Schanfigg
,
früher und im Dialekt auch jetzt noch Schalfik genannt (Kt. Graubünden,
Bez. Plessur).
2300-590 m. Eines der
zerrissensten Alpenthäler
Bündens. 30 km lang. Von der
Plessur durchflossen, die in
Chur von rechts in den
Rhein mündet.
Wilde
Bergbäche (Töbel) und
Rüfen haben seit Jahrhunderten und namentlich zur Zeit der sehr starken Abholzungsperiode ihr Zerstörungswerk
verrichtet. Rippenähnlich ziehen sich zwischen ihnen - namentlich auf der rechten Thalseite - grüne
Moränenhügel vom Berggrat bis zur Thalsohle, die sich wie Theaterkulissen zwischen die einzelnen Thalstufen und Ortschaften
einschieben. Das Schanfigg
bietet deshalb dem Wanderer eine Reihe rasch wechselnder, bald lieblicher, bald romantisch grotesker
Naturbilder und Szenerien.
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Umsäumt von den meist bis zur Spitze weidereichen Bergen der Hochwangkette (Montalin, Hochwang 2535 m), vom Kunkels, Mattlishorn, der Weissfluh und dem Schiahorn, sowie von den felsigen Häuptern der Rothornkette (2985 m), öffnet es sich gegen W. Wunderschön schliessen dort, von der innern Thalpartie aus gesehen, Tödi, Ringelspitz und Calanda das Gebirgspanorama ab. Infolge der vielen Rüfen, Töbel und Felspartien findet sich verhältnismässig wenig Kulturland; Wiesen und Aecker liegen meist nur in unmittelbarer Nähe der auf malerische Terrassen oder in windgeschützte Thalmulden hingebetteten Dörfer.
Der Getreidebau (Gersten und Roggen) ist in den letzten 20 Jahren stark zurückgegangen, und auch die
früher oft gesehenen «Hanfländer» sind im Abnehmen begriffen. Bis Peist gedeihen die Kartoffeln in dem sandig-steinigen
Boden sehr gut. Im Uebrigen ist und bleibt - Arosa ausgenommen - die Viehzucht der wichtigste und einträglichste Erwerbszweig
der Thalbewohner. Es sind auf diesem Gebiet der Volkswirtschaft in letzter Zeit dank der ausgibigen Staatsunterstützung
und des Genossenschaftswesens sehr erfreuliche Fortschritte zu konstatieren. Da die Schanfigg
ergemeinden die sogen. Gemeindegüter
(Verteilung des Gemeindebodens an die einzelnen Bürger) nicht kennen, werden im Frühling und Herbst Grossvieh, Ziegen und
Schafe auf die Allmende (Allmeine genannt) getrieben.
Stellenweise ist auch noch die für die Kulturen nicht besonders vorteilhafte «Atzung» Brauch, d. h. das Recht, zu gewissen Zeiten (eventuell den ganzen Winter hindurch) speziell dem Kleinvieh freien und unbegrenzten Weidgang zu gestatten. Infolge des sehr zerstückelten Grundbesitzes finden sich fast bei jedem Wiesland, oft stundenweit von den Ortschaften entfernt, Viehställe und «stellt» dann der Bauer, sobald an einem Ort der Futtervorrat aufgezehrt ist, seine Viehhabe wieder in einen andern Stall. Von den Maien sässen weg zieht das Vieh Ende Juni in die Alpen und verbleibt dort in der Regel bis zum 26. September. Die für die sommerliche Milchlieferung bestimmten «Heimkühe» werden dann jeweilen am Tage der Alpfahrt von starkem Heimweh befallen, obschon es an vielen Orten auch ihnen (und den Ziegen) vergönnt ist, alle Tage eine 5-6stündige Bergtour (hin und zurück) zu machen.
Die Bewohner des Thales sprechen deutsch und sind seit der Reformation ausnahmslos dem reformierten Bekenntnis treu geblieben. Der äussere Teil des Thales (ehemaliges Hochgericht St. Peter) weist für Ortschaften und Grundstücke lauter romanische Ortsbezeichnungen auf und ist jedenfalls erst mit der Reformation germanisiert worden; der hintere Teil dagegen (das ehemalige Hochgericht Langwies mit Arosa. Sapün und Fondei) war seinerzeit eine Niederlassung der freien Walser.
Das Frauentobel mit dem davorliegenden Gütchen «Annascheida» (Anna's Abschied)
bildet die markante Sprachgrenze. Der Schanfigger
ist, soweit der Fremdenverkehr ihn nicht in seinen
Strudel gezogen, konservativ, zäh an alten patriarchalischen Einrichtungen festhaltend, abhold vor Allem aller und jeder
Form von Bureaukratie. Auch der Aberglaube, dem die finstern Tannenwälder und die grausigen Schluchten, sowie das stille
und eher verschlossene Wesen der Thalbewohner geeigneten Nährboden gewährte, findet noch seine bewussten
und unbewussten Anhänger. Ein reicher Kranz von Legenden windet sich namentlich um jene geheimnisvollen Orte, wo einst alte
Burgen gestanden haben oder nach Metallen gegraben wurde. Ein alter Brauch, dessen moralische Seiten hier nicht zu beleuchten
sind, ist das «Z' Hengert gehen» (an andern Orten Kiltgang
oder Spinnete genannt) und zwar mit einer Zinnkanne voll Wein, soweit
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man's wenigstens mit Aussicht auf Erfolg betreiben will. Die grösste gemeinschaftliche Festlichkeit aller Thalbewohner ist die alle zwei Jahre in St. Peter, dem Kreishauptort, stattfindende «Bsatzig» oder Landsgemeinde, an welcher in 1-2stündiger Wahlverhandlung im Freien das Kreisgericht und die Grossratsvertretung neu bestellt werden. An diesen offiziellen Akt schliesst sich ein gewöhnlich zwei Tage dauerndes Volksfest von ungekünstelter Natürlichkeit an, bei welchem die sonst wortkarge Bevölkerung bei Wein, Weib und Gesang sich wieder einmal des Lebens freut. Unter freiem Himmel auf aussichtsreicher Höhe ob dem Dorfe werden dann drei Tanzbühnen aufgeschlagen, auf denen das junge Volk sich belustigt, während an der Berglehne in malerischen Gruppen sich die ältern Leute lagern und von den Vorräten zehren, die sie in ziemlich umfangreichen Bündeln von zu Hause mitgeschleppt haben. Es sind Tage der Freude und Geselligkeit für die im steten Kampf mit der Natur und oft recht vereinsamt wohnenden Bürger des Thales.
Bis 1874 war das Schanfigg
ein für den Verkehr ziemlich unzugängliches Thal. Ein stellenweise recht
gefährlicher Fusspfad, der zur Not etwa noch von Saumpferden begangen werden konnte, verband, von Chur ausgehend, die einzelnen
Ortschaften miteinander. Den kleinen Postverkehr besorgte wöchentlich dreimal ein Fussbote. 1874 baute dann der Staat die
jetzige Verbindungsstrasse Chur-Langwies (23 km lang), welche jedoch infolge mangelhafter Aufsicht beim
Bau und sehr schlechten Terrains (leicht verwitterbarer Schiefer oder Flysch und beständig durch Regen und Schnee in Bewegung
gesetzte Moränenhalden) dem Kanton und den Gemeinden schon unverhältnismässig hohe Reparatur- und Unterhaltungskosten
verursacht hat.
Vor wenigen Jahren wurden umfassende Verbreiterungen und Verbauungen angebracht, was umso angezeigter erschien, als die Strasse durch den Aufschwung des Kurortes Arosa (das Teilstück Langwies-Arosa wurde erst 1890 gebaut) ausserordentlich in Anspruch genommen wird. Gegenwärtig machen sich Bestrebungen bemerkbar, den Verkehr durch den Bau einer elektrischen Strassenbahn zu erleichtern, doch sind die Schwierigkeiten der Finanzierung sowohl als der Tracierung voraussichtlich keine kleinen.
Die Ortschaften des Schanfigg
verteilen sich wie folgt: Auf der rechten Thalseite liegt eine Stunde oberhalb Chur das stattliche
Dorf Maladers auf sonniger Wiesenterrasse und
in grünem Obstwald verborgen. Eine Viertelstunde weiter oben und direkt an
der Strasse stossen wir auf den Weiler Sax, dessen Häuser in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts etwa 20 Minuten
unter der Strasse standen, aber wegen Rutschgefahr verlegt werden mussten. Beim Hochwasser der Saxer Rüfe von 1890 versank
ob dieser Stelle die Strasse spurlos und musste für längere Zeit ein Notweg erstellt werden.
Auf ebenfalls etwas unsicherm Terrain liegt Calfreisen mit den tanngekrönten Ueberresten der Burg Bernegg (Stammschloss des bekannten Bündner Geschlechtes von Sprecher). An den aussichtsreichen Hügel Garschling, auf dem sich die Georgskirche und der Friedhof befinden, hat sich das stattliche Dorf Castiel angelehnt, wo die Strasse bei einer Länge von 8 km von Chur weg bereits eine Steigung von etwa 600 m überwunden hat. Zu Castiel gehörte früher noch Lüen, ein kleines Dörfchen auf prächtigem Wiesenplan, etwa ½ Stunde ob der Plessur.
Eine zweite Gruppe von Gemeinden bilden St. Peter, Pagig und Molinis. Ersteres (1252 m), der Hauptort des Thales und wichtige Poststation, ist ein freundliches zerstreutes Dorf mit 115 Ew., wo trotz der hohen Lage an geschützten Stellen noch Obst gedeiht. Molinis, tief unten an der Plessur gelegen und früher viel von Wassernot heimgesucht, wäre trotz seiner im Winter sehr schattigen Lage für Obstbau sehr geeignet; Pagig (¼ Stunde oberhalb St. Peter) ist eine Kleine, ziemlich verarmte Gemeinde, die durch auswärtige Armenlasten stark mitgenommen wird.
Peist ist im Winter 1874/75 bis auf wenige Häuser abgebrannt und seither nicht besonders stilgerecht wieder aufgebaut worden.
Langwies Platz hat bereits ein wenig Fremdenverkehr und ist ein heimelig stilles, waldumsäumtes Dörfchen mit schöner Kirche
und stilvollem Kirchturm. Hier teilt sich das Thal in drei Aeste. Der Plessur folgend gelangen wir durch
schattigen Forst nach dem weltberühmten Kurort Arosa, der seit 1880 einen ungeahnten Aufschwung genommen hat und jetzt die
erste Stelle unter den Schanfigg
ergemeinden einnimmt und behauptet. Von Langwies führt in direkt ö. Richtung ein bereits
ziemlich verfallenes Kommunalsträsschen nach dem Weiler Sapün (sehr ausgedehnte Bergwiesen und Alpweiden)
und weiter über den bekannten Strelapass nach Davos. Etwa 20 Minuten hinter Langwies zweigt sich links in nö. Richtung das
wiesenreiche Fondeierthal ab mit Weg über den Durannapass ins Prätigau. Die linke Thalseite ist meist
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