Saasthal
,
s. Visp.
Saasthal
4 Seiten, 2'603 Wörter, 17'964 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Saasthal,
s. Visp.
Im Geographisches Lexikon der SCHWEIZ, 1902
Saasthal
(Kt. Wallis, Bez. Visp). 28,5 km langes Thal; beginnt am St. Joderhorn zwischen dem Monte Moropass (2862 m) und dem Mondellipass (2841 m), die beide ins Anzascathal hinüberführen, und vereinigt sich unterhalb des Dorfes Stalden mit dem Nikolaithal zum Visperthal im engeren Sinn. Zieht vom Monte Moro bis Almagell nahezu direkt gegen N. und biegt dann bis Stalden nach NNW. ab. Im W. wird es vom Nikolaithal durch die Kette der Mischabelhörner und den diese nach N. fortsetzenden Saasgrat getrennt, als deren bekannteste Gipfel das Strahlhorn (4191 m), Rimpfischhorn (4203 m), Allalinhorn (4034 m), der Alphubel (4207 m), das Täschhorn (4498 m), der Dom (4554 m), das Nadelhorn, Ulrichshorn und der Balfrin (3802 m) zu nennen sind.
Die Verbindung zwischen beiden Thälern wird nur durch wenige, sehr hoch gelegene und schwer zu begehende Pässe vermittelt,
wie Schwarzberg Weissthor (3512 m), Adlerpass (3798 m), Allalinpass (3570 m), Alphubeljoch (3802 m), Mischabeljoch
und Galenpass, n. von welchem sich die Kette mit bewaldeten Steilhängen gegen Stalden zu senkt. Im O. trennt eine ebenfalls
lange aber etwas niedrigere Kette das Saasthal
vom italienischen Antronathal, mit dem es über den Ofenthalpass oder Passo
d'Antigine (2838 m), den Antronapass (2844 m) und mehrere andere, wenig bekannte und gefährliche Pässe
in Verbindung steht. Diese Kette reicht vom Latelhorn (oder Punta di Saas; 3219 m) bis zum Portjengrat (3660 m), nördl. unter
welchem der Zwischbergenpass (3272 m) vom
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Zwischbergenthal nach Gondo hinüberführt. Nördl. über diesem Pass stehen in der östl. Grenzkette des Saasthales
der Reihe
nach die Pyramide des Weissmies (4031 m), das Laquinhorn (4005 m), Fletschhorn (4001 m) und Rauthorn (3269 m). Hier führen das
Laquinjoch (3497 m) und der Rossbodenpass (3200 m) aus dem Saasthal
hinüber ins Thal der Diveria (S.-Abdachung
des Simplon). Vom Rauthorn an schiebt sich zwischen das Saasthal
und die N.-Flanke des Simplon das Nanz- oder Gamsathal ein,
das von ersterem durch die Kette geschieden wird, die sich über Mattwaldhorn (3253 m), Simelihorn (3132 m), Weissengrat und
Ochsenhorn bis zu den hohen Terrassen über Staldenried senkt. Im Saasthal
liegen neben Teilen der Gemeinden
Stalden und Staldenried folgende 5 Gemeinden: Eisten, 4 km oberhalb der Mündung des Thales;
Balen, am Fuss der Jägihörner;
Im Grund (1562 m), der bedeutendste Ort des Thales, auf einem kleinen Thalboden zu beiden Seiten der Saaser Visp und zwischen Weissmies und Ulrichshorn;
Fee mit dem bedeutenden Kurort Saas Fee, im kleinen Thälchen von Fee, das sich 1 km oberhalb Im Grund von links zum Hauptthal öffnet;
Almagell (1679 m), das oberste Thal und seine Verzweigungen (Furggthal und Thal der Almagellalp) umfassend.
Zusammen rund 1600 Ew. Das Thal erreicht zwischen dem Täschhorn und dem Portjengrat mit 14 km seine grösste Breite und ist in der Gegend von Eisten zwischen dem obersten Punkt der Hännigalp und dem Weissengrat mit 5 km am engsten.
Es bildet bis Eisten hinauf eine dem Menschen nahezu unzugängliche Mündungsschlucht. Von Stalden her überschreitet man auf der kühnen, einbogigen steinernen Kinnbrücke zunächst die Zermatter Visp, worauf man hoch über dem linken Ufer der Saaser Visp bis zur leuchtenden weissen Kirche von Eisten ansteigt. Am Thaleingang bemerkt man gegenüber dem Weg am rechten Ufer der Saaser Visp und an den tiefern Gehängen von Staldenried noch einen Weinberg. Von Eisten an wird der Thalboden sanfter geböscht, steigt aber bis zur Brücke von Im Boden immer noch merklich an. Es folgen die frischgrünen Böden von Fellmatten und Balen, worauf sich das Thal über Im Grund bis Almagell hin stetig weitet.
Hier oben öffnen sich einige Seitenthälchen, so von links dasjenige von Fee mit seinem imposanten Gletscher-
und Felsabschluss und von rechts das Hochthal der Almagellalp. Von Zermeiggern an, dem obersten Weiler der Gemeinde Almagell,
wo von rechts her das kleine Furggthal mündet, wird das Saasthal
enger und steiler und schliessen sich die beiderseitigen
Bergketten näher zusammen.
Im Zickzack steigen wir empor, gehen an einigen Hütten und der zerfallenen
Kapelle «Im Lerch» vorbei und erreichen über Geröll und magere Weiden die weit ins Thal vorgeschobene Stirn des Allalingletschers,
unter dessen Eis sich die Saaser Visp ihren Weg hindurchgebahnt hat.
Kurz nachher stehen wir am düstern Mattmarksee (2100 m), dessen Ausbrüche schon so oft dem Thal und seinen Bewohnern Verderben gebracht haben und hinter dem sich eine von der Visp in zahlreichen Armen durchzogene, sandige und steinige Ebene ausbreitet. Hier liegt nahe beim Hotel Mattmark der bemerkenswerte sog. Blaue Stein, ein erratischer Block von 658 m3 Inhalt, der vom Schwarzenberggletscher hierher transportiert worden ist. (Vergl. die Art. Mattmark und Mattmarksee).
Weiter hinten erreicht man über immer rauher werdendes Terrain die Distelalp und damit die obersten Siedelungen im Saasthal
,
von wo aus man endlich zum Mondelli- und Monte Moropass hinauf gelangt. Ueber den allgemeinen landschaftlichen Charakter des
Thales sagt Dr. Dübi: «Der Weg durch das Saasthal
hinauf
ist durchaus nicht, wie in einigen Reisehandbüchern steht, etwas eintönig, sondern voller malerischer Reize und Abwechslung,
die man umso besser geniesst, weil man auf einem ordentlichen, aber nicht fahrbaren Wege zu Fuss oder zu Maultier gehen muss.
Von der fast südlichen Vegetation bei Stalden, wo die Rebe, die Kastanie, der Nussbaum und verschiedene
Obstarten in üppiger Fülle gedeihen, bis hinauf nach Mattmark, wo auch Tanne und Lärche zurückgeblieben sind, durchschreiten
wir alle Stufen pflanzlicher Entwicklung und sehen an unserm und dem gegenüberliegenden Berghang alle möglichen Arten von
Bodenbedeckung vom ungebrochenen Hochwald bis zur vegetationslosen Trümmerhalde. Ackerland, Wiese, Weide
und Gemüsepflanzung sind auf dem engen Raume zusammengedrängt und wechseln nicht nach Höhe und Tiefe der Lage, sondern wie
das Bedürfnis es gibt, miteinander. Neben den geringen braunen Hütten von Zenschmieden, Balen und Im Grund zeigen sich stattliche
Kirchen und Kapellen von teilweise origineller Bauweise, wie die Rotunde von Balen und die Säulenvorhalle
von Horlauinen. Wenn man beim einwärtswandern sich umwendet, erblickt man oftmals die gewaltige Pyramide des Bietschhorns
oder das schimmernde Nesthorn und ein Stück des Aletschgletschers, und 20 Minuten vor dem Hauptort überrascht den aus dem
dunklen Walde auf einen sonnigen Boden Hinaustretenden der Anblick des eisgepanzerten Thalhintergrundes.
Mannigfache Bäche, einige mit sehr schönen Wasserfällen, kreuzen den Weg,
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und in der grünen Tiefe, die auch um Mittag im Dämmerlichte liegt, donnert die Visp über gewaltige Blöcke eines fremdartigen Gesteins.»
Mit Bezug auf Reichtum und Abwechslung seiner Flora ist das Saasthal
zusammen mit seinem Zwilling, dem Zermatter- oder Nikolaithal,
eines der interessantesten Thäler in der N.-Flanke der Alpen. Bemerkenswert ist namentlich das Vorkommen
einiger Pflanzenarten, die nur sporadisch auftreten, so besonders der ganz vereinzelten Kärntner Saumnarbe (Pleurogyne carinthiaca),
die auch noch im Zermatterthal, am glarnerischen Kistengrat, im Avers und im Engadin hie und da auftritt, und des hier vor
wenigen Jahren von Dr. Goudet aus Genf
entdeckten eberreisblätterigen Kreuzkrautes (Senecio abrotanifolius),
das im Bündnerland häufig angetroffen wird, weiter nach W. dagegen nur noch ganz isoliert sich zeigt. Am meisten begünstigt
erscheint in floristischer Hinsicht die Gegend um den Mattmarksee, die zusammen mit der Maienwand beim Rhonegletscher zu den
am reichsten ausgestatteten Standorten der Walliser Alpen gerechnet wird.
Sehr merkwürdig ist vor allem die Flora des sumpfigen Sand- und Kiesbodens oberhalb des Mattmarksees,
wo die arktische Simse (Juncus arcticus) einen in den Alpen einzigartigen, grossen und nahezu reinen Bestand bildet. Viele
seltene Hochalpenpflanzen beherbergen auch das Ofenthal, das Thälchen von Schwarzenberg und die Distelalp, so dass man dieses
oberste Stück des Saasthales
mit Wolf einen «wahren botanischen
Garten» nennen darf: Primula longiflora, Campanula excisa und C. cenisia, Hieracium alpicolum, Artemisia nana,
Saxifraga cotyledon, Senecio uniflorus, Oxytropis foetida, Geum reptans, Valeriana celtica, Adenostyles leucophylla, Alsine
octandra (sehr selten!). Sehr bemerkenswert ist auch die Art der Bewaldung des Saasthales.
Die leider
nach und nach verschwindende Arve tritt mehrfach in prachtvollen Exemplaren auf. Der Fussweg von Saas Fee nach Almagell führt
unmittelbar hinter jenem Ort durch einen kleinen Wald von Bergföhren (Pinus montana), der eine wahre forstliche Seltenheit
ist.
Die Thalbevölkerung hat sich trotz dem stetig bedeutender werdenden Fremdenverkehr doch die Tugenden der Aufrichtigkeit, Einfachheit, Genügsamkeit, des Mutes und der Ausdauer bewahrt, die sich früher bei den Bewohnern der Berge häufig vorgefunden haben. Das Völkchen, das einen undankbaren Boden bebaut und neben Produkten der Viehzucht nur noch einige Roggen- und Kartoffeläcker und fast gar kein Obst sein eigen nennt, ist mit Bezug auf seine Nahrung auf eine starke Einförmigkeit angewiesen. Da im Thal grosse Flächen von derart abgelegenem Weideland vorhanden sind, dass sie von Grossvieh nicht bezogen werden können, pflegt man hier viel Schafzucht, und das Fleisch dieser Tiere ist denn auch die eigentliche Grundlage der Fleischnahrung der Bewohner.
Sehr beliebt ist die Gemsjagd, die jeder, ohne sich um Gesetze und Reglemente viel zu kümmern, nach
seinem Gutdünken betreibt. Das gleiche war übrigens, allerdings in geringerem Mass, noch bis vor gar nicht langer Zeit
auch in den andern Alpenthälern des obern und untern Wallis
der Fall. «Noch mehr aber
als die Gemse wird das Fleisch der Murmeltiere als Leckerbissen geschätzt, sowohl frisch gebraten, als
auch das gesottene Dörrfleisch.
Dies muntere Alpentierchen wird aber im Saasthal
nicht gejagt oder geschossen, sondern im
Winter gefangen... Die besten und geschütztesten Alpen werden ihm zum Wohnplatz angewiesen, und sollte es in einer Alpe aussterben,
so wird dieselbe durch Herbeibringen anderer Tiere wieder neu bevölkert, denn die Murmeltiere sind im
Saasthal
nicht Jagdbeute, sondern Gemeindeeigentum, werden förmlich gezüchtet und gepflegt; jeden Spätherbst wird eine
gewisse Anzahl älterer Tiere in ... Fallen gefangen und an alle Haushaltungen verteilt. Eigene, uralte Gesetze regulieren diese
Verteilungen. Dieselben wurden schon in den Jahren 1538 und 1540 durch Urteilsprüche anerkannt und auch
in neuester Zeit, seit Einführung des neuen eidgenössischen Jagdgesetzes bestätigt. Dasselbe verbietet bekanntlich das
Ausgraben und Fangen der Murmeltiere und lässt nur im Saasthal
, angesichts dieses seit undenklichen Zeiten verbrieften Rechtes
eine Ausnahme zu.» (F. O. Wolf.) In neuerer Zeit hat der zunehmende Fremdenverkehr es mit sich gebracht,
dass eine gewisse Anzahl der Bewohner sich dem Hoteldienst und dem Führerberuf zuwandten und damit bessere, d. h. weniger
patriarchalische Existenzbedingungen kennen gelernt haben.
Das Thal gehört aber trotz diesem eben genannten Fremdenverkehr doch noch lange nicht zu den eigentlichen Zentren der Walliser Fremdenindustrie und hat sich deshalb seine besondere Eigenart bis heute noch wohl gewahrt. Dazu trägt namentlich auch der Umstand bei, dass es mit der Aussenwelt nur durch einen Saumpfad in Verbindung steht, der an manchen Stellen in den anstehenden Fels eingehauen werden musste und der zu bestimmten Stunden des Tages von ganzen Karawanen von Maultieren, die Reisende und Gepäck tragen, belebt wird. Schon hat sich auch der Wunsch erhoben, das Thal durch eine Eisenbahn zugänglich zu machen. Daran müssten aber die einzelnen Gemeinden finanziell sich beteiligen, und da diese angesichts der kargen natürlichen Hilfsmittel des Thales und der geringen Einwohnerzahl arm sind und über nur ganz bescheidene Mittel verfügen, wird dieser Wunsch wohl noch nicht so bald in Erfüllung gehen können.
Der Ursprung der Bevölkerung des Saasthales
ist in grosses Dunkel gehüllt. Direkte Anzeichen einer vorhistorischen Besiedelung
hat man hier noch nicht auffinden können, ebensowenig als Spuren römischer Kultur. Der um die erste
Kenntnis des Saasthales
verdiente Christian Moritz Engelhardt, dem die seltsamen Ortsnamen Monte More, Mischabel, Almagell,
Allalin etc. aufgefallen waren, stellte um 1840 die Behauptung auf, dass spanische Sarazenen, die erwiesenermassen zwischen 940 und 973 das
untere Wallis
heimsuchten und eine zeitlang den Grossen St. Bernhard und seine Zugänge beherrschten, auch das
Saasthal
besetzt und dort jene «arabischen» Namen hinterlassen hätten.
Neuere Forschungen haben nun aber ergeben, «dass diese Theorie bedingungslos fallen
gelassen werden muss und eine Ansiedelung von Sarazenen im Saasthal nicht nur nicht bewiesen werden kann, sondern höchst
unwahrscheinlich ist». Auch die genannten Ortsnamen «können alle
und zum Teil mit grösster Sicherheit aus andern Sprachen erklärt werden». (Dr. Dübi). So ist z. B. Monte Moro nicht der
«Berg des Mauren» sondern ganz einfach der «schwarze Berg»,
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