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Linienbrigaden sind nur noch 6 vorhanden. Bei der Kavallerie sind zu den 48 Dragonerregimentern 2 neue mit den Nrn. 49 und 50 formiert, welche eine selbständige 1. Kavalleriebrigade bilden, was darauf schließen läßt, daß demnächst auch noch eine 2. gebildet und so die reguläre Armeekavallerie von 15 Armeekavalleriedivistonen auf 16 erhöht wird. Ein Kavalleriekorps ist aus der 13. und 14. Kavalleriedivision im Warschauer Militärbezirk formiert. Bei der Artillerie haben die wesentlichsten Umformungen stattgefunden. So ist die Gliederung in Divisionen zu 2 oder 3 Batterien nunmehr auch auf die reitenden und die den Schützen beigegebenen Batterien ausgedehnt.
Beide waren, abgesehen von der reitenden Gardeartilleriebrigade, bisher selbständig. Außer der Einführung dieser für den Gebrauch der Artillerie so wichtigen Maßregel hat aber auch eine Verstärkung der Artillerie stattgefunden. Es sind neu aufgestellt: 3 leichte Fuß-(fahrende) Gardebatterien, die der Leibgarde- (3.) Artilleriebrigade, 10 leichte Feldbatterien, die zu je 2 der 2., 4., 6., 10. und 18. Artilleriebrigade zugeteilt sind; schließlich 5 leichte Batterien zu je 1 für die 5 Schützenbrigaden des europ. Rußlands, so daß diese jetzt über je 3 anstatt über je 2 Batterien verfügen.
Die Divisionseinteilung hat auch auf die Neuformationen Anwendung gefunden. Wesentlich ist, daß alle diese Batterien bereits im Frieden 8 bespannte Geschütze haben, also schneller als bisher mobil werden. Nach Ausführungen in der Militärpresse zu schließen, scheint mit diesen Batterien der Anfang zur Formierung einer bisher nicht vorhandenen Korpsartillerie gemacht zu sein. Durch die Formierung von4 neuen Mörserbatterien werden die Mörserregimenter Nr. 4 und 5 von 2 auf 4 Batterien gebracht, so daß nur noch Nr. 6 und 7 2 Batterien haben.
Ferner sind in den ostasiat. Gebieten zur Sicherung der Machtstellung Rußlands im Osten Umformungen eingetreten: es ist eine selbständige transbaikalische Artilleriedivision, von 2 Batterien mit je 8 bespannten Geschützen und einem Reservezug, sowie ein Mörserregiment zu 2 auf Kriegsetat gebrachten Batterien neu aufgestellt. Die ostsibir. Artilleriebrigade ist reorganisiert: anstatt dieser einen bestehen jetzt zwei. Die 1. umsaht 4 Feld-, 3 Gebirgs- und jene 2 Mörserbatterien; die 2. besteht aus 5 Batterien.
Bei beiden Brigaden haben die Batterien 5 Reservezüge und 8 bespannte Geschütze. Die westsibir. Artilleriebrigade wurde zu einer westsibir. Artilleriedivision zu 2 Geschützen. Die westsibir. reitende Gebirgsbatterie wurde aufgelöst. Ingenieurtruppen. Der Bau der Sibir. Eisenbahn hat die Ausstellung eines I. Ussuri-Eisenbahnbataillons zu 2 Bau- und Vetriebscompagnien veranlaßt, was auf die Formierung von weitern Bataillonen schließen läßt. Besatzungstruppen.
Zur Verstärkung von Wladiwostok sind zu den 3 Festungsartilleriecompagnien eine 4. und 5. getreten und ein Festungsinfanterieregiment Zu 5 Bataillonen ü. 4 Compagnien formiert. Ersatztruppen. Die Cadres des Kavallerieersatzes sind von 15 auf 17 erhöht. Ein kaukas. Cadretrainbataillon wird formiert. Die Ausgaben für das Landheer betrugen 1896: 288521969 Rubel, d. i. 17360956 Rubel mehr als 1895;
hierunter waren für Centralverwaltung 2419 308, Lokalverwaltung 8340249, technisches und Unterrichtswesen 8030244, Medizinal- und Lazarettwesen 4129239, Bekleidung und Ausrüstung 21598788, Verpflegung 40955760, Feuerung 16496225, Besoldung 59542206, Miete und Unterhalt von Unterkunftsräumen 15619940, Bauausgaben 19366 883, Anfertigung und Vervollkommnung der Artillerie und Artillerieausrüstungsstücke 11374226, Unterhaltung von Artilleriegegenständen bei den Truppen und Festungen, Übungen mit diesen 3290234, Transporte, Fahrgelder und Depeschen 7977881, Aushebung 2648054, Übungen der Reservisten und Ratniks der Opoltschenije 3008137, Besoldungen und Unterstützungen 2974501, Abzüge und Zinsen für die Emeritenkasse 3064048, Ausgaben für Turkestan und Transkaspien 1047162, außerordentliche Ausgaben 643443, Ausgaben für den Betrieb der transkaspischen Militäreisenbahn 4240000, Ausgaben für die Verstärkung und Verbesserung der transkaspischen Bahn 9484571, Neubewaffnung der Armee 22700000, verschiedene Ausgaben 9484571, Verpflegungsreserve 469391, Reservekredit 8707747, Ausgaben auf Rechnung des nächsten Jahres 8595000 Rubel. Auch bei den Kosakentruppen sind Änderungen eingetreten: Eine westsibir. Kosakenbrigade wurde im Gouvernement Omsk aus dem 1., 2. und 3. Sibirischen und einem Semirjetschenskischen Kosakenregiment formiert, die bis dahin im Semipalatinskischen Gebiete dislociert waren. Die beiden selbständigen Ussurisotnien wurden zu einer Primorskischen Division vereinigt. Das Amur-Kosaken-Wojßko erhielt eine neue Organisation, indem es jetzt nur Reitertruppen aufstellt, und zwar 1 Amurkosakenregiment im Frieden zu 3, im Kriege zu 6 Sotnien und 1 Amurkosakendivision zu 3 Sotnien.
Durch die Zuteilung eines Terekkosakenregiments zur 2. kaukas. Kosakendivision ist die Terekkosakenbrigade aufgelöst. II. Kriegsflotte. Die Ausgaben für die Marine betragen 1896: 57966000 Rubel, d. i. gegen 1895 3042591 Rubel mehr;
darunter Central- und Hafenverwaltung 1813790, Besoldungen und Unterstützungen 441519, Unterrichtsangelegenheiten 646313, Medizinal- und Hospitalwesen 869760, Besoldung der streitbaren Mannschaften 3615061, Verpflegung 835665, Bekleidung 1319700, Indienststellung der Schiffe 9110604, hydrogr.
Angelegenheiten 624243, Marineartillerie, Torpedowesen und elektrische Beleuchtung 6499760, Schiffbau 18300478, Fabriken und Admiralität 3381835, Miete und Unterhaltung der Gebäude und Bauausgaben 4280411, Kommandierungen 628000, verschiedene Ausgaben 1912703. Kursunterschiede bei den Ausgaben für den Hafen Sweaborg 82975, Bau des Hafens Kaiser Alexander II. (Libau) und des Docks in Wladiwostok 3000000, Ausgaben für Neubewaffnung der Flotte 729000, Ausgaben auf Rechnung des nächsten Jahres 174183 Rubel.
*Rußland. Für eine wirkliche Volkszählung (an Stelle der bisherigen polizeilichen Revisionen) im ganzen Reich werden umfangreiche Vorbereitungen getroffen; sie soll im J. 1897 überall an demselben Tage (28. Jan. a. St., d. i. 9. Febr. n. St.) stattfinden. Zur Deckung der Kosten sind nahezu 4 Mill. Rubel angewiesen, verteilt auf die J. 1896-98. Mit der Ausführung sind betraut eine Generalzählungskommission in Petersburg unter Vorsitz des Ministers des Innern und zahlreiche Provinzialzählungskommissionen in den
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Gouvernements und den Gebieten, sowie in deren Unterabteilungen, den Kreisen und Bezirken, wozu noch einige Specialzählungskommissionen für Städte wie Petersburg, Moskau, Warschau u. a. kommen. Der oberste Geschäftsleiter ist der Direktor des Statist. Centralkomitees, N. Trojnizkij. Die Zählung erfolgt nach Haushaltungen und Listen, wobei die in einer Haushaltung vorhandenen Personen auf eine Liste einzutragen sind. Neben Namen, Alter, Geschlecht u. s. w. ist bei jeder Person noch anzugeben: die Religion, die Muttersprache, ob des Lesens und Schreibens kundig oder nicht, die hauptsächlichsten körperlichen Gebrechen, wie blind, stumm, taubstumm, geisteskrank u. s. w. Abweichungen sind nur im Norden des Reichs, im Kaukasus, in Sibirien und Centralasien zugelassen.
Ackerbau, Viehzucht. Die Gesamternte aller Brotfrüchte betrug 1805:1500,57 Mill. Pud; davon kommen auf Roggen 39,2 Proz., aus Hafer 21,3, auf Gerste 10,6, auf Sommerweizen 11,9, auf Winterweizen 9, auf Hirse 2,9, auf Buchweizen 1,7, auf Mais 1,5, auf Erbsen 1,4, auf Dinkel 0,5. Mit Kartoffeln waren bebaut 1895: 2913953 Dessätinen, die eine Ernte von 132022570 Tschetwert ergaben. Mit Flachs waren bebaut 1894: 1346874 Dessätinen; die Ernte betrug 26544937 Pud Leinsamen und 26216819 Pud Flachs.
Mit Hanf waren bebaut 1894: 671743 Dessätinen (Ernte 17084 977 Pud Hanfsamen), mit Zuckerrüben 1895: 314785 Dessätinen (Ernte 32672714 Berkowez). Die Gesamtmenge des Viehs betrug 1891: 102658761 Stück, davon 18400986 Pferde, 28013552 Rinder, 42817633 Schafe, 10763343 Schweine, 4362TTTTT Kamele, 1683815 Ziegen und 543216 Renntiere. Für 1896 wird die Ernte auf Grund von Probedrusch berechnet auf Winterweizen 20,310, Sommer weizen 29,265, Roggen 117,619, Hafer 95,333, Gerste 31,105, Buchweizen 7,06, Hirse 11,884, Mais 2,906 und Erbsen 3,i56, zusammen 318,637 Mill. Tschetwert.
Bergbau und Hüttenwesen. An Eisen wurde gewonnen 1894 in 259 Hütten 80144420 Pud Guß eisen, 29568410 Pud Schmiedeeisen, 36502650 Pud Stahl, davon in 42 Hütten Finlands 1272215, 585438 und 112250 Pud. Für 1895 stellen sich die Zahlen auf 88784954 Pud Gußeisen, 28376068 Pud Schmiedeeisen und 35049546 Pud Stahl. Dazu kommt 1895 eine Einfuhr von 8106432 Guß eisen und 26330888 Pud Werkeisen. Letzteres als 39496332 Gußeisen gerechnet, ergiebt einen Gesamtbedarf R.s an Gußeisen von (1895) 136387718 Pud oder 1,14 Pud auf den Kopf der Bevölkerung. An Stein- und Braunkohlen wurden gewonnen 1894: 526784979 Pud, davon Steinkohlen im Donezgebiet 197561715 Pud;
an Naphtha (Rohpetroleum) 1894: 321 Mill. Pud, davon im Gouvernement Baku allein 298,33 Mill. Pud;
ferner 1894 an Kupfer 333382, an Zink 306216 Pud. Industrie, Handel und Verkehr. Die Fabrikthätigkeit gestaltete sich 1893 folgendermaßen: Gebiete Zahl der Fabriken Beschäftigte Arbeiter Wert der Produktion in 1000 Rubel Europäisches Rußland 19536 983110 1350625 Polen 4216 151340 230145 Finland 6649 55926 61420 Kaukasien 1468 22048 34338 Sibirien 698 10630 11216 Centralasien 423 5216 17020 ^[Additionslinie] Zusammen 32990 1228270 1704764 Dazu kommen noch 101619 Kleinbetriebe mit weniger als 1000 Rubel jährlichem Umsatz. 1895 waren 230 Zuckerfabriken thätig, die 38,14 Mill. Pud Zucker herstellten. - Die Einfuhr betrug 1894 ohne Edelmetalle 559,5 Mill. Rubel, die Ausfuhr 684,5 Mill. Die Einfuhr von Maschinen, Eisen und Eisenwaren aus Deutschland betrug in Millionen Mark: Maschinen u. s. w. 1890 1895 Maschinen und Instrumente 14,2 30,4 Klaviere 0,7 1,3 Astron.
Instrumente 2,7 5,5 Lokomotive 0,2 2,4 Gußeisenmaschinen 6,5 14,4 Schmiedeeisenmaschinen 1,3 2,2 Nähmaschinen 1,4 0,6 Eisen und Eisenwaren 21,7 33,7 Fabrik- u. Winkeleisen 0,9 2,9 Stabeisen 4,8 10,2 Platten und Bleche 3,0 6,0 Grobe Eisenwaren 7,7 9,1 Feine Eisenwaren 1,6 2,2 Die Einfuhr von Seide und Seidenwaren, Wolle und Wollwaren betrug in Millionen Mark: Seide u. Wolle 1890 1895 Seide und Seidenwaren 23,3 3,8 Rohseide 19,6 1,5 Wolle und Wollwaren 23,0 19,4 Schafwolle, roh 2,8 7,1 Gekämmte Wolle 9,3 3,8 Tuche und Zeuge, unbedruckt 2,9 2,8 Wollgarne 5,5 3,4 Eine Steigerung der Einfuhr von deutschen Waren nach Rußland hat sonst noch stattgefunden bei Häuten und Fellen (Steigerung gegen 1890 um 4,4 Mill. M.), bei Kupfer und Kupferwaren (2,7), Kurzwaren (0,9), Lederwaren (0,4), Büchern (2,5), bei Materialwaren (geschrotenes Getreide und Mehl 3,7) und Papierwaren (0,9). Gegen 1890 ist 1895 ein Rückgang der Ausfuhr zu verzeichnen bei Droguen, Erden, Erzen u. s. w. (Rückgang um 0,5 Mill. M.), Getreide (9.9), Hopfen (9,9), Kautschuk (1,2) und Kautschukwaren (0,9). N. hat besonders in Bezug auf Ausfuhr von Geflügel und Vieh nach Deutschland durch den Handelsvertrag Vorteile.
Über die Eisenbahnen s. Russische Eisenbahnen. Die Länge der Telegraphenlinien betrug 1894: 150551, der Leitungen 303914 Werst; der Telephonlinien 1893: 2997, der Leitungen 23042 Werst. Die Zahl der Postbureaus betrug 1894: 7084. Die Handelsflotte zählte 1896: 522 Dampfer und 2135 Segelschiffe mit zusammen 528988 t. Finanzen. Die ordentlichen Einnahmen und Ausgaben nach dem Budget von 1896: Einnahmen Mill. Rubel Direkte Steuern: Grundsteuer 48,0 Handelssteuer 43,4 Coupon- u. Rentensteuer 13,2 Indirekte Steuern: Getränke 284,3 Tabak 32,5 Zucker 42,3 Naphtha 19,1 Zündhölzer 7,5 Zölle 153,9 Stempel- und andere Gebühren 65,3 Regalien 76,0 Domänen u. Kapitalien 294,1 Ablösungszahlungen der Bauern 89,0 Rückzahlungen 63,9 Außerordentliche Einnahmen 7,2 ^[Additionslinie] Zusammen 1239,7 Ausgaben Mill. Rubel Staatsschulden 269,0 Höchste Regierungsbehörden 2,4 Heiliger Synod 17,5 Hof 13,0 Auswärtiges 4,7 Krieg 288,5 Marine 58,0 Finanzen 186,8 Ackerbau und Domänen 32,2 Inneres 90,0 Volksunterricht 24,9 Wegekommunikationen 196,4 Justiz 28,0 Reichskontrolle 6,0 Staatsgestüte 1,5 Außerordentliche Ausgaben 12,0 ^[Additionslinie] Zusammen 1230,9
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Die außerordentlichen Ausgaben (Eisenbahnbauten) waren 1896 auf 130,5 Mill. Rubel berechnet und sollten aus den Überschüssen der ordentlichen Einnahmen und aus den Kassenbeständen gedeckt werden. Die Staatsschuld beträgt 2128,8 Mill. Metall- und 2857,5 Mill. Kredit-, zusammen 6050,6 Mill. Kredit-Rubel. Ein Übergang zur Goldwährung (s. Währung) wird vorbereitet, und der neue Rubel soll dann auf 66 ⅔ Kopeken Gold normiert werden (d. i. 2,14 M. oder 2,67 Frs.).
Gold-, Silber- und Kupfermünzen wurden 1895 im Nennwert von 55346680 Rubel geprägt. Über Sparkassenwesen s. Sparkassen. Verwaltung. Neben den Ministerien bestand bis 1884 die Geheime Kanzlei des Kaisers, die vier Abteilungen umfaßte: für die Privatkorrespondenz, für die Redaktion der Gesetze und Nkase, für die hohe Polizei (dies war die gefürchtete Dritte Abteilung; sie wurde 1880 als Departement der Reichspolizei dem Ministerium des Innern zugeteilt), für die Anstalten der Kaiserin Maria Fedorowna.
Dazu kam noch eine Vittschriftenkommission. An Stelle der Geheimen Kanzlei ist 1885 die Eigene Kanzlei des Kaisers (Sobstvennaja Jego Imperatorskago Veličestva kanceljarija) getreten, der zugeteilt sind: das Komitee der Fürsorge für ausgediente Civilbeamte, die Bittschriftenkanzlei, das Staatssekretariat des Großfürstentums Finland. Endlich gehört noch dazu die Kanzlei für die Anstalten der Kaiserin Maria Fedorowna (der Gemahlin Kaiser Pauls). Sie bestehen aus Wohlthätigkeitsanstalten (Findelhäusern, Entbindungsanstalten, Krankenhäusern, Kinderasylen) und Lehranstalten (Mädcheninstitute, Mädchengymnasien, auch einige Knabeninstitute) in den beiden Hauptstädten und an andern Orten R.s.
Diese Institute wurden seinerzeit von der genannten Kaiserin Maria geleitet und zum Teil begründet, sowie nach ihrem Tode (1828) in einen besondern Verwaltungszweig zusammengefaßt, an dessen Spitze ein unmittelbar vom Kaiser ernannter Oberdirektor mit den Rechten eines Ministers steht, sowie unter dessen Vorsitz ein Vormundschaftsrat (bestehend aus vom Kaiser ernannten Ehrenvormündern; mit zwei Versammlungsorten: in Petersburg und in Moskau). Geschichte.
Mit der Berufung des Fürsten Lobanow-Rostowskij (s. d.), die der neue Zar Nikolaus II. im März 1895 vollzog, hat sich ein gewisser Systemwechsel in der auswärtigen Politik R.s gegenüber der von Alexander III. befolgten Tendenz geltend gemacht. Eine mildere, der Natur und Gedankenrichtung des jungen Herrschers entsprechende versöhnliche Auffassung gelangte unter Lobanows Leitung zum Durchbruch. Wie Nikolaus die harte und schroff zufassende Art des Vaters in der Orientpolitik schon im allgemeinen vermied, so gab er auch die von diesem beobachtete feindselige Haltung gegen den Fürsten Ferdinand von Bulgarien auf und erkannte ihn gegen gewisse Zugeständnisse an. Dem Einvernehmen mit Frankreich, an dem man freilich dem Dreibunde gegenüber festhielt, ward von russ. Seite mehr und mehr die aggressive Tendenz gegen Deutschland genommen, so daß diese Kombination, die unter Alexander III. die Situation beherrscht hatte, schließlich, wie verlautet, in der Festsetzung eines einfachen Defensivbündnisses ihren Abschluß gefunden haben dürfte. In ostasiat.
Dingen, besonders aber in der durch die furchtbaren Wirren in der Türkei neuerdings wieder aufgerollten orient. Frage ist bereits mehrfach ein Zusammengehen R.s mit den Dreibundsmächten und ein scharfer Gegensatz zu England, das Alexander III. durch möglichstes Beiseiteschieben aller trennenden Punkte für das russ.-franz. System zu gewinnen gesucht hatte, bemerkbar gewesen: ein Anzeichen, daß Nikolaus II. sein Hauptaugenmerk auf die Erweiterung der russ. Machtsphäre in Asien gerichtet hat, wo sich die russ. Diplomatie gegenüber ihren japan. und engl. Rivalen in Korea (s. d.) sowohl wie auch in China den entscheidenden Einfluß zu sichern wußte. Ein 1896 geschlossener russ.-chines. Vertrag, der offiziell allerdings noch in Abrede gestellt wird, gestattet Rußland, seine Sibirische Eisenbahn (s. d., Bd. 14) durch die chines. Mandschurei zu führen und giebt ihm für den Kriegsfall das Besatzungsrecht in drei Häfen, unter denen sich auch das wichtige Port-Arthur (s. d.) befindet. Am wurde die Krönung des Kaiserpaares mit größtem Glanze in Moskau (s. d.) vollzogen; doch trübte ein schwerer Unglücksfall, der bei dem Volksfeste auf dem Chodynkafelde am 30. Mai den Tod von mehrern Tausenden von Menschen herbeiführte, das Fest.
In der innern Politik nahmen die auf die Hebung der sittlichen und materiellen Wohlfahrt des Volks gerichteten Maßnahmen ihren Fortgang. Gegenüber den fremden Konfessionen und Nationalitäten beobachtet Nikolaus II. eine dauernde, vielleicht in der Zunahme begriffene freundliche Tendenz. Im ganzen aber gehören die ersten Regierungsjahre des jungen Zaren der auswärtigen Politik an. Im Sommer 1896 erfolgten die Besuche des Kaiserpaares an den durch Verwandtschaft oder Politik befreundeten Höfen.
Vom 27. bis 29. Aug. weilte dasselbe in Wien, wo die vollste Verständigung bezüglich der Orientwirren erzielt wurde. Ebenso herzlich war die Entrevue mit dem deutschen Kaiser in Breslau und Görlitz vom 5. bis 7. Sept. Obwohl der russ. Minister des Auswärtigen, Fürst Lobanow, auf der Rückreise am 31. Aug. plötzlich starb, wurde zwischen dem russischen und deutschen Kaiser ein enges Einvernehmen in der Politik der beiden Nachbarreiche für die Zukunft verabredet und festgelegt.
Vom 9. bis zum 20. Sept. weilte das Kaiserpaar in Dänemark. Von dort begaben sich der Zar und seine Gemahlin an den Hof von England, dann nach Frankreich, wo sie mit der überschwänglichsten Begeisterung empfangen wurden, und endlich nach Darmstadt, von wo sie nach Rußland zurückkehrten. Die kundgegebenen freundschaftlichen Beziehungen R.s zu den Mächten des Dreibunds erhielten neuerdings durch die Vermählung des Kronprinzen von Italien mit einer Tochter des Rußland eng befreundeten Fürsten von Montenegro eine Stärkung und erlitten auch durch einige zollpolit.
Differenzen mit Deutschland keine Trübung. Auch die im Jan. 1897 erfolgte Ernennung des Grasen Murawjew (s. d.) zum Leiter der auswärtigen Angelegenheiten, die in dreibundfeindlichen Kreisen mit besonderer Freude begrüßt wurde, da Murawjew als ein warmer Anhänger der russ.-franz. Entente gilt, dürfte in der friedlichen Tendenz der russ. Politik kaum eine Änderung hervorbringen. Neuere Litteratur. Jahrbuch der kaiserlich russ. Geographischen Gesellschaft (russisch, Petersb. 1891 fg.); Lanin, Russ. Zustände (deutsch, Bd. 1, Dresd. 1892);
Industries of Russia. By the Department of trade and manifacture (englisch von I. M. Crawford, 5 Bde., Petersb. 1893);
Vsja