Rouher
(spr. ru-är), Eugène, franz. Staatsmann, geb. zu Riom, studierte die Rechte in Paris [* 2] und ward Advokat zu Riom, wo er nach dem Tod seines ältesten Bruders dessen einträgliche Praxis übernahm. 1848 in seiner Heimat zum Mitglied der Nationalversammlung gewählt, gehörte er anfangs zur republikanischen Partei, ging aber bald zur Rechten über, wurde dann Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung, in der er sich dem Prinzen Ludwig Napoleon anschloß, und zum Justizminister und Präsidenten des Kabinetts ernannt. Am zurückgetreten, übernahm er nach dem Staatsstreich wieder dasselbe Portefeuille, legte es aber wegen des Konfiskationsdekrets gegen die Orléans [* 3] nieder und wurde zum Präsidenten des Staatsrats ernannt.
Vom bis verwaltete er das
Ministerium des
Handels, des
Ackerbaues und der öffentlichen
Arbeiten mit großem
Geschick und Erfolg; er führte das Freihandelssystem
Napoleons III. durch und schloß den berühmten Handelsvertrag mit
England.
Nach
Billaults
Tod ward er
Staats- (Sprech-) minister und behauptete sich in dieser
Stellung bis 1870. Stets
bereit, den
Ausfällen der
Opposition wider die Regierungspolitik im
Gesetzgebenden
Körper zu begegnen, zeigte sich Rouher
als gewandten
und in der
Kunst rhetorischer
Dialektik erfahrenen Redner.
Indem er allen Wendungen der Napoleonischen Politik behend folgte und sich nie scheute, das zu verteidigen, was er kurz vorher mit seinem bekannten »Jamais« für völlig unmöglich erklärt, und das zu bekämpfen, was er früher gebilligt hatte, behauptete er bei Napoleon III. einen so maßgebenden Einfluß und machte sich durch seine Kunst, auch die bedenklichsten Akte des zweiten Kaiserreichs mit eiserner Stirn als erhabenste Weisheit zu preisen, so unentbehrlich in den Tuilerien, daß ihn Ollivier den »Vizekaiser« nannte. Sein Name war freilich so wenig geachtet, daß er die neue liberale Ära, die 1869 begann, nicht einleiten konnte; er legte sein Amt im Januar 1870 nieder, ward aber zum Präsidenten des Senats ernannt und behielt seinen Einfluß. An der Spitze des Senats hielt er in St.-Cloud an den Kaiser eine höchst kriegerische Rede. - Nach dem 4. Sept. begab er sich ins Ausland und ward erst in Corsica [* 4] zum Mitglied der Nationalversammlung gewählt. Er trat offen an die Spitze der kleinen bonapartistischen Partei, hatte 22. Mai Mut, das zweite Kaiserreich inmitten einer feindlichen Kammer gegen die Angriffe Audiffret-Pasquiers zu verteidigen, und nahm an den monarchistischen Reaktionsbestrebungen bedeutenden Anteil. Er vertrat das Interesse des kaiserlichen Prinzen mit Geschick und nicht ohne Erfolg. Dessen früher Tod 1879 bewog ihn, von der Leitung der bonapartistischen Partei zurückzutreten. Seit 1876 Mitglied der Deputiertenkammer, starb er in Paris. ¶