Rückenmark
sschwindsucht
(Rückenmark
sdarre,
Tabes dorsualis), die am häufigsten vorkommende
Krankheit des
Rückenmarks,
beruht anatomisch auf einem
Schwunde der Burdachschen oder Gollschen Rückenmark
sstränge und der hintern
Nervenwurzeln mit Umwandlung dieser Teile in eine erst weiche, graugelbe, dann feste, narbige
Masse. Die
Entartung schreitet
von unten nach
oben fort und kann auch auf die Seiten- und Vorderstränge übergehen. Die Rückenmark
sschwindsucht kommt häufiger
beim männlichen
Geschlecht als beim weiblichen vor. Am ausgebildetsten zeigt sich die
Krankheit bei jüngern
Männern.
Geschlechtliche Erschöpfungen und
Syphilis sind in vielen
Fällen unleugbare
Ursachen der Rückenmark
sschwindsucht, doch gewiß nicht die einzigen.
Vielmehr scheinen
Erkältungen, namentlich bei stark schwitzenden
Füßen, oft die
Ursache der
Krankheit zu sein. Nicht selten
folgt der
Schwund des
Rückenmarks auf eine stellenweise Verödung des
Gehirns
(Erweichung) insofern, als
diejenigen Nervenbahnen, welche zu jenem Gehirnherd als
Leitungsdrähte gehören, außer Thätigkeit gesetzt und nun ebenfalls
dem
Untergang geweiht sind.
Die Untersuchungen über diese höchst komplizierten Verhältnisse sind noch weit von einem Abschluß entfernt. Das erste Zeichen der ist eine eigentümliche Muskelunruhe, wegen deren der Kranke keine Stellung längere Zeit festhalten kann. Die Muskeln [* 2] ermüden leicht, aber wenn einmal die erste Ermüdung überwunden ist, so erscheint eine stärkere Anstrengung, z. B. ein weiterer Marsch, ganz wohl möglich und ist für den Kranken selbst wohlthuend. Ab und zu werden die Muskeln von einer gewissen Steifheit befallen; es stellt sich häufig das Gefühl von Eingeschlafensein eines Gliedes, besonders der Beine, ein.
Dazu gesellt sich ein Gefühl von Taubsein oder Schmerz in der Lendengegend, welches weiter nach oben fortschreitet, sowie ziehende und stechende Schmerzen in den untern Extremitäten. Bei männlichen Kranken ist der Geschlechtstrieb zu Anfang der Krankheit oft erhöht; später stellen sich ermattende Pollutionen und Impotenz ein. Objektiv wahrnehmbar wird die Krankheit zuerst durch die eigentümliche Unsicherheit der Beine, welche übrigens in dieser Zeit an grober Kraft [* 3] noch nichts verloren haben.
Sehr wertvoll ist das von Westphal beobachtete Kniephänomen, welches darin besteht, daß in sitzender Haltung des Kranken bei herabhängenden Beinen ein kurzer Schlag unterhalb der Kniescheibe nicht, wie bei gesunden Personen, eine schnellende Bewegung des Unterschenkels auslöst. Bald verlieren dann die Gelenke ihren festen Halt, beim Gehen werden die Füße vorgeschleudert, und die Kniee schnappen dabei nicht selten nach rückwärts. Das Stehen mit geschlossenen Füßen wird unmöglich.
Der Kranke muß die Beine spreizen. Im Liegen führt dagegen der Kranke jetzt noch alle Bewegungen ohne jede Störung aus. Mit zunehmender Krankheit wird ein rasches und fortgesetztes Gehen unmöglich. Es stellt sich nun ferner eine Abstumpfung des Gefühls in den Beinen ein, und mit diesem Verlust der Empfindlichkeit verbindet sich das Gefühl des Pelzigseins, des Ameisenlaufens, der Wärme [* 4] und Kälte, manchmal selbst wirklicher Schmerz in den Beinen. Die Entleerung der Harnblase wird schwieriger, der Mastdarm wird unempfindlich gegen die in demselben angehäuften Kotmassen, die Stuhlentleerung ist sehr erschwert.
Die Fortschritte in der Krankheit treten nun teils in der Weise ein, daß die Schwäche der schon befallenen Teile wächst und mehr und mehr der vollkommenen Lähmung sich nähert, teils in der Art, daß Schwäche und Lähmung sich auf weitere, bisher gesunde Teile ausbreiten. Vielfach kommt Behinderung der Augenbewegungen, Schielen, [* 5] Doppeltsehen, endlich Schwachsichtigkeit dazu. Jetzt geht auch die Ernährung des Körpers und das Allgemeinbefinden sehr zurück, der Kranke liegt sich am Kreuzbein, den Schenkelknorren etc. auf, auch andre Organe (besonders Lunge, [* 6] Harnblase und Gelenke, Arthropathia tabidorum) erkranken.
Meist entwickelt sich die Rückenmark
sschwindsucht unaufhaltsam. Weibliche Kranke scheinen einige Aussicht auf
Heilung zu haben, während
Männer
nach 2-3, oft auch erst nach 10 und mehr
Jahren stets an der Rückenmarksschwindsucht
zu
Grunde gehen. Vorübergehende Besserungen,
unter Umständen sogar ein zeitweiser Stillstand der Erkrankung wird erreicht durch
Badekuren in
Gastein, Rehme,
Wildbad und
ebenso durch die örtliche Anwendung der
Elektrizität.
[* 7] Von dem
Gebrauch innerer, medikamentöser
Mittel ist wenig
zu erwarten. Doch sind die zuweilen äußerst heftigen
Schmerzen und die
Schlaflosigkeit mit narkotischen
Mitteln zu bekämpfen.
Im Anfangsstadium haben
Westphal und Langenbuch von der Dehnung beider
Hüftnerven gute Erfolge gesehen.