Römische
[* 2] Altertümer, die Zustände und äußern Erscheinungen des gesamten öffentlichen Lebens der alten Römer, [* 3] also in erster Linie Staatsverfassung und Verwaltung, dann auch Wohnung, Kleidung, Lebensordnung u.s.w. Von den ersten Anfängen des röm. Staates an bewegt sich das öffentliche Leben in dem Zusammenwirken dreier Faktoren: einer Befehlsgewalt, einer beratenden Behörde und der Volksgemeinde. In der ersten Periode des röm. Staates findet sich die Ausübung der Befehlsgewalt (das Imperium, s. d.) in der Hand [* 4] eines mit Zustimmung des Volks bestellten Königs (s. Rex).
Wer außer ihm polit. oder kriegerische Funktionen übt (Quästoren, s. d.), ist von ihm beauftragt und ihm untergeordnet. Neben sich hat er als beratende Behörde den Senat (s. d.). Der dritte Faktor, das Volk, besteht zunächst aus den erwachsenen männlichen Angehörigen der im Senat vertretenen Geschlechter, den Patriciern (s. d.). Diese sind nach der herrschenden, aber sehr unsichern Überlieferung in drei Tribus (s. d.) gegliedert, Ramnes, Tities und Luceres; jede Tribus zerfällt in zehn Kurien (s. d.), jede Kurie in zehn Gentes (s. d.), jede Gens in zehn Familien.
Nach Kurien gegliedert tritt das Volk zusammen zu einer Versammlung, den Comitia curiata (s. Komitien). Neben dieser Vollbürgerschaft stehen von vornherein noch, abgesehen von den als Sache betrachteten Sklaven, die Klienten (s. Klientel). Als aber dann viele zugewanderte oder besiegte Latiner in den Staat hereinkamen, bildete sich ein neuer, bald sehr starker Bevölkerungsteil, die Plebs (s. d.), die durch die dem Servius Tullius zugeschriebene Verfassung mit den Patriciern zu einer Gesamtvolksgemeinde verschmolzen wurde. Er gliederte das Volk nach dem Vermögen in fünf Klassen (die Mitglieder der ersten Klasse hießen speciell Classici, Klassiker).
Alle, deren Vermögen unter dem geringsten Vermögenssatz blieb, bildeten die Masse der Proletarier, die Capite censi (s. d.). Jede Klasse war in Centurien (s. d.) eingeteilt. Aber erst nach jahrhundertelangen Kämpfen erstritt sich die Plebs Gleichberechtigung neben dem patricischen Erbadel. (S. Rom und [* 5] Römisches Reich.) – In dem zweiten großen Abschnitt der röm. Reichsgeschichte, der Republik, erleidet die Natur der obersten Gewalt die Änderung, daß das Imperium jährlich wechselt und auf je zwei Prätoren (s. d.) oder Konsuln (s. d.) übergeht.
Zeitweilig konnte bei schwierigen Verhältnissen die Kollegialität der höchsten Gewalt aufgehoben werden durch Einsetzung eines Diktators (s. d.). Während anfänglich neben den Konsuln kein anderer selbständiger Beamter besteht, vielmehr die einzigen stehenden Beamten, die Quästoren, den Konsuln ganz untergeordnet bleiben, kommt es in der Folge zu einer Änderung in der Organisation der Magistratur durch Einsetzung besonderer Beamten mit eigenem, engerm Amtskreis. (S. Magistratus.) In einem eigentümlichen Verhältnis zur Magistratur stand der Volkstribunat (s. Tribunen).
Der Senat wurde unter der Republik der Mittelpunkt des Staatslebens und der Träger [* 6] des oligarchischen Systems. Zum Organismus der republikanischen Staatsverfassung kam im Laufe der Zeit «die Verwaltung Italiens [* 7] und der Provinzen». (S. Municipien und Provinz.) – Die Cäsarisch-Augusteische Monarchie beseitigte die bisherigen Faktoren der Verfassung nicht, sondern baute sich nur neben und über ihnen auf. (S. Imperator und Princeps.) Erst in der Diocletianisch-Konstantinischen Verfassung ist der Kaiser das von Gott gesandte lebendige Gesetz, das Volk eine Masse von Unterthanen.
Mit der polit.
Verfassung stehen im engsten Zusammenhang das Kriegswesen, das
Finanzwesen, die Einrichtungen
der Staatsreligion und die Gerichtsverfassung. Das römische
Kriegswesen ruhte von Haus aus auf der allgemeinen Wehrpflicht
als gemeiner bürgerlicher Last; aber im Laufe der
Entwicklung hat sich der
Kreis
[* 8] der die Wehrpflicht wirklich Ausübenden
sehr vermindert: man unterscheidet das Bürgerheer (bis
Marius), das Söldnerheer (bis
Augustus), das
stehende Heer.
(Weiteres s.
Legion.)
Was den röm. Staatshaushalt betrifft, so bildeten Gottesdienst, Staatsbauten und seit dem Vejentischen Krieg (406 v.Chr.) der Sold für die Fußtruppen neben den Verwaltungskosten die Hauptausgaben der Republik. Die frühesten Einnahmen ergaben sich aus den Staatsdomänen (ager publicus) und einer außerordentlicherweise erhobenen Vermögenssteuer (tributum), die nach glücklichen Kriegen oder bei sonst günstigem Kassenstand zurückgezahlt wurde. Später boten die eroberten Provinzen reiche Hilfsquellen, weshalb 167 das tributum zwar nicht gesetzlich aufgehoben, aber thatsächlich nicht mehr eingetrieben wurde.
Fast der ganze Bedarf wurde nun den Provinzen aufgebürdet, in denen die Domänen, zur Viehweide bestimmtes Land (pascua) und Bergwerke zur Verpachtung kamen (Staatspächter, publicani) und auch von der Benutzung des im Besitz gelassenen Eigentums direkte Steuern erhoben wurden. Daneben bestanden als indirekte Steuern die Zölle für Ein- und Ausfuhr (portoria), seit 357 v.Chr. eine fünfprozentige Steuer auf Freilassungen und mancherlei außerordentliche Einnahmen.
Die Hauptstaatskasse war das aerarium Saturni unter Verwaltung der Quästoren. Unter der Monarchie steigerten sich die vom Staat oder vom Kaiser zu leistenden Ausgaben (Hof, [* 9] Heer, Beamte, Reichspost, später Unterrichtswesen, Armenversorgung). Augustus stellte zuerst einen festen Etat auf und ließ eine sorgfältige Reichsvermessung, Volkszählung und Einschätzung vornehmen, auf Grund deren das Steuerwesen geregelt wurde. Abgesehen von den indirekten Steuern und den Erträgen der unter Verwaltung des Kaisers stehenden ¶
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Staats- und Krondomänen und kleinern außerordentlichen Einnahmen leisteten die Provinzen eine Grund- (tributum soli) und Kopf- oder Gewerbesteuer (tributum capitis), alle Reichsteile eine fünfprozentige Erbschaftssteuer, einprozentige Kauf- und Auktionssteuer und vierprozentige Sklavenverkaufssteuer. An Hauptkassen für diese Erträge wurden errichtet außer dem alten, als Senatskasse weiter bestehenden aerarium Saturni das aerarium militare (6 n. Chr. als Pensionskasse für ausgediente Soldaten gestiftet), der fiscus Caesaris, die von kaiserl. Hausbeamten verwaltete Hauptstaatskasse, und das patrimonium Caesaris, die kaiserl. Privatkasse. Als oberste Finanzbeamte fungierten die unmittelbar vom Kaiser ernannten procuratores. Revision der Listen erfolgte zunächst aller 5, später aller 15 Jahre. - Das Diocletianisch-Konstantinische Kaisertum centralisierte das ganze Finanzwesen noch stärker.
An der Spitze standen der comes sacrarum largitionum (Finanzminister) und der comes rerum privatarum (Haus- und Domänenminister) mit zahlreichen Unterbeamten und Steuerkassen (thesauri) neben der Staatshauptkasse und Hauptdomänenkasse (das aerarium Saturni wird Stadtkasse). Die Grundsteuer wurde reformiert (sorgfältige Katastrierung und Abschätzung, Zahlung in Naturalien), daneben bestand unter anderm eine Gewerbesteuer (chrysargyron), auch erhielten sich noch die alte einprozentige Auktionssteuer und die Zölle (commercia). - Zu allen Zeiten haben neben den Staatssteuern noch ziemlich bedeutende Kommunallasten bestanden.
Das Sakralwesen der Römer ist in vielen Punkten noch wenig geklärt. Der öffentliche Gottesdienst war peinlich genau geregelt, stand aber unter, nicht neben oder gar über dem Staate; die Sage schrieb seine Einführung König Numa zu. Die Priester sind Staatsdiener mit besondern Ehrenrechten, Insignien, und meist mit Grundbesitz ausgestattet. Oberpriester, d. h. nach röm. Auffassung der Vertreter des Rechts der Götter auf Verehrung für den dem Staate geleisteten Schutz, ist in der Königszeit der König, in der Republik der Pontifex maximus, der Vorsteher des vornehmsten Priesterkollegiums der Pontifices (s. Pontifex).
Ihm unterstehen namentlich auch der Erbe des alten Königstitels, der rex sacrorum, die Einzelpriester bestimmter Götter, die Flamines und die den Staatsherd hütenden vestalischen Jungfrauen. Außer dem Kollegium der Pontifices gab es noch die der Epulonen (Opferanrichter), der Fünfzehnmänner für den Opferdienst (quindecim viri sacris faciundis), welche die Sibyllinischen Bücher (s. d.) bewahrten, der Augurn, der ursprünglich nicht zur offiziellen Priesterschaft gehörigen Haruspices, der mit den völkerrechtlichen Funktionen betrauten Fetialen, der Salier, der Luperci, der Sodales Titii, der Arvalbrüder.
Das Kaisertum hat die röm. Staatsreligion und ihre Einrichtungen sorgsam bewahrt und verteidigt, sie sogar direkt wiederzubeleben versucht. Dennoch dringen bei dem nicht streng exklusiven Charakter der röm. Religion (eine Fortsetzung des schon früh bemerkbaren Erweiterungsprozesses) eine ganze Reihe neuer, namentlich orient. Kulte auch in den Staatskult ein. Als neuer nationaler Kult ist von Bedeutung der Kultus der verstorbenen Kaiser (divi), für den eine Anzahl Priesterkollegien (sodales Augustales, Claudiales u. a.) und Opferpriester (Flamines) geschaffen wurden. (S. Römische Religion.)
Das Gerichtswesen steht in enger Beziehung mit der Entwicklung des röm. Rechts. Die Gerichtsgewalt ist ein Teil des Imperiums und wird dementsprechend ursprünglich vom König ausgeübt, dem als Hilfsbeamte die quaestores parricidii zur Seite stehen. Sie geht nominell, aber durch die Provokation (s. d.) stark eingeschränkt, auf die Konsuln über, bis 367 v. Chr. das richterliche imperium einem besondern Beamten, dem Prätor, überwiesen wird. Für die Ausübung der Gerichtsgewalt scheidet das röm. Rechtswesen schon früh zwischen judicia privata (Civilprozessen) und judicia publica (Kriminalprozessen). Im Kriminalprozeß urteilte während der altern Republik das in den Komitien versammelte Volk unter Vorsitz der quaestores parricidii oder bei Hochverratsprozessen der für diesen Zweck besonders gewählten duoviri perduellionis. Im 2. Jahrh. v. Chr. wurden für bestimmte, häufig wiederkehrende Vergehen (Erpressungen, Amtserschleichung, Giftmord u. s. w.) besondere ständige Geschworenengerichtshöfe (quaestiones perpetuae) eingesetzt, gewöhnlich unter Vorsitz eines Prätors.
In der Kaiserzeit kam dafür teils der von den Konsuln vor dem Senat geführte Prozeß, teils die kaiserl. Kabinettsjustiz auf. Der Civilprozeß wurde von einem vorsitzenden Oberbeamten, also gewöhnlich dem Prätor, eingeleitet. Das Urteil sprachen entweder von beiden Parteien bestellte Einzelrichter (judices, arbitri) oder Richterkollegien: die decemviri litibus judicandis (s. Decemvirn), die Centumviri (s. d.) und die Recuperatores (s. d.). In der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit (Adoption, Freilassung u. s. w.) handelte der Prätor allein.
Die Geschworenen für den Kriminal- wie für den Civilprozeß wurden der allgemeinen Richterliste entnommen, die zuerst nur aus Senatoren, seit Gracchus aus den Rittern, dann aus Senatoren und Rittern, endlich Senatoren, Rittern und Ärartribunen zusammengestellt wurde. Außer der Kriminal- und Civiljurisdiktion gab es noch die in Sachen eines Privaten gegen die Gemeinde besonders von Censoren und Ädilen nach selbständigem Urteil ausgeübte sog. Administrativgerichtsbarkeit.
Litteratur. Lange, Römische Altertümer
(3 Bde.,
Berl. 1863-71; Bd. 1 u. 2, 3. Aufl. 1876-79; Bd. 3,
Abteil. 1, 2. Aufl. 1876);
Guhl und Koner, Leben der Griechen und Römer (6. Aufl., besorgt von Engelmann, ebd. 1893);
Becker, Gallus (neue Bearbeitung von Göll, 3 Bde., ebd. 1880-81);
Marquardt und Mommsen, Handbuch der Römische Altertümer
(«Röm. Staatsrecht», von Mommsen, Bd. 1 u. 2, 3. Aufl., Lpz.
1887-88; Bd. 3, 1888; «Röm. Staatsverwaltung», von Marquardt, Bd. 1, 2 u. 3, ebd. 1874-78; 2. Aufl., Bd.
1, 1881; Bd. 2, besorgt von Dessau
[* 14] und Domaszewski, 1884; Bd. 3, besorgt von Wissowa,
1885);
Madvig, Verfassung und Verwaltung des röm. Staates (2 Bde., ebd. 1881-82);
Herzog, Geschichte und System der röm. Staatsverfassung (2 Bde., ebd. 1884-91);
Karlowa, Röm. Rechtsgeschichte (2 Bde., ebd. 1885-92).