Titel
Sæntisgebirge,
auch Alpstein genannt. Lage. Die nördlichsten Kreideketten der schweizerischen Alpen bilden das Säntisgebirge. Orographisch besteht es im W. aus 2, in der Mittelregion aus 4, gegen O. aus 3 Bergketten, die WSW.-ONO. streichen. Das wirkliche Westende liegt im Häderenberg westl. der Thur, die als einziges Querthal das ganze Gebirge durchschneidet. Ungefähr in der Mitte des Säntisgebirges und durch den Säntisgipfel selbst läuft eine quere Wasserscheide schief vom Girespitz über Säntisgipfel, Lisengrat, Kalbersäntis, Altmann, Zwinglipass, Kraialpfirst, Mutschen. Die Thäler östl. davon liefern das Wasser der Sitter, die westlichen der Thur. Ein Teil des Nordabhanges wird von der Urnäsch, der Südabhang im östl. Teil direkt zum Rhein dräniert. Urnäsch und Sitter gehen zusammen in die Thur und diese in den Rhein, so dass das ganze Säntisgebirge im Flussgebiete des Rheines liegt. Das Sittergebiet des Säntisgebirges gehört zu Appenzell I. R., das Urnäschgebiet zu Ausser Roden, das Thur- und das
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unmittelbare Rheingebiet zu St. Gallen. Die alten Karten, sowie noch die älteren Ausgaben der Dufourkarte und Schöll's Relief zeichnen alle fälschlich den Nordgrat als durch den Säntisgipfel gehend, und so schien es ganz natürlich, dass alle drei Kantone auf dem Säntisgipfel sich trafen. Dieser Irrtum führte zu einem bundesgerichtlichen Grenzstreit, denn wenn die Südgrenze von Ausser Roden ö. vom Grenzkopf der Wasserscheide folgen soll, so bleibt sie in Wirklichkeit 400 m n. des Säntisgipfels. Da aber Ausser Roden auf den Anspruch an den Säntisgipfel nicht verzichten wollte, wurde dann die Grenze unabhängig von der Wasserscheide vom Säntisgipfel geradlinig quer über den Kessel zum Graukopf geführt und so der oberste Teil des Kessels zwischen Säntis und Girespitz Ausser Roden zugeteilt.
Gestalt.
Von der Nordseite betrachtet, erhebt sich das Säntisgebirge in einer ununterbrochenen steilen Wand unvermittelt über die Nagelfluhberge hoch empor. Von W. oder O. sieht man, dass mehrere Ketten hinter einander liegen, die alle ihr steiles Abbruchprofil gegen N., die Schichtrücken gegen S. weisen. Das n. Vorland ist hoch. Die Thalgründe stehen dort über 900 m. Das sö. Vorland ist die Auffüllungsfläche des Rheines mit 400 bis 450 m Meereshöhe. Die Hauptkulminationen sind:
a. In der Nordkette von O. nach W.: Bommenalpstuhl (1275 m), Wildkirchliwand-Ebenalp (1644 m), Schäffer (1923 m), Thürme (2046 m), Hangeten (2126 m), Oehrli (2203 m), Hochniedere (2228 m), Hühnerberg (2341 m), Girespitz (2450 m);
der Gipfel des Säntis mit seinen 2504 m ist hier mitzuzählen, obschon er eigentlich einer sonst viel geringeren Zwischenkette angehört, die hier mit der Nordkette verschmilzt.
Weiter w. folgen Graukopf (2218 m), Grenzkopf (2192 m), Silberplatte (2160 m), Stoss (2114 m), Schwarzkopf (1956 m), Stollen (1979 m), Lütispitz (1990 m), Kamm (1820 m). Tiefe Einschnitte kommen in dieser Kette fast gar nicht vor. Der Sattel an der Lauchwies hat 1835 m und der Windenpass 1635 m. b. Mittelkette: Alpsiegel (1748 m), Gabelschutz (1779 m), Marwies (2024 m), Hundstein (2159 m), Fählenschafberg (2104 m), Altmann (2438 m), Moor (2346 m), Wildhauserschafberg (2383 m), Stein (1506 m), Schwendigrat (1537 m). c. Südkette: Kamor (1750 m), Hohen Kasten (1797 m), Stauberenfirst (1761 m), Häuser (1963 m), Furgglenfirst
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(1821 m), Roslenfirst (2154 m), Kreuzberge (1891-2069 m), Mutschen (2126 m), Gätterifirst (2089 m), Gulmen (2004 m).
Stratigraphie.
Dem Säntisgebirge lagern n. die Vorberge aus Molasse (Nagelfluh, Sandstein, Mergel des Mitteltertiären) vor. S. der Molasse folgt ein meist sehr schmaler, stellenweise durch Ueberschiebung verdeckter Streifen von eozänem Flysch. Der Flysch umgibt das Säntisgebirge fast ringsum: es ist ganz in Flysch gebettet. Das Säntisgebirge selbst besteht durchweg aus den Gesteinen des Kreidesystems. Jura fehlt und ist auch in keinem Gewölbekerne mitenthalten. Die Schichten sind vielfach sehr versteinerungsreich. Arnold Escher hat hier die Kreide schon 1835 bis 1840 richtig erkannt und gegliedert. Von den älteren zu den jüngern vorschreitend, weist hier die Erdrinde folgende Schichtengruppen auf: Valangien: unterstes Valangien als Berriasmergel, Valangienkalke, Sandkieselkalke mit Pygurus rostratus. - Neocom: Kieselkalke, Grünsandeinlagerungen (Altmannschichten), Echinodermenbreccien (Spatangenkalke), Drusbergschichten (Knollenkalke und Mergel). - Schrattenkalk: korallogene helle Kalksteine, z. T. dickbankig und massig, Urgon und Aptien. - Grünsand (Gault): glaukonitreiche Gesteine, Albien und Untercenoman. - Seewerkalk: dünnschichtig knolliger Foraminiferenkalkstein, Cenoman, Turon und Senon. - Seewerschiefer: dünnschiefrig und mergelig, Senon und Danien. - Darauf folgen in den Randregionen Flysch, z. T. mit Nummulitengesteinen, und über allem transgressiv spärliche Moränen (Kammhalde etc.), erratische Blöcke und die jüngern Bildungen, vor allem Schutthalden, Schuttkegel, Bergstürze.
Tektonik.
Im Säntisgebirge fallen im Allgemeinen das Streichen der Schichten, der Falten und der orographischen Kämme zusammen: WSW-ONO. Das Säntisgebirge ist ein Faltenbüschel von 6 Hauptgewölbezonen und mehreren Nebenfalten, im Ganzen 12 Falten der Erdrinde. Die Höhendifferenz zwischen Muldenlinie und Gewölbelinie, an der gleichen Schichtfuge gemessen, beträgt häufig 1000 bis 1500 m und mehr. Gegen W. vereinigen sich die Falten zu einem gequetschten Gebilde, das im Graustein am Häderenberg vom w. Mattstock longitudinal abgerissen ist.
Gegen O. gehen die Falten auseinander, und dort taucht jedes Gewölbe für sich und in seiner Art in der Flyschmasse unter, während nur das südlichste (Hohen Kastenfalte) sich als liegende Decke bis ins Vorarlberg erhält. Das nördliche Gewölbe hat 21 km Länge. In der Mittelregion hat es eine Doppelung, im Oehrli einen n. abgekippten Gewölbescheitel. Die zweite Faltenzone wird von drei Gewölben von 5, 14 und 2 km Länge gebildet, die sich ablösen; der Säntisgipfel gehört dem mittelsten Gewölbe an. Das dritte Gewölbe ist in seiner Anlage das mächtigste, allein auf seinem Scheitel sind z. T. Antiklinalthäler ausgespühlt.
Der Altmann und Hundstein gehören seinem S.-Schenkel, die Marwies dem N.-Schenkel an, und im Alpsiegel ist die Gewölbedecke erhalten. In der Marwies ist der Gewölbescheitel n. abgebogen und eingewickelt als Falte einer Falte. Gewölbe III misst 24 km Länge. Am schärfsten komprimiert erscheint das nur 5 km lange vierte Gewölbe des Wildhauserschafberggipfels; es taucht vor dem Fählensee unter. Das fünfte Gewölbe (11 km lang) ist ö. der Kraialp geschlossen und bildet in Kraialpfirst und Roslenfirst Bergrücken, die völlig an manche solche des Juragebirges erinnern.
Der südlichste oder sechste Gewölbezug des Säntisgebirges beginnt n. Alt St. Johann als sanfte Welle im Schenkel der nördl. Falted und bildet im Gulmen einen juraähnlichen Rücken. Die Kreuzberge bestehen aus dem N.-Flügel, in Häuser und Stauberenkanzel ist das ganze Gewölbe im Schrattenkalk prachtvoll erhalten, im Hohen Kasten und Kamor entwickelt es sich zur ganz flach nördlich überliegenden Faltendecke. Gewölbe VI misst 27 km Länge. Das ganze Faltenbüschel vom W.-Ende am Häderenberg bis an den Rhein - also das ganze Säntisgebirge - hat im Streichen 31 km Länge und quer dazu 6,25 km Breite. (Vergl. die Profile).
Alle Falten des Säntisgebirges liegen mehr oder weniger stark nördl. über und haben die Gestalt der Wellen eines brandenden Meeres: sie sind die nördlichsten Wellen der Alpenfaltung. Stets sind die nördlichen (das sind die überkippten) Schenkel der Gewölbe, die Mittelschenkel, wesentlich, oft fast bis zum Verquetschen einzelner Schichtkomplexe reduziert und die Gesteine entsprechend dynamisch metamorphosiert. Die Faltenumbiegungen sind an zahlreichen Stellen herrlich zu sehen. So sind Gewölbeumbiegungen z. B. zu sehen: Säntisgipfel, Stoss O.-Seite, Wildhauserschafberg W.-Seite, Schwarzkopf O.- und W.-Seite, Lütispitz O.-Seite, Häuser von Stauberenfirst oder von Roslen, Rossmaadgratkern von Seealp, Altmann N.-Gipfel von O., östl. vom Brültobelausgang etc. Muldenumbiegungen sind zu sehen: Bogenköpfe ob Wideralp, Hundstein-Gipfelregion O.-Abfall und
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W.-Ab-Sturz, Schafbergalp am Wildhauserschafberg W.-Seite, am Gipfel des Kamm O.-Abhang etc.
Die Faltung der Erdrinde im Säntisgebirge ist überall klar zu sehen. Die beigegebenen Profile geben ein Bild davon. Glättet man die Falten in Gedanken wieder aus, so bekommt man eine Zone von 2½-3 mal der Breite des jetzigen Gebirges.
Im Säntisgebirge findet man alle Gesteine von den ältesten bis zu den jüngeren harmonisch gefaltet. Nirgends sind ältere Schichten vor Ablagerung der jüngeren aufgerichtet. Die Auffaltung ist also geologisch eine einmalige gewesen, und da sie Flysch und Molasse in den Randregionen mit ergriffen hat, muss sie in der Pliozänzeit stattgefunden haben. Das ganze Faltensystem des Säntisgebirges schwimmt auf Flysch; es hat vertikal unter sich keine Wurzel, sondern gehört dem Gewölbeschenkel einer liegenden Faltendecke an, deren Wurzel weiter südl. zu suchen ist.
Das Säntisgebirge ist ferner von über 400 steil stehenden Querbrüchen durchsetzt. Im W.-Teil fehlen solche, in der Mittelregion treten sie schwarmweise auf und haben hier fast durchweg vorherrschend horizontalen Sinn und horizontale oder flach nördl. fallende Rutschstreifen auf den Bruchflächen. Die Verschiebungen betragen wenige Meter bis zu über 1 km und bedingen vielfach den landschaftlichen Charakter. Das herrliche Landschaftsbild Seealpsee thaleinwärts hat ein Querbruch dadurch erzeugt, dass er die Säntisgipfelkette in die Verlängerung der Thalmulde gestellt hat.
Eine Menge der grossen Breschen in den Kämmen sind durch Querbrüche veranlasst. Von Sax kann man fast geradlinig durch Saxerlücke, Stiefel, Bogartenlücke nach Schwendi auf einem mächtigen Bruch gelangen, der wie ein gewaltiger Schnitt alle Ketten durchsetzt und aneinander verschiebt. Er hat das abgescheerte O.-Ende des Roslenfirstgewölbes vor die Fählenmulde geschoben und dadurch den Fählensee gestaut und im Hüttentobel vor die Seealpseemulde den Alpsiegel gestellt. Die neuere Thalbildung vermochte diese Bewegungen noch nicht zu besiegen und hat die tektonischen Seen noch belassen. Die grosse Mehrzahl der Querbrüche rührt von Ungleichheiten im Widerstand gegen den Horizontalschub her. Sie verwerfen die Falten, ohne sie wesentlich zu verändern und sind also erst am Schluss der Faltung entstanden.
Gegen das O.-Ende der Falten, besonders vom Hohen Kasten bis zum Rhein, stellen sich zahlreiche quer und längs verlaufende Brüche mit vorherrschend vertikaler Bewegung ein. Der ö. und n. Teil ist meistens relativ eingesunken. Diese Brüche im O.-Ende der Säntisketten scheinen davon herzurühren, dass die sich aus S. nach N. überschiebende Kreidedecke hier auf ein älteres (pliozänes) Thal vorgestossen worden ist, in welches sie einbrechen musste.
Alle Dislokationen, welche das Säntisgebirge geschaffen haben, sind ausschliesslich Resultate des Horizontalschubes in der Erdrinde.
Verwitterungsformen (Skulptur).
Die Verwitterungsgliederung des Säntisgebirges zeigt vor allem eine ungewöhnlich durchsichtige Abhängigkeit von der Anatomie des Gebirges in den grossen wie in den kleinen Formen. Die Gewölbefalte ist meist auch Bergrücken (Ausnahme: Antiklinalthälchen in Gewölbe III), die Mulde auch Thallinie (Ausnahme: Lauchwies-Lütispitz-Kamm). Querthäler (unterer Teil des Brültobels, Simmischlucht ob Wildhaus, Säntisthur bei Thürli, Thur von Starkenbach bis Stein) sind selten und meist untergeordnet, ebenso die Querkämme (Silberplatte-Stoss, Grat w. Schrenit, Lisengrat).
Pässe sind spärlich und wenig tief eingeschnitten. In seinem Zusammenhang von Bau und Form erinnert das Säntisgebirge an den Jura. Die Verwitterung hat auch im Einzelnen nach dem anatomischen Bau ziseliert und denselben auf das Schönste blosgelegt. Die ungeheure Blätterung der Erdrinde kommt zur Geltung. Die hellen Valangienkalke, der Schrattenkalk und in etwas geringerem Masse auch der Seewerkalk sind so resistenzfähig, dass sie lokal überhängende Wände bilden können, während die anderen Glieder der Schichtreihe, im besonderen Gault, Oberneocom und Untervalangien, flache Böschungen an den Bergprofilen bilden und sich leicht mit Vegetation bekleiden.
Die Verwitterung schält die resistenzfähigeren Gesteinsmassen aus den leichter verwitternden heraus. So entsteht durch die Kombination von mannigfaltiger Schichtstellung und sehr ungleicher Verwitterbarkeit der verschiedenen Schichtgruppen eine Kühnheit und Vielgestaltigkeit der Formen, wie sie in solchem Masse und solcher Pracht meines Wissens kein anderes Gebirge der Erde aufweist. Den Querbrüchen nachtastend hat die Verwitterung scharfe Tore und Breschen, Pässe, in die wildesten Gräte geschnitten (Bogartenfurkel, Saxerlücke, Wagenlücke und viele mehr). Ein Experiment mit Gelatineguss am Heim'schen Relief hat ergeben, dass die wirkliche Oberfläche des Gebirges über doppelt so gross ist als die Grundrissfläche, was eine sonst nirgends beobachtete reiche und scharfe Gliederung bedeutet.
Von besonderen Verwitterungsformen sind zu nennen:
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Prachtvolle Karren im Schrattenkalk und z. T. im Seewerkalk der hohen Regionen, viele Trichter (Schneeloch Ebenalp, Oberbühl, Lauchwies, Alpsiegel, Furgglenalp, Vorderöhrligrube, Hinteröhrligrube, Ried-Gräppelen etc.), Höhlen (Wildkirchlihöhlen mit Höhlenbärenresten in grosser Zahl und mit eolithischen Quarzitwerkzeugen, Calcithöhle bei Kobeltwald, Flussspathhöhlen in den Dürrschrennen unter dem Aescher etc.), zahllose Schutthalden und Schuttkegel, sehr viele Lawinenzüge und Lawinenmoränen am Fusse der Steilwände. Im Säntisgebiet zählen wir etwa 40 Bergstürze, von denen einige von bedeutenden Dimensionen sind (Säntisalp in der Richtung gegen Riedbad, Schwegalp östl. Teil, Hintergräppelen, Meglisalp, Frümsen, Salez - der letztere weit in die Rheinebene hinausreichend und teils im jüngeren Rheinkiese vergraben). Alle sind vorhistorisch.
Hydrographisches.
Das Säntisgebirge enthält folgende Seen:
See | Fläche ha | Grösste Tiefe m | Höhenlage m |
---|---|---|---|
Seealpsee | 11 | 13 | 1139 |
Fählensee | 11.3 | 23 | 1448 |
Sämbtisersee | 14.5 | 4-6 | 1209 |
Gräppelensee | 1.8 | 8? | 1302 |
Wildseeli | 600 m2 | ? | 1930 |
Seeli ob Ueberknorren | 500 m2 | 1-2 | 1740 |
.
See | Abfluss | Entstehung |
---|---|---|
Seealpsee | oberirdisch | tektonisch Querverschiebg. |
Fählensee | unterirdisch | tektonisch Querverschiebg. |
Sämbtisersee | unterirdisch | Trichtererosion? (nach Brunnentobel bei Sennwald) |
Gräppelensee | oberirdisch | durch Bergsturz |
Wildseeli | keiner | tektonisch (Querverschiebung) |
Seeli ob Ueberknorren | keiner | durch Bergsturz? |
Die Schwankungen des Seealpsees sind durch die Wasserwerksanlage festgelegt, diejenigen des Fählensees betragen mehrere Meter. In der Tiefe ist alles mit dunkelgrünen Algen bewachsen. Der Gräppelensee ist ziemlich stabil und hat Seerosen, der Sämbtisersee steht im Winter oft ganz ab, so dass der Bach direkt der Versickerungsspalte an der S.-Seite des Sees zufliesst.
Das Säntisgebirge hat einen ganz kleinen Gletscher, den Blauschnee. Er wird hauptsächlich genährt durch den in dem NO.-Kessel im Schutze des Gipfels bei W.-Winden sich anhäufenden Schnee. Er hat Spalten und Vereisung. Horizontale Flächen am Säntisgipfel werden schneefrei. Der «Grosse Schnee» im SO.-Winkel des Gipfelgratkreuzes ist ein ständiger Firnfleck ohne sichtbare Vereisung und Bewegung. Noch an einigen Stellen bleiben in den meisten Jahren Firnflecke (NW.-Winkel unter Säntisgipfel, östl. unter Altmann, Vorderöhrligrube, nordöstl. am Mutschen), manchmal halten auch Lawinenkegel das ganze Jahr aus. In den Jahren 1850-1870 waren die ausdauernden Schneeflecken viel bedeutender. Sie sind seither zusammengeschwunden, so dass im Herbst 1895 und wieder 1899 und 1900 nur noch am Grossschnee und Blauschnee wenige kleine schmutzige Firneisflecken geblieben sind.
Der zum Teil grossen Durchlässigkeit der Gesteine entspricht eine starke Versickerung und Quellbildung. Rings um das Säntisgebirge gibt es viele grosse, z. T. ausdauernde, z. T. periodische Quellen (Wideralpbächli, Schwegalp-Siebenbrunnen, Schwegalp-Tossbach, Dunkelberndli, Forstbach [periodisch], Wasserauen, Brültobel, Furgglenalp, Alt Sankt Johann, Alpli und Thurwies, Lögert und Brunnentobel bei Sennwald etc.). Die Quellen liegen meist tief und viele Alpen leiden an Wassermangel, dem erst z. T. durch Aufspeicherung von Dachwasser, grosse Reservoire etc. -
noch nirgends aber durch Pumpwerke abgeholfen ist.
Der leichten Durchlässigkeit des Gebirges entspricht ferner die geringe Bedeutung der Wildbäche. Wirkliche Wildbäche entwickeln sich erst im randlichen Flyschgebiet (bei Gams, an der Fähnern etc.), während es schon enormer Gewitter, wie z. B. desjenigen vom bedarf, bis die kleineren Runsen im Kreidegebiet Muhrgänge liefern.
[Prof. Dr. Alb. Heim.]
Flora.
Aus dem Umstand, dass das Säntisgebirge der am weitesten nach N. vorgeschobene Abschnitt der Alpen ist, lässt sich z. T. erklären, dass es eine geringere Zahl von Alpenpflanzen beherbergt als die mehr nach S. gelegenen Churfirsten und die Gebirge der Grauen Hörner, des Calanda, der Ringelspitzkette, des Weisstannen- und Murgthales (vergl. Art. St. Gallen; Flora).
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Immerhin ist die Zahl der Alpenpflanzenarten (von 1600 m an) eine noch ansehnliche (etwa 300), so dass die Säntisflora, auch wenn sie zur Flora der Schweizeralpen keine Sonderstellung einnimmt, doch zur vollen Entfaltung ihrer Schönheit gelangt und ihren unwiderstehlichen Zauber auf das menschliche Gemüt geltend macht. Der Baumwuchs ist allerorts sehr stark zurückgedrängt worden. Als Kranz umgibt er den ganzen Fuss des Gebirges, besonders auf der Rheinthalseite, auf dem Rücken des Gulmen bis nach Wildhaus, auf der W.-Seite im Gebiet der Thur (Gamplüt, Thurwies etc.), auf der N.-Seite (Bommenalp, Bärlöcher, Gartenalp, Neuenalp, Berndle, Weissbachthal, unterhalb Kammhalde und Schwegalp).
Aber auch in den einzelnen Thälern und auf den Bergrücken vermag er sich zu behaupten: Seealpseethal (Alpsiegel, Bogarten, Mans), Sämbtiserseethal bis Furgglen, Brültobel. Als Hauptbaum figuriert die Rottanne oder Fichte (Picea excelsa), wenn auch selten in reinen oder fast reinen Beständen (so auf Alpsiegel, Gartenalp und, mit Weisstannen gemischt, auf Potersalp). Wir finden sie an der S.-Flanke des Säntisgebirges auf dem Schafberg, Gulmen und Nassenberg ob Wildhaus bis zu 1900 m, an der O.-Flanke auf den Gräten von der Saxerlücke bis zum Hohen Kasten bis über 1800 m, am W.-Rand auf dem Lütispitz bis über 1800 m. Die Weisstanne (Abies alba) findet sich nirgends in reinen Beständen, sondern immer gemischt mit Rottannen und Föhren oder (noch tiefer) mit Rottannen und Buchen; sie steigt kaum über 1500 m (Rheinthal).
Die Lärche (Larix decidua) fehlt als sich selbst verjüngender Baum gänzlich; wo sie vorkommt, ist sie angepflanzt. Die Arve (Pinus cembra) existiert nur in wenigen Exemplaren auf dem Gulmen ob Wildhaus. Ziemlich sparsam vertreten ist die Föhre (Pinus silvestris), die nicht über die Buchengrenze emporsteigt. Verbreiteter ist die Bergföhre (Pinus montana) in ihren Varietäten und Formen, als geradschaftiger Baum und als Legföhre (var. α uncinata forma rostrata, rotundata, pseudopumilio; β pumilio und γ mughus).
Die Legföhre, zwar nirgends in ganz grosser Ausdehnung aber oft in dichten kleinern Beständen, findet sich längs der ganzen Kette vom Kamor bis Roslen und zum Gulmen und zwar auf der N.- und S.-Seite bis zur Grathöhe. In der mittleren Kette findet sich die Legföhre auf Alpsiegel, Mans, Bogarten, am Hundstein, Fählenschafboden, in der Gegend des Altmann bis Schilt und am Wildhauserschafberg. In der nördl. Kette: Klus, Kalberer, Zisler, Steckenberg. Westlich: auf Schwägalp, an der Winde, auf Gamplüt, gegen Lütisalp und Schindlenberg.
Sie geht auch noch auf den Flysch der Fähnern, vereinzelt bis zu 1100 m herab. Im Bergwald sind Ulme und Bergahorn (Acer pseudoplatanus) selten; Spitzahorn (Acer platanoïdes) und Feldahorn (Acer campestre) fehlen vollständig. Die Buche (Fagus silvatica), obschon überall verbreitet bis 1400 m, bildet doch selten grosse reine Bestände, wie auf der Rheinthalseite (Frümsen, Sennwald). Ihre grössten Bestände befinden sich ausserdem im Blättli am sö. Abhang der Bommenalp und am untern Hang der Alpsiegel.
Das Säntisgebiet besitzt einige wenige Pflanzen, die den südlicher gelegenen St. Galler Alpen fehlen: Carex microglochin, Crepis succisaefolia, Draba incana, Nigritella suaveolens, Petrocallis pyrenaica, Senecio abrotanifolius. Dagegen haben die Oberländeralpen nicht weniger als 50 Arten, die im Säntisgebirge fehlen, ebenso besitzen die Churfirsten mehrere ihnen eigene Arten. Als seltene und zum Teil ganz seltene Pflanzen mit wenigen Standorten oder mit nur einer Fundstelle sind zu nennen: Ajuga pyramidalis, Androsace obtusifolia, Arabis bellidifolia, Asplenium alpestre, Aspidium rigidum, Blechnum spicant, Carex microglochin, Cerastium arvense und C. latifolium, Comarum palustre, Convallaria verticillata, Coronilla vaginalis, Corydalis fabacea, Delphinium elatum (Seealpsee), Dentaria polyphylla;
Draba frigida, D. incana, D. Wahlenbergi;
Equisetum ramosum;
Gentiana brachyphylla, G. lutea (stark ausgerottet!), G. purpurea;
Gnaphalium Hoppeanum;
Hieracium angustifolium, H. glanduliferum und H. Schraderi;
Hypochoeris uniflora, Hippophaës rhamnoïdes, Juniperus Sabina (Dürrschrennen und Brültobel), Lonicera coerulea, Luzula flavescens, Nuphar pumilum (Gräppelensee), Orobanche Froelichii, Phaca australis, Phyteuma hemisphaericum und Ph. Michelii, Pleurospermum austriacum, Poa distichophylla, Salix serpyllifolia, Saxifraga mutata, Scolopendrium vulgare, Sedum annuum, Sempervivum tectorum (Tesel ob Wildhaus), Serratula rhaponticum, Salvia glutinosa, Selaginella helvetica, Senecio aurantiacus (Alpsiegel gegen Mans), Sisymbrium Sophia (Wildkirchli-Dürrschrennen), Sorbus scandica, Soldanella pusilla (Südabhang Altmann und Kraialpübergang), Streptopus amplexifolius, Triglochin palustre, Valeriana saxatilis (Fählensee, neu), Veronica bellidioides, Viola palustris.
Etwa 85 Arten besitzen nur ein beschränktes Verbreitungsgebiet, bezw. bestimmte, sehr zerstreute Standorte. Charakteristisch ist das ziemlich verbreitete Auftreten der Sweertia perennis, einer sonst nicht sehr häufigen Pflanze sumpfiger Bergweiden und Torfmoore von 900-1500 m, besonders um die NW.- und S.-Seite des Säntisgebirges herum. Merkwürdigerweise hat Juniperus nana, der Zwergwachholder, der in den Alpen des südl. St. Gallen in enormer Zahl und Verbreitung vorkommt, ganz wenige Standorte im Säntisgebiet (Gräte der Stauberen und am Furgglenfirst). Erinus alpinus, das auf den Flysch- und Verrucanoalpen des Oberlandes zu fehlen scheint, ist im Säntis typisch für das Kalkgebirge. Die Alpenrose kommt in ihren beiden Arten (Rhododendron hirsutum und Rh. ferrugineum) vor; sie hält sich durchaus nicht an die geognostische Unterlage.
Vergl. Frölich, F. Botanische Spaziergänge im Kanton Appenzell. Trogen 1850; Wartmann, B., und Th. Schlatter. Kritische Uebersicht über die Gefässpflanzen der Kantone St. Gallen und Appenzell. (Bericht über die Tätigk. der St. Gall. naturwiss. Gesellsch. 1881-1888); Oettli, Max. Beiträge zur Oekologie der Felsflora. (Jahrbuch der St. Gall. naturwissenschaftlichen Gesellsch. 1904).
[E. Baechler.]
Tiere.
Die Wildtiere des Gebirges sind noch gut vertreten. Wer einsam wandert, trifft Wiesel, Marder, Füchse, Schneehasen, besonders Gemsen recht oft, letztere in Rudeln von meistens 6 bis 12 Stück. Steinhühner, Schneehühner, Birkhühner sind nicht selten. Ein lieblicher ständiger Vogel im Säntisgebirge ist der Mauerläufer (Alpenspecht, Tichodroma muraria) an der Wildkirchliwand, am Hohen Kasten, Kalbersäntis etc. Alpendohlen umfliegen auch im Winter stets die Wetterwarte, die rotschnäblige Alpenkrähe aber ist verschwunden. Der Adler
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wird jetzt wieder im Säntis gesehen. Die Murmeltiere waren verschwunden. Vor etwa 15 Jahren sind solche am Mesmer ausgesetzt worden und haben sich dort nun reichlich vermehrt, die Ausbreitung aber scheint nur langsam stattzufinden.
Im Säntisgebirge werden zahlreiche schöne Viehherden auf den grossen Alpen übersömmert und viel Käse gemacht. Daneben werden ziemlich viel Schweine und Ziegen gehalten und auf manche schwieriger zugängliche und wilde Weiden Schafherden getrieben.
Bibliographie
(Auswahl aus den bedeutendsten Arbeiten über den Säntis). 1. Karten: Topograph. Karte der Kant. St. Gallen und Appenzell in 1:25000. 16 Bl. Aufnahme des Säntis 1845-1866 von Eschmann, Gebirgsstich von J. M. Ziegler mit Leuzinger und Randegger. Schraffur mit Horizontalkurven von 100 m Abstand. Vertikalbeleuchtung. - Topograph. Karte der Schweiz (Dufourkarte) 1:100000. Bl. IX. Leider mit in der Natur niemals vorkommender NW.-Beleuchtung. Schraffur ohne Kurven. - Topograph. Atlas der Schweiz (Siegfriedatlas) 1:25000. Blätter 225, 235, 237-241, 251, 254, 255, 272. - 2. Reliefs: Schöll, A. Relief der Kant. St. Gallen und Appenzell. 1850. In 1:16000, mit 1½ facher Ueberhöhung. Aufgestellt im Regierungsgebäude von St. Gallen. - Heim, Prof. Albert. Relief des Säntis. 1:5000. Vollendet 1904. Aufgestellt im Eidgenöss. Polytechnikum in Zürich, im Museum von St. Gallen, im Alpinen Museum Bern, im Gletschergarten Luzern, im naturhistor. Hofmuseum Wien. - 3. Literatur: Gutzwiller, A. Das Verbreitungsgebiet des Säntisgletschers zur Eiszeit. (Ber. St. Gall. naturwiss. Gesellsch. 1871-1872). - Escher von der Linth, Arn. Geolog. Beschreibung der Säntisgruppe. (Beiträge zur geolog. Karte der Schweiz. 13). Bern 1878. Mit Karte in 1:25000. Redig. von C. Mösch auf Grundlage von Escher's hinterlassenen Notizen. - Früh, J. Geolog. Begründung der Topographie des Säntis und der Molasse. (Ber. St. Gall. naturwiss. Gesellsch. 1879-1880). - Billwiller, Rob. Die meteorolog. Station auf dem Säntis. (Neujahrsblatt der naturforsch. Gesellsch. Zürich. 1888). - Burckhardt, C. Die Kontaktzone von Kreide und Tertiär am Nordrand der Schweizeralpen. (Beiträge zur geolog. Karte der Schweiz. NF. 2). Bern 1893. - Lüthi, Gottlieb, und Carl Egloff. Das Säntisgebiet; ill. Touristenführer. St. Gallen 1904. - Heim, Alb. Das Säntisgebirge. Mitarbeiter: Marie Jerosch, Arnold Heim, Ernst Blumer. (Beitr. zur geolog. Karte der Schweiz. NF. 16). Bern 1905. I: Textband mit 654 Seiten, Titelbild und 120 Textfiguren;
II: Atlas mit 42 Tafeln, darunter 3 geolog.
Karten in 1:25000. (Die unserem Artikel beigegebenen Figuren sind grösstenteils diesem Werke entnommen). - 4. Naturalien. Deponiert reichlich in der geolog. Sammlung im eidgen. Polytechnikum und im naturhistorischen Museum von St. Gallen.
[Prof. Dr. Alb. Heim.]