Russisch
-Centralasien
,
zusammenfassende Bezeichnung für die nachfolgenden Generalgouvernements und Gebiete in dem
zu
Rußland gehörigen
Teil
Asiens: das
Steppen-Generalgouvernement (umfassend die Gebiete
Akmolinsk, Semipalatinsk und Semirjetschensk),
das Generalgouvernement
Turkestan (umfassend die Gebiete
Syr-darja, Samarkand und Ferghana), die Gebiete
Uralsk,
Turgaj und
Transkaspien, zusammen 4011355,1 qkm mit 6355000 E.,
d. i. 1,5 auf 1 qkm. (Hierzu Karte: Russisch
-Centralasien
und
Turkestan.)
Die Kämpfe der Russen mit den Steppenvölkern R.s begannen erst nach der vollständigen Eroberung Sibiriens. Die seit dem Ende des 16. Jahrh. am Jaik (Ural) angesiedelten Kosaken hatten von dem als goldhaltig bezeichneten Lande Chowaresmien oder Chiwa am Aralsee gehört und unternahmen dorthin Raubzüge, die indessen unglücklich verliefen. Peter d. Gr. sandte 1717 ein Heer gegen Chiwa, welches siegreich in die Oase vordrang, aber durch Verrat bis auf den letzten Mann niedergemacht wurde.
Die Chiwinzen beunruhigten seitdem beständig die russ. Ansiedelungen am Ural und der Ostküste des Kaspisees und beraubten häufig Karawanen, die von Orenburg nach Turan und Turkestan zogen. Als dann 1824 die erste aus Rußland nach Buchara gesendete Karawane von ihnen überfallen wurde, entsendete Nikolaus I. 1839 den General Perowskij mit 4500 Mann, 22 Geschützen und einem ungeheuren Troß gegen Chiwa; doch fand dies Heer, dessen Ausrüstung 6½ Mill. Rubel gekostet hatte, durch Frost, Hunger und Krankheiten in der Steppe den Untergang, ohne mit dem Feinde in Berührung gekommen zu sein.
Gleichwohl bestimmte der brit. Einfluß den Chan von Chiwa dazu, Rußlands Forderungen zu erfüllen. Die Russen begannen nunmehr in der Kirgisensteppe eine Reihe von befestigten Plätzen anzulegen; so 1847 an der Mündung des Syr-darja in den Aralsee. Der weitern Ausdehnung [* 2] des russ. Einflusses suchte der Chan von Chiwa durch Anlegung eines Forts am Kuwan-darja, einem Nebenflusse des Syr-darja, Einhalt zu thun. Indessen unterwarfen sich 1847 auch die Kirgisen den Russen, welche ein Jahr zuvor in deren Gebiete die Festung [* 3] Kopal erbaut hatten. Hierdurch wurde der Chan von Kokan veranlaßt, am untern Syr-darja mehrere Forts anzulegen, von denen aus Einfälle in das russ. Grenzgebiet unternommen wurden. Die Russen eroberten ¶
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1850 die Festung Kosch-Kurgan und 1853 Ak-Metsched (das heutige Perowsk), so daß sie vier feste Punkte am Syr-darja besaßen. 1855 drangen dann die Russen von Kopal aus über den Ili nach Süden vor und siedelten in den fruchtbaren Thälern bis zum Thian-schan hin Kosaken an. Zum Schutze dieser Besitzungen gegen die Kokanzen wurden die Festungen Wjernoje und Kostek erbaut.
Durch diese Erfolge war das Selbstvertrauen der russ. Truppen bedeutend gestiegen. Der Generalgouverneur von Orenburg, General Besak, beschloß deshalb, das russ. Gebiet nach Süden hin auszudehnen. 1861 wurden die Festungen Tschulak und Jany-Kurgan und im Juli 1864 die Festung Aulije-Ata, Turkestan-Hazret, sodann Tschimkent am Syr-darja den Kokanzen abgenommen. Hiermit war ein fruchtbarer Landstrich gewonnen, welcher den Truppen reichliche Verpflegung gewährte.
Eine im Okt. 1864 von Oberst Tschernjajew versuchte Erstürmung von Taschkent schlug zwar fehl, doch wurden alle Versuche des Chans Atim-Kul, die festen Plätze wiederzugewinnen, zurückgeschlagen. Zu Anfang des J. 1865 wurde aus den eroberten Ländern am Syr-darja der turkestan. Grenzbezirk gebildet und die Feste Nias-Beg am Tschirtschik besetzt, ebenso die Festung Tschinas zum Schutze gegen Buchara, dessen Emir ein starkes Heer an der Grenze versammelte. Hierauf schritt man zum Angriff des wichtigen Handelsplatzes Taschkent (s. d.), das eingenommen wurde.
Atim-Kul war bei der Verteidigung gefallen; der Emir von Buchara, der sich des Chanats Kokan zu bemächtigen gedachte, richtete an General Tschernjajew die Aufforderung, Taschkent zu räumen. Daraufhin rückten die Russen im Frühjahr 1866 im Thale des Syr-darja vor und brachten 20. Mai dem buchar. Heere bei Irdschar eine entscheidende Niederlage bei, stürmten 24. Mai die Festung Chodschent und besetzten im Oktober die buchar. Festungen Ura-tjube und Dschisak, welche die Pässe des Kaschgar-Dawan nach dem Serafschanthale hin sichern.
Im Frühjahr 1867 fiel die letzte buchar. Festung südwestlich von Dschisak, Jany-Kurgan, in russ. Besitz; auch wurden zwei zur Wiedereroberung dieses Platzes vom Emir entsendete starke (45000 Mann) Heere zurückgeschlagen und mit dem Chan von Kokan Friede geschlossen. Nun wurde das im Thale des Syr-darja eroberte Gebiet einschließlich der Stadt Taschkent dem Russischen Reiche einverleibt und mit dem Gebiete Semirjetschensk zu einem neuen, von Orenburg unabhängigen Generalgouvernement Turkestan vereinigt.
Bei Taschkent, dem Sitze des Generalgouverneurs, wurde eine starke, nach europ. Art befestigte Citadelle erbaut und gleichzeitig eine starke Truppenmacht dort versammelt. Da die Bucharen noch immer Streifzüge in das russ. Gebiet unternahmen, führte General von Kauffmann im Frühjahr 1868 ein Heer in das Serafschanthal, besiegte 13. Mai das buchar. Heer vor den Thoren von Samarkand und besetzte am folgenden Tage diese wichtige Stadt ohne Schwertstreich. Der Emir sammelte ein neues Heer bei Katta-Kurgan, das 14. Juli ebenfalls geschlagen wurde. Jetzt erst schloß der Emir Frieden; er trat das von den Russen eroberte Gebiet ab und verpflichtete sich, sein Land dem russ. Handel zu erschließen.
Inzwischen hatten die Chiwinzen der russ. Macht zwischen dem Aral- und Kaspisee fortgesetzt Hindernisse bereitet und wiederholt Raubzüge in die Kirgisensteppe gemacht. Man legte Forts an der untern Emba, auf der Halbinsel Mangischlak und an den Ausgängen des Ust-Urt an, ohne diesem Treiben dadurch ein Ende zu machen. Nur von einem Zuge nach Chiwa ließ sich ein durchgreifender Erfolg erwarten, und im Nov. 1872 beschloß die russ. Regierung, einen solchen zu unternehmen.
General von Kauffmann wurde mit der Oberleitung betraut; er rückte von Dschisak und Kasalinsk an die Ostgrenze von Chiwa, während General Werewkin von Orenburg aus über den Embaposten nach dem Ust-Urt und dann längs des Westufers des Aralsees nach der Nordgrenze von Chiwa zog. Eine kaukas. Kolonne sollte teils von der Kinderlibucht her unter Oberst Lomakin sich mit der orenburgischen in der Nähe der Grenze Chiwas vereinigen, teils unter Oberst Markosow von Krasnowodsk her durch die Wüste direkt gegen die Oase vordringen. Alle drei Kolonnen sollten um Mitte Mai die Oase erreichen. Der Chan sandte zahlreiche Truppen an die bedrohte Grenze; man verschüttete die Brunnen [* 5] in der Wüste und führte die auf dem Amu-darja vorhandenen Fahrzeuge fort, um der turkestan. Kolonne den Übergang über den Strom zu erschweren. Der Vormarsch der russ. Kolonnen fand wie beabsichtigt statt; nur die Kolonne des Obersten Markosow mußte auf halbem Wege umkehren.
Die orenburg. Kolonne besetzte die Stadt Kungrad und vereinigte sich 12. Mai bei Chodschaili mit der von der Kinderlibucht abgerückten Kolonne. Hierauf drang General Werewkin 25. Mai unter beständigem Kampfe gegen die Stadt Chiwa vor. Die turkestan. Kolonne unter General von Kauffmann hatte außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden, bevor sie den Amu-darja erreichte. Die Kolonne marschierte von Schurachan auf dem rechten Ufer des Stroms bis unterhalb von Akamysch, beschoß ein auf dem jenseitigen Ufer befindliches feindliches Lager [* 6] und ging 18. bis 22. Mai über den Strom. Am folgenden Tage wurde die Festung Hesarasp genommen, und hier erreichte den Obergeneral die erste Nachricht von General Werewkin.
Dieser war 27. Mai bei Schatyr-tut von 3000 Chiwinzen angegriffen worden, hatte dieselben zurückgeschlagen und am folgenden Tage die Stadt Chiwa beschießen lassen; der Chan war geflüchtet und hatte dem General von Kauffmann seine Unterwerfung erklären lassen. Die fanatisierte Besatzung aber begann am 29. Mai morgens das Feuer, worauf General Werewkin die Stadt stürmen ließ. Nach Eroberung der Stadt wurde die Citadelle besetzt, und am 2. Juni schloß Seid-Rachim-Chan mit General von Kauffmann Frieden, zahlte Kriegskosten und trat alles Gebiet auf dem rechten Ufer des Amu-darja ab, willigte auch in die Abschaffung der Sklaverei. Der größte Teil des Gebietes wurde dem Emir von Buchara für sein freundliches Verhalten überwiesen, Rußland behielt nur ein kleines Stück Land unweit der Mündung und erbaute dort die Festung Petro-Alexandrowsk.
Auch für die Wissenschaft hatte dieser Feldzug Erfolge; das Chanat Chiwa wurde vollständig vermessen, der untere Lauf des Amu-darja erforscht, neue Handelswege erschlossen. Infolge einer 1875 in Kokan ausgebrochenen Revolution wurde durch Ukas vom das Chanat Kokan unter dem Namen Ferghana eine russ. Provinz.
Der Chan von Kaschgar hatte 1862-64 die chines. Behörden aus den Provinzen am ¶
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Thianschan vertrieben, und die Russen besetzten von Wjernoje aus das Gebiet von Kuldscha im Sommer 1871, während sich der Aufstand nach den westl. Provinzen des eigentlichen China [* 8] hin ausbreitete. Zu Ende des J. 1879 erst hatte China den Aufstand niedergeschlagen und verlangte nunmehr von der russ. Regierung die Räumung von Kuldscha. Im April 1882 übernahm China wieder die Verwaltung des von den Russen auf Grund eines Vertrags vom Jan. 1881 zurückerworbenen Gebietes.
Inzwischen war der südlichste Teil der russ. Besitzungen in Russisch
-Centralasien
fortgesetzt von den Tekke-Turkmenen, welche das Steppengebiet
zwischen Chiwa und Persien
[* 9] bewohnen, beunruhigt worden; durch das Treffen von Geok-tepe hatten
sie die russ. Truppen zum Rückzug nach dem Atrek genötigt, seitdem aber wiederholt Raubzüge gegen die russ. Ansiedelungen
am Ostufer des Kaspisees unternommen. Um diesem Zustande ein Ende zu machen, rüstete die russ. Regierung
im folgenden Jahre eine größere Expedition unter General Skobeljew aus. Am begann von Bami
aus der Vormarsch gegen Geok-tepe, welches am 14. Dez. erreicht wurde. Man richtete ein befestigtes Lager vor dem Platze ein und
häufte dort große Vorräte an, vermochte jedoch die heldenmütig verteidigte Festung erst durch Sturm zu nehmen.
Nun unterwarfen sich April 1881 die Tekke-Turkmenen der russ. Herrschaft; ihr Gebiet wurde mit dem Transkaspischen
Gebiet vereinigt und dem Generalgouverneur von Kaukasien unterstellt.
Am unterwarfen sich auch die Turkmenen von Merw der russ. Herrschaft: auch dieses Gebiet wurde zu dem Transkaspischen Gebiet geschlagen, und dadurch ist das unter der Oberhoheit Rußlands stehende Chanat von Chiwa ringsum von russ. Staatsgebiet eingeschlossen. Der Gouverneur des Transkaspischen Gebietes, General Komarow, schlug die Afghanen am Kuschkflusse. Am wurde Pendschdeh von den russ. Truppen besetzt und dort die russ. Verwaltung eingerichtet, und bis zum Schlusse des J. 1885 war durch eine russ.-engl. Militärkommission die neue Grenze in dem streitig gewesenen Gebiet abgesteckt worden, wobei Rußland alle Gebietsteile erlangte, auf deren Besitz es Anspruch erhoben hatte. 1891 erfolgte gleichwohl die Besetzung des Pamirgebietes durch die Russen. (S. Pamir [* 10] und Rußland [Geschichte].) In den J. 1880-88 wurde die Transkaspische Eisenbahn (s. d.) erbaut.
Vgl. Haymerle, Ultima Thule.
England und Rußland in Centralasien (Wien [* 11] 1885);
Lansdell, Russian Central Asia (2 Bde., Lond. 1885; deutsch von Wobeser, Lpz. 1885);
Stumm, Russia in Central Asia (Lond. 1885);
Jaworskij, In Afghanistan [* 12] und dem Chanat Buchara (deutsch, Jena [* 13] 1885);