Samos
(Samo, türk. Sisam Adasy), eine der ansehnlichsten Inseln des Ägeischen Meers, nahe der ionischen Küste, von Kleinasien und dem Gebirge Mykale (Samsun Dagh) nur durch einen kaum 2 km breiten Sund getrennt, umfaßt 468 qkm. Der Osten der Insel ist hügelig, die Mitte wird von N. nach Süden von einem Gebirge durchzogen, das im N. Assoron (jetzt Karvuni, 1140 m), südlich davon Ampelos (jetzt auch Pevka, 750 m) genannt wird. Den Westen erfüllt der 1440 m hohe, ziemlich bewaldete Kerketeus (heute Kerki). An nutzbaren Mineralien [* 2] kommen Eisenerze, Bleiglanz und Schmirgel vor.
Reich ist S. an landschaftlichen Reizen und im Verhältnis zu andern Inseln auch an Wasser, wiewohl der längste Fluß noch nicht 14 km mißt. Die Westspitze der Insel hieß Kantharion (Kap Domenikos), die östliche Poseidion (Kap Gatos); die südliche wird jetzt Kap Kolonna genannt. S. brachte im Altertum Öl, Feigen, Trauben und andre Früchte zur Ausfuhr. Auch heute noch wird bis zu bedeutender Höhe Wein gebaut und ausgeführt; während jedoch im Altertum der samische Wein wenig geschätzt ward, gehört jetzt der weiße Muskatwein aus S. zu den besten der Inselweine. Von sonstigen Naturprodukten werden genannt: der »samische Stein« zum Polieren des Goldes, die bei verschiedenen Krankheiten Heilkraft bewährende »samische Erde« und vor allen der Thon, woraus die in Rom [* 3] hochgeschätzten samischen Gefäße gefertigt wurden. - Karer und Leleger bewohnten zuerst S., welche frühzeitig durch flüchtige Ionier aus Epidauros verdrängt wurden.
Unter ihnen erreichte S. eine hohe Stufe in der Kultur: Architektur und Plastik blühten dort schon im 7. Jahrh. v. Chr. in den Schulen des Rhökos und Theodoros;
von ihnen ward die Kunst, das Erz zu gießen und den Edelstein zu bearbeiten, wenn nicht erfunden, so doch wesentlich gefördert.
Mit Korinth [* 4] wetteiferte S. in der Schiffbaukunst, [* 5] und ein Samier, Koläos, war der erste, welcher angeblich die Säulen des [* 6] Herkules durchfuhr. Besonders mächtig war die Insel unter Polykrates (532-522), der dort eine bedeutende Seeherrschaft gründete, schließlich aber von dem persischen Satrapen Orötes durch trügerische Versprechungen nach Kleinasien gelockt und hingerichtet wurde. Sein Bruder Syloson unterjochte später die Insel mit persischer Hilfe und beherrschte sie nach grausamer Verwüstung als persischer Satrap, bis sie 479 durch die Schlacht von Mykale frei wurde. Dem Attischen Seebund gehörte sie als nicht steuerzahlendes Glied [* 7] an, ¶
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empörte sich dann und wurde 440 von Perikles unterworfen, spielte aber gegen Ende des Peloponnesischen Kriegs noch eine wichtige Rolle, indem die attische Flotte daselbst längere Zeit ihr Hauptquartier hatte. Da S. den Athenern bis nach der Schlacht bei Ägospotamoi treu blieb, eroberte Lysandros 404 die Insel und setzte dort eine oligarchische Regierung nebst einem spartanischen Harmosten ein. In den folgenden Jahrzehnten finden wir S. abwechselnd unter spartanischem, attischem und persischem Einfluß. 365 eroberte der attische Feldherr Timotheos nach zehnmonatlicher Belagerung die Hauptstadt, vertrieb die gesamte Bevölkerung [* 9] und besetzte die Insel mit attischen Kleruchen, welche hier, wie neuerdings gefundene Inschriften zeigen, ein eignes Gemeinwesen mit besondern Beamten bildeten. Erst nach Alexanders d. Gr. Tod wurde die Insel durch Perdikkas den Samiern zurückgegeben (322). Später gehörte sie zeitweilig zu Ägypten, [* 10] kämpfte mit Antiochos d. Gr. und Mithridates gegen Rom und wurde 84 v. Chr. mit der römischen Provinz Asien [* 11] vereinigt. Unter den Kaisern hatte sie ihre Bedeutung schon eingebüßt. - Die alte gleichnamige Hauptstadt lag an der Südostküste, wo heute Chora und Tigani liegen, und in der Ebene westsüdwestlich davon (mit der Stadt durch eine Heilige Straße verbunden) der berühmte Heratempel, von welchem noch eine Säule aufrecht steht.
Der Tempel [* 12] war im ionischen Stil von Rhökos begonnen, aber nie ganz vollendet worden. Die Perser verbrannten ihn, doch wurde er wieder aufgebaut; Seeräuber, später Verres und M. Antonius plünderten ihn. Von der Stadt S. ist noch die nördliche Umfassungsmauer auf steilem Bergesabhang und ein Teil der östlichen mit Türmen und Thoren erhalten; sie ist teils in kyklopischer Bauart (wohl aus der Zeit des Polykrates), teils in regelrechtem Quaderbau aufgeführt. Die Burg Astypaläa lag im O. nahe beim Meer.
Dem Polykrates wird ferner die Anlage der Hafendämme (bei Tigani noch jetzt unter der Oberfläche des Meers sichtbar) und einer vielbewunderten unterirdischen Wasserleitung [* 13] zugeschrieben. Außerdem sind Reste von einer einst 7 Stadien langen Wasserleitung aus römischer Zeit, einem Theater, [* 14] alten Felswohnungen und Gräbern sowie von Bäderanlagen erhalten. 1550 wurde S. von den Türken erobert und geplündert und stand seitdem unter deren Herrschaft. Im griechischen Freiheitskampf 1824 errangen hier die Griechen unter Kanaris einen bedeutenden Seesieg über die Türken. Nach dem Londoner Protokoll von 1827 ward S. jedoch 1830 den Türken zurückgegeben und zur Hauptstadt eines tributpflichtigen Fürstentums gemacht.
Die Insel S. gehört gegenwärtig zum türkischen Wilajet Dschesair, genießt aber als tributäres Fürstentum eine exzeptionelle Stellung. Die Pforte ernennt nur den (nicht erblichen) Fürsten griechischer Nationalität (gegenwärtig Alexander Karatheodori) und erhebt eine bestimmte jährliche Abgabe (300,000 Piaster), deren Umlage sowie die Erledigung andrer allgemeiner Angelegenheiten unter Beteiligung von Repräsentanten der Einwohner stattfindet.
Die Einwohnerzahl wird für 1886 auf 41,156 (8880 Männer, 9712 Weiber, 22,564 Kinder), für 1887 auf 41,832 angegeben, mit Ausnahme von 24 Personen nur Griechen. Ackerbau, Handel und Schiffahrt sind Haupterwerbszweige der Einwohner. Die Ausfuhr wurde 1886 auf 15,256,201 Piaster (besonders Rosinen, Wein, Öl und Häute), die Einfuhr (Getreide, [* 15] Mehl, [* 16] Kolonialwaren, Gewebe) [* 17] auf 17,471,413 Piaster angegeben; der Schiffsverkehr belief sich auf 422 Dampfer und 3644 Segler.
Die Handelsmarine zählte 252 Schiffe [* 18] von 4964 Ton. Die Einnahmen des Fürstentums betrugen 1875: 3,046,508, die Ausgaben 3,028,336 Piaster. Für den Unterricht wird durch ein Gymnasium, 7 Sekundärschulen, 4 Mädchen- und 33 Kommunalschulen mit 58 Lehrern und Lehrerinnen (und 4157 Schülern) gut gesorgt. Hauptstadt ist Vathy am gleichnamigen Hafen, in Kato- und Ano-Vathy zerfallend, jenes mit 400, dieses mit 1100 kleinen Häusern, dem Palast des Fürsten und einem Hafenkai, der wichtigste Ort für den Außenverkehr von S. (auch Sitz eines deutschen Konsuls). Eine Chaussee verbindet Vathy mit Mytilini (700 Häuser) und Chora (335 Häuser). Im W. sind Karlovasi, mit 519 Häusern und einem Hafen, und Marathokambos, mit 900 Häusern, zu nennen.
Vgl. Guérin, Description de l'île de Patmos et de l'île de S. (Par. 1856).