Rückert
,
Rom

* 7
Rom.Friedr., Dichter, geb. zu Schweinfurt, [* 2] erhielt seine Vorbildung auf dem dortigen Gymnasium und studierte seit 1805 in Würzburg, [* 3] 1808‒9 in Heidelberg [* 4] die Rechte, hauptsächlich aber Philologie, und habilitierte sich 1811 als Docent in Jena, [* 5] verließ jedoch bald Jena, privatisierte an verschiedenen Orten und wandte sich endlich nach Stuttgart, [* 6] wo er 1816‒17 an der Redaktion des «Morgenblattes» teilnahm. Den größten Teil des J. 1818 brachte er in Rom [* 7] zu, wo er unter anderm dem ital. Volksgesang Aufmerksamkeit widmete, ging im Herbst nach Wien, [* 8] 1820 nach Coburg, [* 9] vermählte sich 1821 mit Luise Wiethaus-Fischer (gest. und wurde 1826 Professor der orient. Sprachen an der Universität zu Erlangen. [* 10] 1841 ging er als Geh. Regierungsrat und Professor nach Berlin. [* 11] Doch schon im Sommer 1849 entsagte er seiner akademischen Thätigkeit und nahm seinen Wohnsitz auf seinem Gut Neuses bei Coburg, wo er seitdem poet. Arbeiten und orient.-wissenschaftlichen Bestrebungen oblag, bis er starb. 1890 wurde ihm in seiner Vaterstadt ein Denkmal (von Ruemann und Thiersch entworfen) errichtet.
Rückert
zählt unstreitig zu den begabtesten Dichtern des deutschen
Volks. Seine hervorragenden Eigenschaften
sind eine ungemeine Gedankenfülle und außerordentliche Sprachgewalt. Fast alle lyrischen Dichtungsarten sind von ihm mit
tiefer Einsicht in das Wesen jeder Form geübt worden; so der griech. Hendekasyllabus, der
altnordische allitterierende
Vers, das altdeutsche Reimpaar und die
Nibelungenstrophe, das deutsche
Volkslied, die zarten
und üppigen
Ghaselen des
Orients, die kunstreich geketteten
Terzinen und das
Sonett, ferner kleine Ritornelle,
Sicilianen,
Vierzeilen
und Distichen.
Kraft [unkorrigiert]
![Bild 60.671: Kraft [unkorrigiert] Bild 60.671: Kraft [unkorrigiert]](/meyers/thumb/60/60_0671.jpeg)
* 12
Kraft.Häufig ist es mehr die Phantasie und der Witz, die in seinen Gedichten ansprechen, als die Kraft [* 12] und Innigkeit des Gemüts. Am höchsten stehen R.s «Liebesfrühling» und anderes in dem ersten Bande der «Gesammelten Gedichte», z. B. die «Griech. Tageszeiten» und «Die sterbende Blume». Unschuldigsten Kinderton treffen seine anmutigen «Kindermärchen» (1817). In seinen spätern Poesien sind die Reflexion [* 13] und der lehrhafte Ton, die Sentenz, das Epigrammatische, das Gnomische vorherrschend.
Dennoch können sich nur wenige Dichter an Sinnigkeit, eigentlicher Schöpferkraft und Reichtum der
Anschauung
mit ihm messen. Als die bedeutendste unter seinen didaktischen
Poesien zeigt sich «Die Weisheit des
Brahmanen», eine umfangreiche
Reflexionsdichtung, die eine Fülle tiefsinniger
Gedanken und viele Schönheiten im einzelnen bietet, aber kein eigentliches
Ganzes bildet. Seine
Dramen sind nüchtern, gestalt- und farblos und genügen keiner Anforderung, die man an
das
Drama zu machen berechtigt ist. Als Übersetzer orient.
Dichtungen bleibt Rückert
unübertroffen. Er bekundet hier, wie überhaupt
in allen seinen
Dichtungen, eine Meisterschaft über die
Sprache,
[* 14] die für die formelle Fortbildung der deutschen
Sprache von
nachhaltigem Einfluß gewesen ist.
Seine dichterische Laufbahn begann Rückert
unter dem
Namen Freimund Raimar mit den
«Deutschen Gedichten» (Heidelb.
1814),
Banco - Banda

* 15
Band.die auch die mächtigen «Geharnischten Sonette» enthielten. Als zweiter Band [* 15] schloß sich an diese Sammlung der «Kranz der Zeit» (Stuttg. 1817) an, dem er seinen wirklichen Namen voransetzte, nachdem er vorher unter dem angenommenen «Napoleon. Polit. Komödie in drei Stücken» (ebd. 1816; das dritte Stück ist nicht erschienen) veröffentlicht hatte. Diesen folgte die Gedichtsammlung «Östl. Rosen» (Lpz. 1822). Seine zerstreuten Gedichte erschienen als «Gesammelte Gedichte» (6 Bde., Erlangen 1834‒38; 3 Bde., Frankf. 1843) und in einer Auswahl (Frankf. 1846 u. ö.). Früchte seiner orient. Studien waren die Übersetzungen von Harīris «Makamen» u. d. T. «Die Verwandlungen des Abu Seid» (2 Bde., Stuttg. 1826),
von der ind. Erzählung «Nal und Damajanti» (Frankf. 1828),
«Amrilkais, der Dichter und König» (Stuttg. 1843) und «Hamasa, oder die ältesten arab. Volkslieder» (2 Bde., ebd. 1846),
der Koran im Auszug übersetzt (hg. von A. Müller, Frankf. 1888). Auf den Orient weisen ferner hin: «Sieben Bücher morgenländ. Sagen und Geschichten» (2 Bde., Stuttg. 1837),
«Erbauliches und Beschauliches aus dem Morgenland» (2 Bde., Berl. 1836‒38),
«Rostem und Suhrab, eine Heldengeschichte» (Erlangen 1838),
«Brahmanische Erzählungen» (Lpz. 1839). Diesen reihten sich an das größere Lehrgedicht «Die Weisheit des Brahmanen» (6 Bde., Lpz. 1836‒39; 12. Aufl. in 1 Bde., 1886),
das «Leben Jesu. Evangelienharmonie in gebundener Rede» (Stuttg. und Tüb. 1839),
endlich die Dramen «Saul und David» (Erlangen 1843),
«Herodes der Große» (2 Bde., Stuttg. 1844),
Colombier (Flecken) -
![Bild 54.434: Colombier (Flecken) - Colombo (Stadt) [unkorrigiert] Bild 54.434: Colombier (Flecken) - Colombo (Stadt) [unkorrigiert]](/meyers/thumb/54/54_0434.jpeg)
* 16
Colombo.«Kaiser Heinrich Ⅳ.» (2 Bde., Frankf. 1844) und «Christofero Colombo» [* 16] (ebd. 1845). Seine letzte Gabe waren «Ein Dutzend Kampflieder für Schleswig-Holstein [* 17] von F–r» (Lpz. 1863). Nach dem Tode des Dichters erschienen aus seinem Nachlaß «Lieder und Sprüche» (Frankf. 1866) und «Aus Friedrich R.s Nachlaß» (Lpz. 1867; enthaltend Übertragungen des Theokrit, der «Vögel» [* 18] des Aristophanes und der «Sakuntala» des Kalidasa); ferner «Kindertotenlieder» (Frankf. 1872; neue Ausgabe u. d. T. «Leid und Lied», ebd. 1881),
die Übersetzung von Saadis Bostan (Lpz. 1882),
«Poet. Tagebuch 1850‒66» (Frankf. 1888),
«Firdosis Königsbuch» (Berl. 1890),
«Aus Saadis Diwan» (hg. von Bayer, ebd. 1893),
«Sadis polit. Gedichte» (ebd. 1894). Eine Gesamtausgabe der poet. Werke R.s (in 12 Bänden) erschien zu Frankfurt [* 19] a. M. 1868‒69; neue (Titel-) Ausgabe 1881‒82.
Vgl. Fortlage, Rückert
und seine Werke (Frankf. 1867);
C.
Beyer, F. Rückert.
Ein biogr.
Denkmal (ebd. 1868);
ders.,
Neue Mitteilungen über Rückert
und Kritische
Gänge und
Studien (2 Bde., Lpz. 1873);
ders., Nachgelassene Gedichte R.s und neue Beiträge zu dessen Leben und Schriften (Wien 1877);
ders., F. Rückert.
Ein Lebens- und Dichterbild.
Boxberger, Rückert
-Studien (Gotha
[* 20] 1878);
B.
Suphan, Friedr. Rückert
(Weim. 1888);
F. Muncker, Friedr. Rückert
(Bamb. 1890);
Voigt, R.s Gedankenlyrik (Annaberg [* 21] 1891);
F. Reuter, Die Erlanger Freunde F. Rückert
und J. Kopp in den J. 1834‒36 (Programm, 1893).