mehr
Newskij-Prospekt. Hier promeniert in den ersten Nachmittagsstunden die feine Welt, hier rollen die Wagen der Reichen über das elegante Holzpflaster. Auch die Pulsader des geschäftlichen Lebens, der Kaufhof (Gostinnoi Dwor), liegt mit einer Fronte am Newskij-Prospekt. Nächst dem Newskij sind die belebtesten und elegantesten Straßen die Große Morskaja (»Seestraße«),
die Kleine Morskaja, die Millionnaja und der Liteinij-Prospekt. Die schönste Stelle St. Petersburgs ist aber unbestreitbar das Newaufer mit seinen prachtvollen Palästen, unter denen die der Glieder [* 3] der kaiserlichen Familie besonders hervortreten. Unter den öffentlichen Plätzen ist vor allen der Palaisplatz zwischen dem Winterpalais und dem Generalstabsgebäude zu nennen, das sich dem Palais gegenüber in einem Halbkreis ausdehnt. In der Mitte des Platzes, gegenüber dem 22,5 m breiten Triumphthor in der Fassade des Generalstabsgebäudes, dessen Frontispiz ein sechsspänniger Siegeswagen krönt, erhebt sich die 48 m hohe Alexandersäule.
Dieselbe wurde 1834 errichtet und besteht aus einer 23 m hohen Granitsäule von 4½ m Durchmesser, deren Sockel, Mantel und Kapitäl aus eroberten türkischen Kanonen gegossen sind. Die Spitze dieses großen Monolithen ziert ein das Kreuz [* 4] haltender Engel. Auf dem frühern Petersplatz, der jetzt einen Teil des schon erwähnten Alexandergartens um die Admiralität bildet, steht das 1782 enthüllte Denkmal Peters d. Gr. (von Falconet). Zu Roß sprengt der Kaiser einen 5½ m hohen Felsen hinan, mit der Rechten auf die Festung [* 5] und die Newa deutend.
Der Felsen trägt in goldenen Lettern die Inschrift: »Petro primo Catharina secunda 1782«. Durch den monumentalen Bau der Isaakskathedrale und den Isaakssquare von diesem großartigen Monument getrennt, erhebt sich vor dem Marienpalais der verstorbenen Großfürstin Maria Nikolajewna die Reiterstatue des Kaisers Nikolaus (von Klodt). Das 1874 enthüllte, nach einer Zeichnung Mikeschins gearbeitete Denkmal Katharinas II. schmückt den zwischen der öffentlichen Bibliothek und dem Anitschkowpalais liegenden Square, dessen Hintergrund das Alexandratheater abschließt.
Auf einem glockenförmigen Piedestal erhebt sich die majestätische Gestalt der Kaiserin im kaiserlichen Schmuck; die Gestalten ihrer Ratgeber und Feldherren umgeben den obern, aus Bronze [* 6] gegossenen Teil des Piedestals. Die übrigen Denkmäler der Residenz: die Standbilder Kutusows und Barclay de Tollys vor der Kasanschen Kathedrale, Suworows in antikem Stil am Marsfeld (Zarizyn Lug), welches 40,000 Mann manövrierender Truppen Raum bietet, eine zweite Reiterstatue Peters d. Gr. vor dem Ingenieurpalais, das Denkmal des Grafen Rumjänzow im Rumjänzowsquare, das aus einem Obelisk aus grünem Marmor auf einem Piedestal aus rotem Marmor besteht, das 1886 enthüllte Puschkindenkmal und das Krylowdenkmal im Sommergarten, bieten nichts Hervorragendes dar.
Unter den 150 Brücken, [* 7] welche S. hat, verdienen die über die Fontanka am Newskij führende Anitschkowbrücke am gleichnamigen Palais, die Troizkij- oder St. Petersburger Brücke, [* 8] die zur St. Petersburger Seite führt, die Tutschkowbrücke, welche Wassilij-Ostrow mit der St. Petersburger Seite verbindet, die steinerne große Nikolaibrücke über die Newa und die steinerne Alexanderbrücke zur Wiborger Seite erwähnt zu werden. Bemerkenswert sind die vier bronzenen Pferde [* 9] (von Klodt) auf der Anitschkowbrücke.
[Kirchliche Bauwerke.]
Die Zahl der Kirchen und Kapellen St. Petersburgs beträgt gegen 140; dazu kommen noch fast ebenso viele Hauskirchen. Kapellen, wie die auf der Nikolaibrücke und auf dem Newskij-Prospekt zwischen dem Rathaus (Duma) und dem Gostinnoi Dwor, zählt man gegen 150. Bemerkenswert sind: die Kathedrale des heil. Isaak von Dalmatien, die Kathedrale zur heil. Mutter von Kasan, [* 10] die Peter-Paulskathedrale, die Preobrashenskische Kirche, die Troizkij-, die Wladimirkirche, die evangelisch-lutherische Petrikirche am Newskij-Prospekt, die deutsch-reformierte Kirche u. a. Die Isaakskathedrale, vom Architekten Montferrand 1858 vollendet, besteht ganz aus Marmor und Granit.
Den Portikus bilden 48 polierte dorische Säulen [* 11] aus finnischem Granit, welche eine Höhe von 17 m haben. Die auf ihnen ruhenden Frontons sind 36,3 m lang und werden von dem hohen vergoldeten Dom gekrönt. Die schönen Basreliefs auf den Frontons sind von den Professoren Vitali, Klodt und Lemaire ausgeführt und ebenso bemerkenswert wie die riesigen Thore, die ins Innere des Tempels führen. Den größten Schmuck des Innern bilden 8 kolossale Malachitsäulen und 2 Malachitpilaster von gegen 14 m Höhe an der Scheidewand des Allerheiligsten (Ikonostas) wie 2 Säulen aus Lapislazuli und die herrlichen großen Mosaikbilder zwischen diesen Säulen.
Das Allerheiligste enthält ein Modell der ganzen Kathedrale, in Gold [* 12] in dem bekannten Atelier von Sasikow ausgeführt; der Wert des Modells wird auf ½ Mill. Rubel angegeben. Den imposantesten Eindruck macht dieser Riesenbau in der Osternacht, wenn eine unzählbare Menschenmenge dicht gedrängt den im Lichtglanz strahlenden Raum erfüllt und eine nicht weniger zahlreiche Menge den Tempel [* 13] umwogt, von dessen vier Ecken aus der Höhe große Gasfackeln ihr Licht [* 14] auf das bewegte Bild werfen.
Die höchste Galerie über der goldenen Kuppel ist auch der höchste Punkt der Residenz und gewährt eine weite Rundschau. Die Kasansche Kathedrale, eine unvollkommene Nachbildung der Peterskirche in Rom, [* 15] wurde unter Kaiser Alexander I. 1802-11 erbaut. Das Äußere der Kirche wie auch die Kolonnade ist aus Tuffstein von Pudost, ebenso auch die Säulen, die auf gußeisernen Basen ruhen. Die in Form eines abendländischen Kreuzes erbaute Kathedrale krönt eine hohe versilberte Kuppel von 20 m Durchmesser.
Das Allerheiligste ist aus massivem Silber ausgeführt, welches die Kosaken im Feldzug 1813 und 1814 erbeutet hatten. In dieser Kirche werden viele persische, türkische, polnische und auch einige französische Fahnen, der Marschallsstab Davoûts, 28 Schlüsselpaare von eroberten Festungen u. a. m. aufbewahrt. Die Peter-Paulskathedrale in der Festung auf der St. Petersburger Seite mit 128 m hohem danebenstehenden Glockenturm dient seit Peter d. Gr. der russischen Herrscherfamilie als Begräbnisstätte.
Sie wurde 1712-33 in Stein ausgeführt. Auch in dieser Kirche werden eine Menge eroberter Fahnen, militärischer Auszeichnungen, Roßschweife u. dgl. sowie die Schlüssel von Paris, [* 16] Warschau [* 17] und einigen Festungen aufbewahrt. Unter den lutherischen Kirchen ist die Petrikirche am Newskij-Prospekt mit herrlicher Orgel die schönste und reichste. Ihre gegenwärtige Fassade erhielt sie 1838. Noch zu erwähnen ist das Alexander Newskij-Kloster (s. d.) mit berühmter Bibliothek. Für den Fremden ist sowohl in den Kirchen als in den Klöstern der gottesdienstliche Chorgesang von hohem Interesse. Weiter hinauf an der Newa liegt das Smolnakloster, jetzt eine Erziehungsanstalt für über 800 adlige Jungfrauen, von denen 500 auf Kosten der Krone erzogen werden. ¶
mehr
[Profanbauten.]
Unter den Palästen der Residenz nimmt das Winterpalais (Simnij-Dworez) die erste Stelle ein. Von Peter I. begonnen, wurde es unter der Kaiserin Elisabeth von 1754 bis 1762 umgebaut. Am brannte es aus, wurde aber vom Grafen Kleinmichel nach dem Plan des Architekten Rastrelli so schnell restauriert, daß es zu Ostern 1839 wieder bezogen werden konnte. Das kolossale Gebäude nimmt einen Flächenraum von ca. 8000 qm ein und wendet seine 137 m messenden Langseiten dem Generalstabsgebäude und der Newa zu, während die eine Breitseite von 106,5 m der Admiralität zugekehrt ist.
Von der Newaseite führt eine prachtvolle Marmortreppe zu den Festsälen. Vom St. Georgssaal aus weißem Marmor gelangt man in die Galerie der Generale und Feldmarschälle aus dem Krieg von 1812, aus dieser in den Wappensaal, der die Wappen [* 19] aller Gouvernements enthält. Dem kleinern Peterssaal und dem Feldmarschallssaal mit den lebensgroßen Porträten Rumjänzows, Suworows, Kutusows u. a. folgt der größte Saal des Palastes, der Nikolaisaal, der nur bei großen Hoffesten benutzt wird.
Die nach dem Admiralitätsplatz gelegenen Gemächer, welche der verstorbene Kaiser Alexander II. bewohnte, zeichnen sich durch Einfachheit aus. Erwähnung verdienen noch der prachtvolle Weiße Saal und der Alexandersaal, welcher gleich den benachbarten Gemächern mit vielen Schlachtenbildern aus der russischen Geschichte geschmückt ist. In einem nicht großen Raum des obern Stocks werden die Kronjuwelen aufbewahrt, darunter das Zepter, welches an der Spitze den größten Diamanten Rußlands trägt (den sogen. Orlow, 194¾ Karat schwer, von der Kaiserin Katharina für 450,000 Rubel erstanden, s. Diamant, [* 20] S. 932). Bedeckte Galerien verbinden das Winterpalais mit der von Katharina mit großer Pracht erbauten Eremitage (mit den berühmten Kunstsammlungen).
Das neue Prachtgebäude, welches sich an die Eremitage der Kaiserin Katharina lehnt, wurde unter Nikolaus I. von Klenze ausgeführt; die Einweihung erfolgte 1850. Die in griechischem Stil gehaltene Hauptfassade, mit graugranitenen Atlanten an der Anfahrt, ist der Millionnaja zugekehrt und bildet mit dem anliegenden, im Rokokostil erbauten Winterpalais einen sehr in die Augen springenden Kontrast. Die Gemäldegalerie der Eremitage nimmt unter den europäischen Galerien eine höchst hervorragende Stellung ein.
Der Schwerpunkt [* 21] der Galerie liegt in den niederländischen und deutschen Schulen des 17. und 18. Jahrh. Von nur wenigen Galerien wird die Zahl der in der Eremitage vorhandenen Gemälde von Berghem, van Dyck (34), Wouwerman (50), Dou, Potter, Rembrandt (41), Rubens (60), Teniers (40), Ruisdael (14) u. a. übertroffen. Eine Sammlung von Bildern der russischen Schule, wie sie die Eremitage besitzt, steht bis jetzt als einzig da. Die sonstigen Reichtümer der Eremitage bestehen in einer Sammlung von Skulpturen (darunter die sogen. Venus der Eremitage), einer großen Kollektion ägyptischer und assyrischer Altertümer, in den griechischen Altertümern von Kertsch, einer Kupferstichsammlung (200,000 Blätter), einer Sammlung antiker Vasen, [* 22] einer gegen 100,000 Bände starken Bibliothek (darunter die Bibliotheken von Diderot, Voltaire, Gallioni u. a.), einer Münzsammlung und Sammlung geschnittener Steine, Gemmen, [* 23] Kameen, die schon zu Katharinas II. Zeit über 10,000 Stück enthielt.
Die zur Eremitage gehörende Galerie Peters d. Gr. enthält die verschiedenartigsten Kunstschätze. Rechts vom Winterpalais am Palaiskai zum Sommergarten und zum Marsfeld hin steht das von Professor Resanow erbaute Palais des Großfürsten Wladimir in florentinischem Geschmack, das durch seine einfache Schönheit sämtliche Paläste der Residenz (ausgenommen vielleicht das stilvolle Michaelspalais) übertrifft. Noch weiter zum Sommergarten hin liegt das aus Marmor, Granit und Bronze gebaute düstere Marmorpalais, das vom Großfürsten Konstantin bewohnt wird.
Die Aufführung dieses Baues, den Katharina II. ursprünglich für Orlow bestimmt hatte, fällt in die Jahre 1770-83. Südlich vom Marsfeld, die Hauptfronte zum Sommergarten gekehrt, steht das alte Michailowsche Palais des Kaisers Paul, das gleich einer Festung mit Gräben umgeben ist, jedoch seit Kaiser Paul, der in den Räumen desselben seinen Tod fand, nicht mehr von der kaiserlichen Familie benutzt wird. Gegenwärtig befindet sich die Ingenieurschule darin, und infolgedessen hat es den Namen Ingenieurpalais erhalten.
Der links vom Newskij-Prospekt führende Teil der großen Ssadowaja (»Gartenstraße«),
die auf das Marsfeld mündet, trennt das Palais von dem schattigen Michaelsgarten, dem die Hauptfassade des oben erwähnten Michaelspalais zugekehrt ist. Der Bau wurde 1819-25 vom Architekten Rossi mit einem Kostenaufwand von 17 Mill. Rubel Banko aufgeführt und zeichnet sich durch seinen edlen Stil aus. Das Palais diente der Großfürstin Helene Pawlowna zum Aufenthalt und wird gegenwärtig von ihrer Tochter, der Großfürstin Katharina Michailowna, bewohnt. Dem Nikolaidenkmal gleichsam als Hintergrund dient das Marienpalais an der Blauen Brücke, in einfachem Stil von Stakenschneider erbaut, jetzt der Sitz des Reichsrats.
Einen davon ganz verschiedenen Charakter zeigt der von demselben Baumeister 1863 erbaute Palast des Großfürsten Michael Nikolajewitsch (in der Nähe des Winterpalais), dessen überreiche Ornamentik seitens der Kunstkenner manchen Tadel erfährt. Das Palais des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch zwischen der Galernaja (»Galeerenstraße«) und dem Chevaliergarde-Boulevard ist ebenfalls erst in neuester Zeit (1862) vollendet worden und fällt nur durch seine großen Dimensionen auf.
Das Anitschkowpalais, an der gleichnamigen Brücke am Newskij-Prospekt, welches der Kaiser Alexander III. bewohnt, stammt aus der Zeit der Kaiserin Elisabeth Petrowna und ist vom Grafen Rastrelli erbaut; die einfache, nicht unschöne Fassade ist dem Hof [* 24] zugekehrt. Ein zum Palais gehörender Garten [* 25] hat zwei auf die Straße hinausgehende Pavillons, in denen eine Waffensammlung aufbewahrt wird. Ein gänzlich aus dem Zentrum gerückter Palast ist das Taurische Palais, das Katharina II. 1784 für Potemkin erbauen ließ.
Häufig seine Bestimmung wechselnd, hat es unter Kaiser Paul sogar als Kaserne gedient, wurde aber auf Befehl Alexanders I. 1802 wieder restauriert. Beachtung verdienende Privatpaläste sind: das Palais Bjeloselskij-Bjeloserskij an der Anitschkowbrücke, jetzt Eigentum des Großfürsten Sergei, ein Werk Stakenschneiders;
das Palais Strogonow an der Polizeibrücke, von Rastrelli;
das ehemalige Stieglitzsche Palais am Englischen Kai, das Jussupow-Palais an der Moika u. a.
Die vielen, zum großen Teil ausgedehnten öffentlichen Gebäude zeichnen sich mit wenigen Ausnahmen nur durch den Kasernenstil aus. Zur Seite des Winterpalais, von ihm durch einen nicht großen Paradeplatz getrennt, dehnt sich das riesige Admiralitätsgebäude (aus dem 18. Jahrh.) in Form eines zur Newa hin offenen Vierecks aus, dessen lange Seiten 420 m messen. Ein schöner, breiter, mit ¶
mehr
Gartenanlagen bedeckter Kai trennt die Admiralität von der Newa. Außer zahlreichen Kanzleien enthält die Admiralität das Marineministerium, eine Bibliothek von 50,000 Bänden und das Marinemuseum. Vom 74,5 m hohen vergoldeten Turm [* 27] des Gebäudes hat man einen schönen Überblick über die Stadt. Durch den Hof der Admiralität geht der Meridian von S. Rechts von dieser, die Hauptfassaden zum Alexandergarten gewandt, erheben sich zwei große, in gleichem Stil aufgeführte Gebäude, die durch ein hohes Thor verbunden sind, das in die Galeerenstraße führt. Es sind dies die Gebäude des heiligen Synods und des Senats. Mehr durch seine Größe als durch sein stilvolles Äußere fällt das Generalstabsgebäude in die Augen. Ferner verdienen bemerkt zu werden: das Kriegsministerium, das Domänenministerium, der kaiserliche Marstall, das Postgebäude, die Zollgebäude, die Börse, die Akademie der Künste u. a.
[Bevölkerung, Industrie und Handel.]
Die Bevölkerung St. Petersburgs zeigte bis in die letzten Jahre ein stetes Wachsen. 1839 zählte man 476,386, 1859: 532,241, 1869: 667,963, 1881 mit Vorstädten: 928,016 Einw., nämlich 511,380 männlichen und 416,636 weiblichen Geschlechts, dagegen 1888 (Zählung 27. Juni): 842,883 Einw. (488,990 männliche, 353,893 weibliche). Sie verteilten sich der Konfession nach 1881 folgendermaßen: 722,420 Rechtgläubige, 85,662 Protestanten, 28,172 Katholiken, 20,826 Juden, 4701 Sektierer, 2927 Mohammedaner, 556 Armeno-Gregorianer;
der Rest hat keine Angabe gemacht.
Die Zahl der Eheschließungen war 1886: 6128, der Gebornen 27,820, der Gestorbenen 25,358. S. bietet im allgemeinen das Beispiel einer Stadt, deren Bevölkerung [* 28] nur durch Zuwachs von außen zunimmt. In der Periode 1868-86 gab es nur drei Jahre, in denen die Zahl der Gebornen die Zahl der Gestorbenen übertraf, nämlich 1874, 1877 und 1886. Der Nationalität nach gab es 85,5 Proz. Russen, 5,77 Proz. Deutsche [* 29] (ca. 50,000); doch waren nur 3,3 Proz. nicht russische Unterthanen. Der Bevölkerung standen 1881: 21,051 Wohngebäude mit 131,095 Wohnungen zur Verfügung, von welchen 13,710 leer standen. 51,7 Proz. aller Wohngebäude sind aus Stein, 44 Proz. aus Holz [* 30] gebaut, 4,3 Proz. gemischten Charakters. Von 9897 Grundstücken hatten 1881 nur 4299 mit 4395 Häusern, d. h. 44,1 Proz., Wasserleitung, [* 31] und von diesen bedienten sich nur 1954 Häuser des Gases.
Als Fabrikstadt nimmt S. die erste Stelle unter den Städten des russischen Reichs ein. Auf kaiserliche Rechnung sind im Betrieb: eine Hautelissetapetenfabrik (von Peter d. Gr. gegründet), eine Spiegelfabrik, eine Papierfabrik und Edelsteinschleiferei in Peterhof, eine Porzellanfabrik, eine Eisengießerei [* 32] etc. Im J. 1881 zählte man 15,464 kaufmännische Geschäfte, 5508 Handwerksunternehmungen und 1167 gewerbliche Anstalten größern Stils. Unter den letztern sind eigentliche Fabriken, d. h. Etablissements mit mehr als 20 Arbeitern, 386 mit 74,126 Arbeitern.
Von diesen gehören 368 mit 64,698 Arbeitern Privatpersonen und 18 mit 9428 Arbeitern der Krone. Die hauptsächlich in S. vertretenen Industriezweige sind: Eisengießerei und Maschinenbau (62 Anstalten mit 16,708 Arbeitern), Baumwollindustrie (30 Fabriken mit 16,418 Arbeitern), Nahrungsmittelindustrie (59 Fabriken mit 11,707 Arbeitern), chemische Industrie (46 Fabriken mit 4543 Arbeitern). Ein hervorragendes Gewerbe ist das Fuhrgewerbe, mit dem sich im Sommer nicht weniger als 13,685 Personen befassen; darunter 8228, die Personenfuhrwerk, 5457, die Lastfuhrwerk betreiben.
Bei dem weitläufigen Bau der Stadt spielt dasselbe im Verkehr eine sehr große Rolle. Der Großhandel liegt vorzugsweise in den Händen der Deutschen u. Engländer. Früher mußten alle größern Schiffe [* 33] in Kronstadt, [* 34] dem eigentlichen Hafen der Hauptstadt, bleiben, da diese nur einen kleinen Hafen für Kauffahrteischiffe mit nicht über 2,3 m Tiefgang hat. Die sich daraus für den Handel ergebenden Schwierigkeiten sind durch den 1885 eröffneten Seekanal gehoben.
Der Seekanal erstreckt sich vom südlichen Kronstädter Fahrwasser in gerader Richtung zum Westende der Stadt; bei einer Länge von etwa 30 km entfallen über 17 km auf den offenen Seeteil desselben. Der Einfluß des Seekanals äußert sich in der enormen Steigerung der unmittelbaren Ausfuhr von S., die sich von 1883 bis 1886 von 17,4 Mill. Pud auf 55 Mill. Pud hob. Ein andrer Zweig dieses Unternehmens ist ein Flußkanal in entgegengesetzter Richtung, von ersterm aus der Newa in den neuen Handelshafen, um den aus den Kanalsystemen und der Wolga kommenden Barken den weiten Umweg im Verfolgen der Krümmung, welche der untere Lauf der Newa macht, zu ersparen.
Demgemäß gewinnt der neue Hafen, welchen eine besondere »Gesellschaft für das Entrepot von Waren« mit einem Gründungskapital von 5,760,000 Rubel einzurichten unternommen hat, auch an Bedeutung für den Binnenhandel Rußlands. Die Verbindung der von S. auslaufenden Eisenbahnen, der nach Moskau [* 35] führenden Nikolaibahn, der Zarskoje Seloer Bahn, der Warschauer Bahn (die nach N. führende Finnische Bahn bleibt ausgenommen), untereinander durch einen Schienenweg und anderseits mit der Newa und dem neuen Hafen bildet den Schlußstein des riesigen Unternehmens, das den Export und Import wie auch den Binnenhandel Rußlands erleichtern soll.
Die Zahl der 1887 in S. und Kronstadt eingelaufenen Schiffe betrug 2001 (darunter 1434 Dampfer) mit 1,072,868 Ton., die der ausgelaufenen 1927 (meist nach Großbritannien, [* 36] Deutschland [* 37] und Schweden) [* 38] mit 1,046,074 Ton. Der Gesamtwert der zur See ausgeführten Waren (vorzugsweise Lebensmittel, namentlich Getreide [* 39] und Rohstoffe) betrug 1887: 55 Mill. Rub., die Einfuhr 58,7 Mill. Rub. Hierzu kommt eine Einfuhr auf dem Landweg im Wert von 7,9 Mill. Rub. Im Verkehr mit Finnland betrug die Ausfuhr zu Wasser und zu Lande von S. 16,1 Mill. Rub., die Einfuhr 1,6 Mill. Rub. Im Kabotageverkehr liefen in S. 837 Fahrzeuge mit 132,098 T. ein und gingen 1267 mit 175,904 T. aus.
In der Stadt selbst konzentriert sich der Handel in den Kaufhöfen (Gostinnoi-, Apraxin-, Tschukin-Dwor), im Krugloj-Rynok (»runder Markt«) an der Moika, im Pustoj-Rynok (»leerer Markt«) am Liteinij, im Nikolskij-Rynok bei der Nikolaikirche und in dem Hauptviktualienmarkt, der Sennaja (»Heumarkt«). Die Große Sadowaja, an der die Kaufhöfe, der letztgenannte und der Nikolskijmarkt liegen, ist nächst dem Newskij-Prospekt die Hauptpulsader des geschäftlichen Verkehrs und des Handels des gemeinen Volkes. Da seit 1875 diese Straße mit allen Enden der Stadt durch ein Pferdeeisenbahnnetz, das sich auch über die Inseln ausdehnt, verbunden ist, hat der Verkehr in derselben noch bedeutend zugenommen. Die Länge dieser Straßenbahnen beträgt 98 km, die Zahl der sich derselben bedienenden Personen über 30 Mill. Dem Binnenhandel dienen 9772 Magazine und Buden. Mit dem Verkauf von Getränken und mit dem Ausschank derselben befassen sich 3057 Etablissements unter den verschiedensten Benennungen. Außerdem gibt es 43 Restaurants und 44 Hotels. Die statistischen Angaben über den gewerblichen Verkehr der Stadt sind mangelhaft. ¶