Russische
[* 2]
Sprache.
[* 3] Dieselbe bildet mit dem
Serbischen,
Bulgarischen etc. den südöstlichen
Zweig des slawischen Sprachstammes
(s.
Slawische Sprachen), dessen wichtigstes
Glied
[* 4] sie ist. Wie ihr
Christentum, so erhielten die
Russen auch
ihr
Alphabet von Byzanz; doch erlitten die griechischen
Buchstaben bei dieser Verpflanzung manche Veränderungen, auch wurden
mehrere neue Zeichen eingeführt, um damit die der russischen
Sprache eigentümlichen
Laute auszudrücken. In seiner jetzigen
Gestalt besteht das russische
Alphabet aus 36
Buchstaben, von denen jedoch zwei nur Lesezeichen sind, welche
an einen
Konsonanten, der ein
Wort oder eine
Silbe abschließt, angehängt werden, um auszudrücken, ob derselbe weich oder
hart ausgesprochen werden soll.
Vokale gibt es 13, die in harte und weiche eingeteilt und häufig zu Diphthongen verbunden werden. Ihre Aussprache ist einem bedeutenden Wechsel unterworfen, je nachdem sie betont oder tonlos sind und am Anfang eines Wortes oder einer Silbe stehen oder nicht. So wird e am Anfang eines Wortes oder einer Silbe wie je ausgesprochen, wenn es unbetont ist oder ein Zischlaut oder flüssiger Konsonant darauf folgt, z. B. tschita-jete (ihr lest), jestj (es ist); außerdem aber wie e, z. B. in materi (der Mutter). An Konsonanten besitzt die die im Deutschen üblichen, mit Ausnahme des q, ferner ein weiches s, ein weiches sch (wie das französische j zu sprechen), ein tsch und den zusammengesetzten, aber mit Einem Zeichen geschriebenen Konsonanten schtsch.
Das russische
ch, wie das griechische Χ geschrieben, ist ein viel rauherer
Hauchlaut als das deutsche
(vgl. die »Schrifttafeln« bei
Artikel
Schrift). Wichtig für die Abwandlung ist die
Einteilung der
Konsonanten in harte, weiche
und flüssige. Die russischen
Substantiva haben drei
Geschlechter, wie im
Deutschen,
Griechischen etc. Bei ihrer
Beugung
[* 5] unterscheidet
man jetzt meistens drei
Deklinationen; früher nahm man nach dem Vorgang
Lomonossows vier
Deklinationen
an. Jede
Deklination hat besondere Endungen für die
Einzahl und
Mehrzahl, die in je sieben
Kasus zerfallen, wie in den andern
slawischen
Sprachen, nämlich den
Nominativ,
Genitiv,
Dativ,
Akkusativ,
Vokativ, Instrumental und Präpositional, der seinen
Namen
davon hat, daß er stets nur in
Verbindung mit einer
Präposition auftritt.
Der
Vokativ fällt meistens mit dem
Nominativ zusammen. An den Eigenschaftswörtern wird, wie in den andern slawischen und
den germanischen
Sprachen, eine vollere und eine abgekürzte Form unterschieden, die das
Prädikat ausdrückt (vgl. im
Deutschen
»ein guter Mann« neben »der
Mann ist gut«).
Beim russischen
Verbum gibt es drei
Konjugationen, jede derselben hat drei
Zeiten:
Präsens, Präteritum und
Futurum,
welch letzteres durch
Zusammensetzung mit einem Hilfszeitwort gebildet wird, ferner einen
Imperativ und einen
Infinitiv.
Einen Konjunktiv oder Potential hat die nicht; dagegen haben sehr viele Verba besondere Formen, um auszudrücken, ob eine Handlung als einmalig oder wiederholt gedacht wird. Besonders reich ist die an Wortableitungen;
selbst aus schon abgeleiteten Wörtern können immer wieder beliebige neue Ableitungen gebildet werden. So kann aus bez Boga (»ohne Gott«) das Adjektivum bezboshnui (»gottlos«) gebildet werden;
hieraus wird nun wieder bezbozhnik (»Atheist«);
aus diesem bezbozhnichat (»ein Atheist sein«);
daraus bezboznichestvo (»der Zustand des Atheistseins«);
daraus endlich das endlose Kompositum bezbozhnichestvovat (»in dem Zustand des Atheistseins sich befinden«).
Der
Accent ist (im
Gegensatz zum
Polnischen) ungemein schwankend und bildet eine Hauptschwierigkeit bei Erlernung der russischen
Sprache. Die Wortstellung ist ziemlich frei und der gesamte
Klang der
Sprache angenehm, wenn man sich an
die verhältnismäßig sehr häufigen
Zischlaute gewöhnt hat. Als Schriftsprache
existiert die eigentlich erst seit
Peter
d. Gr.; vorher hatte als solche das
Kirchenslawische gegolten, d. h. der slawische
Dialekt, in welchem die Slawenapostel
Cyrillus
und
Methodius ihre
Bibelübersetzung abgefaßt hatten, und der sich im liturgischen
Gebrauch fast unverändert
behauptete, während die Volkssprache
besonders durch die Berührung mit den
Tataren,
Polen, Litauern und
Deutschen bedeutende
Veränderungen erfuhr.
Als Schöpfer der jetzigen Schriftsprache
, die im wesentlichen der
Dialekt von
Moskau
[* 6] ist, gilt
Lomonossow, der sich auch um
ihre grammatische Erforschung und Festsetzung große
Verdienste erwarb; doch hat sie seit dem Aufblühen
der russischen
Litteratur im 19. Jahrh. noch vielfache
Bereicherung und
Veredelung erfahren. Übrigens teilt sich die in verschiedene
Mundarten. Die Hauptmundart, die eigentlich russische
oder großrussische, herrscht im ganzen mittlern Rußland, am reinsten
in
Moskau und den nächstliegenden
Gouvernements. Die kleinrussische
oder russinische
¶
Maßstab [* 8] 1:15.000.000 ¶
mehr
Mundart wird in ganz Südrußland gesprochen sowie in den daran angrenzenden Teilen Galiziens, wo sie Ruthenisch heißt, und
hat eine eigne Litteratur abgebildet (s. Kleinrussische Sprache und Litteratur). Die weißrussische
Mundart, die in dem größten
Teil von Litauen und einem Teil von Weißrußland gesprochen wird, bildete sich vorzüglich seit der Vereinigung
Litauens mit Polen und enthält daher viele polnische Idiotismen. In ihr sind das litauische Statut, die Archive und alle litauischen
Aktenstücke verfaßt.
Wichtige neuere Werke über die schrieben: Sresnewskij (»Ideen zur Geschichte der russischen
Sprache«, Petersb. 1850),
Lawrowskij
(Ȇber die Sprache der nordrussischen
Chroniken«, das. 1852),
Buslajew (»Historische Grammatik der russischen
Sprache«, 5. Aufl., Mosk. 1875, und »Über
den Unterricht in der vaterländischen Sprache«, 2. Aufl., das. 1867),
Kolossow (»Abriß einer Geschichte der Laute und Formen
der russischen
Sprache vom 11. bis 16. Jahrhundert«, Warsch. 1872); vgl. ferner die Schriften von Potebuja ^[richtig: Potebnja],
Grot (»Philologische Forschungen«),
Nekrassow (über das russische
Verbum) etc. Brauchbare Grammatiken für
Deutsche
[* 10] sind die von Alexejew (Petersb. 1872-76), Joel und Fuchs
[* 11] (6. Aufl., Frankf. 1881), kürzere von Pihlemann (9. Aufl.,
Reval
[* 12] 1885),
Golotusow (21. Aufl., das. 1888), Boltz (5. Aufl., Berl. 1884), Serno und Solowjewitsch (6. Aufl.,
Reval 1880), Mieskowski (Petersb. 1887) u. a.
Von Wörterbüchern sind außer Beryndas »Lexicon slaveno-russicum« (Kiew
[* 13] 1627, 2. Aufl. 1655) und Alexejews »Lexikon für
das Kirchenslawische« (Petersb. 1773) das von der Akademie (neue Ausg., das. 1843, 4 Bde.)
herausgegebene und das »Erklärende Wörterbuch der lebenden großrussischen
Sprache« (2. Ausg., Mosk. 1882) von W. Dahl hervorzuheben,
das auch die Provinzialidiome berücksichtigt.
Russisch deutsche Wörterbücher lieferten: Heym (neue Aufl., Leipz. 1835), Schmidt (das. 1815, zuletzt 1884), Oldekop (Petersb. 1825, 4 Bde.), Sokolow (das. 1834), Reiff (2. Aufl., das. 1875), Pawlowski (3. Aufl., Riga [* 14] 1886), Lenström (Sondersh. 1886), Booch, Frey u. Messer [* 15] (4. Aufl., Leipz. 1886, 2 Bde.), Zelechowski (Lemb. 1886, 2 Bde.), Nädler (Petersb. 1885 ff.), ein Konversations-Wörterbuch K. v. Jürgens (in »Meyers Sprachführern«, Leipz. 1888). Ein vorzügliches etymologisch-russisches Wörterbuch ist das (russisch-französische) von Reiff (Petersb. 1806, 2 Bde.).
Vgl. auch Böhtlingk, Beiträge zur russischen Grammatik (in den »Bulletins« der Petersburger Akademie, Bd. 8).