Rückenmark
(Medulla spinalis), bei den
Wirbeltieren die im knöchernen
Kanal
[* 2] der
Wirbelsäule gelegene Fortsetzung des
Gehirns, die mit diesem zusammen das Zentralnervensystem bildet. Während es bei den niedern
Wirbeltieren
das
Gehirn
[* 3] an
Masse weit übertrifft, bleibt es bei den höhern hinter demselben ebensosehr zurück. Da die von ihm ausgehenden
Nerven
[* 4] um so stärker sind, je größer der von ihnen zu versorgende Körperteil wird, so sind bei allen, mit Ausnahme
der
Fische,
[* 5] die
Nerven für die vier Extremitäten besonders umfangreich, und daher schwillt auch das sonst
gleichmäßige in der
Brust- und Lendengegend bedeutend an. Gewöhnlich erstreckt sich das Rückenmark
durch alle
Wirbel hindurch, doch
endigt es auch mitunter
(Amphibien, manche
Säugetiere) schon früher, und dann laufen die für die weiter nach hinten gelegenen
Teile bestimmten
Nerven eine Zeitlang im
Wirbelkanal nebeneinander her (sogen. Pferdeschweif, cauda equina).
Die
Ganglienzellen
[* 6] liegen im Innern des Rückenmarks
und bilden eine rundliche, graue
Masse mit zwei nach
oben und zwei nach
unten gehenden Fortsätzen oder
Hörnern, von denen die
Nerven (s. unten) entspringen; der Rest wird von weißen
Nervenfasern
eingenommen. Die
Verbindung derselben mit den Ganglienzellen ist noch nicht genau bekannt, indessen weiß man doch so viel,
daß die von den
Nerven aus in das Rückenmark
eintretenden
Fasern teils auf derselben Seite, teils erst nach Hinübertritt auf die
andre Seite in Ganglienzellen enden oder bis zum
Gehirn verlaufen. Da das Rückenmark
gleich dem
Gehirn beim
Embryo
als eine von der
Haut
[* 7] aus sich bildende Rinne entsteht, die sich erst allmählich zu einem
Rohr schließt, so bleibt im Innern
desselben ein Hohlraum, der Zentralkanal, dessen Wandung mit Flimmerzellen ausgekleidet ist.
Beim
Menschen (s. Tafel
»Nerven«
I,
[* 1]
Fig. 3; II,
[* 1]
Fig. 5) bildet das Rückenmark
einen
Strang von der
Dicke eines kleinen
Fingers, der nach
oben zu in das
verlängerte Mark (s.
Gehirn, S. 2) übergeht u. nach unten
schon in der
Höhe des ersten
Lendenwirbels endet. Die drei das Rückenmark
umgebenden
Häute sind die Fortsetzungen der drei Hirnhäute
(s.
Gehirn, S. 2) und heißen daher, von außen nach innen gerechnet, die harte Rückenmark
shaut
(dura mater
spinalis), die
Spinnwebenhaut (arachnoidea spinalis) und die weiche Rückenmark
shaut
(pia mater spinalis).
Der
Raum zwischen den beiden letztern ist mit
Lymphe erfüllt. Die
Gefäße zur
Ernährung des Rückenmarks
stammen von der vordern
Spinalarterie, lösen sich im R. selbst in
Geflechte und Kapillarnetze auf und gehen in die zwei Spinalvenen
über. Die vom Rückenmark
entspringenden
Nerven
(Spinalnerven) haben ganz allgemein je zwei
Wurzeln, eine obere (beim
Menschen hintere)
und eine untere (vordere).
Letztere, deren
Fasern zu den
Muskeln
[* 8] verlaufen
und sie zu
Bewegungen veranlassen, heißen auch
motorische, erstere, weil sie zur Vermittelung der
Reize dienen, sensible.
Beide
Wurzeln jedes Nervs vereinigen sich kurz nach dem
Austritt aus dem
Wirbelkanal, zuvor jedoch schwillt die sensible zu
einem kleinen
Ganglion an. Im weitern Verlauf des Nervs gehen beiderlei
Fasern bis in das zu versorgende Gebiet hinein zusammen
und trennen sich erst nach ihrer Bestimmung. Auch mit dem sympathischen
Nervensystem verbinden sie sich
in besonderer
Weise (s.
Sympathikus).
Beim
Menschen unterscheidet man 31
Paar
Nerven; diejenigen für die
Arme und
Beine verzweigen
sich zu starken
Geflechten (s. Tafel
»Nerven II«,
[* 9] Fig. 4). Was die physiologischen Leistungen des Rückenmarks
betrifft,
so wirkt dasselbe nicht nur als Vermittler zwischen
Gehirn und
Rückenmarksnerven, sondern ist auch bis zu einem gewissen
Grad
ein selbständiges
Zentralorgan.
Wird bei einem geköpften Frosch [* 10] die Haut z. B. mittels sehr verdünnter Schwefelsäure [* 11] gereizt, so beginnt das Tier alsbald die betupfte Stelle derartig mit seinen Gliedmaßen zu bestreichen, daß es gar keinem Zweifel Unterliegen kann, daß diese Bewegungen einen bestimmten Zweck, nämlich Entfernung der reizenden Substanz, im Auge [* 12] haben. Welche Stelle der Haut man auch betupft, stets werden die Bewegungen einen durchaus geordneten Eindruck machen und sich entweder auf Abwehr der Reize oder auf Fluchtversuche erstrecken. Die Bewegungen erfolgen mit einer solchen Gesetzmäßigkeit, daß Pflüger sie auf die Existenz einer besondern »Rückenmarksseele« zurückgeführt hat; hierbei übersah er aber, daß an geköpften Tieren spontane Bewegungen, aus deren Vorkommen wir allein auf das ¶
mehr
Vorhandensein einer Seele zu schließen berechtigt sind, durchaus nicht wahrgenommen werden, und daß nicht die geringste
Erscheinung für ein im R. wirkendes Bewußtsein spricht. Geregelte Bewegungen der beschriebenen Art, welche ohne Vermittelung
des Bewußtseins zu stande kommen, bezeichnet man als geordnete Reflexe. Entfernt man nicht allein das Gehirn, sondern zerstört
man auch das Rückenmark
, so werden keine Reflexbewegungen mehr beobachtet. In genau derselben Weise ist auch bei den Säugetieren das
Rückenmark
selbständig thätig.
Neben zahlreichen andern Bewegungserscheinungen wurden nämlich am abgetrennten Lendenmark noch zahlreiche Reflexakte, welche zum Begattungsakt (Erektion und Ejakulation), zur Geburt (Wehen) und zur Entfernung der Exkremente dienen, wahrgenommen. Im R. konnten außerdem vasomotorische Zentren, welche die Wandungen der Blutgefäße dauernd in einem mäßigen Kontraktionszustand (Gefäßtonus) halten, nachgewiesen werden, ferner Schweißzentren und automatische Apparate.
Was die Leitungsbahnen des Rückenmarks
betrifft, so sind wir von einem genügenden Einblick in die außerordentlich verwickelte
Anordnung derselben noch weit entfernt. Man unterscheidet zwischen langen (zur Verbindung nervöser Zentren
des Gehirns und des verlängerten Marks mit solchen des Rückenmarks
) und kurzen Bahnen (zur Verbindung verschiedener Teile des
Rückenmarks
untereinander oder des Rückenmarks mit peripheren Organen). Die motorische Leitung erfolgt hauptsächlich durch
die sogen. Pyramidenbahnen; diese kommen vom Gehirn her, treten durch die Pyramidenkreuzung in das ein
und erfahren hier keine weitere Kreuzung. Hinsichtlich der Lage der sensibeln Bahnen sind die Angaben noch widersprechend. Vasomotorische
Bahnen liegen hauptsächlich in den Seitensträngen und sind besonders am Halsteil des Rückenmarks
nachgewiesen. Auch
die Leitung für koordinierte Bewegungen scheint in den Seitengängen ihren Sitz zu haben.