Schiller
,
s. Wein.
Schiller
6 Seiten, 13'219 Wörter, 94'590 Zeichen
Schiller,
s. Wein.
Schiller,
Johann Christoph Friedrich von, der populärste und gefeiertste deutsche Dichter, wurde zu Marbach am Neckar geboren. Er stammte von Handwerkern, auf väterlicher und mütterlicher Seite hatte er Bäcker zu Vorfahren. Der Urgroßvater Johannes S. war von Großheppach im Remsthal nach dem bei der kleinen Staufenstadt Waiblingen gelegenen Dorf Bittenfeld gezogen; dort wohnte sein gleichnamiger Sohn als Bäcker und Schultheiß, dem 1723 ein Sohn, Johann Kaspar, geboren wurde, der Vater des Dichters.
Früh verwaist, ward
Johann
Kaspar in die
Lehre
[* 2] zum Klosterbarbier von
Denkendorf gethan; noch
Jüngling, nahm er als
Feldscher
in bayrischen
Diensten am österreichischen
Erbfolgekrieg teil und ließ sich dann 1749, nach dem
Frieden
heimgekehrt, in
Marbach als Wundarzt nieder. Hier heiratete er im Juli d. J. die Tochter des
Bäckers und Löwenwirts Kodweis,
Elisabeth
Dorothea. Schillers
Vater war ein ehrenfester, den gewesenen
Soldaten in
Haltung und Gebaren bekundender Mann, ein strenger
Anhänger des lutherischen Bekenntnisses, bei hausbackener Verstandesmäßigkeit nicht ohne tiefgemütliche
Charakterelemente. Die
Mutter war eine sanfte
Natur;
Demut und Pflichttreue, daneben innige
Religiosität und ein reger
Sinn für
das
Schöne in
Natur und
Poesie bildeten die Grundzüge ihres
Wesens. Die Dürftigkeit seines
Einkommens ließ den Chirurgus S.
1757, als ihm eben sein erstes
Kind, die Tochter Christophine, geboren war, wieder
Kriegsdienste nehmen
und als württembergischer
Fähnrich gegen
¶
den großen Preußenkönig nach Schlesien
[* 4] mitziehen. Während er, nach der Heimkehr 1759 zum Leutnant befördert, nahe bei
Kannstatt
[* 5] im Übungslager stand, gebar ihm seine Gattin im Haus ihrer Eltern zu Marbach den ältesten Sohn, unsern Dichter. Der
Militärdienst des Vaters führte die Familie während der nächsten Jahre an verschiedene Orte, endlich 1765 nach
Lorch, von wo aus der zum Rang eines Hauptmanns beförderte Schiller
in der benachbarten Reichsstadt Gmünd
[* 6] das Werbegeschäft
zu treiben beauftragt war. In Lorch erhielt der Knabe bei dem Ortspfarrer Moser (dem ein Erinnerungszeichen in den »Räubern«
gilt) den ersten regelmäßigen Unterricht, ohne schon damals hervorragende Begabung zu zeigen. 1768 wurde
der Vater zur Garnison nach Ludwigsburg
[* 7] zurückberufen, zwei Jahre später übertrug ihm Herzog Karl die Aufsicht über die um
sein Lustschloß Solitüde gelegenen Baumpflanzungen und Gärten. S. blieb, seinen Schulkursus zu beendigen, in Ludwigsburg zurück,
wo er bei dem strengen Magister Jahn Wohnung und Kost hatte, bis ihn der Herzog zu Anfang 1773 als Zögling
in seine mit einer Abteilung für künftige Zivildiener verbundene militärische Pflanzschule auf der Solitüde kommandierte.
S. hatte damals unter dem Einfluß der Mutter und der idyllischen Jugendumgebungen den Plan gefaßt, Theologie zu studieren,
und brachte, indem sein Eintritt in die Karlsschule das Aufgeben dieses Studiums bedingte und er sich zunächst
für die Jurisprudenz zu entscheiden hatte, in seiner Weise den Plänen des Herzogs Karl ein Opfer.
Doch wurde weder dieses Opfer allzu hart empfunden, noch darf verkannt werden, daß die Hohe Karlsschule nach mehr als einer
Richtung hin für Schillers
Gesamtausbildung segensreich wirkte. Daß der in beschränkten Verhältnissen
geborne Knabe eine freie Weltbildung erwarb, war wesentlich der halb militärischen, halb wissenschaftlichen Lieblingsanstalt
des Herzogs Karl zu danken. Die Einrichtung derselben und die persönliche Teilnahme des Herzogs an dieser eigentümlichen Schöpfung
führten der Phantasie des werdenden Poeten sehr bedeutende Eindrücke zu, das Erziehungssystem unterdrückte
jedenfalls keine wesentliche geistige Begabung und Regung. In einer Charakteristik, welche die Zöglinge einer vom andern
zu entwerfen hatten, ward neben Verstand, Bescheidenheit und Fleiß des Knaben seine Einbildungskraft und seine Neigung für Poesie
gerühmt, dagegen Mangel an Reinlichkeit vorgeworfen.
Verglichen mit dem Bild, welches uns Stuttgarter Freunde später von dem jugendlichen Regimentsmedikus entworfen
haben, ist der rohen Skizze eine gewisse Treue nicht abzusprechen. Schillers
Neigung zur Poesie war zunächst durch Klopstocks
»Messias« genährt worden, und dieser Anregung entsprang der Plan zu einem Epos: »Moses«. Tiefer und unmittelbarer wirkten die
wilden dramatischen Produkte der Sturm- und Drangperiode auf S. ein; Leisewitz' »Julius von Tarent«, Gerstenbergs
»Ugolino«, Klingers Erstlingsdramen und Goethes »Götz« regten ihn zur Nacheiferung an. Seinen Mitschülern las er Szenen aus einem
Drama: »Der Student von Nassau«, und aus einer Tragödie: »Cosmus von Medici«, vor, in denen sie schon dramatisches Genie bewunderten.
Den stärksten Einfluß auf Schillers
Richtung und Bildung gewannen aber Plutarch und J. J. Rousseau. Am
erstern nährte er den Zug
seiner Natur zur realistischen Charakteristik, am andern eine überschwengliche Naturbegeisterung, einen
ebenso ungestümen wie unbestimmten Freiheitsdrang. Die Karlsschule war 1775 von der Solitüde nach Stuttgart
[* 8] verlegt und bei
dieser Gelegenheit auch eine medizinische Fakultät an ihr errichtet worden. S. ging jetzt vom Rechtsstudium
zu dem der Medizin über; teils äußere Verhältnisse, teils ein gewisser Instinkt, daß der Arzt der Natur näher stehe als
der Rechtsgelehrte, entschieden diesen Berufswechsel.
Wahrhaft Ernst war es dem werdenden Dichter nur um seine Poesie. Seit 1776 erschienen im »Schwäbischen Magazin« einzelne Proben seiner Lyrik. 1777-78 begann die Ausarbeitung einer neuen Tragödie: »Die Räuber«, an deren Vollendung ein Kreis [* 9] jugendlicher Bewunderer (Scharffenstein, Kapf, Petersen u. a.) in atemloser Spannung Anteil nahm. Um den litterarischen Bestrebungen freier huldigen zu können, ersehnte S. seine alsbaldige Entlassung aus der Hohen Karlsschule.
Aber die 1779 eingereichte Abhandlung »Philosophie der Physiologie« erregte um ihres »zu vielen Feuers«
und ihrer exzentrischen Ausdrücke willen die Aufmerksamkeit des Herzogs Karl, der ein pädagogisches Experiment nach seiner Weise
beliebte und befahl, daß S. zur Abkühlung und Abdämpfung noch ein Jahr in der Akademie zu verweilen habe. Gewiß ist in
dieser Episode der erste Grund des spätern Mißverhältnisses Schillers
zu seinem Fürsten, dem er bis dahin
eine vollkommen aufrichtige Dankbarkeit und Hingebung gewidmet hatte, zu suchen.
Während des erzwungenen Jahrs beendete S. eine Umarbeitung seiner »Räuber« und sah bei Gelegenheit des Besuchs, den Herzog Karl August und Goethe dem württembergischen Hof [* 10] und der Karlsschule auf der Rückkehr von ihrer gemeinsamen Schweizerreise Ende 1779 abstatteten, den nachmaligen großen Dichterfreund zum erstenmal. Im Dezember 1780 erlangte er endlich auf Grund zweier Probeschriften, deren eine ein medizinisches, die andre ein naturphilosophisches Thema behandelte, die Entlassung aus der Karlsschule. Er wurde zum Medikus ohne Portepee beim Grenadierregiment des Generals Augé mit 18 Guld. Monatsgage ernannt und erfuhr damit, da Herzog Karl eine gute Versorgung in Aussicht gestellt hatte, eine neue schmerzliche Enttäuschung.
Allerdings ließ ihm das schlecht besoldete Amt Muße genug zu litterarischen Studien und dichterischen Anläufen. Er übernahm die Redaktion einer kleinen Zeitschrift und begann nach einem Verleger für die »Räuber« zu suchen, der sich nicht finden wollte, so daß der Autor zuletzt, wie Goethe bei seinem »Götz«, zum Selbstverlag genötigt war. Von neuen Dichtungen entstanden in dieser Zeit hauptsächlich die überschwenglichen Oden »An Laura«, zu denen eine Stuttgarter Hauptmannswitwe, Frau Vischer, den ersten Anlaß gegeben haben mag.
Eine gewisse Kraftgenialität, ein Streben nach dem Ungewöhnlichen und Packenden, noch ohne jede Läuterung des Geschmacks,
war inzwischen nicht nur den lyrischen Dichtungen Schillers
in dieser Zeit eigentümlich, sondern durchhauchte auch das ganze
persönliche Leben und Treiben seines Kreises. Die Terminologie wie die geselligen Formen zeigten die Mischung
von wüster Renommage und blitzendem Geist, welche noch in einzelnen Szenen der »Räuber« erhalten ist.
Diese geniale Jugendtragödie Schillers
erschien 1781. In ihr gipfelte der die Zeit erfüllende Entfesselungsdrang, der sich
in Leben und Dichtung gegen die sozialen und geistigen Schranken der Despotie, der Mode und der Heuchelei
empörte. Diese Opposition hatte in zahlreichen poetischen Erzeugnissen jener Tage bereits Ausdruck gefunden, als Schillers
dramatischer Erstling vor die Öffentlichkeit trat; aber während in den meisten Dichtungen gleicher Tendenz das Fratzenhafte,
¶
Bombastisch-Übertriebene die absolute Unnatur überwog, waren die »Räuber« von zwar noch in teilweise trüber Gärung begriffenem, aber feurigstem und edelstem Geist und mit der wenn auch ungebändigten, doch reinsten Begeisterung einer die Menschheit in unendlicher Liebe umfassenden Dichterseele erfüllt. Das Werk äußerte trotz aller Auswüchse die mächtigste Wirkung; seit Goethes Frühschöpfungen hatte kein dichterisches Erzeugnis solche Gewalt auf die Zeitgenossen ausgeübt.
S., der ursprünglich an keine theatralische Darstellung seines wilden Werkes gedacht, ward von Mannheim [* 12] aus durch den Buchhändler Schwan und den Theaterintendanten v. Dalberg zu einer Bühnenbearbeitung der »Räuber« veranlaßt, die mit großem Erfolg im Januar 1782 auf der Mannheimer Hof- und Nationalbühne in Szene ging. Dieser Erfolg legte ihm zuerst den Gedanken nahe, sich ausschließlich der dramatischen Dichtung zu widmen, womöglich eine Anstellung am Mannheimer Theater [* 13] selbst zu finden. Er begann unmittelbar nach der ersten Aufführung der »Räuber« an einer zweiten Tragödie: »Fiesco, oder die Verschwörung zu Genua«, [* 14] zu arbeiten. Gleichzeitig veröffentlichte er die hervorragendsten seiner Jugendgedichte mit all ihrer genialen Originalität und ihren Auswüchsen in einer »Anthologie auf das Jahr 1782«, angeblich zu Tobolsk, in Wahrheit zu Stuttgart, wiederum auf Kosten des Herausgebers, der hierdurch in Schulden geriet, gedruckt.
Aber während seine litterarische Thätigkeit in diesem Aufschwung begriffen war, zogen schwere Wetter [* 15] über S. herauf. Im Mai hatte er eine Wiederholung der »Räuber« mit Frau v. Wolzogen, der Mutter zweier ihm befreundeter Karlsschüler, beigewohnt und war deshalb heimlich nach Mannheim gereist. Diese Reise und der Umstand, daß eine Stelle in den »Räubern« in Graubünden Anstoß erregt hatte, zogen das Verbot des Herzogs an S., fernerhin Komödien oder sonst dergleichen zu schreiben, nach sich.
Ein Gesuch des Dichters, das unerträgliche Interdikt zurückzuziehen, wurde nicht gewährt, ja ihm ferneres Schreiben an
seinen Landesherrn untersagt. Das gab den Anstoß zu dem Plan Schillers
, sich durch die Flucht dem Druck des
heimischen Despotismus zu entziehen. Am verließ der Dichter in Begleitung seines treuen Freundes, des Musikers Andreas
Streicher, Stuttgart, am 19. traf er in Mannheim ein. Er brachte den »Fiesco« fast vollendet mit, auf den er große Hoffnungen
für seine Zukunft setzte.
Jedoch schon die ersten Mannheimer Tage brachten Enttäuschungen. Die Mannheimer Schauspieler, der Regisseur
Meyer, Beil, Böck u. a., mißbilligten Schillers
Entschluß, nur Iffland beurteilte denselben günstiger. Dalberg war abwesend,
er weilte als Festgast in Stuttgart. Von dort liefen auf briefliche Anfragen Schillers über die Art, wie man seine Flucht
aufgenommen, wenig beruhigende Antworten ein; ein Gesuch an den Herzog um Verzeihung und Gewähr freier
litterarischer Entfaltung ward ungenügend beantwortet. S. fühlte sich daher in Mannheim nicht sicher genug; 30. Sept. wanderte
er mit Streicher weiter nach Frankfurt,
[* 16] wo sie in der Vorstadt Sachsenhausen in bescheidener Herberge einkehrten.
Von dort schrieb S. an Dalberg, legte ihm vertrauensvoll seine schlimme Situation dar und bat um einen Vorschuß auf den »Fiesco«. Eine Antwort des Theaterregisseurs Meyer schlug die Bitte ab und erklärte die Dichtung in ihrer dermaligen Gestalt für bühnenunbrauchbar. Eine kleine Geldsendung von Streichers Mutter ermöglichte den Freunden, sich in Sachsenhausen loszumachen und in die Nähe von Mannheim zurückzukehren. Im Dorf Oggersheim nahmen sie in armseliger Wirtsstube Wohnung und hausten dort sieben entbehrungsreiche Wochen hindurch, während deren der Plan zu dem bürgerlichen Trauerspiel »Luise Millerin« (später »Kabale und Liebe« betitelt) entworfen, der »Fiesco« umgearbeitet, jedoch abermals als bühnenunbrauchbar vom Mannheimer Nationaltheater zurückgewiesen wurde.
Anfang Dezember öffnete sich dem Dichter ein besserer Zufluchtsort. Einer schon in Stuttgart an ihn ergangenen Einladung der Frau v. Wolzogen folgend, begab er sich auf ein derselben gehöriges Gut zu Bauerbach bei Meiningen. [* 17] »Fiesco« war inzwischen von dem Mannheimer Buchhändler Schwan gegen ein Honorar von 11 Louisdor in Verlag genommen worden und erschien alsbald. Er hatte unter allen Jugenddramen Schillers und überhaupt unter allen Dramen der Sturm- und Drangperiode den stärksten dramatischen Nerv, den vorzüglichsten Bau und eine Steigerung der Handlung und des Interesses, welche die stellenweise zu äußerliche Charakteristik und das forcierte Pathos der Sprache [* 18] mehr als aufwog. Die erste Aufführung in Mannheim (Januar 1784) machte gleichwohl nur geringes Glück, mehr Erfolg hatten die Aufführungen in Berlin [* 19] und Frankfurt. In der winterlichen Stille des Bauerbacher Aufenthalts wurde die »Luise Millerin« beendigt und im März »Don Karlos« begonnen.
Der freundschaftliche Verkehr mit dem Meininger Bibliothekar Reinwald, der später Schillers Schwester Christophine heiratete, brachte dem Dichter Unterhaltung und Förderung in seine Einsamkeit. Im März traf ein Brief Dalbergs ein. Der Freiherr hatte sich überzeugt, daß von Stuttgart aus keine weitere Verfolgung Schillers stattfinden werde, und begann die früher zurückgewiesene engere Verbindung des Dichters mit seinem Theater wünschenswert zu finden.
Die fortgesetzte Korrespondenz hatte zur Folge, daß der Dichter im Juli 1783 nach Mannheim zurückkehrte und im August von dem Intendanten zum Theaterdichter für die dortige Bühne engagiert wurde. S. versuchte jetzt in Mannheim heimisch zu werden. Im Januar 1784 ging, wie erwähnt, »Fiesco«, 9. März »Kabale und Liebe« zuerst über die Mannheimer Bretter und fand begeisterten Beifall. Das Stück bekundete Schillers dramatisches Talent in einer völlig neuen Weise. Es stellte Zustände der traurigsten damaligen Wirklichkeit dar, es vergegenwärtigte den ungeheuern Widerspruch der neuen Bildung und der bestehenden alten Verhältnisse mit gelegentlich greller Zeichnung, aber im ganzen doch mit echt poetischer Leidenschaft und Kraft [* 20] der Charakteristik.
Der Erfolg hob Schillers Lebensmut, ohne den materiellen Bedrängnissen, in die er sich fortwährend versetzt sah, ein Ende zu bereiten. Die Aufnahme in die vom Kurfürsten protegierte Kurpfälzische Deutsche [* 21] Gesellschaft (Februar 1784) sah er als »einen großen Schritt zu seinem Etablissement« an. Beim Eintritt las er (26. Juni) die Abhandlung »Was kann eine gute stehende Schaubühne wirken?«, welche jetzt in den gesammelten Schriften unter dem Titel: »Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet« steht. Sie entwickelte für die dramatische Kunst den edlen Gedanken, der Schillers ganze ästhetische Anschauung auch später beherrschte, daß die Kunst ähnlichen Beruf wie die Religion habe und die Menschheit zu erziehen, zu adeln bestimmt sei. Diese Wahrheit sollte schöpferisch durch den unterdessen fortgeführten »Don Karlos« ¶