Sappho
(spr. saffo), die größte Dichterin des Altertums, aus Eresos oder Mytilene auf Lesbos, lebte als jüngere Zeitgenossin des Alkäos zwischen 630 und 570 v. Chr. Sie war verheiratet mit einem reichen Mann aus Andros und Mutter einer Tochter, Klais. Etwa um 596 mußten sie wahrscheinlich infolge politischer Unruhen nach Sizilien [* 2] fliehen. In spätern Jahren lebte S. zu Mytilene, umgeben von einer Schar junger befreundeter Mädchen, darunter die Dichterin Erinna (s. d.), die sie zur Dichtkunst anleitete und begeisterte.
Dieses Verhältnis gab späterer Klatschsucht Veranlassung zu schändlicher Verleumdung, indem ihr unnatürliche Ausschweifungen vorgeworfen wurden. Auch fabelte man von einem Liebesverhältnis zu dem Jüngling Phaon (das Grillparzer zum Vorwurf seiner Tragödie »S.« gemacht hat); sie sollte sich, von ihm verschmäht und verlassen, in Verzweiflung vom Leukadischen Felsen ins Meer gestürzt haben. Glaubwürdige Zeugnisse aus dem Altertum wie auch die in ihren Gedichten niedergelegten Grundsätze strafen diese und andre Erzählungen Lügen (vgl. Welcker, S., von einem herrschenden Vorurteil befreit, in den »Kleinen Schriften«, Bd. 2). Allerdings war der Mittelpunkt ihrer Poesie die Liebe, und nach griechischer Art erstreckte sich diese nicht bloß auf das andre Geschlecht, sondern auch auf jüngere ihres eignen Geschlechts, die sich durch Schönheit auszeichneten; doch brauchte dieses Wohlgefallen an jugendlicher Schönheit ebensowenig anstößig zu sein wie das des Sokrates an schönen und begabten Jünglingen.
Von der hohen Verehrung, die S. im Altertum genoß, zeugt es, daß ihr in Syrakus [* 3] und Byzanz Bildsäulen errichtet waren, und daß man zu Mytilene ihr Bildnis auf Münzen [* 4] anbrachte. Unter ihren von den alexandrinischen Gelehrten in 9 Bücher abgeteilten Gedichten waren die Epithalamien und Hymnen die berühmtesten. Der Grundton ihrer Lieder war glühende Innigkeit der Empfindung, verbunden mit Anmut und Wohllaut der Sprache [* 5] und Weichheit der Rhythmen. Außer einer Reihe kürzerer Fragmente besitzen wir von ihr noch zwei Gedichte, einen Hymnus an Aphrodite [* 6] und eine Ode an ein schönes Mädchen.
Sammlung der Überreste bei Schneidewin (»Delectus poesis Graecorum«, Götting. 1839),
Bergk (»Poetae lyrici graeci«, Bd. 3, und »Anthologia lyrica«, 2. Aufl., das. 1868). Übersetzungen lieferten Hartung (»Griechische Lyriker«, Bd. 7, Leipz. 1857),
teilweise auch Geibel (»Klassisches Liederbuch«, 4. Aufl., Berl. 1882).
Vgl. Poestion, Griechische Dichterinnen (Wien [* 7] 1876);
Arnold, S., ein Vortrag (Berl. 1871);
Köchly, Über S. (in den »Akademischen Vorträgen«, Zürich [* 8] 1859);
Schöne, Untersuchungen über das Leben der S. (Leipz. 1867). ¶