Titel
Römische
Litteratur.
Man kann die Geschichte der römischen Litteratur
in fünf
Perioden einteilen. In der ersten,
von
Erbauung
Roms bis auf
Livius Andronicus, 240
v. Chr., kann von einer eigentlichen Litteratur
noch nicht
die
Rede sein. Einige religiöse und andre
Lieder, die dem spätern
Rom
[* 3] schon unverständlich waren, spärliche und rohe dramatische
Versuche, Bruchstücke von
Gesetzen und
Inschriften etc. sind die einzigen
Denkmäler dieser
Periode, von denen wir etwas
wissen.
Die zweite
Periode beginnt mit
Livius Andronicus, einem latinisierten Griechen, welcher mit seinen
Übertragungen griechischer
Dramen und der Homerischen
»Odyssee« die
griechische Litteratur in
Rom einführte und den ersten Anstoß zur
Entwickelung einer
sich ganz an die griechischen
Muster anschließende Kunstpoesie gab. Die vielfachen Berührungen mit den Griechen, welche
die Folgezeit mit sich brachte, ließen griechische
Bildung trotz manches
Widerstandes patriotischer
Römer
[* 4] immer mehr in
Rom
Platz greifen, und selbst ein solcher Gegner alles griechischen
Wesens wie der alte
Cato, der Begründer der römischen
Prosa,
vermochte sich dem Einfluß der griechischen Litteratur
nicht mehr zu entziehen.
Während die
Prosa römischen
Staatsmännern vorwiegend ihre Weiterbildung verdankt, sind die Hauptvertreter
der
Poesie dieses
Zeitalters durchaus Nichtrömer. Zur selbständigen
Entwickelung gelangte nur eine den Griechen nicht entlehnte
Dichtgattung, die
Satire. Die Dauer dieser
Periode reicht bis zum
Tod
Sullas (78
v. Chr.); es ist die
Periode der beginnenden
Blüte.
[* 5] Die dritte
Periode, gewöhnlich das
»goldene Zeitalter« der römischen Litteratur
genannt, reicht bis zum
Tode des
Augustus (14
n. Chr.). Die
Ausbildung der
Sprache
[* 6] erscheint vollendet, griechische
Muster sind durchaus der
Maßstab
[* 7] für
die
Darstellung geworden.
Überhaupt wird das ganze römische
Leben von griechischer
Bildung durchdrungen. Von Griechen wurde der junge
Römer erzogen,
und nach
Griechenland
[* 8] zog er, um seine
Bildung zu vollenden. Doch konnte sich der römische
Charakter, der
sich besonders in der
Richtung auf das
Praktische zeigte, auch hier nicht ganz verleugnen: die eigentliche
Spekulation, wie
sie in der griechischen
Philosophie hervortritt, fand bei den
Römern wenig Beifall;
dagegen bildeten sie alles mit Vorliebe weiter, was auf das Leben unmittelbar Einfluß hatte, besonders was die politische Thätigkeit unterstützte und förderte.
Daher sorgsames
Studium der
Dialektik und ihre Anwendung auf die
Beredsamkeit und
Pflege der
Ethik in den das öffentliche
und Privatleben unmittelbar berührenden
Fragen. Mit der
Beredsamkeit, welche in dieser
Periode unter
Cicero
ihren Kulminationspunkt erreichte, erhob sich auch die Geschichtschreibung, nach griechischen
Mustern gebildet oder genährt.
Auf dem Gebiet der
Poesie trat das
Drama, das in der vorigen
Periode eine
Reihe von Vertretern gehabt hatte, immer mehr zurück;
dagegen fand namentlich im Augusteischen
Zeitalter das
Epos, das heroische wie das didaktische, vielseitige
Pflege, und die römische
Lyrik bildete sich eigentlich erst jetzt aus.
Die
Sprache erreichte in dieser
Periode ihre höchste
Ausbildung. Die vierte
Periode oder das »silberne
Zeitalter« beginnt mit
dem
Tode des
Augustus und dauert ungefähr bis zum Anfang der
Regierung des
Hadrian (von 14-117). Daß in
diesem Zeitraum die
Litteratur
ihrem
Verfall entgegenging, darf nicht wundernehmen bei der überhandnehmenden Sittenverderbnis, dem Hereinfluten
fremdländischer
Elemente und der despotischen Regierungsweise einzelner
Kaiser. Die
Anstellung öffentlicher
Lehrer konnte den
Verfall der
Sprache und Litteratur
nicht hindern.
Dichtkunst und Dichter sanken immer mehr in ihrem Ansehen; Gelehrsamkeit und rhetorischer Schmuck herrschten vor, Originalität fehlte meist, man begnügte sich mit Nachahmung klassischer Muster. Nur die Satire war noch originell und geißelte, wenn auch mit mehr rhetorischem als sittlichem Ingrimm, den Verfall der Sitte im öffentlichen und Privatleben. Besser als um die Poesie stand es um die Beredsamkeit, obgleich natürlich mit der Freiheit auch ihr das eigentliche Lebensmark genommen war.
Sie blieb auch in diesem Zeitraum noch Hauptbeschäftigung der
Römer, weil sie Einfluß und
Ehre verlieh und, wenigstens die
gerichtliche, auch erträglich war. In der
Rede herrschten nicht mehr die
Kraft
[* 9] und Einfachheit der frühern Zeit;
Schwulst
und leeres Wortgepränge sollten ersetzen, was dem
Inhalt an
Wahrheit und
Wärme
[* 10] abging. Auch die Geschichtschreibung
vermochte unter dem
Druck der staatlichen Verhältnisse ihre Aufgabe nicht mehr zu lösen. Die fünfte
Periode reicht bis zum
gänzlichen
Untergang des weströmischen
Reichs (476). In dieser
Periode des immer maßloser auftretenden
Despotismus, des überhandnehmenden
Synkretismus und der schwindenden
Nationalität arteten
Sprache und Litteratur
immer mehr aus.
Erstere wurde durch fremde
Bestandteile mehr und mehr verunreinigt, und in der Litteratur
herrschten Künstelei, Überladung,
Schwulst, Phrasenwesen. Die
Poesie, der weder
Pflege noch Aufmunterung zu teil ward, diente bloß äußern
Zwecken. Die
Beredsamkeit,
aus der
Öffentlichkeit, vom
Forum,
[* 11] zurückgedrängt in die
Schulen, fristete kümmerlich ihr Dasein und
sank im
Dienste
[* 12] der
Kaiser zur Lobrednerei herab.
Daher kann man mit dem Ende der fünften
Periode auch das Ende der lateinischen
Sprache und Litteratur setzen; denn wenn auch
Sieger und Besiegte sich der römischen
Sprache noch bedienten, so drängten sich
doch immer mehr fremde
Elemente in sie ein, besonders seitdem fremde
Völker sich in
Italien
[* 13] festgesetzt
hatten.
Die poetische Litteratur.
Wenn
Livius Andronicus der Begründer der römischen
Kunstpoesie, von den griechischen Kunstgattungen das
Drama 240
v. Chr.
zuerst in
Rom einführte, so geschah dies aus dem rein praktischen
Grunde, daß für diese
Gattung sich damals allein ein
Anknüpfungspunkt bot in der Vorliebe der italischen
Völker für dramatische
Darstellungen und in dem Vorhandensein einer
stehenden
Bühne in
Rom, auf welcher im Anschluß an die römischen
Spiele von gewerbsmäßigen Schauspielern sogen.
Saturae,
mit Flötenspiel und mimischem
Tanz verbundene Gesangvorträge, aufgeführt wurden. An improvisierten dramatischen
Spielen
mancher Art hatte sich von jeher die italische
Bevölkerung
[* 14] bei festlichen Gelegenheiten erlustigt; diese
volkstümlichen
Spiele bestanden fort, wurden aber von den Vertretern der Kunstpoesie zunächst nicht berücksichtigt, sondern
erfuhren erst gegen Ende der
Republik kunstmäßige Behandlung. Die dramatische Thätigkeit des
Livius beschränkte sich auf
ein bloßes Übersetzen griechischer
Tragödien und
Komödien, und mehr oder minder freie Bearbeitungen
griechischer
Originale sind auch zum überwiegenden Teil die
Dramen seiner Nachfolger gewesen. Zwar versuchte bereits der nächste
derselben, Gnäus
Nävius (um 235),
¶
mehr
selbständige Tragödien national-römischen
Inhalts, sogen. Fabulae praetextae, zu schaffen, und dieser Versuch fand auch Nacheiferung,
doch überwog durchaus die Nachbildung griechischer Tragödien. Die bedeutendsten Vertreter der republikanischen Tragödie sind
Quintus Ennius (239-170), M. Pacuvius (220-130) u. L. Accius (Attius, 170 bis um 104). Von ihren zahlreichen, noch lange nach
ihrem Tod aufgeführten Stücken sind nur Bruchstücke erhalten, welche als Eigentümlichkeit dieser Tragiker
bisweilen in Schwulst oder Trivialität ausartende Gravität in der Haltung der Charaktere wie in Gedanken und Sprache erkennen
lassen.
Aus der Kaiserzeit besitzen wir in den durchaus rhetorischen, schwerlich für die Bühne bestimmten Stücken des Seneca (s. d.) die einzigen uns erhaltenen Tragödien der römischen Litteratur. Von den übrigen Tragödienschreibern des 1. Jahrh. n. Chr., in welchem das dramatische Dichten überhaupt immer mehr erlosch, ist uns wenig mehr als die bloßen Namen bekannt. Auch die Komödie bewegte sich anfangs in der von Livius eingeschlagenen Bahn mehr oder minder freier Nachahmung griechischer Stücke und zwar vorzugsweise der sogen. neuern Komödie. Seinen Höhepunkt erreichte dieses nach griechischen Mustern geschriebene Lustspiel, die sogen. Comoedia palliata, durch T. Maccius Plautus (gest. 184) und P. Terentius (gest. 159 v. Chr.), von denen wir die einzigen vollständigen Komödien der römischen Litteratur besitzen.
Ungefähr gleichzeitig mit dem letztern kam die Comoedia togata auf, die in den Formen der griechischen Komödie nationale Stoffe behandelte, und der sich nunmehr die besten Kräfte zuwandten. Als ihr Hauptmeister galt den Alten L. Afranius (um 150 v. Chr.). Im Anfang des 1. Jahrh. v. Chr. machten L. Pomponius und Novius den erfolgreichen Versuch, das alte echt italische Volksspiel der Atellane (s. d.) einer kunstgerechten Behandlung zu unterwerfen, wie dies seit der Mitte desselben Jahrhunderts mit dem gleichfalls altnationalen Mimus (s. Mimen) durch Decimus Laberius und Publilius Syrus geschah. Während in der Kaiserzeit die Comoedia palliata und Comoedia togata allmählich von der Bühne verschwanden, bestanden die Atellane und der Mimus noch lange fort, freilich vorwiegend als Belustigung der untern Volksklassen; die Unterhaltung der höhern Stände bildete der stumme, ballettartige Pantomimus.
Den Anfang des römischen Kunstepos bezeichnen ebenfalls Livius Andronicus und Gajus Nävius, von denen jener die Odyssee zum Schulgebrauch übersetzte, dieser den ersten Punischen Krieg beschrieb, beide in dem rohen einheimischen saturnischen Versmaß. Der eigentliche Schöpfer des römischen Epos ist jedoch Quintus Ennius, der mit seinem Hauptwerk, den Roms Geschichte von der Gründung bis auf seine Zeit behandelnden »Annales«, den griechischen Hexameter einbürgerte.
Auf der von Ennius eingeschlagenen Bahn der Verherrlichung nationaler Thaten bewegte sich das römische Epos fast ausschließlich bis in die Zeit des Cicero. In dieser fing man an, mit Vorliebe mythische Stoffe der Griechen episch zu behandeln, besonders in Anlehnung an die alexandrinischen Dichter. Eine Probe dieser Richtung besitzen mir noch in Catulls Epyllion von der Hochzeit des Peleus und der Thetis, überhaupt der einzigen vollständig erhaltenen epischen Dichtung der republikanischen Zeit. Im Augusteischen Zeitalter finden sich beide Gattungen, das historische und heroische Epos, durch eine Reihe von Dichtern vertreten.
Beide Richtungen vereinigte in seiner »Aeneis« Vergilius Maro (70-19 v. Chr.),
der den Höhepunkt des römischen Epos bezeichnet und von unberechenbarem Einfluß auf die Poesie der Folgezeit gewesen ist. Aus dem 1. Jahrh. n. Chr. besitzen wir von historischen Epen hauptsächlich die »Pharsalia« des Lucanus und die »Punica« des Silius Italicus, während die heroische Gattung die »Argonautica« des Valerius Flaccus und die »Thebaïs« und »Achilleïs« des Statius vertreten. Die weltlichen historischen Epen, die aus den folgenden Jahrhunderten noch vorhanden sind, von Porfirius Optatianus (4. Jahrh.), Claudianus, Merobaudes, Sidonius Apollinaris (5. Jahrh.), Priscianus, Corippus und Venantius Fortunatus (6. Jahrh.), haben durchaus panegyrische Haltung und dienen der Verherrlichung der Kaiser oder einflußreicher Männer. Von diesen ist Claudianus der bedeutendste Dichter und zugleich neben Dracontius (Ende des 5. Jahrh.) einer der letzten Bearbeiter mythologischer Stoffe.
Die dem nüchternen römischen Sinn besonders zusagende didaktische Dichtung fand bei den Römern früh und zu allen Zeiten Pflege. Unter den Kunstdichtern verfaßte schon Ennius, dann der Tragiker Accius u. a. mancherlei Didaktisches. Doch wurde die Form des griechischen Epos erst gegen Ende der Republik herrschend, wo Lucretius sein philosophisches Lehrgedicht »De natura rerum« verfaßte, die einzige aus republikanischer Zeit vollständig erhaltene Dichtung dieser Art. Von Ciceros Übersetzung der »Phaenomena« des Aratos ist nur ein Teil auf uns gekommen.
Auch auf diesem Gebiet erreichte Vergil das Höchste mit seinen »Georgica«, welche selbst alle griechischen Dichtungen dieser Art weit hinter sich zurücklassen. Neben ihm ist von den zahlreichen didaktischen Dichtern der Augusteischen Zeit, welche sich vorzugsweise den Alexandrinern anschlossen, der bedeutendste Ovid, der sich jedoch nur in den »Metamorphosen« und den »Halieutica« des epischen Maßes, in seinen übrigen Gedichten, wie besonders »Ars amandi« und »Fasti«, der elegischen Form bediente.
Aus dieser und den folgenden Zeiten des 1. Jahrh. n. Chr. besitzen wir noch das Jagdgedicht des Gratius zum Teil, von dem sogen. Manilius eine größere Dichtung astronomischen Inhalts, von Germanicus (dem Adoptivsohn des Tiberius) eine Bearbeitung der »Phaenomena« des Aratos, von Columella ein Gedicht über Gartenbau, von dem angeblichen Lucilius ein Gedicht über den Ätna [* 16] und seine vulkanischen Erscheinungen;
aus dem 3. Jahrh. die versifizierte Arzneimittellehre des Serenus Sammonicus und das Jagdgedicht des Nemesianus;
aus dem 4. Jahrh. außer vielem Didaktischen in den Werken des Ausonius, wie der »Mosella«, von Palladius ein Gedicht über den Landbau und von Avienus Bearbeitungen des Aratos und der Erdbeschreibung des Dionysios sowie eine in Iamben verfaßte Küstenbeschreibung;
aus dem 5. Jahrh. außer Gedichten Claudians von Namatianus die Beschreibung seiner Heimreise in elegischem Maß;
aus dem 6. Jahrh. Priscians Bearbeitung des Dionysios u. a. Aus dem 4. Jahrh. stammt die Spruchsammlung des sogen. Cato.
Ist in den meisten der genannten Dichtungen die metrische Form nur äußerliche Zuthat, so fehlt jeder poetische Gehalt in den für Schulzwecke verfaßten Lehrgedichten der Grammatiker, wie in des Terentianus Maurus »Lehrbuch der Metrik« (3. Jahrh.) und den Gedichten Unbekannter über rhetorische Figuren (»De figuris vel schematibus«) und über Maße und Gewichte (»De ponderibus et mensuris«) u. a.
In naher Beziehung zu der didaktischen Dichtung ¶
mehr
sieht die Satire, die einzige poetische Gattung, welche die Römer selbständig und unabhängig von den Griechen zur Ausbildung gebracht haben. Ursprünglich bedeutete satura, wie erwähnt, eine aus Musik, Tanz und Gesang gemischte dramatische Ausführung. Ennius scheint zuerst den Namen zur Bezeichnung einer Gedichtsammlung von verschiedenartigem Inhalt und Versmaß verwendet zu haben. Solcher Art waren auch die Satiren des Gajus Lucilius (gest. 103 v. Chr.); jedoch erhielt durch ihn die Gattung eine bestimmte und für die Folgezeit maßgebende Richtung, durch die sie im wesentlichen zu dem wurde, was wir darunter verstehen, indem er die verschiedenartigsten Erscheinungen des damaligen Lebens zum Gegenstand einer bald humoristischen, bald schonungslos rügenden Besprechung machte.
Eine dem verfeinerten Zeitgeschmack entsprechende Erneuerung und Fortbildung fand die Lucilische Satire in der Augusteischen Zeit durch die Sermonen und Episteln des Horaz, der sich auf den ausschließlichen Gebrauch des Hexameters beschränkte und nur das soziale und litterarische Leben in den Kreis [* 18] seiner überwiegend humoristischen Besprechung zog. Seine Nachfolger waren im 1. Jahrh. n. Chr. Persius und Juvenalis, die teils infolge ihrer Individualität, teils veranlaßt durch die allgemeine Sittenverderbnis den zur Satire herausfordernden Kontrast zwischen Ideal und Wirklichkeit mit Bitterkeit und Schärfe behandelten. Eine eigentümliche Abart war die sogen. Menippeische Satire des in der letzten Zeit der Republik lebenden Polyhistors Varro, welcher nach dem Vorgang des Cynikers Menippos von Gadara ernste Gegenstände in humoristischem Ton und in einer aus Prosa und Poesie gemachten Form behandelte.
Die Fabel kam als besondere Dichtungsart erst zur Zeit des Tiberius und Claudius durch Phädrus zur Ausbildung. Außer ihm besitzen wir noch von Avianus aus dem 4. Jahrh. n. Chr. eine Fabelsammlung. - Die alexandrinische Idyllendichtung wurde in die römische Litteratur im Anfang des Augusteischen Zeitalters durch den jungen Vergil eingeführt, der in seinen »Eklogen« jedoch hinter seinem Vorbild Theokrit ebenso zurückblieb wie hinter ihm Calpurnius Siculus (um 55 n. Chr.) und hinter diesem dessen Nachahmer Nemesianus (Ende des 3. Jahrh.). Die unter dem Namen Idylle vereinigten Dichtungen des Ausonius und Claudian verdienen diese Bezeichnung nur in beschränktem Maß.
Von den Kunstformen der Lyrik fand die leichteste, das Epigramm, schon früh auf römischem Boden Pflege und wurde seit Ennius bis in die spätesten Zeiten für mannigfache Zwecke, als Aufschrift, Gelegenheits- und Sinngedicht, teils auch als kleine erotische Elegie, verwendet. Hauptmeister in dieser Gattung ist Martialis (2. Hälfte des 1. Jahrh. n. Chr.). Die in großer Anzahl vorhandenen vereinzelten Erzeugnisse der römischen Epigrammenlitteratur sind in neuerer Zeit unter dem Namen der lateinischen Anthologie gesammelt worden.
Der Einführung und Entwickelung der übrigen lyrischen Gattungen stand lange Zeit der vorwiegend dem Handeln zugewandte Charakter der Römer entgegen. Erst am Ende der Republik gewann durch den Einfluß der alexandrinischen Dichter besonders die Elegie in Rom Boden, und in dieser Gattung übertrafen die Schüler bald ihre Lehrer durch Wahrheit und Wärme der Empfindung wie durch Kunstvollendung. Der erste eigentliche römische Lyriker ist Catullus (geb. 87 v. Chr.), der sich in den verschiedensten lyrischen Formen mit Erfolg versuchte.
Auf der von ihm gebrochenen Bahn weiterschreitend, brachten in der Augusteischen Zeit Propertius, Tibullus und Ovid die Elegie zur höchsten Blüte, während Horaz die Formen der iambischen Poesie und der äolischen Lyrik ausbildete. Seitdem war die Gewandtheit in der Handhabung der verschiedenen lyrischen Formen außerordentlich verbreitet und wurde von zahlreichen berufenen und unberufenen Dichtern bis in späte Zeiten geübt. Besonders glänzende Vertreter dieser Formbeherrschung sind Statius im 1. Jahrh. n. Chr. und Ausonius im 4. Jahrh. Eine hervorragende Leistung unter den vielen inhaltlich unbedeutenden der spätern Lyrik ist das »Pervigilium Veneris« (»Nachtfeier der Venus«) aus dem 2. oder 3. Jahrh.
Die Prosalitteratur.
Auf dem Gebiet der Prosa haben wir schon aus früher Zeit Kunde von mancherlei Aufzeichnungen: sakralrechtlichen Formularen, Handels- und Bundesverträgen, von den Pontifices geführten Jahrbüchern (»Annales Pontificum« oder »Annales maximi«),
in welche außer den jährlichen Magistraten die verschiedenartigsten Vorfälle des Jahrs nach dem Datum in nüchterner Form eingetragen wurden, Familienchroniken u. a. Besonders bedauernswert ist der Verlust des Landrechts der zwölf Tafeln aus den Jahren 451-450 v. Chr., welches nicht bloß in politischer und juristischer Beziehung, sondern auch litterarhistorisch von großer Bedeutung war als das älteste römische Schriftwerk, welches den Namen eines Buches verdient. Eine wirkliche römische Prosalitteratur entwickelte sich erst verhältnismäßig spät. Der Begründer der schriftmäßigen Prosa ist M. Porcius Cato (234-149), der zuerst die lateinische Sprache für eine vielseitige schriftstellerische Thätigkeit verwendete.
Im wesentlichen Unterschied von der Poesie ging die Geschichtschreibung bei den Römern von den höhern Ständen aus und blieb bis zum 1. Jahrh. v. Chr. ausschließlich in den Händen derselben. Ihre ersten Anfänge fallen in die Endzeit des zweiten Punischen Kriegs, wo Q. Fabius Pictor die lange Reihe der Annalisten eröffnete, so genannt, weil sie sich in ihren Darstellungen der römischen Geschichte, deren ganzen Verlauf sie bis auf ihre Zeit zu schildern pflegten, der Annalenform bedienten.
Wie Fabius, so schrieben auch seine nächsten Nachfolger griechisch bis Cato, der in seinen »Origines« nicht nur zuerst das Lateinische zum Darstellungsmittel machte, sondern auch den Gegenstand zu einer Geschichte Italiens [* 19] erweiterte. Bis in Ciceros Zeit fand diese annalistische Behandlung der römischen Geschichte ununterbrochen Vertreter (s. Annalen). Gemeinsam war allen die Ausbeutung ihrer Vorgänger und das Bestreben, die Ereignisse in ein für Rom möglichst günstiges Licht [* 20] zu stellen, anfangs durch Verschweigen des Ungünstigen, später auch durch Übertreibungen; ebenso allgemein war der sich immer steigernde Hang zu rhetorischer Ausschmückung, und dieser rhetorische Charakter ist eine Haupteigentümlichkeit der römischen Geschichtschreibung geblieben.
Von dieser ganzen annalistischen Litteratur sind nur dürftige Bruchstücke erhalten. Die Reihe der noch vorhandenen Geschichtschreiber eröffnet Gajus Julius Cäsar, dessen »Commentarii de bello gallico« und »de bello civili« zu den besten Erzeugnissen der römischen Prosa gehören. Sein Zeitgenosse war Cornelius Nepos, der Freund des Cicero, Atticus und Catullus, von dessen zahlreichen Schriften wir noch kurze Biographien meist griechischer Feldherren besitzen. Von Gajus Sallustius Crispus (87-36), dem ersten kunstgerechten Historiker der Römer, haben wir die ¶