Titel
Rumänien
[* 2] (hierzu
Karte »Rumänien
,
Bulgarien,
Serbien etc.«),
Königreich an der untern
Donau, aus der
Walachei (s. d.)
und
Moldau (s. d.), den sogen.
Donaufürstentümern, auf dem linken Donauufer, welche 1859-78 als
Fürstentum Rumänien
unter türkischer
Oberhoheit standen, und der
Dobrudscha auf dem rechten Donauufer bestehend, liegt zwischen 43° 38' bis 48° 50' nördl.
Br. und 22° 40'-29° 30' östl. L. v. Gr. und grenzt
im N. an das
Königreich
Ungarn
[* 3] und die
Bukowina, im O. an Rußland u. das
Schwarze Meer, im
S. an
Bulgarien, im
W.
an
Serbien.
[Physische Beschaffenheit.]
Die Moldau ist von einer von N. nach S. zwischen Sereth und Pruth ziehenden Parallelkette der Karpathen und von mehreren von NW. nach SO. gerichteten, zwischen den Flüssen Moldowa, Bistritza, Trotusch, Putna gelegenen Ausläufern des Hochgebirges erfüllt. Im N. der Walachei ziehen die Transsylvanischen Alpen (mit Bucsecs, 2519 m, Negoi, 2543 m, u. a.), deren Hauptkamm die Grenze gegen Siebenbürgen folgt, von O. nach W. und verzweigen sich dann in Ketten, welche eine südliche Richtung nehmen, um längs des mächtigen Donaustroms die fruchtbare Ebene zu bilden (tief gehende schwarze Erde in den Distrikten Romanatzi, Teleorman, Jalomitza mit der ausgedehnten Ebene von Baragan, Braila).
Betrachtet man von der Donau aus die Walachei, so türmt sie sich amphitheatralisch von der Ebene zum Hügelland, dem Sitz der Weinberge, und zum Hochgebirge auf. Die wichtigsten Pässe, welche aus der Walachei nach Siebenbürgen führen, sind von W. nach O. der Vulkanpaß (850 m), Roteturmpaß (360 m), Törzburger Paß [* 4] (240 m) und der Tömöspaß (1051 m), welchen die Eisenbahn Kronstadt-Predeal-Plojesti überschreitet; aus Siebenbürgen führt unter andern nach der Moldau der Ojtoczpaß (846 m). Der Hauptkamm des Gebirges im W. an der Donau ist durch kristallinischen Schiefer, nach O. zu abwechselnd durch Kalkstein-Sandstein und Konglomeratformationen gebildet. Die Ebene gehört tertiärer, das Donauthal quaternärer Bildung an. Mammutknochen werden in der walachischen Ebene, dieselben wie Dinotheriumknochen in der erwähnten Parallelkette der Karpathen in der Moldau gefunden. Vom Eisernen Thor bis unterhalb Silistria bildet die Donau die Südgrenze gegen Bulgarien; ihr nördliches Ufer ist flach und mit Sümpfen und Seen, den Überbleibseln früherer Strombetten, bedeckt. Ihr strömen aus der ¶
mehr
Walachei Shiul, Aluta, welche die Kleine Walachei von der Großen trennt, Ardschisch mit der Dimbowitza als Nebenfluß, Jalomitza, aus der Moldau der Sereth mit den Nebenflüssen Moldowa, Bistritza, Trotusch, Putna, Buzeo, Berlad, endlich der Pruth (mit dem Nebenfluß Schischia), Grenzfluß gegen Rußland, zu. Unterhalb Reni bildet die Donau die Grenze gegen Rußland. Die rumänische Tiefebene ist gegen die Lombardei, mit der sie manche Ähnlichkeit [* 6] hat, dadurch im Nachteil, daß sie den Nordostwinden schutzlos preisgegeben ist.
Daher zeigt das Klima
[* 7] auffallende Extreme und einen starken Wechsel von regnerischen und regenlosen Jahren, von harten nordischen
und gelinden südlichen Wintern. In Bukarest,
[* 8] das mit Bologna etwa unter gleicher Breite
[* 9] liegt und eine Jahrestemperatur
von 8° C. hat, steigt das Thermometer
[* 10] im Hochsommer bis auf 45°, um im Winter bisweilen auf -30° zu sinken. Das Klima der
Walachei ist im allgemeinen milder, die Moldau aber nicht selten vier Monate mit Schnee
[* 11] bedeckt. Im ganzen
gehört Rumänien
der Zone mit Regen zu allen Jahreszeiten
[* 12] an, doch fallen die meisten Regen im Herbst.
[Areal und Bevölkerung.]
hat einen Flächeninhalt von 131,357 qkm (nach andern nur 129,947 qkm = 2360 QM.) mit einer Bevölkerung [* 13] von 6,218,000 Seelen. Diese Zahl beruht auf amtlicher Schätzung; die letzte Volkszählung (1864) ergab eine Bevölkerung von 4,424,961 Seelen. Die Einwanderung ist viel stärker als die Auswanderung, die mittlere Volksdichtigkeit beträgt 47 Seelen auf 1 qkm. Das Verhältnis der männlichen Geburten zu den weiblichen stellt sich im Durchschnitt wie 1160 zu 1000, der Überschuß der Geburten schwankte in den Jahren 1883-86 zwischen 80-90,000 Seelen.
Mehr als drei Viertel der Bevölkerung gehören dem Bauernstand an. Nach der Nationalität zerfällt die Bevölkerung in: Rumänen (5½ Mill.), Juden (200,000), Zigeuner (200,000), Bulgaren (100,000), Ungarn (50,000), Deutsche [* 14] (50,000), Griechen und Armenier (je 15,000), außerdem Russen, Türken, Tataren, Italiener, Franzosen in geringerer Menge. Der Religion nach bekennt sich die große Mehrzahl zur griechisch-orthodoxen Kirche, außerdem gibt es, von Israeliten abgesehen, 128,000 Römisch-Katholische, 14,000 Protestanten, 8000 Armenier, 6000 Lipowaner und 2000 Mohammedaner (weiteres s. Rumänen).
Das Unterrichtswesen steht unter der Leitung des Ressortministers, eines ständigen Unterrichtsrats und eines jährlich zusammentretenden Generalrats. Die Schulen zerfallen in Primär- (Elementar-), Sekundär- (siebenklassige Lyceen, vierklassige Gymnasien und Fachschulen) und höhere Schulen (Fakultäten). Der Unterricht ist obligatorisch und durchaus unentgeltlich (seit 1864). Es bestanden 1888 in den Landgemeinden 2229 Schulen, in den Städten 276 Schulen; für den Sekundärunterricht bestehen 10 Lyceen, 21 Gymnasien, 8 Seminare und 15 Töchterschulen, für den Fachunterricht 5 Handels-, 8 Normal-, 12 Gewerbe-, 2 Musik- und 2 Kunstschulen; ferner eine höhere und 3 niedere landwirtschaftliche und eine Forstschule, eine Brücken- und Straßenbauschule, eine Veterinär-, eine pharmazeutische Schule und 3 Militärschulen. Universitäten sind 2 vorhanden, in Bukarest mit 5 (und einem physiologischen Institut) und Jassy mit 4 Fakultäten. Es bestehen außerdem eine rumänische Akademie der Wissenschaften und eine Geographische Gesellschaft.
[Landwirtschaft.]
Der Ackerbau befindet sich trotz der großen Fruchtbarkeit des Bodens auf verhältnismäßig niedriger Stufe. Die seit dem 16. Jahrh. bestehende Robotpflichtigkeit der Bauern ist 1864 aufgehoben, und die Bauern (406,898 Familien) haben seit 1880 die gesetzlich bestimmte Ablösung (107,247,852 Lei) den Grundbesitzern ausgezahlt, wofür sie Eigentümer des von ihnen besessenen Grund und Bodens (1½ Mill. Hektar) wurden. Seitdem sind noch 244,183 Hektar aus den ausgedehnten Staatsdomänen an 52,055 Bauernfamilien unter günstigen Bedingungen verkauft worden.
Überhaupt bildet der allmähliche Verkauf der Staatsländereien an Bauern seit 1878 den Hauptpunkt der rumänischen
innern Sozialpolitik. Neben den Bauernwirtschaften gibt es aber in Rumänien
viele ausgedehnte Güter des Staats und der Privatbesitzer
welche leider an Pachter mit kurzzeitigen (fünfjährigen) Kontrakten vergeben werden, die das Land nur mit Rücksicht auf
hohen Ertrag bewirtschaften. Die wichtigsten Bodenfrüchte sind Mais und Weizen (über ¾ des bebauten Bodens),
Roggen, Gerste,
[* 15] Hafer
[* 16] und Hirse.
[* 17] Die Ausfuhr von Getreide
[* 18] betrug 1884: 1,107,119 Ton., 1885: 1,538,874 T., 1886: 1,452,199 T. (83,63
Proz., resp. 85,63 Proz.,
85,18 Proz. der Gesamtausfuhr). Im J. 1886 wurden ausgeführt:
Mais | 743563 Ton. |
Weizen | 305075 " |
Gerste | 155556 " |
Roggen | 104115 " |
Hafer | 44285 " |
Hirse | 40056 " |
Ölhaltige Samen (Raps u. Leinsaat) | 78739 " |
Die Obstzucht nimmt mit jedem Jahr zu. Der Weinbau hat in der Walachei sehr viel von der Phylloxera gelitten. Der Weinexport betrug 1886: 4699 Ton. Seit der Übernahme der Verwaltung des Tabaksmonopols durch den Staat (1879) hat sich der Anbau des Tabaks ungemein gehoben; 1885 wurden auf 5609 Hektar 3,416,133 kg Tabak [* 19] gewonnen, und der Bruttoertrag des Monopols ist von 12 Mill. Lei (1872) auf 27½ Mill. Lei (1885) gestiegen. In der Viehzucht, [* 20] die noch auf niedriger Stufe steht, spielt das Rindvieh die wichtigste Rolle.
Der Bestand an Rindvieh wurde 1882 auf 2,557,381 Stück (darunter 111,913 Büffel), an Schweinen auf 1,053,403, an Schafen und Ziegen auf 4,759,366 Stück berechnet. Die Pferdezucht, [* 21] früher in der Moldau im großen betrieben, ist in Verfall geraten. Zum Export kommen vornehmlich Schweine [* 22] (nach Österreich-Ungarn) [* 23] und Rinder [* 24] (nach Italien [* 25] und der Türkei). [* 26] Die Bienenzucht [* 27] ist noch primitiv. Während die Zucht der Seidenwürmer fast ganz eingegangen ist, liefert die Fischerei, [* 28] besonders in der Donau, reiche Erträge, wenn ihr auch, wie der Jagd, von seiten der Gesetzgebung jeder Schutz mangelt. Die Waldungen bedecken etwa 2 Mill. Hektar und werden stark abgeholzt.
[Bergbau.]
Der Bergbau besteht in den reichen in den Karpathen gelegenen, dem Staat allein gehörenden Salzbergwerken (Ocna in der Moldau; Slanic, Doftana, Ocnele mare in der Walachei) und den zahlreichen ausgiebigen, zwischen Staat und Privatbesitzern sich teilenden Petroleumquellen. Die Salzbergwerke werden systematisch betrieben und ergaben 1862: 47,354 Ton., 1872: 75,191 T., 1882: 76,720 T., 1887: 82,946 T., wovon 51,528 T. dem inländischen Verbrauch und 31,418 T. zur Ausfuhr dienten.
Die reichsten Petroleumquellen befinden sich in den Kreisen Prahova, Dimbowitza, Bakau und Buzau und liefern jährlich über 30,000 T., wovon die Hälfte den einheimischen Bedarf deckt, die andre Hälfte zur Ausfuhr übrigbleibt. Außerdem gewinnt man Bernstein, [* 29] Braunkohlen, Marmor, Mühlsteine, [* 30] Kalksteine, Gips [* 31] etc. Ansehnlich ist die Zahl der Mineralquellen; die bekanntesten sind die Schwefelbäder von Puciossa (Distrikt Dimbowitza), die Moorbäder von Balta-Alba (Rimnik-Sarat), die Jodquellen in Lacu-Saratu ¶
mehr
(Braila) und in Slanik (Bakau), die reichen Arsenquellen von Caciulata (Rimnik-Valcei).
[Industrie und Handel.]
Abgesehen von der Hausindustrie, welche auf dem Land eine große Rolle spielt, befindet sich das Gewerbe noch in den rohesten Anfängen, und nur in wenigen Zweigen ist, zum Teil unter Protektion der Regierung, ein fabrikmäßiger Betrieb eingerichtet. Es gibt über 30 Bierbrauereien, welche jedoch für den Bedarf nicht ausreichen, eine Destillieranstalt (Turnu-Severin), mehrere Tabaks- und Zuckerfabriken, 2 Tuch-, eine Aktienpapierfabrik, je eine Gips-, Fayence-, Porzellan- und Zündholzfabrik.
Unter dem ist ein Gesetz erlassen, welches Industriellen, die mit einem Kapital von mindestens 50,000 Lei eine Fabrik anlegen und darin wenigstens 25 Arbeiter beschäftigen, große Privilegien einräumt, z. B. Steuerfreiheit auf 15 Jahre, zollfreie Einfuhr von Maschinen und Rohstoffen, Ermäßigung der Eisenbahnfrachten für ihre Erzeugnisse etc. Der Handel mit dem Ausland, welcher meist in den Händen von Fremden liegt, ging früher vornehmlich über Galatz und Braila nach dem Schwarzen Meer und von hier nach England und Frankreich; seit einigen Jahren wandte er sich mit Benutzung der Donauschiffahrt und der Eisenbahnen mehr Österreich-Ungarn und Deutschland [* 33] zu. Doch hat der Handelsverkehr mit Österreich-Ungarn seit Ablauf [* 34] des zehnjährigen Handelsvertrags und des dadurch entstandenen Zollkriegs sich vermindert.
Die Einfuhr aus Österreich-Ungarn ist von 120,7 Mill. Lei (1885) auf 53,4 Mill. Lei (1887) gesunken, desgleichen die Ausfuhr
dorthin von 83,8 Mill. auf 21,2 Mill. Lei. Im allgemeinen ist jedoch die Einfuhr Rumäniens
von 268,5 Mill. Lei (1885) auf
296,5 Mill. Lei (1886) und 314,6 Mill. Lei (1887), die Ausfuhr von 248 Mill. Lei (1885) auf 255,5 Mill.
Lei (1886) und 265,7 Mill. Lei (1887) gestiegen. Die Hauptgegenstände der Einfuhr waren 1886: Spinnstoffe und Gewebe
[* 35] 117 Mill.
Lei, Metalle und Metallwaren 53,8 Mill., Sattlerwaren 23,2 Mill.,
Kolonialwaren und Südfrüchte 17,6 Mill., Thon- und Glaswaren 13,4 Mill., Holz
[* 36] und Holzwaren 12 Mill. Lei;
zur Ausfuhr kamen vornehmlich Getreide und Mehl [* 37] 184,2 Mill. Lei, Südfrüchte und Gemüse 20,7 Mill., Getränke 12,8 Mill. Lei. An der Einfuhr waren 1887 Deutschland mit 90 Mill. Lei, Großbritannien [* 38] mit 86,8 Mill., Österreich-Ungarn mit 53,4 Mill., Frankreich mit 25 Mill. und Belgien [* 39] mit 16,6 Mill. Lei, an der Ausfuhr Großbritannien mit 154,2 Mill. Lei, Österreich-Ungarn mit 21,2 Mill., Frankreich mit 19,7 Mill., Italien mit 17,2 Mill., Belgien mit 15,7 Mill., Deutschland mit 8,8 Mill. Lei beteiligt. Aus Deutschland werden besonders Wollengewebe, Strumpfwaren, Tuch, Leder, Eisenbahnschienen, Bijouterien und Kurzwaren eingeführt. Die Schiffahrt konzentriert sich vornehmlich auf die Häfen Sulina, Braila, Galatz, Giurgewo und Constanza; 1884 liefen ein: 20,478 Schiffe [* 40] von 3,711,143 Ton., aus: 20,650 Schiffe von 3,678,849 T.
Das Staatseisenbahnnetz hat sich seit der Eröffnung der ersten Linie (Bukarest-Giurgewo, 78 km, 1869) immer mehr entwickelt und umfaßt (1888) 2601 km befahrene und 382 km im Bau begriffene Bahnen (zusammen 2983 km). Die letzte der Privatbahnen [* 41] (Itzkani-Roman-Jassy) ist letzthin verstaatlicht worden. Die Hauptbahnlinie durchschneidet das Land von Verciorova (an der Donau und der ungarischen Grenze) über Bukarest-Fokschani bis Itzkani-Roman (an der Bukowinaer Grenze).
Von der Hauptlinie geht bei Plojesti eine Linie über Predeal nach Siebenbürgen, von Bukarest eine nach Giurgewo (gegenüber Rustschuk, dem Anfangspunkt der bulgarischen Linie Rustschuk-Warna), eine andre nach Fetesci an der Donau, gegenüber Czernavoda (mit noch zu bauenden Donaubrücke) zum Anschluß an die nach dem am Schwarzen Meer gelegenen Hafenplatz Constanza führende Bahn. Nach Rußland führt die Bahn Jassy-Ungheni-Kischinew. Alle Distrikte haben jetzt ihre Bahnverbindungen mit der Hauptbahn, was für Entwickelung des Verkehrs von großer Wichtigkeit ist.
Der Frachtverkehr ist auf den rumänischen Eisenbahnen in den Jahren 1880-85 von 783,000 Ton. auf 1,589,000 T. gestiegen; der Personenverkehr beläuft sich auf 1 ⅓ Mill. Reisende. Auch gute Landstraßen sind neuerdings in den meisten Landesteilen gebaut und mehr als 40 Postrouten für Personenbeförderung eingerichtet worden; doch ist der Fahrpreis (0,90-1,20 Mk. für die deutsche Meile) teuer. Mit der Post wurden 1886: 18,8 Mill. Briefe und Postkarten und über ⅓ Mill. Pakete befördert;
es gab 188 Postbüreaus.
Die Länge der Telegraphenlinien betrug 1886: 5319 km. Die Münzeinheit in
Rumänien
bildet der Leu (»Löwe«) à 100 Bani (Para) = 1 Frank. Man prägt Goldmünzen zu 20 Lei und Silbermünzen zu 5, 2, 1 Leu und 50 Bani.
Seit 1880 ist das französische Maß- und Gewichtssystem allgemein eingeführt.
[Staatsverfassung und Verwaltung.]
Rumänien
bildet einen konstitutionellen Staat unter der erblichen Dynastie
des Königs Karl I. von Hohenzollern-Sigmaringen (seit 1866). Die Verfassung beruht auf der Konstitution von 1866, welche 1884 revidiert
wurde. Hiernach übt das Volk alle Staatsgewalten durch Delegation aus. Die Exekutive gehört dem König (rege), der mittels
seiner verantwortlichen Minister regiert. Die gesetzgebende Gewalt wird ausgeübt von dem König, dem Senat
(120 Mitglieder) und der Abgeordnetenkammer (183 Mitglieder), welche 27. Nov. jedes Jahrs zu einer dreimonatlichen regelmäßigen
Session zusammentreten.
Die Zentralverwaltung zerfällt in die acht Departements des Innern, des Kultus und des Unterrichts, der Justiz, der Finanzen, der Domänen (des Ackerbaues, Handels und der Industrie), der öffentlichen Arbeiten, des Kriegs und des Äußern. Hinsichtlich der innern Verwaltung zerfällt in 32 Distrikte oder Kreise, [* 42] 163 Bezirke oder Arrondissements u. 3070 Gemeinden, darunter 72 städtische. Dem Distrikt steht ein Präfekt, dem Bezirk ein Unterpräfekt und den Kommunen je ein Primar (Maire) vor.
Dem Präfekten zur Seite stehen ein zwölfgliederiger Distriktsrat und in dessen Abwesenheit ein dreigliederiger ständiger Ausschuß. An die Distriktsverwaltung reiht sich die Verwaltung der Kommunen, die in Stadt- und Landgemeinden zerfallen. Dem Primar steht zur Seite ein Gemeinderat, dessen Mitgliederzahl je nach der Einwohnerzahl zwischen 9 und 17 schwankt. Die Beschlüsse des Gemeinderats können teils selbständig ausgeführt werden, teils bedürfen sie der Zustimmung des ständigen Ausschusses und des Ministers des Innern (Budget etc.), teils auch der königlichen Genehmigung (Steuern etc.). Der Primar wird auf den Antrag des Ministers aus der Mitte der gewählten Gemeinderäte vom König ernannt; er ist zugleich Agent der Zentralverwaltung, leitet die Gemeindepolizei, in sechs Städten auch die Ortspolizei, redigiert die Wahllisten und besorgt die Führung der Standesregister und die Eintreibung der direkten Staatssteuern. - An der Spitze der herrschenden griechischen Kirche steht die heilige Synode, welcher die beiden Erzbischöfe und Metropoliten zu Bukarest und Jassy sowie sechs Bischöfe zu Rimnik, ¶
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Rumänien
[* 2] (Geschichte). Weil wichtige Angelegenheiten in der ordentlichen Sitzungsperiode der Kammern 1890 nicht erledigt worden waren, wurden dieselben nach Ostern zu einer außerordentlichen Session für Ende April berufen. Sie wurde 28. April vom Ministerpräsidenten Manu eröffnet. Der erste Verhandlungsgegenstand war der für Ausbau und Ausrüstung der Landesbefestigungen verlangte Kredit von 60 Mill. Lei, welcher in vier Raten bewilligt wurde; ebenso ein Kredit von 10 Mill. zu Zwecken der Heeresausrüstung.
Der Führer der Junimisten (s. d., Bd.
17), Carp, wies bei der Beratung (9. Mai) auf die wichtige Stellung Rumäniens in dem künftigen Entscheidungskampf
zwischen Osten und Westen, zwischen europäischer Kultur und orientalischer Barbarei hin, in welchem Rumänien
vor allem auf eine Sicherung
seiner offenen östlichen Grenze Bedacht nehmen müsse, während es im Westen durch hohe Gebirge geschützt sei. Das Gesetz über
die Reform des Richterstandes, welches die Unabsetzbarkeit der
richterlichen Beamten aussprach, erforderte
längere Beratungen, weswegen die Parlamentssession verlängert wurde, fand dann aber Annahme. Die 6proz. Eisenbahnobligationen
und Rubelschuldverschreibungen wurden in eine 4proz. Rente verwandelt. Die Einführung der Goldwährung wurde mit einer Bankreform
abgeschlossen, worauf die Kammern 22. Juni ihre Thätigkeit beendeten. Während der Session fand eine Vereinigung
sämtlicher liberaler Gruppen zu einer Partei unter Führung Demeter
[* 43] Bratianos, Joan Bratianos und M. Cogalniceanus statt, welche
dem Liberalismus in Rumänien
wieder Kraft
[* 44] und Aussicht auf Erfolg zu verleihen schien. Die im November 1890 stattfindenden Gemeinderatswahlen
fielen freilich noch zu ungunsten der Liberalen aus. Die Verhandlungen des Ministerpräsidenten Manu mit
den Junimisten über die Ergänzung des Ministeriums durch Carp und einige andre Mitglieder dieser Partei endeten mit einem
Kompromiß, wonach drei Junimisten in das Kabinett eintreten sollten. Die neue Tagung der Kammern wurde 28. Nov. vom König mit
einer Thronrede eröffnet, die vor allem die günstige Finanzlage, welche die Umwandlung der Staatsschuld
und die Aufhebung einzelner Steuern ermöglicht habe, hervorhob; das Budget für 1891 sei im Gleichgewicht
[* 45] aufgestellt und das
Rechnungsjahr 1890 habe einen Überschuß ergeben. Dennoch gelang es der Regierung nicht, eine feste, zuverlässige Mehrheit
in den Kammern zu behaupten. Im Senat erlangten die vereinigten Altkonservativen und Nationalliberalen bei
der Präsidentenwahl im Dezember für ihren Kandidaten Florescu die Mehrheit, und nur der Einfluß des Königs und ein rasch
beschlossenes Vertrauensvotum des Senats bewogen die Minister, nicht auf ihrem Rücktritt zu bestehen. Bei der Adreßdebatte
hielt in beiden Kammern die Regierungsmehrheit noch zusammen. Als aber der Senat beschloß,
die Beratung über den Gesetzentwurf betreffend den öffentlichen Unterricht auszusetzen, reichte das Ministerium seine Entlassung
ein. Der König nahm sie an und beauftragte den General Florescu mit der Bildung eines neuen Kabinetts, die unter Ausschluß
der Junimisten im Einverständnis mit der altkonservativen Gruppe Catargiu-Vernescu stattfand. Florescu übernahm den
Vorsitz, Catargiu das Innere, Vernescu die Finanzen und Lahovary den Krieg; es war also ein reines Bojarenministerium, dem die
Kammer am ersten Tage, 5. März, sofort mit 77 gegen 69 Stimmen ein Tadelsvotum erteilte. Darauf wurden die Kammern 6. März aufgelöst
und die Neuwahlen für Ende April ausgeschrieben.
Zur Litteratur: Zingeler, Die Hohenzollern
[* 46] in Rumänien
(Bonn
[* 47] 1890);
»Acte si documente privitoare la Istoria Renascerei Romaniei« (Bukar. 1888 ff., 7 Bde.);
Draghicénu, Geologische Übersichtskarte von Rumänien (mit Text, Berl. 1890);
»Das litterarische Rumänien« (Zeitschrift, seit 1889).
Rumänische Volkslieder sammelte H. Vacaresco (»Der Rhapsode der Dimbowitza«, deutsch von Carmen Sylva, Bonn 1889).