Salpetersäure
(Scheidewasser, acidum nitricum, aqua fortis, frz. acide nitrique, engl. nitric acid). - In dem schwach salzig und kühlend schmeckenden Salpeter steckt diese bekannte energische Säure, eine Verbindung von Stick- und Sauerstoff, also denselben Gasen, aus welchen die atmosphärische Luft besteht; der Unterschied ist aber der, daß die Luft ein bloßes Gemisch der beiden Gase, die Säure eine chemische Verbindung derselben ist. Die Säure bedarf aber zu ihrem Bestehen als Flüssigkeit auch einen bestimmten Anteil Wasser in chemischer Bindung (in 100 Tln. 14,25); sie ist also ein sog. Hydrat. Man hat zwar in neurer Zeit dieselbe auch wasserfrei, in Form von Kristallen herstellen gelernt, aber sie ist dann nur ein Kuriosum und zwar ein gefährliches, das nur in zugeschmolzner Glasröhre in Kühle und Dunkelheit aufbewahrt werden kann, und auch da nicht für lange, denn sie zerfällt schließlich immer unter heftigster Explosion in ihre gasigen Bestandteile.
Man benutzt zur Darstellung der S. stets den billigen Natronsalpeter (Chilisalpeter), der auch eine größere Ausbeute liefert, als der Kalisalpeter; durch bloßes Erhitzen von S. läßt sich die Säure nicht als solche abtreiben, sondern sie zerfällt dabei und die Bestandteile gehen einzeln fort. Die Säure muß durch eine stärkere Säure ausgetrieben werden, die ihre Stelle einnimmt und ein neues Salz bildet. Dies geschieht auf heißem Wege in Form einer Destillation, wobei die Säure dampfförmig übergeht und sich in Vorlagen wieder zu Flüssigkeit verdichtet. Die Schwefelsäure ist die hierzu allein verwendbare; sie bildet mit dem Natron des Chilisalpeters einen Rückstand von Glaubersalz.
Die Darstellung gleicht somit vielen andern Abtreibungsarbeiten, namentlich der Bereitung der Salzsäure aus Kochsalz, so genau, daß dieselben Apparate zu beiderlei Zwecken gebraucht werden können. Die Destillation geschieht bei kleinen Quantitäten, wie sie z. B. in Apotheken zum Selbstgebrauch hergestellt werden, und sonst, wo es sich um eine reinere Säure handelt, aus gläsernen Retorten, bei der in großartigster Menge fabrikmäßig dargestellten Säure dagegen fast ausschließlich aus großen gußeisernen Cylindern, in welche der Salpeter zu mehrern Zentnern auf einmal gebracht und die Schwefelsäure nachgefüllt wird.
Eisen wird zwar unter gewöhnlichen Umständen von Schwefelsäure und S. angegriffen;
dies ändert sich aber, wenn das Metall stark erhitzt ist;
es gerät dann in den sog. passiven Zustand, der es gegen die Säuren unempfänglich macht. Es ist daher Einrichtung getroffen, daß die Destillierblasen allseitig vom Feuer umspielt werden;
unter diesen Umständen erleidet das Eisen sehr wenig Angriff, und ein kleiner Eisengehalt zeigt sich nur in der Säure der ersten Vorlagen.
Die sauren Dämpfe gehen nämlich durch eine Reihe zweihalsiger Flaschen aus Steinzeug, die alle durch gekrümmte Rohrstücke miteinander verbunden sind; in diesen Gefäßen schlägt sich die Säure tropfbar nieder und wird am Boden durch einen Hahn abgelassen. Stehen die Kondensationsflaschen in Kühlwasser, so wird nur eine kleine Anzahl gebraucht, eine größere, wenn die Kühlung der Luft überlassen bleibt. Die Flaschen enthalten kein Wasser, da das zum Bestehen der Säure erforderliche sich schon aus der Destillation mit ergibt, denn die hierzu benutzte Schwefelsäure ist stets wasserhaltig.
Je nachdem stärkere oder schwächere Säure verlangt wird, verwendet man konzentriertere oder verdünntere Schwefelsäure; in den Kondensiergefäßen selbst sammelt sich die Säure in verschiedner Stärke, am stärksten in den ersten und so abnehmend bis zum äußersten. Die S. läßt sich mit der rechnungsmäßig entsprechenden, also äquivalenten Menge von Schwefelsäure nicht glatt und farblos abtreiben, sondern man braucht hierzu die doppelte Menge der letztern Säure; der Rückstand ist dann auch nicht Glaubersalz, sondern doppelt schwefelsaures Natron, welches jetzt unter dem Namen Weinsteinsurrogat in der Färberei als Beize verwendet wird.
Das einfache Äquivalent der Schwefelsäure zersetzt ohne weiteres nur die Hälfte des vorhandenen Salpeters; die andre bleibt nebst doppelt schwefelsaurem Natron übrig. Erst wenn das Gemenge weiter und bis nahe zum Glühen erhitzt wird, erfolgt wieder Zersetzung des Salzes, aber auch die S. erleidet in diesem Falle zum Teil eine solche und wird in Sauerstoff und Untersalpetersäure zerlegt, braunrote Dämpfe, welche von der unzersetzt übergehenden Säure verschluckt und an der freien Luft allmählich wieder ausgestoßen werden.
Die wie vorstehend dargestellte Säure ist die eine käufliche Sorte, die rote rauchende (acidum nitricum fumans). Sie ist an sich schon die stärkste, und besitzt auch infolge dieser Beimischung eine stärker oxydierende und lösende Wirkung als die gewöhnliche, wird daher für gewisse Zwecke besonders gebraucht und absichtlich dargestellt. Die gewöhnliche Säure ist käuflich als doppeltes und einfaches Scheidewasser, die sich nur im Wassergehalt unterscheiden. Das erstere ist keineswegs das vorerwähnte einfache Säurehydrat, sondern enthält mehr Wasser, auch noch mehr, als die rauchende Säure, die daher durch Wasserzusatz, wodurch die rote Untersalpetersäure zersetzt wird, zu doppeltem Scheidewasser
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werden kann. Dies letztere ist in reinem Zustande farblos, färbt sich am Tageslicht gewöhnlich gelb und hat ein spezifisches Gewicht von 1,33-1,40 (31-42° Bé.). Das einfache Scheidewasser hat 70-75% Wasser, ist daher weniger energisch wirkend und wiegt 1,19-1,21 (24-30° Bé). Der Verkauf im ganzen geschieht mit Angabe der Grade und sind die gewöhnlichen Stärken 40 und 36°. Sie wird wie die andern Mineralsäuren in großen gläsernen Ballons versandt, die in Körbe eingesetzt sind. -
Die S., wie sie die Fabriken für den großen technischen Konsum liefern, ist für manche Zwecke rein genug, für andre muß sie noch raffiniert werden. Die rohe Säure ist meistens schwachgelb gefärbt, was von Eisen, Untersalpetersäure und Chlorverbindungen herrühren kann. Letztere sind in der Regel vorhanden und stammen von dem hartnäckigsten Begleiter des Chilisalpeters, dem Kochsalz. Vom Eisen abgesehen lassen sich die färbenden Stoffe durch bloße Hitze verjagen; um die Säure farblos herzustellen, erhitzt man dieselbe in steinernen Ballons, die in einem mit Dampf heizbaren Wasserbade stehen, längere Zeit mäßig, wobei jene Stoffe gasförmig durch ein Rohr abziehen. Etwas mit übergerissene Schwefelsäure ist ebenfalls ein gewöhnlicher Bestandteil der rohen Säure und durch die geeigneten Mittel zu entfernen. Chemisch reine Säure (acidum nitricum purum) wird ebenfalls zu manchen Zwecken gebraucht und ist jetzt Handelsartikel geworden. -
S. hat eine äußerst vielseitige Verwendung in der chemischen wie gewerblichen Tecknik, in der Chemie, in kleinern Quantitäten auch zu medizinischem Gebrauch. Eine ihrer ältesten Anwendungen war die zur Scheidung von Gold und Silber, wodurch ihr der alte Name Scheidewasser geworden ist. Aus einer Goldsilberlegierung löst die Säure nur das Silber und läßt das Gold pulverförmig zurück. Die meisten Metalle werden von der Säure gelöst und dient sie daher zur Darstellung verschiedner salpetersaurer Metallsalze. Die Säure ist bekanntlich das Ätzmittel der Kupferstecher, dient zum Abbeizen von Metallen, zum Brünieren von Eisen, bei der Herstellung von Beizen für Hutmacher und Pelzfärber etc.
Sie hat das Vermögen, eine Menge organischer Stoffe gelb zu färben, indem sie dieselben zerstört und, je nach der Natur dieser Stoffe, die verschiedenartigsten neuen Verbindungen bildet. Meistens ist die Wirkung eine oxydierende, wobei Sauerstoff abgegeben wird und salpetrige Säure entweicht. In manchen Fällen geht auch der Stickstoff der Säure in die neue Verbindung mit ein und es entstehen die merkwürdigen Nitrokörper (Nitroglycerin, Nitrobenzin, Pikrinsäure, Schießbaumwolle u. a.).
Von den zahlreichen organischen Körpern dürfte es wenige geben, die nicht durch die Säure teils schon in der Kälte, teils erst in der Hitze eine solche Umwandlung durch Oxydation erfahren, daß sie zu ganz andern Stoffen werden. Der Zersetzungsrückstand ist in vielen Fällen Kleesäure allein oder mit andern Säuren gemengt. Die Schwefelsäuredarstellung gibt ein Beispiel, wie auch die roten Dämpfe von salpetriger Säure, sonst eine üble Nebenerscheinung, einer nützlichen Anwendung fähig sind; sie bilden dort gerade ein Hauptglied in der Kette der Operationen. Unter den einfachen Körpern ist der Phosphor besonders leicht durch S. oxydierbar; das Produkt ist die Phosphorsäure, die von jener nichts als lediglich Sauerstoff an sich genommen hat.
Ein Gemisch der S. mit Salzsäure bildet die Salpetersalzsäure oder das Königswasser (aqua regis), bekannt als das Lösungsmittel für Gold, den König der Metalle, das in gleicher Weise für Platin dient. Die Produktion und der Verbrauch dieser Säure ist ein ziemlich bedeutender, von 1868 bis 1872 stieg z. B. die Produktion in Deutschland von 36300 Ztr. bis 70376 Ztr. im Jahre. Bei der Versendung der roten rauchenden S. gilt die Vorschrift, daß die Flaschen oder Ballons mit einem mindestens ihrem Inhalte gleichen Volumen getrockneter Infusorienerde oder andrer geeigneter trockenerdiger Substanzen umgeben sein müssen. Der Preis der gewöhnlichen S. von 36° Bé. beträgt jetzt circa 45 Mk. pro 100 kg, der von 40° Bé. 52 Mk. Die Einfuhr von S. in das Deutsche Reich belief sich 1881 auf 90000 kg, die Ausfuhr dagegen auf 688200 kg. -