Titel
Rußland
,
russ. Rossija, oder Russisches Reich, Rossijskaja Imperija, auch Rossijskoje Gossudarstwo, Kaisertum und Großmacht, umfaßt die größere östl. Hälfte Europas, Nordasien und den Nordwesten Centralasiens mit zusammen 22430000 qkm, d. i. ein Zweiundzwanzigstel der gesamten Erdoberfläche, ein Sechstel des gesamten Festlandes und mehr als das Doppelte des Erdteils Europa. [* 2] Von dem Flächenraum entfallen administrativ auf Europa 5900152, auf Asien [* 3] 16529852, geographisch (den Ural [Gebirge und Fluß] und die Manytschlinie als Grenze zwischen Europa und Asien genommen) auf Europa 5248790, auf Asien 17181214, oder (wenn statt der Manytschlinie der Hauptrücken des Kaukasus als Grenze gesetzt wird) auf Europa 5515067, auf Asien 16914947 qkm. -
Hierzu 6 Karten: Europäisches Rußland;
Westrußland
[* 4] und
¶
0069a ¶
mehr
Ostseeprovinzen;
Mittelrußland;
Südrußland
, Krim
[* 7] und Taurien;
Kaukasien, und Historische Karte von Rußland;
vgl. auch die Karten Sibirien I, II, III, beim Artikel Sibirien.
Lage und Grenzen.
[* 8] Rußland
liegt zwischen 34° 39' (Grenze von Afghanistan)
[* 9] und 76° 39' (Nordspitze von Asien) nördl. Br., und 17°
37' 40" (preuß. Grenze beim Austritt der Warthe) und 185° 20' (Ostspitze von Asien) östl. L. von Greenwich.
Die Längenausdehnung von N. nach S. beträgt 4675,9 km, von W. nach O. 10732,3 km. Im N. grenzt Rußland
an das Nördliche Eismeer,
im O. an den Großen Ocean, im S. an Teile des letztern, dann an Korea, China,
[* 10] die Bucharei, Afghanistan, Persien,
[* 11] Türkisch-Armenien, das Schwarze Meer und Rumänien,
[* 12] im W. an Rumänien, Bukowina und Galizien, Preußen,
[* 13] die Ostsee, Schweden
[* 14] und
Norwegen.
Die Grenzlinie umfaßt 69245 km, wovon auf das Festland 19941 km (in Europa 4505) kommen. Die Grenze gegen Preußen ist 1183,
gegen Österreich-Ungarn
[* 15] 1225, gegen China 9372, gegen Afghanistan 811, Persien 1737, Türkei
[* 16] 505 km lang.
Bei der ungeheuren Ausdehnung
[* 17] bildet eine geschlossene, verhältnismäßig wenig durch Meereseinschnitte gegliederte Masse.
Die Ausdehnung der Begrenzung durch Meere würde äußerst günstig sein, wenn nicht klimatische Verhältnisse, geogr. Lage und
örtliche Untauglichkeit die Länge der für den Handelsverkehr nutzbaren Küsten auf eine verhältnismäßig
sehr beschränkte Strecke an der Ostsee, am Schwarzen Meer und am Großen Ocean verringerten. Auch ist die Bereicherung der Küsten
durch vorliegende Inseln nur gering. Ihr Gesamtumfang beträgt 238156 qkm, wovon 109984 auf das europäische Rußland
kommen. In der
Ostsee sind die Ålandsinseln, Ösel und Dagö, im Stillen Ocean Sachalin nennenswert, im Nördlichen Eismeer
Kolgujew, Nowaja Semlja, Neusibirien u. s. w.; letztere teilen die Unwirtbarkeit der
gegenüber liegenden Polargegenden des Festlandes.
Bodenbildung. Die Oberflächengestaltung bietet sehr bedeutende Gegensatze dar, von dem langen Gebirgsgürtel des Urals, dem mächtigen Kaukasus, den Alpenlandschaften im südl. Sibirien, in Turkestan und in der Dsungarei bis herab zu dem tiefsten Flachlande der Welt, das in der aralokaspischen Erdsenke nur wenig über, zum Teil sogar unter dem allgemeinen Meeresniveau liegt. Die Bodenplastik des Europäischen R.s ist durch die größte Einförmigkeit charakterisiert.
Dasselbe zeigt mit Ausnahme des asiat. Grenzgebirges, des Urals, und des kleinen Taurischen Gebirges in der
Krim nirgends ein eigentliches Gebirge, besteht vielmehr teils aus völlig ebenen, teils aus wellenförmigen oder hügeligen
Flächen, die im allgemeinen nur 100-200 m ü. d. M. liegen, und hat seine Abdachungen nach N., NW., S. und SO. Auch die Höhen
und Felsenkämme der seltsam zertrümmerten Seenplatte von Finland und Lappland erheben sich nirgends
viel über 300 m. Das übrige Rußland
erscheint als ein im Centrum einigermaßen gehobenes,
nach den Peripherien zu sich allmählich senkendes und gleichwie von einem Rahmen von dem Ural, dem Donschen Hochplateau, dem
Krimschen Gebirge, den Ausläufern der Karpaten und den Finnischen Höhen eingesäumtes Gebiet.
Das Centrum wird von dem mittlern russ. Höhengebiet oder den Alaunischen Höhen eingenommen, welche sich auf einer Strecke von 1380 km vom Waldaigebirge bis zum Donezschen Hochplateau ausbreiten. Es scheidet die baltische Niederung von den Flußgebieten des Dnjepr, der Wolga und des Don und dient als Quellgebiet für die Flüsse [* 18] Niemen, Düna, Lowat, Wolga, Oka, Don, Donez und Dnjepr. Im O. von diesen Höhen liegt das Thal [* 19] der untern Oka und die Niederung, auf welcher sich einige Nebenflüsse der Oka und des Don ergießen.
Dann folgt die Gruppe der Wolgahöhen, ein Hügelland, welches sich am rechten Ufer der Wolga von Nishnij Nowgorod und Kasan [* 20] bis Zarizyn und im W. bis Tambow erstreckt und in den Jergeni seine natürliche Fortsetzung findet. Die Wolgahöhen nehmen in meridionaler Richtung 1170 km ein. Im SO. von diesen Höhen, am linken Ufer der Wolga, folgen die kaspischen Steppen. Im N. werden letztere von den Gehängen des Obschtschij-Syrt begrenzt. Weniger erforscht ist die nördl. oder uralisch-baltische Landeserhöhung der ältern Geographen.
Nach der üblichen Darstellung setzt sie sich an die dem nördl. Ural vorgelagerte, in mehrern Punkten zu 250-320 m ansteigende Berglandschaft von Perm und Wologda und zieht westwärts bis in die Nähe der Ostsee, und zwar zunächst als Wasserscheide zwischen der Polar- und kaspisch-pontischen Abdachung unter dem Namen des nordruss. Landrückens bis zu dem Quellgebiet der Wolga, der Düna und des Dnjepr, d. i. dem sumpfigen Plateau der Waldaihöhe. Die westl. Fortsetzung des Waldaiplateaus bildet ein breiter Damm erhöhten Terrains, nämlich einerseits der litauische Landrücken, der 2-300 m Höhe hat; andererseits der livländ. Landrücken.
Der erstere geht gegen W. in die ostpreuß. Seenplatte über. Das Asiatische Rußland
ist in seinem nordwestl. Teil (Westsibirien)
ein Tiefland, das sich zum Eismeer senkt. Auch geht es vom Oberlauf des Ob und vom Unterlauf des Jenissei an in Gebirgsland
über, das im S. zum Teil Alpencharakter hat, aber nach N. zu an Höhe abnimmt. Längs der ganzen Nordküste
zieht sich, selbst weit ins Europäische Rußland
hinüber greifend, die Tundra hin. Das Jablonojgebirge mit seiner Fortsetzung,
dem Stanowojgebirge, bildet die Wasserscheide zwischen dem Eismeer und dem Stillen Ocean. Südlich geht das westsibir.
Tiefland durch die Kirgisensteppe über: nach W. zu (zwischen dem Südende des Uralgebirges und dem Kaspischen Meer) in die
Ebene des Europäischen R.s und nach S. zu in die Steppen Transkaukasiens und Turkestans, die von dem Westrande Centralasiens
begrenzt werden. Ausläufer des letztern reichen sogar bis in die Kirgisensteppe. (S. auch Sibirien.)
Bewässerung. Kein Land der Erde besitzt so viele und so wasserreiche Ströme wie Rußland.
Von den Flüssen gehen in die Ostsee, welche
ein Flußgebiet von 968110,5 qkm beherrscht, der Torneå mit dem Muonio an der schwed. Grenze, der Kemi, Uleå, Kokema (oder
Kumo), Kymmene in Finland; ferner die Newa, Luga, Narowa, Pernau, Salis, die livländ.
oder Treyder Aa, die Düna, die kurländ. oder Buller Aa, der Niemen und die Weichsel. In das Schwarze Meer, mit einem Flußgebiet
von 747795,4 qkm in Europa und 37425,7 qkm in Asien, fällt zunächst mittels der Donau, deren Mündungen die russ. Grenze
berühren, der Pruth, der Grenzfluß gegen Rumänien, dann unmittelbar der Dnjestr, der Bug, der Dnjepr,
der Kuban, der Rion;
ins Asowsche Meer, mit einem Flußgebiet von 559394 qkm, der Don mit dem Manytsch, die Jeja und der Kalmius;
in das Kaspische Meer, mit einem ¶
mehr
Flußgebiet von 1876599,1 qkm in Europa und 1181538,2 qkm in Asien, die Kura mit dem Aras, der Terek, die Wolga mit ihren Nebenflüssen
Oka und Kama, der Ural oder Jaik und die Emba; in den Aralsee, mit einem Flußgebiet von 1867579,3 qkm, der Syr-darja und der Amu-darja,
dessen unterer Lauf russisch ist; in den Balchaschsee der Ili, in den Baikalsee die Selenga. Zum Gebiet
des Polarmeers, mit einem Flußgebiet von 1254166,1 qkm in Europa und 10785640,1 qkm in Asien, gehören im Europäischen Rußland
die
Onega, Dwina, der Mesen und die Petschora, in Asien der Riesenstrom Ob mit dem Irtysch, der Jenissei mit der
dreifachen Angara, die Chatanga und Anabara, der Olenek, die Lena (mit dem Witim, Wiljuj, Olekma, Aldan u. s. w.), die Jana,
Indigirka und Kolyma.
Zum Gebiet des Großen Oceans, mit einem Flußgebiet von 2533790 qkm, gehört der Anadyr und der Amur. In den Steppenländern giebt es auch wahre Oasenflüsse, umwuchert von Strauchwuchs, Salz- und Sodakräutern. Dieselben strömen im Frühling bei der Schneeschmelze wasserreich, versiegen dagegen in der Sommerglut fast völlig. Solche sind unter vielen andern der Tschu in Turkestan, der Große und Kleine Usen in der Kaspischen Steppe, die sich in Salzseen verlieren und sich selbst schon weit vor der Mündung mit dichten Salzschichten überziehen.
Solche Salzseen, unter denen der Elton und der Baskuntschaksee im Gouvernement Astrachan die berühmtesten sind, hat Rußland
in
jenen Steppengebieten unzählige, und es verdankt ihnen einen großen Teil seines Salzgewinns. An Seen ist Rußland
überhaupt sehr
reich. In seinem europ. Teil nehmen sie in den 50 russ. Gouvernements, das Asowsche Meer und den Siwasch
mit inbegriffen, einen Raum von 104800,9 qkm ein. Darunter sind der Ladoga und der Onega die zwei größten des Erdteils,
außerdem der Peipus-, Ilmen- und Weiße See (Bjeloosero) besonders bemerkenswert.
Das Gouvernement Olonez allein zählt an 1500 Seen, die 20936,6 qkm einnehmen. Die meisten Seen (zusammen
47829,3 qkm) hat aber Finland, wo in manchen Gegenden die Landfläche von der Wasserfläche überwogen wird. Auch in Asien
hat Rußland
die beiden größten Seen des Erdteils und der Erde überhaupt, den Kaspi- und den Aralsee, außerdem die großen Becken
des Baikal, Balchasch und den Issyk-kul. Die Kanäle konzentrieren sich im nordwestlichen Europäischen
Rußland und bilden zwei Hauptsysteme, ein östliches und ein westliches.
Ersteres verbindet die Ostsee mit dem Kaspischen und dem Weißen Meer. Besonders wichtig ist die Verbindung der Ostsee mit dem Kaspischen Meer, die durch drei Kanalsysteme, das Marien-, das Tichwinsche und das Wyschnewolozsche Kanalsystem (s. diese Artikel), alle drei von der Wolga ausgehend, hergestellt wird. Das Weiße Meer (durch die Dwina) wird mit der Ostsee und dem Kaspischen Meer durch den Herzog-Alexander-von-Württemberg-Kanal (s. Herzog-Alexander-von-Württemberg-Kanalsystem) vereinigt.
Das westl. Hauptsystem verbindet die Ostsee mit dem Schwarzen Meer durch den Beresinakanal (zwischen Dnjepr und Düna), den Oginskischen Kanal [* 22] (zwischen Dnjepr und Niemen) und den Dnjepr-Bug-Kanal (zwischen Dnjepr und Weichsel). Außerdem werden noch Weichsel und Niemen durch den Augustowokanal (s. d.) verbunden. In Finland vereinigt der Saimakanal den Saimasee mit dem Finnischen Meerbusen und in Sibirien das Ob-Jenissei-Kanalsystem (s. d.) den Ob mit dem Jenißei. Mineralquellen finden sich im Kaukasus (im Kreis [* 23] Pjatigorsk), in Lipezk, Slawjansk, Sergijewsk (Gouvernement Samara), Staraja Russa, in den westl. Gouvernements, an vielen Orten Sibiriens u. a.
Klima. [* 24] Bei einer Breitendifferenz von 42° sind die Temperaturverhältnisse natürlich sehr verschieden. Doch wechselt das Klima im Europäischen Rußland, ungeachtet auch hier der Breitenunterschied des Kontinents zwischen 43° 21' und 69° 56' nördl. Br. (Nordgrenze des russ. Lapplands) nicht weniger als 24° 35' beträgt, nicht in dem Maße, als nach den klimatischen Unterschieden Westeuropas zu erwarten wäre, und die Übergänge sind überall allmählich und unmerklich.
Die Gleichförmigkeit der Bodenverhältnisse, das Fehlen von Gebirgen und tief einschneidenden Oceanen wirkt hier bedeutend auf die Gleichmäßigkeit des Klimas ein. Durch die ausgedehnten und ununterbrochenen Landmassen bedingt, ist das russ. Klima ein entschieden kontinentales. In Sibirien giebt es zwar alpine Regionen, aber alle höhern Gebirgsmassen außer dem Ural liegen im Süden, und ungerechnet die langgestreckten Meeresküsten im Norden [* 25] macht sich doch auch hier kein Seeklima geltend, weil auch hier, wie im Europäischen Rußland, die Beweglichkeit des wellenschlagenden Meers den größten Teil des Jahres fehlt, indem die langdauernde Eiskruste nur einige Monate auftaut, der Osten Sibiriens aber durch Gebirgsketten von dem Einflusse des Meers abgeschlossen ist.
Überdies bleiben auch die weiten Tundren und Steppensümpfe manche Jahre hindurch 6 m tief und darüber fest gefroren. Im allgemeinen senken sich daher die Isothermenkurven von Westen nach Osten in steter Zunahme dem Süden zu, und die unter gleicher Breite [* 26] mit Polen liegenden Länder des östl. Teils vom Europäischen Rußland, wie die Gouvernements Saratow, Pensa, Simbirsk, Ufa und Orenburg, haben kaum noch das Klima der Ostseeprovinzen, die Länder Sibiriens kaum noch das von Finland und Lappland.
Ein besonderes klimatisches Revier bildet das Generalgouvernement Kaukasien, wo die Temperaturverhältnisse wesentlich von den Niveauverschiedenheiten bedingt sind und bei dem vorherrschenden Hochlandscharakter der beschränktere Raum der tiefern Thäler und Küstenebenen wirklich warmes, zum Teil heißes Klima hat. Im allgemeinen ist in Rußland allerorts im Sommer eine Temperatur von + 30° C. und im Winter von - 30° C. möglich, eine Ausnahme bieten lediglich der Kaukasus und die Ufer des Pontus. Es handelt sich aber um die Zeitdauer der Wärme [* 27] oder der Kälte.
Die erstere ist im Norden selbstverständlich kürzer, die letztere anhaltender, während im Süden das umgekehrte Verhältnis stattfindet. Es herrschen wechselnd Nord- und Nordostwinde sowie Süd- und Südostwinde vor. Niederschläge giebt es im Durchschnitt 400-800 mm; im Norden des Kaspischen Meers und Aralsees ein Minimum von 100 mm, am westl. Ufer des Schwarzen Meers ein Maximum von 1500 bis 2000 mm. Nach Süden und Osten zu vermindern sich die Niederschläge. Die Zahl der Schneetage in Petrosawodsk beläuft sich auf 114, in Jalta auf 7,3. (S. auch den folgenden Abschnitt.)
Pflanzen- und Tierwelt. Den klimatischen Verhältnissen entsprechend läßt sich das Europäische Rußland in einige charakteristische Pflanzen- und Tierregionen einteilen. (Vgl. die Karten: Pflanzengeographie I und Tiergeographie.) ¶