Ruhr
(Dysenteria), eine schwere, endemisch oder epidemisch herrschende
Krankheit, welche sich anatomisch als diphtheritische
Entzündung der Dickdarmschleimhaut charakterisiert.
Andre durch Sublimatgebrauch entstandene
Entzündungen des
Dickdarms können
zwar in ihren
Symptomen, besonders in Bezug auf die häufigen mit
Stuhlzwang verbundenen, auch wohl blutigen
Durchfälle, der
echten Ruhr
mehr oder weniger ähneln und werden dann als unechte Ruhr bezeichnet; sie unterscheiden sich aber
von der eigentlichen Ruhr
durch den Mangel einer nachweisbaren
Ansteckung.
Die Ruhr
steckt zwar nicht von
Person zu
Person an; dagegen ist es möglich, daß durch Darmentleerungen der Ruhr
kranken und
durch damit in Berührung gekommene Gegenstände die
Krankheit
übertragen werden kann. Die Ruhr
kommt besonders
häufig an
Orten vor, wo
Wechselfieber für gewöhnlich heimisch sind, und auch endemisch an andern
Orten, wie z. B. in gewissen
Gegenden
Frankreichs, welche im
Feldzug 1870/71 wiederholt schlimme Krankheitsherde bildeten, während die sonst unter ganz
gleichen Verhältnissen in benachbarten
Orten lagernden
Truppen von Ruhr
verschont blieben und erst ergriffen
wurden, wenn sie die
Quartiere des Seuchebezirks bezogen.
Außerdem begünstigt die Anhäufung vieler
Menschen auf verhältnismäßig engem
Raum, wenn zugleich ungünstige
Ernährungs-
und Witterungsverhältnisse, namentlich andauernde
Feuchtigkeit mit unvermeidlichen Durchnässungen, hinzukommen, das Entstehen
verheerender Ruhr
epidemien. Man hat auch große
Strapazen, den
Genuß unreifen
Obstes etc. als
Ursachen der
Ruhr
aufgeführt; doch scheint hierdurch nur die
Disposition zur Erkrankung geschaffen und eventuell gesteigert zu werden.
Ruhr - Ruhrkohlengebir

* 2
Seite 14.22.
Dem
Ausbruch der
Krankheit gehen zuweilen mehrere
Tage vorher Unregelmäßigkeiten in der
Verdauung, Appetitlosigkeit, leichte
Kolikschmerzen und
Neigung zu
Durchfall voraus.
In den meisten
Fällen beginnt die Ruhr
mit einem
Durchfall
unter mäßigem
Leibschmerz und fast ohne
Stuhlzwang. Je häufiger aber die
Durchfälle aufeinander folgen, um so heftiger und
anhaltender werden die kolikartigen
Schmerzen, welche einige Zeit
vor der Ausleerung beginnen und kurz vor dem
Eintritt derselben
eine quälende
Höhe erreichen. Die Entleerungen selbst sind von einem überaus peinigenden und schmerzhaften
Drängen auf den
Mastdarm begleitet, wozu sich häufig
Harnzwang gesellt. Es werden dabei immer nur geringe
Mengen nicht kotiger,
sondern schleimiger, hellgrau gefärbter
Massen (weiße Ruhr
) oder schleimig-blutiger
Massen (rote Ruhr
), zuweilen auch reines
Blut entleert.
Unmittelbar nach der Entleerung fühlt sich der Kranke
¶
mehr
erleichtert und hat nur Schmerz bei Druck auf den Leib; bald aber beginnt der Leibschmerz von neuem, es tritt wieder Stuhlzwang
und eine Entleerung ein. Dies wiederholt sich in 24 Stunden wohl 20-30mal. Im Verlauf der Krankheit gesellen sich allemal Fiebererscheinungen
hinzu. Selbst bei den leichtesten Graden der Ruhr
werden die Kranken durch den beträchtlichen Säfteverlust,
durch die Schmerzen und die Schlaflosigkeit sehr angegriffen; sie bekommen ein bleiches Ansehen, der anfangs volle Puls wird
klein, die Stimmung sehr niedergeschlagen, die Mattigkeit sehr groß; die Kranken erholen sich äußerst langsam.
Ausdehnung (der festen

* 3
Ausdehnung.
Bei den höhern Graden der Ruhr
, wo alle Symptome vom Unterleib her heftiger werden, ist der Puls sehr frequent
und wird bald klein. Das Allgemeinbefinden ist schwer gestört, es ist starkes Fieber, völlige Appetitlosigkeit, trockne
Zunge, höchste Entkräftung und mutlose Stimmung, oft auch Benommenheit der Sinne und leichtes Delirium vorhanden. Tritt hierbei
der Tod an Entkräftung ein, so findet sich die Schleimhaut des Dickdarms in großer Ausdehnung
[* 3] durch flache
diphtheritische Geschwüre zerstört, zuweilen brandig abgestorben und verschorft.
Die Milz ist geschwollen, Nieren und Leber zeigen jene sogen. parenchymatöse Trübung, die eine stete Begleiterin aller akuten ansteckenden Krankheiten ist. Geht die Krankheit in die chronische Form über, so hört das Fieber auf, es wechseln Durchfälle mit Verstopfung ab; zuweilen wird aber auch noch eine eiterige Flüssigkeit entleert, weil die Verschwärung der Darmschleimhaut fortschreitet. Die Kranken magern im höchsten Grad ab und gehen dabei nach monatelangem Siechtum, häufig unter Hinzutritt allgemeiner Wassersucht, zu Grunde.
Heilen endlich die auf der Darmschleimhaut entstandenen Substanzverluste, so leidet der Patient für den
Rest seines Lebens an habitueller Verstopfung und den mannigfachen lästigen Folgen derselben. In den heißen Ländern gesellen
sich zur Ruhr
häufig Leberabscesse, denen die Kranken erliegen. Die einzelnen Ruhr
epidemien sind nach ihrer Schwere verschieden;
in manchen Fällen erfordern sie nur wenige Opfer, in andern, namentlich bei lange kampierenden Heeren und
belagerten Städten, erreichen sie die Mortalität der schwersten Typhusepidemien, ja überschreiten dieselbe. Es ist wichtiger,
die Ruhr
zu verhüten, als sie zu behandeln, wenn sie einmal ausgebrochen ist.
Die von Ruhrkranken benutzten Gegenstände, namentlich Betten und Wäsche, dürfen unter keiner Bedingung von andern Personen gebraucht werden. Die Entleerungen von Ruhrkranken müssen in besondere Gruben geschüttet und mit einer Lösung von Eisenvitriol versetzt werden. Alle Schädlichkeiten, welche die Disposition für die Ruhr steigern, müssen sorgfältig vermieden und die geringsten Darmkatarrhe auf das genaueste überwacht werden. Die Diät muß eine besonders geregelte sein.
Darm

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Darm.Ist die Ruhr aber einmal ausgebrochen, und tritt sie dabei in milder Form auf, so ist zunächst der Darm [* 4] durch einen Löffel Rizinusöl oder etwas Tamarindendekokt von Zeit zu Zeit von seinen Kotmassen zu befreien. Der Kranke muß unbedingt das Bett [* 5] hüten, darf nichts Festes genießen, sondern muß sich von Suppen nähren. Ist der Patient kräftig und vollsaftig, so ist eine schleimige Wassersuppe das Beste; ist er aber schwächlich, so muß von vornherein für Erhaltung der Kräfte durch konzentrierte Fleischsuppen, Wein etc. gesorgt werden.
Die Applikation von warmen Umschlägen oder unter Umständen von Blutegeln auf den Leib und an den After leistet gegen die Schmerzen gute Dienste. [* 6] Klystiere von Stärkemehl mit Opium sind oft zu wiederholen. Wenn diese Behandlung nicht ausreicht, sowie bei schwereren Fällen der in welchen örtliche Blutentziehungen fast immer nötig werden, wird die innere Anwendung von Kalomel mit Opium oder von essigsaurem Blei [* 7] mit Opium sehr empfohlen. Bei den höchsten Graden der Ruhr bleibt in der Regel jede Behandlung erfolglos; man muß sich dann darauf beschränken, durch Chinin, Wein, Kampfer, Moschus den Kräfteverfall aufzuhalten. Gegen die chronische Ruhr sind, wenn der Stuhlzwang aufgehört hat, adstringierende Klystiere (mit Tannin, salpetersaurem Silber etc.) oder auch dieselben adstringierenden Mittel innerlich anzuwenden.