Titel
Schlesien
,
[* 2] ein ehemals zur
Krone
Böhmen
[* 3] gehöriges Herzogtum, wird geographisch in Ober- und Niederschlesien
, politisch
aber in Preußisch-Schlesien
und Österreichisch-Schlesien geteilt.
I. Preußisch-Schlesien
,
Provinz im preuß.
Staate, umfaßt das Gebiet des preuß. Herzogtums S., mit
Ausschluß des 1815 dem
Reg.-Bez.
Frankfurt
[* 4] einverleibten Kreises Schwiebus,
[* 5] dagegen mit Einschluß der
Grafschaft
Glatz,
[* 6] einiger böhm. Enklaven, des 1815 von
Sachsen
[* 7] an
Preußen
[* 8] gekommenen Anteils der Oberlausitz und eines kleinen
Teils des ehemals zum
Kreis
[* 9]
Crossen
[* 10] gehörigen Gebietes der Neumark, bestehend aus der Stadt Rothenburg
[* 11]
a. O.
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und einigen Dörfern. Die Provinz grenzt im N. an die preuß. Provinzen Brandenburg
[* 13] und Posen,
[* 14] im O. an Posen, Russisch-Polen und
Galizien, im S. an Österreichisch-Schlesien
, Mähren und Böhmen, im W. an Böhmen und Sachsen (Königreich und Provinz) und hat
einen Flächenraum von 40307,06 qkm. (Hierzu Karte: Schlesien.
) Als S. an Preußen kam, unterschied man:
1) Niederschlesien
oder die sog. neun alten Fürstentümer Glogau,
[* 15] Sagan,
[* 16] Jauer,
[* 17] Liegnitz,
[* 18] Wohlau, Schweidnitz,
[* 19] Breslau,
[* 20] Öls
[* 21] und Brieg
[* 22] nebst den Standesherrschaften Drachenberg, Beuthen,
[* 23] Carolath, Wartenberg, Militsch und Goschütz;
2) Oberschlesien
oder die Fürstentümer Münsterberg,
[* 24] Neisse,
[* 25] Oppeln,
[* 26] Ratibor
[* 27] und Teile der Fürstentümer Bielitz, Teschen,
Troppau
[* 28] und Jägerndorf, sowie die Standesherrschaften Pleß und Beuthen (ungefähr der jetzige Reg.-Bez.
Oppeln);
3) die Grafschaft Glatz (s. d.).
Oberflächengestaltung. Die Provinz besteht aus Bergland und Flachland. Das Bergland umfaßt die kleinere Hälfte und wird durch eine flache Thalsenkung, das schles. Längenthal, welches die Provinz in der ganzen Länge von dem Ursprung der Malapane im O. bis zum Austritt der Schwarzen Elster im W. durchzieht, in ein südwestl. und ein nordöstl. Bergsystem geschieden. Die nördl. Grenze des südwestlichen, sog. Schlesischen Berglandes bezeichnet etwa die Linie, welche Niesky mit Hainau, Kanth, Grottkau und der obern Malapane verbindet und in einer Höbe von 155 bis 180 m liegt.
Ein Busen des Tieflandes erstreckt sich hier zwischen der Glatzer Neisse und der Oder in das Bergland hinein, fast bis an die
österr. Grenze. Von jener Grenzlinie erhebt sich das Land allmählich südwärts, bis es etwa 315 m Höhe erreicht. Sodann
entwickelt sich nahe der Grenze das Schlesische Gebirge, das nur den mittlern, aber bedeutendsten Teil der
Sudeten (s. d.) umfaßt und die höchsten Erhebungen Norddeutschlands, teilweise mit ausgebildetem Hochgebirgscharakter und
reichen landschaftlichen Reizen, enthält, während die Provinz weder im NW. noch im SO. bis an den Gebirgszug dieses
Systems selbst heranreicht. Im NW. gehören davon der Provinz nur wenige einzelne, vom Lausitzer Gebirge
abgerückte Berge (Landeskrone 429 m) und Berggruppen an. Ebenso ziehen im SO. nur einzelne Ausläufer des Mährisch-Schlesischen
Gebirges, welches Mähren von Österreichisch-Schlesien
scheidet, über die preuß. Grenze
herüber. Es gehören zur Provinz das Isergebirge (s. d.) mit der Tafelfichte (1123 m) und seine nördl.
Vorstufe, weiter das Riesengebirge (s. d.) mit der Schneekoppe (1605 m), das
Katzbachgebirge (s. d.) und das Waldenburger oder Niederschlesische Steinkohlengebirge mit den Porphyrmassen des Hochwaldes
(830 m) und dem zerrissenen Neuroder Gebirge; das Glatzer Gebirge (s. d.) mit dem Eulengebirge (s. d.,
Hohe Eule 1014 m) und Reichensteiner Gebirge (Heidelberg
[* 29] 902 m), dem Glatzer Schneegebirge (Großer Schneeberg 1422 m),
dem Habelschwerdter Gebirge (Hohe Mense 1085 m) und Heuscheuergebirge (920 m); die Vorstufe des Eulengebirges mit dem Zobten
(718 m) und die Vorstufe des Mährisch-Schlesischen Gebirges mit der Bischofskoppe (886 m) im NO. des Altvaters und dem Plateau
von Leobschütz.
[* 30] Im O. der Oder ist das Bergland nicht gebirgig und umfaßt nur ausgedehnte Plateaulandschaften
mit welliger oder hügeliger Oberfläche.
Hier liegt zunächst im S. der Malapane das Oberschlesische Steinkohlengebirge (s. Oberschlesisches Steinkohlenbecken), das im S. an die Weichsel, im O. an die Przemsza und Brinitza stößt und, nebst dem Polnischen Berglande, als Vorstufe der nördl. Vorkarpaten (Beskiden) zu betrachten ist. Dasselbe nähert sich zweimal der Oder, bei Ratibor und im Annaberg [* 31] (406 m) bei Krappitz. Zwischen beiden Vorsprüngen befindet sich eine von der Ruda, Birawka und Klodnitz durchflossene Thalsenkung, die sich kreisförmig im O. bei Gleiwitz [* 32] schließt, etwa 220 m hoch und wellig und reich an Eisenstein ist.
Im N. dieser Einsenkung werden die Vorsprünge zum Plateau von Tarnowitz [* 33] verbunden, welches eine mittlere Höhe von fast 315 m erreicht und nordwärts zur Malapane abfällt. Von ähnlicher Beschaffenheit ist seine südöstl. Fortsetzung, das Plateau von Nikolai, das sich südostwärts zur Weichsel und deren Nebenflüssen abdacht. Weiter von der Oder abgerückt, aber ihrer Strombahn parallel zieht sich, vom Quellbezirk der Malapane an, längs der Grenze von Polen und Posen, das Oberschlesische Juragebirge, das bis zu 350 m emporsteigt.
Kaum in Verbindung mit diesem steht der Trebnitzer Landrücken (s. Katzengebirge), der als Wasserscheide zwischen Weide
[* 34] und Bartsch
fast in gerader Linie von der Quelle
[* 35] der Weide bei Groß-Wartenberg westwärts bis Leubus zieht und bei Trebnitz im Weinberg 217 m
Höhe erreicht. Durch das Thal
[* 36] der Oder von ihm getrennt, erstrecken sich von dieser bis zum Bober, das Tiefland Niederschlesiens
durchlängend, die sog. Katzenberge, deren höchste Punkte nur noch 188-228
m erreichen und die sich in dem Märkischen Landrücken gegen NW. fortsetzen.
Gewässer, Klima.
[* 37] Der weitaus größte Teil der Provinz gehört zum Gebiet der Oder, kleinere Teile zu dem der Weichsel (im SO.)
und der Elbe (Spree, Elster).
[* 38] Die Oder, der Hauptfluß der Provinz, gehört derselben auf 507 km an, 30 km
weit als Grenzscheide gegen Österreichisch-Schlesien
, dann flößbar bis Ratibor 27,4 km, von dort abwärts 450 km schiffbar.
Die Oder nimmt innerhalb der Provinz rechts die Olsa, Ruda, Birawka, Klodnitz, Malapane, Stober, Weide und Bartsch, links die
Oppa, Zinna, Stradune, Hotzenplotz, Glatzer Neisse mit der Steinau, die Ohlau, Lohe, Weistritz, Katzbach mit
der Wütenden Neisse und der Schnellen
[* 39] Deichsel sowie außerhalb der Provinz den ihr größtenteils angehörigen und hier durch
den Queiß verstärkten Bober und die Lausitzer Neisse auf.
Die Weichsel, auf der Grenze fließend und auf 5 km schiffbar, empfängt links den Korzynicz und die Gostine, sowie die Przemsza, die von der Mündung der Brinitza bei Myslowitz [* 40] abwärts 32 km schiffbar ist. Der einzige Schiffahrtskanal ist der Klodnitzkanal (s. d.) im oberschles. Berg- und Hüttenrevier. Von Landseen ist der bedeutendste der fischreiche Schlawersee im Kreis Freistadt an der Grenze von Posen, der 11 km lang und 2,7 km breit ist; bemerkenswert ist ferner die Militsch-Drachenberger Seengruppe. An Mineralquellen ist S. sehr reich: von den 16 Gesundbrunnen sind die besuchtesten Warmbrunn und Salzbrunn, ferner Charlottenbrunn, Flinsberg, Kudowa, Landeck, Langenau, Reinerz und Königsdorff-Jastrzemb.
Das Klima ist je nach der Höhenlage verschieden, gemäßigt und ziemlich günstig in den ackerbautreibenden Thälern,
rauh auf den Höhen, namentlich in Oberschlesien
und in den Gebirgslandschaften. Breslau hat ein Jahrestemperaturmittel von
nur
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mehr
8° C.; drei Monate im Jahre liegt die mittlere Temperatur unter Null. Die Regenverhältnisse sind in der Ebene normal, im Gebirge
wechselnd; die mittlere jährliche Niederschlagsmenge beträgt in Breslau 53, in Ratibor 59, in Grünberg
[* 42] 61 und in Beuthen
in Oberschlesien
69 cm.
Bevölkerung. [* 43] Die Provinz hat (1890) 4224458 (1999700 männl., 2224758 weibl.) E., 450689 bewohnte, 7841 unbewohnte Wohnhäuser, [* 44] 7221 andere bewohnte Baulichkeiten, 979998 Haushaltungen und 3385 Anstalten mit 79999 Insassen. Dem Religionsbekenntnis nach waren 2247890 Katholiken, 1921216 Evangelische, 5886 andere Christen, 1256 Dissidenten und 48003 Israeliten, der Staatsangehörigkeit nach 4199431 Reichsangehörige, 23207 Reichsausländer (Österreicher, Ungarn, [* 45] Holländer, Dänen, Russen) und 1817 andere und ohne Angabe; der Muttersprache nach sind die meisten Bewohner Deutsche, [* 46] mit Ausnahme von 973586 Polen, Masuren und Kassuben, ferner 68797 Czechen und 26299 Wenden.
Land- und Forstwirtschaft. Von der Gesamtfläche kamen (1893) aus Acker- und Gartenland 2246626 ha, Wiesen 347529, Weiden und Hutungen 61671, Öd- und Unland 24813, Holzungen 1161366, Haus- und Hofräume 50709, Wegeland, Gewässer u. s. w. 137108 ha. Die Landwirtschaft beruht zum größten Teil auf dem mittlern und bäuerlichen Betriebe; doch ist auch der Großgrundbesitz in einzelnen Gegenden sehr ausgedehnt (keine preuß. Provinz zählt so viel mittelbare Fürstentümer, Standesherrschaften u.s. w. wie S.), und im ganzen entfällt ungefähr ein Drittel der Gesamtfläche auf den landwirtschaftlichen Großbetrieb. S. hat etwa zur Hälfte trefflichen Boden und ist fast durchweg gut angebaut.
Besonders fruchtbar sind das Oderthal und die Vorstufen des Gebirges von Liegnitz bis Ratibor, ebenso die Thäler von Hirschberg [* 47] und Landeshut, sowie die Grafschaft Glatz. Hier liegen die Hauptsitze des Ackerbaues und der Viehzucht. [* 48] Unfruchtbar ist dagegen fast das ganze Gebiet auf der rechten Oderseite und der westl. Teil des schles. Längenthals. S. liefert nächst Sachsen den größten Ertrag von Weizen und Gerste [* 49] im Staat, überragt im Haferertrag alle übrigen Provinzen und gewinnt auch reichlich Roggen sowie Buchweizen, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Rüben, Ölfrüchte, Flachs, Tabak [* 50] und andere Handelsgewächse.
Der Obst- und Weinbau blüht bei Grünberg, Beuthen a. O. und Muskau, ferner bei Liegnitz, Öls u. s. w. Der größte Teil der landwirtschaftlich benutzten Fläche ist mit Roggen bebaut (1893: 604216 ha), dann folgen Hafer [* 51] (355352), Kartoffeln (327371), Weizen (215498) und Gerste (157655 ha). Der Ernteertrag belief sich (1894) auf 693198 t Roggen, 296563 Weizen, 206178 Gerste, 3089117 Kartoffeln, 270834 Hafer und 596406 t Wiesenheu. Die Viehzucht ist außerordentlich entwickelt. Der Viehbestand betrug 296725 Pferde, [* 52] 1457576 (1893: 1425398) Stück Rindvieh, 657271 Schafe, [* 53] 658702 (1893: 701123) Schweine, [* 54] 206268 Ziegen und 126674 Bienenstöcke. Die Provinz hat (1893) 1161366 ha Forsten, darunter 888239 Privat-, 152892 Staats- und 93292 Gemeindeforsten. Der Wald besteht zu 87,2 Proz. aus Nadelholz, doch finden sich ausgedehnte Laubwaldungen namentlich im Oderthal, besonders im Reg.-Bez. Breslau.
Bergbau [* 55] und Hüttenwesen. Der Kohlen- und Erzbergbau und im Zusammenhang damit das Hüttenwesen sind außerordentlich entwickelt. Das Oberschlesische Steinkohlenbecken (s. d.) ist das reichste Deutschlands, [* 56] und die oberschles. Steinkohle wetteifert mit der besten englischen. Der Reg.-Bez. Oppeln hat die meisten Eisenwerke unter allen Bezirken des Staates. Eisenerz wird in großen Mengen in den Kreisen Tarnowitz und Beuthen gewonnen und ebenda, sowie in den Kreisen Zabrze, Kattowitz [* 57] und Gleiwitz verhüttet.
Das Tarnowitzer Plateau hat ferner das reichste bekannte Zinklager, dessen Galmei auch das seltene Metall Kadmium einschließt; ebenso liefert es Bleierze mit Silber in bedeutenden Mengen. Zahlreiche Erz- und Kohlenbergwerke sowie Hütten- und Hochofenwerke finden sich auf dem verhältnismäßig engen Plateau zusammengedrängt. Auch die Vorstufen des Riesengebirges, namentlich die Gegend um Waldenburg, [* 58] haben einen bedeutenden Kohlen- und Erzbergbau; hier werden namentlich Kupfererze und Kupferkies, Schwefelkies und Vitriolerze gewonnen.
Auf dem Katzbachplateau und im Reichensteiner Gebirge sind die einzigen ergiebigern Fundgruben im Staat für Arsenikerze. Auch
Braunkohlen finden sich in den Vorbergen des Berglandes. Dagegen ist die Torfgewinnung
[* 59] nicht wesentlich,
wenngleich sich in den Flußthälern und in den Moorfeldern des Glatzer Gebirges mächtige Torfvorräte finden. Die Berg- und
Hüttenindustrie beschäftigte (1882) 70900 Personen. Die Industrie der Steine und Erden, welche (1882) 3425 Betriebe mit 41395 Gewerbthätigen
zählte, stützt sich auf reiche Lager
[* 60] von nutzbaren Steinen und Erden: die Gips- und Kalksteinbrüche
Oberschlesiens
, die Marmor- und Steinbrüche in den Kreisen Strehlen,
[* 61] Neisse, Striegau
[* 62] und Schweidnitz, die Cementfabrikation
Oberschlesiens
, die Töpferei von Bunzlau,
[* 63] Sagan und Rothenburg, die Porzellanfabrikation von Waldenburg und Schweidnitz, die
Glasmacherei in den Kreisen Waldenburg, Glatz, Habelschwerdt, Sagan, Bunzlau, Hirschberg (Josephinenhütte), Görlitz
[* 64] u. s. w.,
ferner die Gewinnung von Bergkrystall, Serpentin (am Zobten), Chrysopras (Kosemitz bei Nimptsch und Tarnau
bei Frankenstein, beinahe die einzigen Fundorte), Amethyst, Topas
[* 65] und andern Halbedelsteinen und deren Verarbeitung liefern
große Mengen von Produkten, deren Ruf weit verbreitet ist.
Industrie und Gewerbe. Die Eisengießerei, [* 66] Schwarz- und Weißblechfabrikation, die Kupferschmiederei und Blechwarenfabrikation und die sonstigen Gewerbe der Metallverarbeitung beschäftigten 1882 in 12275 Betrieben 33365 Personen. Der Herstellung von Maschinen, Geräten und Apparaten aller Art widmeten sich 24356 Gewerbsthätige in 7036 Betriebsstätten; die Kreise [* 67] Breslau, Liegnitz, Grünberg, Görlitz, Sprottau, [* 68] Glogau, Schweidnitz (großartige Uhrenindustrie), Oppeln, Ratibor, Neisse sind die Hauptsitze dieser Gewerbszweige.
Die chem. Industrie sowie die Gewerbe der Fette und Leuchtstoffe beschäftigen gegen 7000 Personen. Vor allen bedeutend ist die Textilindustrie mit 49601 Betrieben und 91326 Personen. Die Flachsspinnerei und Leinweberei ist die großartigste im ganzen Staat; sie hat ihre Sitze am Fuße des Gebirges in den Kreisen Lauban, Hirschberg, Löwenberg, Landeshut, Waldenburg, Glatz, Habelschwerdt, ferner Leobschütz, Neisse und Neustadt [* 69] in Oberschlesien. Die Baumwollspinnerei und -Weberei ist verbreitet auf dem platten Lande ¶