Titel
Ritschl
,
1) Friedrich Wilhelm, berühmter Philolog, geb. zu Großvargula bei Erfurt, [* 3] vorgebildet unter Spitzner zu Erfurt und Wittenberg, [* 4] studierte seit 1825 in Leipzig [* 5] unter Hermann und seit 1826 in Halle [* 6] unter Reisig, wurde 1829 Privatdozent und 1832 außerordentlicher Professor in Halle, 1833 außerordentlicher und 1834 ordentlicher Professor in Breslau [* 7] an Passows Stelle, 1839 nach einer längern Reise in Italien [* 8] (1837-38) Professor der klassischen Philologie und Mitdirektor des philologischen Seminars zu Bonn, [* 9] 1854 auch Oberbibliothekar sowie Direktor des akademischen Kunst- und des rheinischen Altertumsmuseums daselbst, erhielt 1856 den Titel eines Geheimen Regierungsrats, nahm 1865 infolge einer vom preußischen Kultusminister wegen Differenzen mit O. Jahn eingelegten Disziplinaruntersuchung seine Entlassung, folgte im Herbst d. J. einem Ruf nach Leipzig und starb dort Als Universitätslehrer hat eine Wirksamkeit und einen Einfluß ausgeübt wie keiner seiner Zeitgenossen.
Ein beredtes Zeugnis dafür sind die »Symbola philologorum Bonnensium in honorem Fr. Ritschelii collecta« (Leipz. 1864-67),
43 Abhandlungen
von
Schülern Ritschls
zur
Feier seiner 25jährigen akademischen Thätigkeit in
Bonn, und die
»Acta societatis philologae Lipsiensis«
(das. 1871-76, 6 Bde.). Seine wissenschaftlichen
Leistungen bezogen sich im Anfang auf die
griechische Litteratur. Hierher gehören seine
Ausgabe des
Thomas
Magister
(Halle 1832),
Abhandlungen »De Oro et Orione« (Bresl. 1834),
zu Dionysios von Halikarnaß (das. 1838 u. Bonn 1846),
über »Die alexandrinischen Bibliotheken unter den ersten Ptolemäern und die Sammlung der Homerischen Gedichte durch Pisistratus« (Bresl. 1838; ein umfangreiches Korollarium dazu, Bonn 1840),
aus späterer Zeit besonders seine
Ausgabe von
Äschylos'
»Sieben gegen Theben«
(Elberf. 1853; 2. Aufl. unter Mitwirkung von F.
Schöll, Leipz. 1875). Seine Hauptverdienste liegen jedoch auf dem Gebiet
der römischen Litteratur; hier waren seine
Schriften bahnbrechend für
Plautus, die
Inschriften und die
historische
Grammatik.
Sein Hauptwerk ist die kritische Bearbeitung des
Plautus mit umfassenden Prolegomenen (unvollendet,
Bonn
u. Elberf. 1848 bis 1854, 3 Bde., 9
Stücke enthaltend; fast völlig neue Bearbeitung, von Ritschl
begonnen, von
Götz,
Löwe und
Schöll fortgesetzt, bis jetzt Bd. 1-3, Leipz. 1881 bis
1887), vorbereitet besonders durch die
»Parerga zu
Plautus und
Terentius« (1. Bd., nicht fortgesetzt, das.
1845). Auf dem Gebiet der lateinischen Epigraphik heben wir das Prachtwerk »Priscae
latinitatis monumenta epigraphica« (Berl. 1864) hervor, in welchem
er den
Inschriften
durch Verwertung für die Sprachgeschichte
eine neue
Stellung zuwies. Sonst legte er die
Resultate seiner Forschungen in zahlreichen Abhandlungen
nieder. Dieselben sind gesammelt als
»Kleine philologische
Schriften« oder »Opuscula philologica« (Leipz.
1867-79, 5 Bde.). Auch gab er seit 1841 mit
Welcker, seit 1866 mit
Klette eine
»Neue
Folge« des
»Rheinischen
Museums für
Philologie«
heraus.
Vgl.
Luc.
Müller,
Fr. Ritschl
(2. Aufl., Berl. 1878);
Ribbeck, F. W. Ritschl
(Leipz. 1879-81, 2 Bde.).
2)
Albrecht, protest. Theolog, geb. zu
Berlin
[* 10] als Sohn des
Bischofs
Georg
Karl
Benjamin Ritschl
(geb. 1783, gest. in
Berlin), studierte in
Bonn,
Halle,
Heidelberg,
[* 11]
Tübingen
[* 12]
Theologie, habilitierte sich 1846 in
Bonn, woselbst er 1853 außerordentlicher, 1860 ordentlicher
Professor der
Theologie wurde; er folgte 1864 einem
Ruf an die
Universität
Göttingen,
[* 13] woselbst er 1879
Konsistorialrat
und 1881
Doctor juris wurde. Unter seinem
Schriften sind zu nennen: »Das
Evangelium
Marcions und das kanonische
Evangelium des
Lukas«
(Tübing. 1846);
»Das Verhältnis des Bekenntnisses zur Kirche« (Bonn 1854);
»Die Entstehung der altkatholischen Kirche« (das. 1850, 2. Aufl. 1857),
womit er der Tübinger Schule, zu welcher er sich bisher gehalten, erfolgreich entgegentrat;
»Die christliche Lehre [* 14] von der Rechtfertigung und Versöhnung« (das. 1870-74; 2. Aufl. 1882-83, 3 Bde.);
»Schleiermacher Reden über die Religion« (das. 1874);
»Die christliche Vollkommenheit« (das. 1874);
»Unterricht in der christlichen Religion« (das. 1875, 3. Aufl. 1886);
»Über das Gewissen« (das. 1876);
»Geschichte des Pietismus« (das. 1880-86, 3 Bde.);
»Theologie und Metaphysik« (2. Aufl., das. 1887);
»Drei akademische Reden« (das. 1887).
Seine in der jüngern theologischen Welt sehr verbreitete Schule kennzeichnet sich dadurch, daß sie unter Bezugnahme auf Kant alle nicht von ethischen Prinzipien ausgehende und geleitete Metaphysik überhaupt ablehnt und die ganze Glaubenslehre durch die religiös-ethische Idee des Gottesreichs als des objektiven Zweckes der Gottesoffenbarung und der sittlichen Bethätigung der Gemeinde beherrscht sein läßt.