Sardinĭen
(ital. Sardegna, frz. Sardaigne, span. Cerdėña), ital. Insel im Mittelmeer, die zweitgrößte desselben, 12 km südlich von Corsica, [* 2] von diesem durch die Bonifaciusstraße getrennt, im O. vom Tyrrhenischen und im W. vom Sardinischen Meer bespült, nach SO. im Kap Carbonara 279 km von Sicilien (Trapani) und nach S. im Kap Spartivento 183 km von Tunesien entfernt, zwischen 38° 52' und 41° 16' nördl. Br. und 8° 8' (Kap dell' Argentiera) bis 9° 50' (Kap Comino) östl. L. von Greenwich, bildet ein verschobenes Viereck, [* 3] von N. (Punta Falcone) nach S. (Kap Teulada) 269 km lang. im N. breiter (132 km) als im S. (108 km), ist wenig gegliedert, am meisten im N. (Golf dell'Asinara, nordöstlich: di Arsachena, Congianus und Terranova) und S. (Golf von Cagliari und von Palmas), wogegen die langen Küsten im W. und O. je nur einen größern Golf (von Oristano und Orosei) besitzen und hat einige Inseln an der Küste: im NW. dell'Asinara, im NO. eine Gruppe um den Kriegshafen Maddalena sowie einige Eilande an den Eingängen in die Golfe von Congianus und Terranova (das größte Tavolara) und an der Südwestküste Sant' Antioco und San Pietro. (S. Nebenkarte auf Karte: Unteritalien, Bd. 9, S.741.) Mit diesen Inseln umfaßt S. 24078 qkm, hatte 1881: 682002, nach einer Berechnung vom 741362 E., mithin 31 E. auf 1 qkm, weniger als jedes andere Compartimento Italiens. [* 4] Der Nordteil bildet die Provinz Sassari mit 5 Kreisen (Alghero, Nuoro, Ozieri, Sassari, Tempio Pausania) und 107 Gemeinden, der Südteil die Provinz Cagliari mit 4 Kreisen (Cagliari, Iglesias, Lanusei, Oristano) und 257 Gemeinden. Hauptstadt ist Cagliari.
Die Oberfläche ist zu neun Zehnteln gebirgig. Am Nordende ist zertrümmerte Kalkformation wie auf Corsica. In der nördl. Hälfte streichen die ¶
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Gebirge von NO. nach SW. mit Ausnahme des westlichsten Teils, La Nurra, wo ein vereinzelter meridionaler Höhenzug sich bis 464 m erhebt. Im nördlichsten Gebiet Gallura beginnen die erste Reihe die Monti di Ultanas am Golf Congianus, es folgen die Monti Limbara (1359 m) und das Bergland bis zum Kap Marrargiu (Punta Pittada 770 m) an der Westküste, im W. die Ebene westlich von Sassari und in der Mitte die Ebene Logudoro übrig lassend. Hinter dieser streicht die zweite Kette, beginnend am Golf von Terranova und dem Kap Coda Cavallo mit den Monti Nieddu (950 m), daran schließen der Monte-Acuto, der Monte-Rasu (1259 m), Catena del Marghine (Monte-San Padre 1050 m) und endlich nördlich von Oristano der Monte-Urticu (1054 m) oder Ferru.
Ein dritter kürzerer, im Quellgebiet des Tirso mit dem vorigen verbundener Zug beginnt mit dem Monte-Alvo (1128 m) und reicht bis an den Tirso; dem Monte-Alvo liegen östlich bis Kap Comino noch kleine Parallelketten vor. Den mittlern Teil der Osthälfte von S. beherrschen die aus Granit bestehenden Monti Gennargentu, der wildeste und höchste Teil der Insel, die Barbagia, die in der Punta Bruncu Spina (1940 m) gipfeln und am Oststrande, am Golf von Tortoli, die kleine Ebene Ogliastra freilassen.
Südlich vom Flumendosa bis zum Kap Carbonara liegt das ödeste, menschenleerste Gebirgsland von S. (lat. Sarrabus), in der Punta di Serpeddi 1075 m ansteigend. Die große fruchtbare Ebene Campidano, vom Golf von Cagliari bis über Oristano hinausreichend, endet beiderseits in mehrern salzigen Strandseen (Stagni), den größten der Insel, und trennt ein südwestl. Gebirgsland ab, das durch den Sixerri in zwei Teile zerfällt, der südliche (lat. Sulcis), in der Punta-Severa 989 m hoch, und der Gebirgsstock nördlich von Iglesias im Monte-Linas 1235 m emporragend.
Die zahlreichen Flußläufe sind kurz, oft wasserleer und keiner schiffbar. Im N. sind der die nördl. Gebirgsreihe durchbrechende und zum Golf dell' Asinara gehende Coghinas und Liscia in Gallura die bedeutendsten; im O. die zwischen zweiter und dritter Kette fließende Posada, der aus Mannu und Isalle entstehende Orosei und der vom Gennargentu nach S. gehende Flumendosa (lat. Saeprus) zu nennen. In den Stagno di Cagliari geht der Samassi mit dem Mannu (links) und Sixerri (rechts) und im W. mündet unterhalb Oristano der größte sardin. Fluß, Tirso (Thyrsus der Alten), sowie Mannu und Temo (bei Bosa).
Das Klima ist sehr heiß, zuweilen regnet es in 4-5 Monaten nicht, vom Juli bis Ende Oktober herrscht Malaria, hier Intemperie genannt, so daß selbst die Bergwerke verlassen werden. Diese befinden sich in der Hauptsache bei Iglesias; Montevecchio und Monteponi liefern Blei, [* 6] letzteres auch Zink, La Duchessa und Buggeru Galmei, Montenarba Silber und Su Suergiu Antimon. Die Bergwerksprodukte bilden den größten Teil der Ausfuhr, wozu noch das viele aus den Strandseen gewonnene Salz [* 7] kommt.
Mineralbäder sind in Sardara (mitten zwischen Cagliari und Oristano) und Fordungianus am Tirso unterhalb der Mündung des Araxisi, dieses steht auf Resten des Forum [* 8] Trajani, hat eine heiße Quelle [* 9] und Ruinen antiker Thermen. In den Gebirgen ist noch viel Wald (etwa ein Fünftel der Oberfläche), er besteht aus Eichen (fünf Arten), Kastanien, Hopfenbuchen und Kiefern (zwei Arten), wozu an der Nordküste auf den Affadillwiesen Gestrüppe von Zwergpalmen kommen. Die Bodenproduktion ist reich, doch ist der Boden vielfach nicht angebaut, da die Bevölkerung nicht ausreicht, doch wird Öl von Bosa ausgeführt und Wein in verschiedenen, den spanischen ähnlichen Sorten, wie Malvasier von Bosa, von Pirri und Quarto bei Cagliari, Nasco, Monaco, [* 10] Muragus von Cagliari, Vernaccia von Oristano, der rötliche Giro u. a. In Milis, nördlich von Oristano, am Südfuß des Monte-Ferru, befinden sich herrliche Orangengärten mit gegen 300000 Bäumen. Die Tierwelt entspricht der des ital. Festlandes, nur findet sich besonders im östl. Teil am Monte-Serrane das Mouflon (Mufflon, Ovis Musimon Schreb.), von Haustieren das einhufige Schwein [* 11] und der sardin. Hund. Pferde [* 12] gab es 1875: 51919, Rindvieh 172561, Ziegen 221317, Schweine [* 13] 81384, Schafe [* 14] 572689 Stück.
S. umfaßt folgende Provinzen:
Provinzen | Flächenraum in qkm offiziell | nach Strelbitskij | Einwohner 1881 | Einw. auf 1 qkm |
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Cagliari | 13615 | 13683 | 420635 | 31 |
Sassari | 10727 | 10159 | 261367 | 24 |
^[Additionslinie]
Sardinien |
24342 | 23842 | 682002 | 28 |
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S. ist dünner bevölkert als irgend ein anderes Compartimento Italiens.
Die Bevölkerung, durchaus katholisch, ist seit Jahrhunderten niedergedrückt durch die meist span. Barone und durch die Hierarchie, denen der größte Teil des fruchtbaren Bodens gehörte, bis 1836-37 durch Abschaffung der Patrimonialgerichte und Frondienste und 1838-47 durch Ablösung der drückendsten Grundlasten und Abgaben Besserung eintrat. Die Bewohner sind meist Italiener, aber gemischt mit Spaniern und andern Völkern, daher die Sprache, [* 15] die übrigens noch manche lat. Formen bewahrt hat, ein dem Spanischen verwandter Dialekt ist.
Besonders zahlreich sind catalon. Bevölkerungselemente in und um Alghero (Provinz Sassari). Der Sarde gleicht sehr dem Corsen, er ist ernst, würdevoll, gastfrei, arbeitsam, geweckt, aber auch rachsüchtig;
er trägt Kleider von gegerbtem Leder und Wolle und selbst im heißen Sommer Schafpelze zum wirksamen Schutz gegen die Malaria;
er treibt Ackerbau und Viehzucht, [* 16] aber nicht Schiffahrt oder Fischfang;
Engländer, Franzosen, Genuesen und Sicilianer fischen gegen Pachtzahlungen in seinen Gewässern;
Fabriken, Gewerbe und Handel sind ganz unbedeutend.
Über die Eisenbahnen s. Italienische Eisenbahnen. Dampfer der Navigazione generale Italiana verbinden Cagliari wöchentlich dreimal mir Livorno, [* 17] einmal direkt, einmal über Maddalena, Kap Figari (Golf degli Aranci) und die Häfen der Ostküste und einmal über Bastia, Porto Torres, Alghero und die Häfen der Westküste, ferner wöchentlich einmal mit Neapel, [* 18] mit Palermo, [* 19] mit Tunis [* 20] und mit Kap Figari, das täglich mit Civitavecchia verbunden ist. Eingeführt werden besonders Kolonial-, Baumwoll-, Wollwaren und Steinkohlen.
Es giebt drei Erzbistümer (Cagliari, Oristano, Sassari), acht Bistümer und zwei unbedeutende Universitäten (Cagliari, Sassari).
Durch seine Altertümer ist S. besonders merkwürdig, weniger durch die Reste aus karthag. und röm. Zeit oder dem Mittelalter, als durch die aus ¶
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vorgeschichtlicher Zeit. Die kegelförmigen, 12-20 m hohen, unten 10-30 m Durchmesser dicken, aus ungeheuren (unbehauenen oder auch zugerichteten) Steinen erbauten Nurhags (s. d.) sind zu Tausenden, gewöhnlich auf Anhöhen in Gruppen (bis 200), die meisten bei Macomer, erhalten (vgl. Spano, Memoria sopra i Nuraghi di Sardegna, Cagliari 1867); ferner die Riesenbetten, Tumbas de los Gigantes, viereckige, aus Steinen geschichtete, 5-11 m lange, 1-2 m breite Grabmäler. Seltener sind die den kelt. Menhirs und Dolmen entsprechenden Steindenkmäler, die Perdas fittas und Perdas lungas.
Geschichte. Die Insel S. hieß bei den Griechen Sardō, bei den Römern Sardinia, daneben kommen die Namen Ichnusa oder Sandaliotis, nach ihrer fußsohlenähnlichen Form vor. Die Bewohner, abgesehen von den Corsen auf der Nordspitze, Sarden, sind von den Alten bereits als ein eigenartiger Volksstamm erkannt worden, waren aber ihnen schon ein Rätsel, sie werden bald als Libyer, bald als Iberer, bald als Ligurer bezeichnet. Eine Einwanderung von Libyen aus ist bei der Lage S.s ganz glaublich; sprachliche Anzeichen scheinen für die iberische Nationalität und Verwandtschaft mit den Corsen zu sprechen.
Die Sarden waren ein seemächtiges, kriegerisches Volk. Als besondere Völkerschaft erscheinen in dem gebirgigen Osten die Iolaer oder Ilier (von den Alten deshalb mit Ilion in Beziehung gebracht). Die griech. Kolonien der Phocäer, die Massalia gründeten, vielleicht auch später der Massalioten selbst, namentlich Olbia (jetzt Terranova), scheinen von keiner langen Dauer gewesen zu sein. Später, seit 500 v. Chr., legten die Karthager an der Südküste die Handelsniederlassungen Caralis und Sulchi oder Sulci an, von wo aus diese allmählich ihre Herrschaft über die Küsten ausdehnten. Im J. 379 versuchten die Insulaner vergeblich das fremde Joch abzuschütteln.
Nach dem ersten Punischen Kriege kam S. 238 von den Karthagern in die Gewalt der Römer [* 22] und bildete mit Corsica eine Provinz mit der Hauptstadt Caralis (jetzt Cagliari), wurde jedoch 215, 181 und 115 v. Chr. durch gewaltige Aufstände der Bergbewohner erschüttert. Das Innere ist nie ganz unterworfen worden und bildete eine Art von Sklavenjagdgebiet für die röm. Statthalter. Die Kornausfuhr war im Altertum bedeutend, auch Viehzucht und Bergbau [* 23] von Wichtigkeit. In der Folge war S. im Besitze der Vandalen seit 458, der byzant.
Kaiser seit 533 n. Chr., der Sarazenen seit Mitte des 8. Jahrh., um 1016 fast ganz in dem des Mugahid, Emirs der Balearen, seit 1007 und nach abermaliger Eroberung durch die Sarazenen (1022) der Pisaner (seit 1052), bei welchen Wechseln der Herrschaft es an langen und blutigen Kämpfen nicht fehlte. Die Pisaner setzten zur Regierung des Landes vier Richter in Cagliari, Torres (Logudoro), Gallura und Arborea ein, welche sich bald nicht nur große Macht, sondern auch die Erblichkeit ihrer Würde verschafften.
Mit Unterstützung der Genueser gelang es dem Richter Bariso (Boruson) von Arborea, sich zum Oberherrn der ganzen Insel zu machen, die nun Kaiser Friedrich I. 1164 zu einem Königreiche erhob. Nach mancherlei innern Wirren machte Kaiser Friedrich II. seinen natürlichen Sohn Enzio (s. d.) zum Könige von S. Nach dessen Gefangennehmung durch die Bologneser bemächtigten sich 1250 wieder die Pisaner der Insel, mit Ausnahme von Arborea. Papst Bonifacius VIII. maßte sich die Oberlehnsherrlichkeit über das Königreich an und belehnte damit und mit der Insel Corsica 1296 den König Jakob II. von Aragonien; doch erst 1324 gelangte dieses Haus zum ruhigen Besitz der Herrschaft, über Arborea erst 1386. Bald war S. wieder der Schauplatz vieler Empörungen und verwüstender Bürgerkriege. Die Giudichessa Elonora von Arborea (gest. 1404) zeichnete sich durch Verleihung des Gesetzbuchs Carta de logu aus, dessen Geltung 1421 durch Alfons von Aragonien über die ganze Insel ausgedehnt wurde.
Mit Ferdinand dem Katholischen hörte die Verwaltung S.s durch einheimische Fürsten auf, und es traten span. Vicekönige an
deren Stelle. Es gehörte nun zu Spanien,
[* 24] bis es im Spanischen Erbfolgekriege 1708 von den Engländern für
Österreich
[* 25] erobert und besetzt wurde. Im Utrechter Frieden von 1713 wurde die Insel förmlich dem Hause Österreich zugesprochen.
König Philipp V. von Spanien eroberte sie zwar 1717 wieder; doch mußte er sie alsbald, durch Frankreich, England und Österreich
genötigt, aufs neue abtreten. Hierauf trat Österreich gegen Sicilien, das der Herzog Victor Amadeus II.
von Savoyen im Utrechter Frieden als Königreich erhalten hatte, 1718 (1720) die Insel S. an diesen ab. Seit dieser Zeit bildete
sie mit Savoyen und Piemont u. s. w. das Königreich Sardinien
[* 26] (s. d.).
Litteratur.
Vgl. Graf Alberto Ferrero de La Marmora, Voyage en Sardaigne ou description statistique, physique et politique de cette île (2. Aufl., 5 Bde., Par. und Tur. 1839-60, nebst Atlas; [* 27] Bd. 4 u. 5 auch besonders u. d. T.: Itinéraire de l'île de Sardaigne (Tur. 1860);
E. Pais, La Sardegna prima del dominio romano (hg. von der Accademia dei Lincei, Rom [* 28] 1881);
Bulletino archeologico sardo (hg. von Spano 1855-64, von Pais 1884-87);
von Maltzan, Reise auf der Insel S. (Lpz. 1869);
Cugia, Nuovo itinerario dell'isola di Sardegna (2 Bde., Cagliari 1892).