentlichen Volksnatur und Volkssitte und der neuen kirchlichen Ordnung eintrat.
Spärlich waren unter solchen Umständen auch die poetischen Versuche, welche aus der neuen christlichen Bildung und aus den Reihen der Geistlichkeit hervorgingen. Einige Gesänge aus dem 9. Jahrh. (»Bittgesang an den heil. Petrus«, ein »Loblied auf den heil. Georg«, eine Bearbeitung des 138. Psalms),
das »Wessobrunner Gebet« und das vom Jüngsten Tag handelnde Gedicht »Muspilli«, welches mit der heidnischen Vorstellung vom großen Weltbrand durchsetzt ist, zeigen die Dürftigkeit der Vorstellungen, die Ungelenkheit der Form. In poetischer Hinsicht wichtiger sind die beiden christlichen Hauptdichtungen der karolingischen Zeit: der in altsächsischer Mundart nach dem Evangelium des Matthäus und der Tatianischen Evangelienharmonie verfaßte, kräftig-einfache »Heliand« (Heiland), den ein niederdeutscher Dichter in den Tagen Ludwigs des Frommen (vielleicht im Auftrag desselben) schrieb, und der im direkten Anschluß an die Weise der allitterierenden Heldengesänge die tiefere Teilnahme des neubekehrten Sachsenvolkes an dem mächtigen Sohn Gottes als dem Völkerherrn und Landeswart zu wecken suchte, und die hochdeutsche »Evangelienharmonie« des Weißenburger Mönches Otfried vom Ende des 9. Jahrh., in welcher der Dichter den Franken ein christliches Heldengedicht zu schaffen beabsichtigte. Otfried war der erste, welcher an die Stelle der Stabreimform den Reim setzte und regelmäßigen Strophenbau einführte, womit er für einen Teil der folgenden Dichter vorbildlich wurde.
Ungefähr derselben Zeit gehört das von einem Geistlichen verfaßte weltliche »Ludwigslied« an, welches einen Sieg Ludwigs III. über die Normannen bei Saucourt (881) feiert. In der Weise dieses auf ein Zeitereignis bezüglichen Liedes haben nach zuverlässigen Zeugnissen noch andre Lieder existiert, die namentlich während des 10. und im Übergang zum 11. Jahrh. zahlreicher wurden. Auch gemischt lateinische und deutsche Gedichte scheinen zu erweisen, daß zwischen der Spielmannsdichtung und der Poesie der Kleriker sich allmählich eine Wechselwirkung herstellte.
In der lateinischen Klosterlitteratur dieses Zeitraums entwickelten sich überdies mancherlei Keime, welche später in der deutschen Litteratur aufgehen sollten, und so muß der ältesten Anfänge der Weihnachts- und Passionsspiele in kleinen lateinischen Dramen sowie der lateinischen Stücke der Gandersheimer Nonne Hroswitha (Roswitha) vom Ende des 10. Jahrh. gedacht werden, mit denen sie den in den Klöstern vielgelesenen Terenz verdrängen wollte.
Die Litteraturdenkmäler, auch im 10. Jahrh. noch vereinzelt, werden im 11. etwas zahlreicher; es treten bestimmtere Autorennamen, man kann noch nicht sagen erkennbare Dichterpersönlichkeiten, hervor. In der Zeit der sächsischen und fränkischen Kaiser (von der Thronbesteigung Heinrichs I., 919, bis zum Tod Heinrichs III., 1056) bestanden im wesentlichen die großen Formen der karolingischen Monarchie, des »theokratischen Kaisertums« fort; die emporstrebende streng kirchliche Auffassung samt der ganzen Vorstellungswelt der Geistlichkeit drang auch in die Volksmassen ein, obwohl mit Spott und Entrüstung bezeugt wird, daß die »Bauern« fortfuhren, von Siegfried und Dietrich von Bern zu singen.
Die Legendenpoesie, mit den Pseudoevangelien, mit heimischen und fremden Wundergeschichten genährt, trat in den Vordergrund, fand inzwischen erst im 12. Jahrh. künstlerische Gestaltung. Dem 11. Jahrh. gehören die deutsche Psalmbearbeitung des St. Gallener Mönches Notker Labeo (gest. 1022), die Auslegung des »Hohenliedes« des Fuldaer Mönches Williram (gest. 1085 als Abt des Klosters Ebersberg),
Kraft [unkorrigiert]
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Kraft.die biblischen Gedichte des Scholastikus Ezzo, auch das vielbesprochene kosmographische Gedicht »Merigarto« an. Im Übergang zum 12. Jahrh. verfaßte eine Frau Ava (gest. 1127 zu Göttweih) ein größeres Gedicht: »Vom Leben Jesu und vom Antichrist«, ihr angeblicher Sohn Heinrich ein Gedicht »Von des Todes Gehügede«. Die meisten Gedichte und poetischen Bruchstücke dieses Zeitraums erscheinen kunstloser, verwilderter; in manchen wechselt Poesie und Prosa. Die eigentlich althochdeutsche Sprache, von der die ganze Litteraturperiode den Namen der althochdeutschen führt, klingt mit Notker aus. Auch die altniederdeutsche (altsächsische) Sprache bewahrte höchstens bis zu diesem Zeitraum die alte Kraft [* 21] und Fülle; die Zeugnisse eines litterarischen Lebens blieben ganz vereinzelt, der »Heliand« fand keine Nachahmung.
Im Wendepunkt des 11. zum 12. Jahrh. beginnt eine neue, hochinteressante und reiche Entwickelung der deutschen Litteratur, im wesentlichen an das Emporkommen und die weitere Durchbildung der als Mittelhochdeutsch bezeichneten Schriftsprache gebunden. Den stärksten Anteil an dem raschen Aufblühen einer großen geistlichen Litteratur in deutscher Sprache und einer ihr kühn zur Seite tretenden ritterlichen Dichtung hatten die Eindrücke der bewegten Zeit. Der unter Heinrich IV. beginnende Riesenkampf zwischen der weltlichen Gewalt und den Weltbeherrschungsansprüchen der Hierarchie, die gewaltigen, bunten und wechselnden Eindrücke der Kreuzzüge, die tausendfach neuen Lebensverhältnisse selbst, die in Deutschland aus dem Emporkommen der Landesfürsten, dem gesamten Lehnssystem und Städtewesen erwuchsen, die Aufwühlung der Volksseele bis in ihre Tiefen und die Erweiterung des Gesichtskreises förderten gleichmäßig das Gedeihen der Litteratur, welche sich fast ausschließlich in den Formen der Poesie darstellt und selbst in Weltbeschreibungen, Lebensgeschichten und historischen Werken die Übermacht einer gesteigerten Phantasie erkennen läßt. Das tiefe innige Glaubensleben, das sich in ¶